"Sie waren in Auschwitz?"
"Ja. Fast zwei Jahre. Von März 1943 bis Januar 1945."
"In welcher Funktion?"
"Meinen Sie, in welcher Häftlingsfunktion?"
"Ja, wie anders hätten Sie Auschwitz über einen so langen Zeitraum überleben können?"
Ich erklärte, dass mein Überleben als gewöhnlicher Häftling bei einer Vielzahl von Entbehrungen, Erniedringungen, Krankheiten und dramatischen Erlebnissen im Lager durch die Hilfe von jüdischen Funktionshäftlingen, durch einen holländischen Fremdarbeiter und zwei Angestellte von IG Farben und nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz einer nichtjüdischen Frau in Bielefeld, die auf illegalem Weg Kontakt zu mir gehalten hatte, erleichtert worden war. Darüber zu berichten, würde viel Zeit benötigen, die ich hier und jetzt nicht aufbringen könne.
Es war das Gespräch mit einem Schweizer Journalisten im Jahr 1981, das Paul Hoffmann auf die Idee brachte, die Geschichte seines Überlebenskampfes in Auschwitz aufzuschreiben. Es blieb aber bei einzelnen Fragmenten und Notizen. Zu sehr schmerzte ihn die Erinnerung. Jahre später unternahm er dann noch einen Versuch. Eine fortschreitende Demenzerkrankung hinderte ihn jedoch am Schreiben, erklärt sein Sohn Daniel, der als Literaturprofessor an der Universität Düsseldorf lehrt.
"Da habe ich mir dann überlegt, ob ich es nicht machen könnte, habe ihm aber nichts gesagt zunächst und habe mir dann die Materialien angeschaut, die er hatte, die ich vorher gar nicht kannte, ich kannte nur seine Aufzeichnungen, aber alle Materialien aus der Vergangenheit, die ganzen Dokumente kannte ich nicht. Die habe ich dann in der Wohnung zusammengesucht, habe mir sie alle angeschaut und dann habe ich mich dazu entschlossen. Dann habe ich ihm das auch gesagt, dass ich das mache."
Daraus ist eine beeindruckende Biographie geworden, die der Leser, hat er sich erstmal durch die etwas sperrige Einleitung gearbeitet, gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Daniel Hoffmann hat akribisch und liebevoll das Leben seines Vaters von 1938 bis Anfang der 50er Jahre rekonstruiert und so dessen Erinnerungen bewahrt. Der Autor beschreibt einfühlsam die Jugend in Iserlohn als Sohn eines jüdischen Schrotthändlers, der nach und nach die Diskriminierung der Juden in Deutschland bis zur Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz miterlebt. Paul Hoffmann ist gerade 17 Jahre alt, als er in ein Paderborner Arbeitslager eingewiesen wird. Er arrangiert sich mit der Situation, findet Freunde und lernt dort auch seine Verlobte, Lotte Windmüller, kennen, die später im Vernichtungslager umkommt. Dank seiner Auffassungsgabe und seines Fleißes gewinnt der junge Mann schnell die Gunst seiner Vorgesetzten. Dass ihm diese Fähigkeit später das Leben retten wird, ahnt er damals nicht. Im März 1943 wird er schließlich gemeinsam mit Lotte und einigen anderen Freunden deportiert. Paul überlebt Auschwitz als einziger. Die Schilderung der zwei Jahre dort ist der bewegendste Abschnitt des Buches. Dem Autor gelingt es, anhand der Erzählungen und der Manuskriptfragmente seines Vaters, sehr genaue Bilder vom täglichem Kampf ums Überleben zu zeichnen. Liebevoll sind auch die Briefe eingearbeitet, die Paul Hoffmann an die nichtjüdische Stiefmutter seiner Verlobten, an "Peppe", geschrieben hat.
Liebe Peppe, hier ist jeder Tag ein Kampf um Sein oder Nichtsein. Diesen Kampf zu bestehen und durchzuhalten, der nur von jungen, kräftigen Menschen bestanden werden kann. Sehr, sehr viele von unseren Kameraden haben diesen Kampf nicht bestanden. Ich werde mich nicht so leicht unterkriegen lassen. Nun könntest Du mir aber mein Hiersein sehr erleichtern, wenn Du mich etwas unterstützen könntest. Weißt Du, welcher hier der rarste Artikel ist, Zigaretten. Dafür bekäme ich hier noch und noch zu essen.
Peppe nimmt das Risiko auf sich und schickt Paul, was sie entbehren kann. Damit gehört sie zu denjenigen, derentwegen er nicht aufgegeben hat - trotz der grauenhaften Bedingungen, deren detaillierte Schilderung schockiert, auch wenn sie aus zahlreichen Auschwitz-Biographien bekannt sein mögen.
Die Häftlinge waren zumeist den ganzen Tag über bis auf die Haut durchnässt. Ein Segen war es, wenn es ihnen auf der Arbeitsstelle gelang, heimlich einen leeren Zementsack zu ergattern, dessen Innenseite sie wie einen Pullover als Regenschutz unter der Jacke trugen. Aber wehe dem, der von der SS damit erwischt wurde. Keiner wagte es deshalb, damit ins Lager einzumarschieren. Auf jeden Fall musste man am Morgen erst einmal seinen noch feuchten Häftlingsanzug und die feuchten Fußlappen anziehen.
Trotz Krankheit, unsäglichen Hungers und Todesangst gibt Paul Hoffmann die ganze Zeit über nie die Hoffnung auf, doch noch davonzukommen - auch wenn viele seiner Mithäftlinge aus Verzweiflung Selbstmord begehen oder den so genannten "Selektionen" der Lagerärzte zum Opfer fallen. Die Lektüre macht neugierig darauf zu erfahren, was für ein Mensch Paul Hoffmann ist und wie er mit seinem Schicksal später umging. Sein Sohn Daniel erzählt, er habe erst als Erwachsener wirklich Zugang zu seinem Vater gefunden, der auf ihn als Kind distanziert wirkte.
Mein Vater hat sich während der Inhaftierung seine Emotionen regelrecht verboten, damit sie ihn im Überlebenskampf nicht behindern. Dadurch wirkte er auf uns oft sehr sachlich und emotionslos. Er konnte ja auch über seine eigene Leidensgeschichte ganz emotionslos reden. Das machte es uns auf der anderen Seite leicht, dann entstand der emotionale Druck nicht so stark, der aber dann von der Seite meiner Mutter kam. Meine Mutter war immer erschüttert, wenn er darüber gesprochen hat.
Erschüttert ist auch der Leser von der packenden Schilderung des Autors, die gerade durch die Akribie fesselt, mit der Daniel Hoffmann die Geschichte seines Vaters erzählt. Geschickt hat er die Protokolle verschiedener Auschwitz-Prozesse, in denen sein Vater später als Zeuge aussagte, und die Briefwechsel mit Peppe eingearbeitet. So gelingt es Daniel Hoffmann trotz der zeitlichen Distanz, ein besonders klares Bild des Lebens im Vernichtungslager zu zeichnen. Es ist vor allem die Perspektive des Sohnes, der sich mit der Geschichte seines Vaters auseinandersetzt, die dem Leser so nahegeht. Denn in jeder Zeile schimmert der Respekt vor dessen Überlebenswillen durch. Daniel Hoffmann, der bislang nur germanistische Fachliteratur veröffentlicht hat, ist mit "Lebensspuren meines Vaters" ein großartiges persönliches Geschichtsbuch gelungen, das seinem mutigen und unbeugsamen Vater ein literarisches Denkmal setzt.
Lebensspuren meines Vaters. Eine Rekonstruktion aus dem Holocaust. Friederike Schulz besprach das Buch von Daniel Hoffmann. Es ist im Wallstein Verlag erschienen. 272 Seiten. 24,00 Euro.
"Ja. Fast zwei Jahre. Von März 1943 bis Januar 1945."
"In welcher Funktion?"
"Meinen Sie, in welcher Häftlingsfunktion?"
"Ja, wie anders hätten Sie Auschwitz über einen so langen Zeitraum überleben können?"
Ich erklärte, dass mein Überleben als gewöhnlicher Häftling bei einer Vielzahl von Entbehrungen, Erniedringungen, Krankheiten und dramatischen Erlebnissen im Lager durch die Hilfe von jüdischen Funktionshäftlingen, durch einen holländischen Fremdarbeiter und zwei Angestellte von IG Farben und nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz einer nichtjüdischen Frau in Bielefeld, die auf illegalem Weg Kontakt zu mir gehalten hatte, erleichtert worden war. Darüber zu berichten, würde viel Zeit benötigen, die ich hier und jetzt nicht aufbringen könne.
Es war das Gespräch mit einem Schweizer Journalisten im Jahr 1981, das Paul Hoffmann auf die Idee brachte, die Geschichte seines Überlebenskampfes in Auschwitz aufzuschreiben. Es blieb aber bei einzelnen Fragmenten und Notizen. Zu sehr schmerzte ihn die Erinnerung. Jahre später unternahm er dann noch einen Versuch. Eine fortschreitende Demenzerkrankung hinderte ihn jedoch am Schreiben, erklärt sein Sohn Daniel, der als Literaturprofessor an der Universität Düsseldorf lehrt.
"Da habe ich mir dann überlegt, ob ich es nicht machen könnte, habe ihm aber nichts gesagt zunächst und habe mir dann die Materialien angeschaut, die er hatte, die ich vorher gar nicht kannte, ich kannte nur seine Aufzeichnungen, aber alle Materialien aus der Vergangenheit, die ganzen Dokumente kannte ich nicht. Die habe ich dann in der Wohnung zusammengesucht, habe mir sie alle angeschaut und dann habe ich mich dazu entschlossen. Dann habe ich ihm das auch gesagt, dass ich das mache."
Daraus ist eine beeindruckende Biographie geworden, die der Leser, hat er sich erstmal durch die etwas sperrige Einleitung gearbeitet, gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Daniel Hoffmann hat akribisch und liebevoll das Leben seines Vaters von 1938 bis Anfang der 50er Jahre rekonstruiert und so dessen Erinnerungen bewahrt. Der Autor beschreibt einfühlsam die Jugend in Iserlohn als Sohn eines jüdischen Schrotthändlers, der nach und nach die Diskriminierung der Juden in Deutschland bis zur Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz miterlebt. Paul Hoffmann ist gerade 17 Jahre alt, als er in ein Paderborner Arbeitslager eingewiesen wird. Er arrangiert sich mit der Situation, findet Freunde und lernt dort auch seine Verlobte, Lotte Windmüller, kennen, die später im Vernichtungslager umkommt. Dank seiner Auffassungsgabe und seines Fleißes gewinnt der junge Mann schnell die Gunst seiner Vorgesetzten. Dass ihm diese Fähigkeit später das Leben retten wird, ahnt er damals nicht. Im März 1943 wird er schließlich gemeinsam mit Lotte und einigen anderen Freunden deportiert. Paul überlebt Auschwitz als einziger. Die Schilderung der zwei Jahre dort ist der bewegendste Abschnitt des Buches. Dem Autor gelingt es, anhand der Erzählungen und der Manuskriptfragmente seines Vaters, sehr genaue Bilder vom täglichem Kampf ums Überleben zu zeichnen. Liebevoll sind auch die Briefe eingearbeitet, die Paul Hoffmann an die nichtjüdische Stiefmutter seiner Verlobten, an "Peppe", geschrieben hat.
Liebe Peppe, hier ist jeder Tag ein Kampf um Sein oder Nichtsein. Diesen Kampf zu bestehen und durchzuhalten, der nur von jungen, kräftigen Menschen bestanden werden kann. Sehr, sehr viele von unseren Kameraden haben diesen Kampf nicht bestanden. Ich werde mich nicht so leicht unterkriegen lassen. Nun könntest Du mir aber mein Hiersein sehr erleichtern, wenn Du mich etwas unterstützen könntest. Weißt Du, welcher hier der rarste Artikel ist, Zigaretten. Dafür bekäme ich hier noch und noch zu essen.
Peppe nimmt das Risiko auf sich und schickt Paul, was sie entbehren kann. Damit gehört sie zu denjenigen, derentwegen er nicht aufgegeben hat - trotz der grauenhaften Bedingungen, deren detaillierte Schilderung schockiert, auch wenn sie aus zahlreichen Auschwitz-Biographien bekannt sein mögen.
Die Häftlinge waren zumeist den ganzen Tag über bis auf die Haut durchnässt. Ein Segen war es, wenn es ihnen auf der Arbeitsstelle gelang, heimlich einen leeren Zementsack zu ergattern, dessen Innenseite sie wie einen Pullover als Regenschutz unter der Jacke trugen. Aber wehe dem, der von der SS damit erwischt wurde. Keiner wagte es deshalb, damit ins Lager einzumarschieren. Auf jeden Fall musste man am Morgen erst einmal seinen noch feuchten Häftlingsanzug und die feuchten Fußlappen anziehen.
Trotz Krankheit, unsäglichen Hungers und Todesangst gibt Paul Hoffmann die ganze Zeit über nie die Hoffnung auf, doch noch davonzukommen - auch wenn viele seiner Mithäftlinge aus Verzweiflung Selbstmord begehen oder den so genannten "Selektionen" der Lagerärzte zum Opfer fallen. Die Lektüre macht neugierig darauf zu erfahren, was für ein Mensch Paul Hoffmann ist und wie er mit seinem Schicksal später umging. Sein Sohn Daniel erzählt, er habe erst als Erwachsener wirklich Zugang zu seinem Vater gefunden, der auf ihn als Kind distanziert wirkte.
Mein Vater hat sich während der Inhaftierung seine Emotionen regelrecht verboten, damit sie ihn im Überlebenskampf nicht behindern. Dadurch wirkte er auf uns oft sehr sachlich und emotionslos. Er konnte ja auch über seine eigene Leidensgeschichte ganz emotionslos reden. Das machte es uns auf der anderen Seite leicht, dann entstand der emotionale Druck nicht so stark, der aber dann von der Seite meiner Mutter kam. Meine Mutter war immer erschüttert, wenn er darüber gesprochen hat.
Erschüttert ist auch der Leser von der packenden Schilderung des Autors, die gerade durch die Akribie fesselt, mit der Daniel Hoffmann die Geschichte seines Vaters erzählt. Geschickt hat er die Protokolle verschiedener Auschwitz-Prozesse, in denen sein Vater später als Zeuge aussagte, und die Briefwechsel mit Peppe eingearbeitet. So gelingt es Daniel Hoffmann trotz der zeitlichen Distanz, ein besonders klares Bild des Lebens im Vernichtungslager zu zeichnen. Es ist vor allem die Perspektive des Sohnes, der sich mit der Geschichte seines Vaters auseinandersetzt, die dem Leser so nahegeht. Denn in jeder Zeile schimmert der Respekt vor dessen Überlebenswillen durch. Daniel Hoffmann, der bislang nur germanistische Fachliteratur veröffentlicht hat, ist mit "Lebensspuren meines Vaters" ein großartiges persönliches Geschichtsbuch gelungen, das seinem mutigen und unbeugsamen Vater ein literarisches Denkmal setzt.
Lebensspuren meines Vaters. Eine Rekonstruktion aus dem Holocaust. Friederike Schulz besprach das Buch von Daniel Hoffmann. Es ist im Wallstein Verlag erschienen. 272 Seiten. 24,00 Euro.