"Ost Berlin 1982: Ein Schüler rebelliert gegen die herrschende Politik." So heißt es auf dem Cover von "Grenzfall". Neben dem Schriftzug sieht man wie durch ein Fernrohr einen Jugendlichen, der einen Sticker an seiner Jacke trägt, auf dem ein Gewehr zerbrochen wird. Hinter ihm steht ein Mann im grauen Trenchcoat, der ihn ganz offensichtlich beobachtet. Die Macher von "Grenzfall", Thomas Henseler und Susanne Buddenberg, haben Design und Film studiert. Als "Wessies" hatten sie lange Zeit wenig Interesse an der Geschichte der DDR, doch bei der Recherche zu einem Filmprojekt sind sie im Internet auf die Biografie von Peter Grimm gestoßen und waren sich schnell einig: Solche Geschichten sollten vor allem Jugendliche lesen.
"Die Kids von heute wissen halt nicht mehr, wie es damals war, wie es sich anfühlt, wenn man in der FDJ ist, wenn man einfach seine eigene Meinung nicht sagen darf. Das fanden wir vom Thema eigentlich wichtig und spannend. Und Graphic Novel ist eben nicht Comic: Also wir haben da nicht Kulleraugen, große Nasen à la Asterix und Micky Mouse, sondern es sind eben wirklich filmische Geschichten, das fanden wir auch für uns beide einfach sozusagen angemessen, umzusetzen."
Im Mittelpunkt von "Grenzfall" – der Titel erinnert an die gleichnamige Zeitschrift, die ab 1986 von der oppositionellen Initiative für Frieden und Menschenrechte herausgegeben wurde - steht der damals 17-jährige Peter Grimm. "Ich konnte die Parolen in der DDR nicht mehr ertragen", erinnert er sich heute.
"Letztlich wurde ja von einem, gerade dann, wenn man das Abitur machen wollte, von einem nicht nur erwartet, die still leidend und loyal über sich ergehen zu lassen und zu ertragen, sondern man sollte auch noch laut und vernehmlich 'ja' sagen, das sind halt nichts Anderes als Unterwerfungsrituale, und die hab ich sehr früh einfach als unwahrscheinliche Zumutung empfunden."
Henseler und Buddenberg haben intensiv recherchiert und zahlreiche Fotos aus öffentlichen und Privatarchiven durchgesehen. Das ist in Grenzfall zu merken. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind voller Details und machen so – zumindest in Ansätzen - den Alltag einer Diktatur spürbar, von der ansonsten, über 20 Jahre nach dem Mauerfall, kaum noch Spuren zu finden sind.
"Dieser an allen Ecken und Enden sichtbare Verfall, das wird nicht großartig thematisiert, aber das ist immer im Bild vorhanden, und das hat ja auch für viele in der DDR 'ne Rolle gespielt, ja auch für den Unmut zum Schluss letztlich 'ne Rolle gespielt, dass diese Hoffnungslosigkeit in diesem System darin ja wirklich auch ein Bild fand, was jeder auch in den letzten DDR-Jahren vor Augen hatte, das kommt zum einen sehr gut rüber. Es kommt auch, finde ich, so die ... an einigen Stellen gefällt mir so diese Präsenz des Uniformen, diese Präsenz auch von Sicherheitskräften im Alltags- und Straßenbild, so wie das ja viele DDR-Jugendliche erlebt hatten."
Anhand des Beispiels von Peter Grimm zeichnet die Graphic Novel die Vorgeschichte des Mauerfalls nach: von der Beerdigung des Regimekritikers Robert Havemann bis zur Erstürmung der Umweltbibliothek in der Zionskirche im Herbst 1987, mit der die Stasi kritische Stimmen wie die Zeitschrift "Grenzfall" zum Schweigen bringen wollte. Ein fataler Irrtum: Nicht zuletzt durch die Berichterstattung in den Tagesthemen kam es rund um die Zionskirche zu Demonstrationen für die Inhaftierten – und schließlich zu deren Freilassung. Die Graphic Novel endet mit den Worten "Durch die breite Solidarisierungswelle entstand ein erster Keim für die Revolution von 1989, die das SED-Regime hinwegfegen sollte. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg." "Grenzfall" geht es nicht um das Wendejahr '89, sondern um die kleinen oppositionellen Impulse und Aktionen, die dem Massenprotest vorausgingen. Als Zielpublikum haben die Macher des Buches vor allem Schüler im Blick. Sie sollen durch die Form des Comics an die Geschichte herangeführt werden. Thomas Henseler.
"Oftmals ist es ja so: Wenn man ein Geschichtscomic hat, also Fakten vermitteln ist nicht emotional, aber wenn's emotional ist, dann ist es nicht geschichtsmäßig halt genug, und wir haben wirklich versucht, so 'ne Mischung hinzukriegen, also Geschichte wird vermittelt, aber sozusagen auf 'ner zweiten Ebene, oder vielleicht, dass man's nicht so merkt, dass man eigentlich was lernt."
Um Jugendlichen den Zugang zur DDR-Geschichte zu erleichtern, befindet sich am Ende des Buches ein Glossar, in dem Begriffe wie IM oder operativer Vorgang erklärt werden. Außerdem haben die Autoren mithilfe zweier Geschichtslehrer Arbeitsbögen für Lehrer und Schüler erstellt, um den Einsatz von "Grenzfall" im Unterricht zu unterstützen – sie sind ab Mitte August auf der Website des Avant-Verlages abrufbar. Die Schüler sollen im Internet recherchieren, wer Robert Havemann war und warum er für viele junge Menschen in der DDR zum Vorbild wurde, oder überlegen, wie sie sich selbst in bestimmten Situationen verhalten hätten. Doch Grenzfall ist nicht nur ein Comic für Jugendliche, die keine eigenen Erinnerungen an die DDR haben. Auch für Erwachsene machen die Zeichnungen und Dialoge den Alltag einer Meinungsdiktatur plastisch - und was es hieß, dagegen aufzubegehren.
Thomas Henseler / Susanne Buddenberg: Grenzfall. Graphic Novel
Avant Verlag, 104 Seiten, 14,95 Euro
ISBN: 978-3-939-08048-0
"Die Kids von heute wissen halt nicht mehr, wie es damals war, wie es sich anfühlt, wenn man in der FDJ ist, wenn man einfach seine eigene Meinung nicht sagen darf. Das fanden wir vom Thema eigentlich wichtig und spannend. Und Graphic Novel ist eben nicht Comic: Also wir haben da nicht Kulleraugen, große Nasen à la Asterix und Micky Mouse, sondern es sind eben wirklich filmische Geschichten, das fanden wir auch für uns beide einfach sozusagen angemessen, umzusetzen."
Im Mittelpunkt von "Grenzfall" – der Titel erinnert an die gleichnamige Zeitschrift, die ab 1986 von der oppositionellen Initiative für Frieden und Menschenrechte herausgegeben wurde - steht der damals 17-jährige Peter Grimm. "Ich konnte die Parolen in der DDR nicht mehr ertragen", erinnert er sich heute.
"Letztlich wurde ja von einem, gerade dann, wenn man das Abitur machen wollte, von einem nicht nur erwartet, die still leidend und loyal über sich ergehen zu lassen und zu ertragen, sondern man sollte auch noch laut und vernehmlich 'ja' sagen, das sind halt nichts Anderes als Unterwerfungsrituale, und die hab ich sehr früh einfach als unwahrscheinliche Zumutung empfunden."
Henseler und Buddenberg haben intensiv recherchiert und zahlreiche Fotos aus öffentlichen und Privatarchiven durchgesehen. Das ist in Grenzfall zu merken. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind voller Details und machen so – zumindest in Ansätzen - den Alltag einer Diktatur spürbar, von der ansonsten, über 20 Jahre nach dem Mauerfall, kaum noch Spuren zu finden sind.
"Dieser an allen Ecken und Enden sichtbare Verfall, das wird nicht großartig thematisiert, aber das ist immer im Bild vorhanden, und das hat ja auch für viele in der DDR 'ne Rolle gespielt, ja auch für den Unmut zum Schluss letztlich 'ne Rolle gespielt, dass diese Hoffnungslosigkeit in diesem System darin ja wirklich auch ein Bild fand, was jeder auch in den letzten DDR-Jahren vor Augen hatte, das kommt zum einen sehr gut rüber. Es kommt auch, finde ich, so die ... an einigen Stellen gefällt mir so diese Präsenz des Uniformen, diese Präsenz auch von Sicherheitskräften im Alltags- und Straßenbild, so wie das ja viele DDR-Jugendliche erlebt hatten."
Anhand des Beispiels von Peter Grimm zeichnet die Graphic Novel die Vorgeschichte des Mauerfalls nach: von der Beerdigung des Regimekritikers Robert Havemann bis zur Erstürmung der Umweltbibliothek in der Zionskirche im Herbst 1987, mit der die Stasi kritische Stimmen wie die Zeitschrift "Grenzfall" zum Schweigen bringen wollte. Ein fataler Irrtum: Nicht zuletzt durch die Berichterstattung in den Tagesthemen kam es rund um die Zionskirche zu Demonstrationen für die Inhaftierten – und schließlich zu deren Freilassung. Die Graphic Novel endet mit den Worten "Durch die breite Solidarisierungswelle entstand ein erster Keim für die Revolution von 1989, die das SED-Regime hinwegfegen sollte. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg." "Grenzfall" geht es nicht um das Wendejahr '89, sondern um die kleinen oppositionellen Impulse und Aktionen, die dem Massenprotest vorausgingen. Als Zielpublikum haben die Macher des Buches vor allem Schüler im Blick. Sie sollen durch die Form des Comics an die Geschichte herangeführt werden. Thomas Henseler.
"Oftmals ist es ja so: Wenn man ein Geschichtscomic hat, also Fakten vermitteln ist nicht emotional, aber wenn's emotional ist, dann ist es nicht geschichtsmäßig halt genug, und wir haben wirklich versucht, so 'ne Mischung hinzukriegen, also Geschichte wird vermittelt, aber sozusagen auf 'ner zweiten Ebene, oder vielleicht, dass man's nicht so merkt, dass man eigentlich was lernt."
Um Jugendlichen den Zugang zur DDR-Geschichte zu erleichtern, befindet sich am Ende des Buches ein Glossar, in dem Begriffe wie IM oder operativer Vorgang erklärt werden. Außerdem haben die Autoren mithilfe zweier Geschichtslehrer Arbeitsbögen für Lehrer und Schüler erstellt, um den Einsatz von "Grenzfall" im Unterricht zu unterstützen – sie sind ab Mitte August auf der Website des Avant-Verlages abrufbar. Die Schüler sollen im Internet recherchieren, wer Robert Havemann war und warum er für viele junge Menschen in der DDR zum Vorbild wurde, oder überlegen, wie sie sich selbst in bestimmten Situationen verhalten hätten. Doch Grenzfall ist nicht nur ein Comic für Jugendliche, die keine eigenen Erinnerungen an die DDR haben. Auch für Erwachsene machen die Zeichnungen und Dialoge den Alltag einer Meinungsdiktatur plastisch - und was es hieß, dagegen aufzubegehren.
Thomas Henseler / Susanne Buddenberg: Grenzfall. Graphic Novel
Avant Verlag, 104 Seiten, 14,95 Euro
ISBN: 978-3-939-08048-0