"Ich hab immer das gemacht, was mir gefällt und dann geglaubt, das muss eigentlich auch den anderen gefallen."
Henri Nannen war der der "Stern" und der "Stern" war Henri Nannen. Selten wurde ein journalistisches Produkt so sehr mit seinem Macher identifiziert wie die Illustrierte aus Hamburg. Nannen, der studierte Kunsthistoriker, Sohn eines Polizeibeamten aus Emden, der bekennender Sozialdemokrat war, rief die Zeitschrift 1948 ins Leben. Mit ihrer Bildsprache und den großen Reportagen wie auch einer speziellen Mischung aus Klatsch und Politik galt sie schon bald als "Wundertüte" - mit großem Erfolg bei den Lesern. Ein Blatt für "Lieschen Müller", sollte es sein, ein Ausdruck, der von Nannen nicht despektierlich gemeint war. Ohne Dünkel, das sei ihr Großvater gewesen, meint Stephanie Nannen.
"Mein Großvater war ein berührbarer Mensch. Also, der ließ sich von Geschichten berühren, von Menschen, von Fotos, von Ereignissen, von Kunst, von Augenblicken, die er selber erlebt hat und man könnte wahrscheinlich sagen, er ließ sich vom Leben berühren. Genau das wollte er anderen geben. Und er konnte, das habe ich selten so erlebt, vollkommen ungeniert staunen."
Lieschen Müller, das war im Grunde Henri Nannen selbst. Seine Enkelin hat - wohl ganz im Sinne ihres Großvaters – eine sehr persönliche Perspektive gewählt, um von ihm zu erzählen. Den Frauen in seinem Leben, zumindest den namentlich bekannt gewordenen, räumt sie deshalb ähnlich viel Platz ein wie der Beschreibung seines Lebens im Dritten Reich oder seiner Liebe zur Kunst. Und sie beschreibt, wie der viel beschäftigte Mann sich die Zeit nahm, sich ihren Liebeskummer anzuhören und von seinen eigenen Erfahrungen zu berichten – eine Offenheit, die für Männer seiner Generation sehr ungewöhnlich war.
"Fünfeinhalb Stunden sollten es werden. Er erzählte mir von großen Gefühlen, von all ihren Nöten, davon, wie glücklich man sein kann, und dass manche Liebe niemals aufhört, auch wenn man sie nicht leben kann. Aber die Liebe und die Lieben, über die mein Großvater sprach, waren nicht abstrakt, sie hatten Namen und Gesichter. Und die wollte er mir näher bringen."
Der empfindsame Henri Nannen, der gleichwohl sehr ruppig werden konnte, wenn seine Redakteure nicht genauso hart und engagiert arbeiteten, wie er selbst, hatte ein gutes Gespür für die Zeit, in der er lebte und war damit der geborene Publizist. Populismus und ein Hang zur Aufklärung gingen bei ihm eine erfolgreiche Verbindung ein. Im ZDF sagte er einmal:
"Eine Zeitung kann man nur machen, wenn man etwas erreichen will. Und was wir erreichen wollten, war damals dem einzelnen Menschen wieder gegen den Apparat und gegen die Übermacht der Ämter und Behörden Luft zu verschaffen, ihn zum eigenen Denken zu bringen, ihm auch klar zu machen, dass mit den lieb gewonnenen Klischees nichts mehr ist."
Der "Stern" berichtete wie alle anderen Klatschblätter über Kaiserin Soraya, aber auch über die Brutalität des persischen Regimes. Er illustrierte seine Titel gern mit wenig angezogenen Frauen, stritt gleichwohl für die Emanzipation. Der Aufmacher "Wir haben abgetrieben", in dem prominente Frauen sich zu ihren Schwangerschaftsabbrüchen bekannten, machte genauso Furore wie die Serie über die drogensüchtige Christiane F und die anderen "Kinder vom Bahnhof Zoo". Doch nicht alle Tabubrüche freuten Nannens Verleger Gerd Bucerius, der lange Jahre Mitglied der CDU war. Beide fochten ihre Auseinandersetzungen mit Vorliebe in Briefen aus. Stephanie Nannen schreibt:
"Wo Bucerius seinem Kunden ein Wohlgefühl bereiten, ihn berühren wollte, da wollte Nannen seinen Leser verstören, aufwecken, ihm unter die Haut kriechen. "Sitzt das Kritteln nicht im Stern augenblicklich drin?", fragt Bucerius. "Wenn sich jeder freut, dass Margaret heiratet, dann weist der Stern nach, dass und wie der Bräutigam gehurt hat, dass eine seiner Freundinnen eine Fehlgeburt hatte und sein Freund im Zuchthaus sitzt", kritisierte er im Jahr 1960."
"Mein Großvater hatte in seinem Verleger Gerd Bucerius einen Sparringspartner, könnte man sagen, dem er keinen Meter Erde schenkte und den er immer versuchte in Schach zu halten. Man könnte sagen, es war ein sportlicher Wettstreit. Der eine triezte den anderen und so hielten sie sich über Jahrzehnte doch auf sehr hohem Niveau "getrennt zusammen", wenn man so sagen möchte."
Bucerius konnte sich eigentlich nicht beschweren, denn die Gewinne des "Stern" subventionierten über zwanzig Jahre lang das Lieblingskind des Verlegers, die Wochenzeitung "Die Zeit". Gleichzeitig hielt Nannen seiner Redaktion den Rücken frei von den Einwänden des Mannes, der das Geld verwaltete. Doch mit Bucerius verband Nannen gleichwohl, dass beide ihren Elan aus ihren Erfahrungen im Dritten Reich zogen. Der Journalist war, so schreibt seine Enkelin, damals weder Nazi noch Held gewesen. Aus seinem Wirken als Kriegsberichterstatter oder als Sprecher in Leni Riefenstahls Olympia-Film versuchten ihm seine politischen Feinde später oft genug einen Strick zu drehen – was aber nie gelang. Nannen bekannte, im Gegensatz zu vielen anderen: Ich habe Schuld auf mich geladen.
"Meine Altersgenossen und die Generation meiner Eltern, die hat doch gesehen, dass der Seligmann auf der anderen Straßenseite plötzlich abgeholt wurde und dass der nicht etwa nach Kalifornien, in die Sommerfrische oder so was kam, das war doch klar. Die Eltern meiner Freundin, die mussten eines Tages Steine klopfen und dann verschwanden sie. Und mir kann keiner erzählen, dass meine Generation das nicht gewusst hat. Und deswegen kann ich es auch nicht ertragen, wenn jemand sagt: "was da in deutschem Namen geschehen ist." Ne, ne, ne – das waren wir."
Dieses Gefühl der Verantwortung, so macht seine Enkelin und Biografin deutlich, bestimmte sein ganzes Handeln nach dem Krieg. Dazu gehörte sein Engagement für Willy Brandts Ostpolitik, die Versöhnung mit Osteuropa und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Deshalb war Nannen auch dagegen, als der "Stern" die vorgeblichen Hitler-Tagebücher veröffentlichen wollte – nicht, weil er sie als gefälscht erkannt hatte, sondern weil er befürchtete, dass sie als eine Art Streitschrift des Dritten Reiches gelesen werden könnten. Er war längst nicht mehr Chefredakteur, aber noch im Vorstand des Verlages und machte sich bis zuletzt Vorwürfe, nicht eingegriffen zu haben, um die Blamage seines Kindes "Stern" zu verhindern. Von dem Skandal um die Hitler-Tagebücher hat sich das Blatt bis heute nicht erholt. Das ist nicht nur schade, weil es um die Medienvielfalt hierzulande ohnehin nicht gut bestellt ist, sondern weil es auch Nannens Verdienste um den engagierten Journalismus in den Hintergrund gedrängt hat. Mit ihrer sehr persönlichen und ausführlichen, vielleicht in den Details ein wenig zu ausführlichen Biografie, holt Stephanie Nannen ihren Großvater wieder in die Öffentlichkeit zurück.
Stephanie Nannen: "Henri Nannen - Ein Stern und sein Kosmos", C.
Bertelsmann, 400 Seiten, Preis: 19,99 Euro, ISBN: 978-3-570-10152-0
Henri Nannen war der der "Stern" und der "Stern" war Henri Nannen. Selten wurde ein journalistisches Produkt so sehr mit seinem Macher identifiziert wie die Illustrierte aus Hamburg. Nannen, der studierte Kunsthistoriker, Sohn eines Polizeibeamten aus Emden, der bekennender Sozialdemokrat war, rief die Zeitschrift 1948 ins Leben. Mit ihrer Bildsprache und den großen Reportagen wie auch einer speziellen Mischung aus Klatsch und Politik galt sie schon bald als "Wundertüte" - mit großem Erfolg bei den Lesern. Ein Blatt für "Lieschen Müller", sollte es sein, ein Ausdruck, der von Nannen nicht despektierlich gemeint war. Ohne Dünkel, das sei ihr Großvater gewesen, meint Stephanie Nannen.
"Mein Großvater war ein berührbarer Mensch. Also, der ließ sich von Geschichten berühren, von Menschen, von Fotos, von Ereignissen, von Kunst, von Augenblicken, die er selber erlebt hat und man könnte wahrscheinlich sagen, er ließ sich vom Leben berühren. Genau das wollte er anderen geben. Und er konnte, das habe ich selten so erlebt, vollkommen ungeniert staunen."
Lieschen Müller, das war im Grunde Henri Nannen selbst. Seine Enkelin hat - wohl ganz im Sinne ihres Großvaters – eine sehr persönliche Perspektive gewählt, um von ihm zu erzählen. Den Frauen in seinem Leben, zumindest den namentlich bekannt gewordenen, räumt sie deshalb ähnlich viel Platz ein wie der Beschreibung seines Lebens im Dritten Reich oder seiner Liebe zur Kunst. Und sie beschreibt, wie der viel beschäftigte Mann sich die Zeit nahm, sich ihren Liebeskummer anzuhören und von seinen eigenen Erfahrungen zu berichten – eine Offenheit, die für Männer seiner Generation sehr ungewöhnlich war.
"Fünfeinhalb Stunden sollten es werden. Er erzählte mir von großen Gefühlen, von all ihren Nöten, davon, wie glücklich man sein kann, und dass manche Liebe niemals aufhört, auch wenn man sie nicht leben kann. Aber die Liebe und die Lieben, über die mein Großvater sprach, waren nicht abstrakt, sie hatten Namen und Gesichter. Und die wollte er mir näher bringen."
Der empfindsame Henri Nannen, der gleichwohl sehr ruppig werden konnte, wenn seine Redakteure nicht genauso hart und engagiert arbeiteten, wie er selbst, hatte ein gutes Gespür für die Zeit, in der er lebte und war damit der geborene Publizist. Populismus und ein Hang zur Aufklärung gingen bei ihm eine erfolgreiche Verbindung ein. Im ZDF sagte er einmal:
"Eine Zeitung kann man nur machen, wenn man etwas erreichen will. Und was wir erreichen wollten, war damals dem einzelnen Menschen wieder gegen den Apparat und gegen die Übermacht der Ämter und Behörden Luft zu verschaffen, ihn zum eigenen Denken zu bringen, ihm auch klar zu machen, dass mit den lieb gewonnenen Klischees nichts mehr ist."
Der "Stern" berichtete wie alle anderen Klatschblätter über Kaiserin Soraya, aber auch über die Brutalität des persischen Regimes. Er illustrierte seine Titel gern mit wenig angezogenen Frauen, stritt gleichwohl für die Emanzipation. Der Aufmacher "Wir haben abgetrieben", in dem prominente Frauen sich zu ihren Schwangerschaftsabbrüchen bekannten, machte genauso Furore wie die Serie über die drogensüchtige Christiane F und die anderen "Kinder vom Bahnhof Zoo". Doch nicht alle Tabubrüche freuten Nannens Verleger Gerd Bucerius, der lange Jahre Mitglied der CDU war. Beide fochten ihre Auseinandersetzungen mit Vorliebe in Briefen aus. Stephanie Nannen schreibt:
"Wo Bucerius seinem Kunden ein Wohlgefühl bereiten, ihn berühren wollte, da wollte Nannen seinen Leser verstören, aufwecken, ihm unter die Haut kriechen. "Sitzt das Kritteln nicht im Stern augenblicklich drin?", fragt Bucerius. "Wenn sich jeder freut, dass Margaret heiratet, dann weist der Stern nach, dass und wie der Bräutigam gehurt hat, dass eine seiner Freundinnen eine Fehlgeburt hatte und sein Freund im Zuchthaus sitzt", kritisierte er im Jahr 1960."
"Mein Großvater hatte in seinem Verleger Gerd Bucerius einen Sparringspartner, könnte man sagen, dem er keinen Meter Erde schenkte und den er immer versuchte in Schach zu halten. Man könnte sagen, es war ein sportlicher Wettstreit. Der eine triezte den anderen und so hielten sie sich über Jahrzehnte doch auf sehr hohem Niveau "getrennt zusammen", wenn man so sagen möchte."
Bucerius konnte sich eigentlich nicht beschweren, denn die Gewinne des "Stern" subventionierten über zwanzig Jahre lang das Lieblingskind des Verlegers, die Wochenzeitung "Die Zeit". Gleichzeitig hielt Nannen seiner Redaktion den Rücken frei von den Einwänden des Mannes, der das Geld verwaltete. Doch mit Bucerius verband Nannen gleichwohl, dass beide ihren Elan aus ihren Erfahrungen im Dritten Reich zogen. Der Journalist war, so schreibt seine Enkelin, damals weder Nazi noch Held gewesen. Aus seinem Wirken als Kriegsberichterstatter oder als Sprecher in Leni Riefenstahls Olympia-Film versuchten ihm seine politischen Feinde später oft genug einen Strick zu drehen – was aber nie gelang. Nannen bekannte, im Gegensatz zu vielen anderen: Ich habe Schuld auf mich geladen.
"Meine Altersgenossen und die Generation meiner Eltern, die hat doch gesehen, dass der Seligmann auf der anderen Straßenseite plötzlich abgeholt wurde und dass der nicht etwa nach Kalifornien, in die Sommerfrische oder so was kam, das war doch klar. Die Eltern meiner Freundin, die mussten eines Tages Steine klopfen und dann verschwanden sie. Und mir kann keiner erzählen, dass meine Generation das nicht gewusst hat. Und deswegen kann ich es auch nicht ertragen, wenn jemand sagt: "was da in deutschem Namen geschehen ist." Ne, ne, ne – das waren wir."
Dieses Gefühl der Verantwortung, so macht seine Enkelin und Biografin deutlich, bestimmte sein ganzes Handeln nach dem Krieg. Dazu gehörte sein Engagement für Willy Brandts Ostpolitik, die Versöhnung mit Osteuropa und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Deshalb war Nannen auch dagegen, als der "Stern" die vorgeblichen Hitler-Tagebücher veröffentlichen wollte – nicht, weil er sie als gefälscht erkannt hatte, sondern weil er befürchtete, dass sie als eine Art Streitschrift des Dritten Reiches gelesen werden könnten. Er war längst nicht mehr Chefredakteur, aber noch im Vorstand des Verlages und machte sich bis zuletzt Vorwürfe, nicht eingegriffen zu haben, um die Blamage seines Kindes "Stern" zu verhindern. Von dem Skandal um die Hitler-Tagebücher hat sich das Blatt bis heute nicht erholt. Das ist nicht nur schade, weil es um die Medienvielfalt hierzulande ohnehin nicht gut bestellt ist, sondern weil es auch Nannens Verdienste um den engagierten Journalismus in den Hintergrund gedrängt hat. Mit ihrer sehr persönlichen und ausführlichen, vielleicht in den Details ein wenig zu ausführlichen Biografie, holt Stephanie Nannen ihren Großvater wieder in die Öffentlichkeit zurück.
Stephanie Nannen: "Henri Nannen - Ein Stern und sein Kosmos", C.
Bertelsmann, 400 Seiten, Preis: 19,99 Euro, ISBN: 978-3-570-10152-0