" Gedacht daran hab ich immer, schon sehr früh, über Jahrzehnte; auch während meiner ganzen Theaterarbeit, auch schon, bevor ich mit dieser Theaterarbeit begann. Dieser Stoff wuchs und wuchs und wuchs. Ich war einesteils vom Können noch nicht fähig, so einen großen Stoff anzufangen, oder ich hab mich gescheut davor, obwohl meine Theaterstücke ja auch nicht sehr kurz sind. An diesen Stoff heranzugehen fiel mir auch sehr schwer zunächst. Ich habe das sehr lange zurückgedrängt, auch vergessen, nicht wissen wollen, mich nicht erinnern wollen, was bestimmte Teile des Romans ganz sicher betrifft - und sehr lange gezögert, bis zu dem Zeitpunkt, wo ich mir selber klar darüber wurde : wenn ich jetzt nicht anfange, dann fang ich nie mehr an, dann erzähl ich das nie mehr, dann schaff ich das auch nicht mehr. "
Zunächst hatte Forte an eine Roman-Trilogie gedacht. Der erste Band "Das Muster" erschien 1992. Er umspannt achthundert Jahre seiner Familiengeschichte, von 1133 bis 1933. Der zweite Band "Tagundnachtgleiche" folgte drei Jahre später. Er handelt von einem Jungen, der die NS-Zeit und den Bombenkrieg in Düsseldorf erlebt. Der dritte schließlich heißt "In der Erinnerung". Er kam 1998 heraus und erzählt von dem etwa zwölf- bis 15jährigen Jungen, der sich im zerstörten Düsseldorf der Nachkriegszeit zurechtfinden muss. Inzwischen gibt es die Romane auch in einer einbändigen Ausgabe unter dem Titel "Das Haus auf meinen Schultern". - Mit dem Roman "Auf der anderen Seite der Welt" schließlich wurde Fortes geplante Trilogie unversehens zur Tetralogie. Auf über tausend Seiten gibt sie ein großartiges Bild deutscher Historie und individueller Geschichts-Erfahrung. Neben Uwe Johnsons "Jahrestage"-Zyklus gehören Fortes Romane zu den eindrücklichsten Zeitbildern der Nachkriegsliteratur. - Zu Beginn des vierten Bandes kommt ein schwer kranker junger Mann in ein Lungensanatorium. Da es in den 50er Jahren kaum Medikamente gegen Tuberkulose gibt, dämmert er wie die anderen Patienten in schäbigen Zimmern vor sich hin, weitgehend ohne medizinische Hilfe und Pflege. Entweder er stirbt und landet auf dem Friedhof hinter dem Haus, oder er überlebt. Er verbringt Monate "Auf der anderen Seite der Welt" - in einem Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Sanatorium und Patienten erinnern durchaus an Thomas Manns "Zauberberg" - wenngleich es dort bedeutend nobler zugeht. Fortes Sanatorium ist ein Ort der Verbannung und des Schreckens. Allerdings stellt es für manche Patienten auch eine Gegenwelt dar. Für die im Krieg nicht nur körperlich, sondern auch seelisch Versehrten ist es ein Schutzraum vor der unübersichtlich gewordenen Welt nach der sogenannten "Stunde Null". Bald begreift der junge Protagonist, dass er sich auf die Sinnlosigkeit des Lebens in diesem Sanatorium einlassen muss - wenn er überleben will:
" Hier existierte man, ohne sich im Spiegel anderer begreifen zu können. Schlafen, wachen, sterben, ein Leben im geduldigen Warten auf den Tod. Dieser Ort würde ihn immer begleiten, das weitere Leben, wenn es denn kommen sollte, für immer bestimmen. Er war bereit, sich darauf einzulassen . Er wollte keine Rolle spielen, wie so viele, die sich hier in Rollen flüchteten mit dem Gerümpel eines vergangenen Lebens, ihre gewohnten Sätze mitschleppten, um die Scherben eines zerbrochenen Lebenszieles zu verbergen, die leeren Stunden des Tages und der Nacht zu ertragen. Dieser Ort war der Tod, seine Bedingungen waren gnadenlos und ohne Erbarmen. Wer von hier den Rückweg antrat, wer es schaffte aufzustehen und zu gehen, diese Insel wieder zu verlassen, der hatte auf ewig die Maßstäbe des Nichts, des Sinnlosen und der Bedeutungslosigkeit in sich, er konnte nie mehr die Menschen und ihr Leben verstehen. "
"Dieser Ort war der Tod". Und doch gelingt es dem Protagonisten, ihn zu verlassen. Genau wie Dieter Forte selbst, der nach dem Krieg mehrere Jahre in Lungensanatorien lag . Wie konnte er sich danach noch im so genannten "normalen" Leben einrichten?
" Das ist natürlich eine Erfahrung, die man nicht vergisst, die einem für den Rest des Lebens bleibt. Nicht nur, dass man vieles nicht so ernst nehmen kann, wie die meisten anderen Menschen das tun. Ich hab auch zu vielen Dingen, zum Beispiel zu Besitz, gar keine Beziehung. Ein Haus bauen, ein Auto kaufen? Ich hab nicht mal einen Führerschein. "
Im bunten "Wirtschaftswunder"-Deutschland der Vergesser und Verdränger blieb Dieter Forte ein Außenseiter - zumal er gerade nicht vergessen wollte, was war. Bis heute kreisen seine Romane immer wieder ums Erinnern. Bruchstücke der Erinnerung seien "Bruchstücke gelebten Lebens", sagt er. Und dieses fragmentarische Erinnern spiegelt sich in der kaleidoskopartigen Form seiner Romane, die die Tradition moderner Klassiker wie Faulkner, Döblin und Dos Passos fortschreiben. Auch Forte erzählt nicht linear. Seine Prosa wechselt virtuos zwischen szenischer Darstellung, Bericht, Reflexion und Personenporträt. Einmal geht es um eine Kirche und ein Fenster-Mosaik. Es ist gleichsam eine Beschreibung seiner eigenen Poetik:
" Das bunte, vielfach gestückelte Glas, ein in allen Farben tausendfach zusammengelegtes Mosaik, ergab aus der Nähe keinen Sinn - aus der Entfernung vermittelte es etwas, das man nicht benennen konnte, etwas, das dahinterstand; der Zusammenhang erschloss sich nur dem, der sehr lange hinsah und bereit war zu sehen, denn die Teile sind immer ein Ganzes, aber das Ganze besteht nur aus Teilen. Ein Kaleidoskop, dessen Perspektive sich im Auge eines ruhigen Betrachters einstellt, die Welt anders darstellt, anders erzählt, als die von Gedenktag zu Gedenktag marschierenden vorgegebenen Jahreszahlen der allwissenden Chroniken. "
Im Interview sagt Dieter Forte über seine Arbeitsweise:
" Ich arbeite eigentlich wie ein Maler. Ich schreibe Szenen und Bruchstücke, schreibe die oft auch wahllos durcheinander, nicht kontinuierlich. Bei diesem vierten Band habe ich es sehr weit getrieben, so dass ich viele Szenen, Berichte und Erinnerungen hatte. Und dann hab ich es komponiert: Also da müsste noch ein bisschen Rot hin, da müsste was Lebendiges hin. Ich gestalte damit vor allen Dingen die Zeit. Die Szenen sind so gegliedert, dass sie auch Zeitabläufe darstellen, die schneller und wieder langsamer werden; ich kann die Zeit damit anhalten oder beschleunigen, kann tiefer in die Erinnerung gehen und wieder hoch. Ich habe mich sehr lange mit Cézanne beschäftigt. Für mich ist das wie eine Fläche aus Farbklecksen, die dann in der Illusion des Auges ein Bild ergeben. Und da ich mich sehr lange damit beschäftigt habe, fand ich darin auch einen Weg, von herkömmlichen Erzählmustern wegzukommen - ganz frei den Ablauf einer Handlung zu gestalten, in Collagen und ganz bewusst in Fragmenten. Ich wollte nie etwas Geschlossenes erzählen. Das gehört auch zu meiner Erfahrung: dass man immer nur kurze Bekanntschaften hat und nie lange - da ist das Bett am nächsten Tag neu belegt, einer stirbt und ein anderer ist wieder da. Da drängt sich das Fragmentarische auf, das muss so sein. "
Fortes Romane sind düster, aber nicht nur negativ. Die Dunkelheit des Erzählten wird durch die hochliterarische und musikalische Sprache des Autors aufgefangen. Zudem gibt es immer wieder ironische, auch groteske Szenen, die die dunklen Passagen konterkarieren. Und es gibt die Welt der Kunst, Musik und Literatur - die schon dem jungen, schwer kranken Dieter Forte zu überleben half:
" Ja, das wurde für mich sehr wichtig, ehe man überhaupt ein richtiges Bewusstsein von diesen Dingen hatte. Man konnte ins Lesen flüchten, schon sehr früh, auch im Krieg, wo es ja wenige Bücher gab, wo Bücher ganz wichtig waren. Zweiter Teil war dann: in die Musik flüchten. Das begann, als die Amerikaner einmarschierten, als man zum ersten mal Jazz hörte. Meine Generation hatten sie ja mit dem Jazz sofort, für uns waren die Feinde sofort Freunde, durch Louis Armstrong, nicht? Und später dann: die Malerei, als es die freie Malerei wieder gab, als die ersten Ausstellungen in Düsseldorf stattfanden. Auch das war vorher gar nicht existent, wir kannten ja nicht moderne Malerei. Das waren Offenbarungen! Man muss das auch vor dem Hintergrund einer geschlossenen Welt sehen: Plötzlich gab es Literatur, es gab Musik, es gab Malerei! "
Am Ende des Romans "Auf der anderen Seite der Welt" muss der Protagonist erneut ins Sanatorium; er hat einen Rückfall erlitten. - Viel ist in diesem Roman von Sinnlosigkeit die Rede. Aber nie vom Aufgeben. Fortes Leben und Schreiben bestimmt bis heute - trotz aller negativer Erfahrungen - ein entschiedenes "Trotzdem". Es ist wie beim "Mythos von Sisyphos", der den Fels immer wieder auf den Berg wälzt, obwohl er immer wieder hinunterrollt:
" Es ist sinnlos, ich sehe keinen Sinn, ich weiß heute nicht, ob ich morgen noch lebe - aber trotzdem nehme ich die Fieberkurve und beginne zu schreiben, beginne zu erzählen. Als ich Schriftsteller werden wollte, sagten die Ärzte: "Um Gottes Willen, können Sie sich nicht was Verrückteres aussuchen? Das schaffen Sie nicht!" Ich bin es trotzdem geworden. Ich hab vieles im Leben trotzdem erreicht, obwohl Ärzte und andere Fachleute immer sagten, das geht nicht. Dieses Trotzdem hat mich bis heute am Leben erhalten. "
Dieter Forte: Auf der anderen Seite der Welt. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 343 Seiten, 19 Euro 90. - Einbändige Ausgabe der ersten drei Romane unter dem Titel "Das Haus auf meinen Schultern", ebenfalls bei S. Fischer, 864 Seiten, 34 Euro.
Zunächst hatte Forte an eine Roman-Trilogie gedacht. Der erste Band "Das Muster" erschien 1992. Er umspannt achthundert Jahre seiner Familiengeschichte, von 1133 bis 1933. Der zweite Band "Tagundnachtgleiche" folgte drei Jahre später. Er handelt von einem Jungen, der die NS-Zeit und den Bombenkrieg in Düsseldorf erlebt. Der dritte schließlich heißt "In der Erinnerung". Er kam 1998 heraus und erzählt von dem etwa zwölf- bis 15jährigen Jungen, der sich im zerstörten Düsseldorf der Nachkriegszeit zurechtfinden muss. Inzwischen gibt es die Romane auch in einer einbändigen Ausgabe unter dem Titel "Das Haus auf meinen Schultern". - Mit dem Roman "Auf der anderen Seite der Welt" schließlich wurde Fortes geplante Trilogie unversehens zur Tetralogie. Auf über tausend Seiten gibt sie ein großartiges Bild deutscher Historie und individueller Geschichts-Erfahrung. Neben Uwe Johnsons "Jahrestage"-Zyklus gehören Fortes Romane zu den eindrücklichsten Zeitbildern der Nachkriegsliteratur. - Zu Beginn des vierten Bandes kommt ein schwer kranker junger Mann in ein Lungensanatorium. Da es in den 50er Jahren kaum Medikamente gegen Tuberkulose gibt, dämmert er wie die anderen Patienten in schäbigen Zimmern vor sich hin, weitgehend ohne medizinische Hilfe und Pflege. Entweder er stirbt und landet auf dem Friedhof hinter dem Haus, oder er überlebt. Er verbringt Monate "Auf der anderen Seite der Welt" - in einem Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Sanatorium und Patienten erinnern durchaus an Thomas Manns "Zauberberg" - wenngleich es dort bedeutend nobler zugeht. Fortes Sanatorium ist ein Ort der Verbannung und des Schreckens. Allerdings stellt es für manche Patienten auch eine Gegenwelt dar. Für die im Krieg nicht nur körperlich, sondern auch seelisch Versehrten ist es ein Schutzraum vor der unübersichtlich gewordenen Welt nach der sogenannten "Stunde Null". Bald begreift der junge Protagonist, dass er sich auf die Sinnlosigkeit des Lebens in diesem Sanatorium einlassen muss - wenn er überleben will:
" Hier existierte man, ohne sich im Spiegel anderer begreifen zu können. Schlafen, wachen, sterben, ein Leben im geduldigen Warten auf den Tod. Dieser Ort würde ihn immer begleiten, das weitere Leben, wenn es denn kommen sollte, für immer bestimmen. Er war bereit, sich darauf einzulassen . Er wollte keine Rolle spielen, wie so viele, die sich hier in Rollen flüchteten mit dem Gerümpel eines vergangenen Lebens, ihre gewohnten Sätze mitschleppten, um die Scherben eines zerbrochenen Lebenszieles zu verbergen, die leeren Stunden des Tages und der Nacht zu ertragen. Dieser Ort war der Tod, seine Bedingungen waren gnadenlos und ohne Erbarmen. Wer von hier den Rückweg antrat, wer es schaffte aufzustehen und zu gehen, diese Insel wieder zu verlassen, der hatte auf ewig die Maßstäbe des Nichts, des Sinnlosen und der Bedeutungslosigkeit in sich, er konnte nie mehr die Menschen und ihr Leben verstehen. "
"Dieser Ort war der Tod". Und doch gelingt es dem Protagonisten, ihn zu verlassen. Genau wie Dieter Forte selbst, der nach dem Krieg mehrere Jahre in Lungensanatorien lag . Wie konnte er sich danach noch im so genannten "normalen" Leben einrichten?
" Das ist natürlich eine Erfahrung, die man nicht vergisst, die einem für den Rest des Lebens bleibt. Nicht nur, dass man vieles nicht so ernst nehmen kann, wie die meisten anderen Menschen das tun. Ich hab auch zu vielen Dingen, zum Beispiel zu Besitz, gar keine Beziehung. Ein Haus bauen, ein Auto kaufen? Ich hab nicht mal einen Führerschein. "
Im bunten "Wirtschaftswunder"-Deutschland der Vergesser und Verdränger blieb Dieter Forte ein Außenseiter - zumal er gerade nicht vergessen wollte, was war. Bis heute kreisen seine Romane immer wieder ums Erinnern. Bruchstücke der Erinnerung seien "Bruchstücke gelebten Lebens", sagt er. Und dieses fragmentarische Erinnern spiegelt sich in der kaleidoskopartigen Form seiner Romane, die die Tradition moderner Klassiker wie Faulkner, Döblin und Dos Passos fortschreiben. Auch Forte erzählt nicht linear. Seine Prosa wechselt virtuos zwischen szenischer Darstellung, Bericht, Reflexion und Personenporträt. Einmal geht es um eine Kirche und ein Fenster-Mosaik. Es ist gleichsam eine Beschreibung seiner eigenen Poetik:
" Das bunte, vielfach gestückelte Glas, ein in allen Farben tausendfach zusammengelegtes Mosaik, ergab aus der Nähe keinen Sinn - aus der Entfernung vermittelte es etwas, das man nicht benennen konnte, etwas, das dahinterstand; der Zusammenhang erschloss sich nur dem, der sehr lange hinsah und bereit war zu sehen, denn die Teile sind immer ein Ganzes, aber das Ganze besteht nur aus Teilen. Ein Kaleidoskop, dessen Perspektive sich im Auge eines ruhigen Betrachters einstellt, die Welt anders darstellt, anders erzählt, als die von Gedenktag zu Gedenktag marschierenden vorgegebenen Jahreszahlen der allwissenden Chroniken. "
Im Interview sagt Dieter Forte über seine Arbeitsweise:
" Ich arbeite eigentlich wie ein Maler. Ich schreibe Szenen und Bruchstücke, schreibe die oft auch wahllos durcheinander, nicht kontinuierlich. Bei diesem vierten Band habe ich es sehr weit getrieben, so dass ich viele Szenen, Berichte und Erinnerungen hatte. Und dann hab ich es komponiert: Also da müsste noch ein bisschen Rot hin, da müsste was Lebendiges hin. Ich gestalte damit vor allen Dingen die Zeit. Die Szenen sind so gegliedert, dass sie auch Zeitabläufe darstellen, die schneller und wieder langsamer werden; ich kann die Zeit damit anhalten oder beschleunigen, kann tiefer in die Erinnerung gehen und wieder hoch. Ich habe mich sehr lange mit Cézanne beschäftigt. Für mich ist das wie eine Fläche aus Farbklecksen, die dann in der Illusion des Auges ein Bild ergeben. Und da ich mich sehr lange damit beschäftigt habe, fand ich darin auch einen Weg, von herkömmlichen Erzählmustern wegzukommen - ganz frei den Ablauf einer Handlung zu gestalten, in Collagen und ganz bewusst in Fragmenten. Ich wollte nie etwas Geschlossenes erzählen. Das gehört auch zu meiner Erfahrung: dass man immer nur kurze Bekanntschaften hat und nie lange - da ist das Bett am nächsten Tag neu belegt, einer stirbt und ein anderer ist wieder da. Da drängt sich das Fragmentarische auf, das muss so sein. "
Fortes Romane sind düster, aber nicht nur negativ. Die Dunkelheit des Erzählten wird durch die hochliterarische und musikalische Sprache des Autors aufgefangen. Zudem gibt es immer wieder ironische, auch groteske Szenen, die die dunklen Passagen konterkarieren. Und es gibt die Welt der Kunst, Musik und Literatur - die schon dem jungen, schwer kranken Dieter Forte zu überleben half:
" Ja, das wurde für mich sehr wichtig, ehe man überhaupt ein richtiges Bewusstsein von diesen Dingen hatte. Man konnte ins Lesen flüchten, schon sehr früh, auch im Krieg, wo es ja wenige Bücher gab, wo Bücher ganz wichtig waren. Zweiter Teil war dann: in die Musik flüchten. Das begann, als die Amerikaner einmarschierten, als man zum ersten mal Jazz hörte. Meine Generation hatten sie ja mit dem Jazz sofort, für uns waren die Feinde sofort Freunde, durch Louis Armstrong, nicht? Und später dann: die Malerei, als es die freie Malerei wieder gab, als die ersten Ausstellungen in Düsseldorf stattfanden. Auch das war vorher gar nicht existent, wir kannten ja nicht moderne Malerei. Das waren Offenbarungen! Man muss das auch vor dem Hintergrund einer geschlossenen Welt sehen: Plötzlich gab es Literatur, es gab Musik, es gab Malerei! "
Am Ende des Romans "Auf der anderen Seite der Welt" muss der Protagonist erneut ins Sanatorium; er hat einen Rückfall erlitten. - Viel ist in diesem Roman von Sinnlosigkeit die Rede. Aber nie vom Aufgeben. Fortes Leben und Schreiben bestimmt bis heute - trotz aller negativer Erfahrungen - ein entschiedenes "Trotzdem". Es ist wie beim "Mythos von Sisyphos", der den Fels immer wieder auf den Berg wälzt, obwohl er immer wieder hinunterrollt:
" Es ist sinnlos, ich sehe keinen Sinn, ich weiß heute nicht, ob ich morgen noch lebe - aber trotzdem nehme ich die Fieberkurve und beginne zu schreiben, beginne zu erzählen. Als ich Schriftsteller werden wollte, sagten die Ärzte: "Um Gottes Willen, können Sie sich nicht was Verrückteres aussuchen? Das schaffen Sie nicht!" Ich bin es trotzdem geworden. Ich hab vieles im Leben trotzdem erreicht, obwohl Ärzte und andere Fachleute immer sagten, das geht nicht. Dieses Trotzdem hat mich bis heute am Leben erhalten. "
Dieter Forte: Auf der anderen Seite der Welt. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 343 Seiten, 19 Euro 90. - Einbändige Ausgabe der ersten drei Romane unter dem Titel "Das Haus auf meinen Schultern", ebenfalls bei S. Fischer, 864 Seiten, 34 Euro.