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Auf den Spuren des großen Caruso

In der Galleria Vittorio Emanuele kann man alles bekommen: Teure Kleider und Parfum. Exklusive Lederwaren, aber auch falsche Rolexuhren. Hier vermischen sich Luxus und Armut in einer prachtvollen Kulisse. Die kreuzförmige Ladenpassage mit dem hohen Glasdach zieht Touristen, Schwarzhändler und auch Straßenkünstler an. Enrico ist einer von ihnen. Er bietet billige Drucke von alten Neapel-Fotos an, aber eigentlich ist er Sänger. Er hat ein sympathisches Gesicht, strahlt Optimismus aus und nähert sich seinem Publikum auf unwiderstehliche Art und Weise.

Von Karl Hoffmann |
    Für zehn Euro, sagt Enrico, singt er jedes Lied. Er kommt jeden Morgen hierher, er ist da sehr penibel. Wer keine Arbeit hat, muß sich was einfallen lassen. Enrico nimmt es mit beneidenswertem Humor.

    Ich bin ein durchorganisierter Arbeitsloser. Und meine Leidenschaft ist das Singen vor allem die neapolitanischen Lieder. Das mache ich immer so mit den Touristen : wenn sie mir keine Drucke abkaufen wollen, fange ich an zu singen und prompt zahlen sie dann doch.

    Enrico blickt stets aufmerksam umher, späht aus den Augenwinkeln nach Besuchern, die er umgarnen und um ein paar Euro erleichtern kann. Er tut dies mit Nonchalance und südländischem Charme. Auch er ist ein arbeitsloser Jugendlicher, 24 Jahre alt, aber von Camorra will er nichts wissen. Ehrlich bleiben ist seine Devise, denn noch hat er seinen Traum nicht aufgegeben:

    Ich würde gerne ein berühmter Sänger werden, nicht nur hier in Neapel, sondern auch international. Singen ist keine Kunst, die man lernt, sondern eine Gabe der Natur. Schon von Kindheit an habe ich diese Leidenschaft in mir gespürt. Und ich hoffe, dass diese Flamme nie erlöschen wird und ich diese Gabe nie verliere. Man muß halt hoffen, bei uns sagt man, die Hoffnung stirbt erst ganz zum Schluß. Vielleicht entdeckt mich ja eines Tages ein Produzent, der mich unter Vertrag nimmt und mich berühmt machen will, wer weiß, eines Tages bekomme ich vielleicht meine große Chance, aufgeben werde ich jedenfalls nie im Leben.

    Aber man muss auch überleben und so ist Enrico dann doch auf der Straße gelandet und bettelt sich seinen Lebensunterhalt recht und schlecht zusammen. Er tut das mit natürlichem Stolz. Er glaubt wirklich an sich, zweifelt nicht an seiner Einmaligkeit, an seinem Talent und am Schicksal, das ihn eines Tages zum Star machen wird. Die momentane Unpässlichkeit im Karriereverlauf ist halb so wichtig.

    Ich habe sogar Gesang studiert, aber ich hatte einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten, mir über Fernsehen und Rundfunk einen Namen zu machen. Also wurde ich eben Straßenkünstler. Das ist das allerletzte Sprungbrett, die Chance, die dir noch bleibt: dich darzubieten und Freude an der eigenen Kunst zu haben. Ich singe jedenfalls für mein Leben gerne und werde nie damit aufhören.

    Enrico macht noch eine Zugabe und es scheint plötzlich, als würden die Lichter ausgehen in der Galleria, als würde das Publikum verstummen und auf den neuen Star im Rampenlicht warten, auf den zweiten Caruso: Enrico, der Straßenkünstler.