"Es herrschte brutalster Winter. Wütende Winde fegten vom Wasser her über die Stadt. Hagelkörner, die sich anfühlten wie Giftpfeile. Allein im Januar hatte es vier schwere Blizzards gegeben, und die geräumten Schneemassen gefroren zu grauen, abweisenden Schanzwerken, die an einen Frontverlauf denken ließen."
Die verheerenden Winter, die regelmäßig über die Ostküste Nordamerikas herziehen, bereiten von der ersten Zeile des Romans an auf ein Geschehen vor, das wie eine Naturgewalt in den Alltag eines erfolgreichen New Yorker Anwalts einbrechen wird. "Es geht wieder los" heißt es dann auf der vierten Seite. Wie ein Befehl, eine Attacke. Ein Schub. Los legen die Füße, die Tim mit einem plötzlichen Laufzwang überraschen, ihn blindwütig auf Wanderschaft schicken, barfuß, im Bademantel, egal wie, die dann genauso unerwartet wieder stillstehen: im Hinterzimmer eines afrikanischen Haarsalons, im Lieferwagen für Fritten, unter einem Baum. Irgendwo, irgendwann übermannt ihn der Erschöpfungsschlaf. Die Natur wird zum verlässlichsten Komplizen eines Autors, der viel Raum - vielleicht die ganze Welt - für seinen Protagonisten, einen wandering man, braucht, der nur noch "Ins Freie" strebt. Es treibt ihn immer wieder weg, jahrelang. Er findet zurück, weil seine Frau oder Tochter ihn wieder einsammeln und nach Hause bringen. Manchmal bis zu vier Mal die Woche. Tim Farnsworth leidet an einer geheimnisvollen Krankheit. "Seine angstgelähmte Seele, eingesperrt im Bremserhäuschen eines blind dahinrasenden Zuges aus reiner Physis – das war er."
"Wenn Sie jeden Tag die Zeitung lesen, ein Jahr lang, werden Sie so bizarre Geschichten finden wie in meinem Buch. Wenn man sie alle unter einem Buchdeckel vereint, wirken sie apokalyptisch. Ich wollte zeigen, wie die Welt an einer namenlosen Krankheit leidet, genauso wie mein Protagonist. Einige Dinge, die in der Welt geschehen, sind sehr merkwürdig: zum Beispiel das Wetter. Wir sprechen gerne von Erderwärmung, von El Niño oder sonst was. Aber niemand kennt die richtige Antwort. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die auf das eine oder andere verweisen. Aber die wahre Antwort lautet, dass die Welt merkwürdig ist. Die Welt ist genauso merkwürdig wie die Krankheit meines Protagonisten. Das eine spiegelt das andere."
Die Krankheit hat keinen Namen und kriegt auch keinen. Der amerikanische Originaltitel "The Unnamed" erinnert an Samuel Becketts "The Unnamable" (Der Namenlose), den letzten Teil einer Romantrilogie. Auffälliger gestaltet sich die Nähe zu den beiden ersten Teilen "Malloy" und "Malone stirbt". Schon Malloy schleppt sich durch Ebenen und Wälder, landet im Straßengraben und leidet an physischem Verfall. Aber anders als Becketts metaphysische Gestalten, ist Ferris' Personal aus Fleisch und Blut, agiert im Hier und Jetzt, konsultiert richtige Ärzte mit Diagnosen wie:"inhaltliche Denkstörungen", Halluzinationen, multiple Persönlichkeit. Bei Tim heißt es: "Hirn-Vernebelung". Sein Hausarzt überredet ihn, mithilfe eines Spezialhelms die Gehirnströme aufzuzeichnen. Als Tim in seinem grotesken Aufzug – mit besagtem Fahrradhelm und Bereitschaftsrucksack - beim Gerichtstermin, immerhin einem Mordprozess aufkreuzt, ist die Grenze endgültig überschritten. Tim wird vom Dienst suspendiert, versucht, sich eine neue Existenz aufzubauen. Doch die "Wanderkrankheit" schickt ihn zuletzt auf die große Reise quer über den amerikanischen Kontinent. Weg von der Zivilisation, weg von den Zwängen des Alltags, von Job, Ehe, Tochter, einem glücklichen Dasein, dem es an nichts fehlte.
"Weil es die Krankheit nicht gibt, kann man sie auf viele Arten interpretieren. Zum Beispiel so: Diese Person hat sich so weit von der Natur und von der Außenwelt entfernt, dass sein Körper ihr etwas mitteilen will, was sie auf einer bewussten Ebene nicht weiß. Er sagt ihm, dass er verzehrt werden will, dass er draußen in der Welt sein will. Zum großen Teil handelt die Story von einem Konflikt zwischen Körper und Geist."
Draußen in der Welt sein, doch wozu? Der Anwalt Tim Farnsworth wird vom workaholic zum walkaholic, um die Welt abzuschreiten, aber nicht, um sie zu erkunden. Die Krankheit ist der auf Hochtouren laufende Motor des Romans, der seinen Protagonisten mit rasender Geschwindigkeit und brachialer Gewalt vorantreibt, als gelte es, sich dem american dream und dem "Fortschritts"-Wahn der ganzen westlichen Welt mit einer konkurrenzfähigen Kraft und Macht entgegenzustemmen – durch radikale Arbeitsverweigerung, konsequentes Davonlaufen. Ein Paradox. Der unaufhaltsame Wiederholungszwang, das Immer-wieder-Losstürmen-müssen gegen jede Vernunft und ohne wirkliches Ziel sind ein absurdes Unterfangen. Joshua Ferris fordert mit dem gewaltigen Körpereinsatz dieses Tim – mit anderen Mitteln als es Vorgänger wie Beckett oder Kafka in ihren Romanen taten – die Welt heraus, aber die Welt antwortet nicht. Dass der Autor - mit Verweis auf Albert Camus – von einer "sisyphusschen Krankheit" spricht, verwundert darum nicht.
"Einige der existenziellen Probleme, über die Camus in den 40er- und 50er-Jahren schrieb, sind bis heute unverändert. Für mich ist der einzige Unterschied, dass wir heute - dank Technologie –geschickter mit ihnen umgehen, sie geschickter ignorieren. Der Satz: 'Wir müssen uns Sisyphos glücklich vorstellen' enthält zuletzt einen Triumph. Es geht nicht darum, das Leiden und die Bedeutungslosigkeit von Sisyphos' Leben zu ignorieren, sondern den Versuch zu feiern, den dieser – immer und immer wieder – unternimmt: hoffnungsvoll. Mehr noch: hoffnungsvoll glücklich. Das ist ein komplizierter Gedankensprung. Weil wir uns nicht vorstellen können, darüber glücklich zu sein, den Felsen immer wieder den Berg hinaufzurollen. Aber so sieht –Camus wusste das – die Struktur unseres Lebens aus. Deshalb hat der Schriftsteller zwei Aufgaben: er soll den Leser, der diese leidigen Fragen lieber ignoriert, daran erinnern, dass es sie gibt und dass es wichtig ist, darüber nachzudenken. Aber es ist auch der Job des Schriftstellers, nach bestem Wissen und Gewissen danach zu forschen, was Sisyphos glücklich machen könnte."
Wie ernst es Ferris damit meint, zeigt der Romanverlauf. Er gönnt seinem Protagonisten Oasen der Ruhe und des Neubeginns, Versöhnung mit der Familie, schenkt ihm einen Enkel und den Abschied von seiner zuletzt krebskranken Frau auf dem Sterbebett, entlässt ihn aber trotzdem nicht aus seiner eigentlichen Aufgabe. Joshua Ferris hat nicht zufällig die schwärzesten Zeilen der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson für seine Kapitelüberschriften ausgewählt. Sie stammen aus dem Gedicht: "After great pain a formal feeling comes". Übersetzer Marcus Ingendaay hat sie umgangssprachlich übersetzt – der verzweifelte Ton entfällt. Der vertrüge sich durchaus mit einem Roman, der zunehmend den Obsessionen einer Borderline-Persönlichkeit verfällt. "Ins Freie" liest sich in großen Teilen wie absurde Prosa, die ihre absurde Welterfahrung nur im Prozess des Erfahrens mitteilen kann. Einmal, in einem schizophrenen Schub, lässt sich Tim von dem "Anderen" die Leviten lesen. Ein Selbstgespräch:
"Du gehst und gehst. Immer zum selben Grundton, das ist anstrengend. Das Weinen, das Geheul, das ewige ich ich ich. Ist dir klar, was du verpasst? Die Farben der Vögel, ein zitterndes Spektrum. Den Mond. Die, die ... jedenfalls eine Menge. Sagen wir einfach, du verpasst eine Menge. Einige sehr interessante Leute, denen die Schönheit der Welt ebenfalls aufgefallen ist, haben darauf mit weiten Seereisen reagiert. Oder stellten ihre Staffelei auf Berggipfel. Du hingegen, du brummst vor dich hin. Und zitterst vor Kälte und stöhnst und klagst über das, was du angeblich brauchst. Diese Leier hätte sie in den Wahnsinn getrieben. Sie wären freiwillig über die Reling gesprungen, wäre ihre Seele mit deinesgleichen befrachtet gewesen."
Joshua Ferris schlägt den großen Erzählbogen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, zu einem, der sein Schicksal freudig annimmt. Wenn der Roman sich schließt, senkt sich wieder der Winter mit seinem Leichentuch über die Landschaft – ein Erzählkreis, keine Tragödie, keine Parabel. Der Roman bleibt die letzte Antwort schuldig, vielleicht, weil er sich doch zu viel vorgenommen hat? Joshua Ferris sieht das anders:
"Tim ist Sisyphos oder Hiob – einer von beiden. Einer, dessen Leiden unbeantwortet unerklärt, vielleicht sogar unwürdig ist, aber erduldet werden muss. Und Erdulden bedeutet immer Größe. Dieser Tim, ein New Yorker, Teilhaber einer Anwaltskanzlei, hat ein gutes Leben. Es hat nichts zu tun mit dem Leben eines Kindersoldaten in Afrika oder einem leidenden Soldaten in Afghanistan oder im Irak oder einer unterdrückten Frau anderswo, aber die existenzielle Grundbedingung muss keine andere sein."
Joshua Ferris: Ins Freie. Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. Luchterhand Verlag 2010, 352 Seiten, gebunden, 19.99 Euro.
Die verheerenden Winter, die regelmäßig über die Ostküste Nordamerikas herziehen, bereiten von der ersten Zeile des Romans an auf ein Geschehen vor, das wie eine Naturgewalt in den Alltag eines erfolgreichen New Yorker Anwalts einbrechen wird. "Es geht wieder los" heißt es dann auf der vierten Seite. Wie ein Befehl, eine Attacke. Ein Schub. Los legen die Füße, die Tim mit einem plötzlichen Laufzwang überraschen, ihn blindwütig auf Wanderschaft schicken, barfuß, im Bademantel, egal wie, die dann genauso unerwartet wieder stillstehen: im Hinterzimmer eines afrikanischen Haarsalons, im Lieferwagen für Fritten, unter einem Baum. Irgendwo, irgendwann übermannt ihn der Erschöpfungsschlaf. Die Natur wird zum verlässlichsten Komplizen eines Autors, der viel Raum - vielleicht die ganze Welt - für seinen Protagonisten, einen wandering man, braucht, der nur noch "Ins Freie" strebt. Es treibt ihn immer wieder weg, jahrelang. Er findet zurück, weil seine Frau oder Tochter ihn wieder einsammeln und nach Hause bringen. Manchmal bis zu vier Mal die Woche. Tim Farnsworth leidet an einer geheimnisvollen Krankheit. "Seine angstgelähmte Seele, eingesperrt im Bremserhäuschen eines blind dahinrasenden Zuges aus reiner Physis – das war er."
"Wenn Sie jeden Tag die Zeitung lesen, ein Jahr lang, werden Sie so bizarre Geschichten finden wie in meinem Buch. Wenn man sie alle unter einem Buchdeckel vereint, wirken sie apokalyptisch. Ich wollte zeigen, wie die Welt an einer namenlosen Krankheit leidet, genauso wie mein Protagonist. Einige Dinge, die in der Welt geschehen, sind sehr merkwürdig: zum Beispiel das Wetter. Wir sprechen gerne von Erderwärmung, von El Niño oder sonst was. Aber niemand kennt die richtige Antwort. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die auf das eine oder andere verweisen. Aber die wahre Antwort lautet, dass die Welt merkwürdig ist. Die Welt ist genauso merkwürdig wie die Krankheit meines Protagonisten. Das eine spiegelt das andere."
Die Krankheit hat keinen Namen und kriegt auch keinen. Der amerikanische Originaltitel "The Unnamed" erinnert an Samuel Becketts "The Unnamable" (Der Namenlose), den letzten Teil einer Romantrilogie. Auffälliger gestaltet sich die Nähe zu den beiden ersten Teilen "Malloy" und "Malone stirbt". Schon Malloy schleppt sich durch Ebenen und Wälder, landet im Straßengraben und leidet an physischem Verfall. Aber anders als Becketts metaphysische Gestalten, ist Ferris' Personal aus Fleisch und Blut, agiert im Hier und Jetzt, konsultiert richtige Ärzte mit Diagnosen wie:"inhaltliche Denkstörungen", Halluzinationen, multiple Persönlichkeit. Bei Tim heißt es: "Hirn-Vernebelung". Sein Hausarzt überredet ihn, mithilfe eines Spezialhelms die Gehirnströme aufzuzeichnen. Als Tim in seinem grotesken Aufzug – mit besagtem Fahrradhelm und Bereitschaftsrucksack - beim Gerichtstermin, immerhin einem Mordprozess aufkreuzt, ist die Grenze endgültig überschritten. Tim wird vom Dienst suspendiert, versucht, sich eine neue Existenz aufzubauen. Doch die "Wanderkrankheit" schickt ihn zuletzt auf die große Reise quer über den amerikanischen Kontinent. Weg von der Zivilisation, weg von den Zwängen des Alltags, von Job, Ehe, Tochter, einem glücklichen Dasein, dem es an nichts fehlte.
"Weil es die Krankheit nicht gibt, kann man sie auf viele Arten interpretieren. Zum Beispiel so: Diese Person hat sich so weit von der Natur und von der Außenwelt entfernt, dass sein Körper ihr etwas mitteilen will, was sie auf einer bewussten Ebene nicht weiß. Er sagt ihm, dass er verzehrt werden will, dass er draußen in der Welt sein will. Zum großen Teil handelt die Story von einem Konflikt zwischen Körper und Geist."
Draußen in der Welt sein, doch wozu? Der Anwalt Tim Farnsworth wird vom workaholic zum walkaholic, um die Welt abzuschreiten, aber nicht, um sie zu erkunden. Die Krankheit ist der auf Hochtouren laufende Motor des Romans, der seinen Protagonisten mit rasender Geschwindigkeit und brachialer Gewalt vorantreibt, als gelte es, sich dem american dream und dem "Fortschritts"-Wahn der ganzen westlichen Welt mit einer konkurrenzfähigen Kraft und Macht entgegenzustemmen – durch radikale Arbeitsverweigerung, konsequentes Davonlaufen. Ein Paradox. Der unaufhaltsame Wiederholungszwang, das Immer-wieder-Losstürmen-müssen gegen jede Vernunft und ohne wirkliches Ziel sind ein absurdes Unterfangen. Joshua Ferris fordert mit dem gewaltigen Körpereinsatz dieses Tim – mit anderen Mitteln als es Vorgänger wie Beckett oder Kafka in ihren Romanen taten – die Welt heraus, aber die Welt antwortet nicht. Dass der Autor - mit Verweis auf Albert Camus – von einer "sisyphusschen Krankheit" spricht, verwundert darum nicht.
"Einige der existenziellen Probleme, über die Camus in den 40er- und 50er-Jahren schrieb, sind bis heute unverändert. Für mich ist der einzige Unterschied, dass wir heute - dank Technologie –geschickter mit ihnen umgehen, sie geschickter ignorieren. Der Satz: 'Wir müssen uns Sisyphos glücklich vorstellen' enthält zuletzt einen Triumph. Es geht nicht darum, das Leiden und die Bedeutungslosigkeit von Sisyphos' Leben zu ignorieren, sondern den Versuch zu feiern, den dieser – immer und immer wieder – unternimmt: hoffnungsvoll. Mehr noch: hoffnungsvoll glücklich. Das ist ein komplizierter Gedankensprung. Weil wir uns nicht vorstellen können, darüber glücklich zu sein, den Felsen immer wieder den Berg hinaufzurollen. Aber so sieht –Camus wusste das – die Struktur unseres Lebens aus. Deshalb hat der Schriftsteller zwei Aufgaben: er soll den Leser, der diese leidigen Fragen lieber ignoriert, daran erinnern, dass es sie gibt und dass es wichtig ist, darüber nachzudenken. Aber es ist auch der Job des Schriftstellers, nach bestem Wissen und Gewissen danach zu forschen, was Sisyphos glücklich machen könnte."
Wie ernst es Ferris damit meint, zeigt der Romanverlauf. Er gönnt seinem Protagonisten Oasen der Ruhe und des Neubeginns, Versöhnung mit der Familie, schenkt ihm einen Enkel und den Abschied von seiner zuletzt krebskranken Frau auf dem Sterbebett, entlässt ihn aber trotzdem nicht aus seiner eigentlichen Aufgabe. Joshua Ferris hat nicht zufällig die schwärzesten Zeilen der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson für seine Kapitelüberschriften ausgewählt. Sie stammen aus dem Gedicht: "After great pain a formal feeling comes". Übersetzer Marcus Ingendaay hat sie umgangssprachlich übersetzt – der verzweifelte Ton entfällt. Der vertrüge sich durchaus mit einem Roman, der zunehmend den Obsessionen einer Borderline-Persönlichkeit verfällt. "Ins Freie" liest sich in großen Teilen wie absurde Prosa, die ihre absurde Welterfahrung nur im Prozess des Erfahrens mitteilen kann. Einmal, in einem schizophrenen Schub, lässt sich Tim von dem "Anderen" die Leviten lesen. Ein Selbstgespräch:
"Du gehst und gehst. Immer zum selben Grundton, das ist anstrengend. Das Weinen, das Geheul, das ewige ich ich ich. Ist dir klar, was du verpasst? Die Farben der Vögel, ein zitterndes Spektrum. Den Mond. Die, die ... jedenfalls eine Menge. Sagen wir einfach, du verpasst eine Menge. Einige sehr interessante Leute, denen die Schönheit der Welt ebenfalls aufgefallen ist, haben darauf mit weiten Seereisen reagiert. Oder stellten ihre Staffelei auf Berggipfel. Du hingegen, du brummst vor dich hin. Und zitterst vor Kälte und stöhnst und klagst über das, was du angeblich brauchst. Diese Leier hätte sie in den Wahnsinn getrieben. Sie wären freiwillig über die Reling gesprungen, wäre ihre Seele mit deinesgleichen befrachtet gewesen."
Joshua Ferris schlägt den großen Erzählbogen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, zu einem, der sein Schicksal freudig annimmt. Wenn der Roman sich schließt, senkt sich wieder der Winter mit seinem Leichentuch über die Landschaft – ein Erzählkreis, keine Tragödie, keine Parabel. Der Roman bleibt die letzte Antwort schuldig, vielleicht, weil er sich doch zu viel vorgenommen hat? Joshua Ferris sieht das anders:
"Tim ist Sisyphos oder Hiob – einer von beiden. Einer, dessen Leiden unbeantwortet unerklärt, vielleicht sogar unwürdig ist, aber erduldet werden muss. Und Erdulden bedeutet immer Größe. Dieser Tim, ein New Yorker, Teilhaber einer Anwaltskanzlei, hat ein gutes Leben. Es hat nichts zu tun mit dem Leben eines Kindersoldaten in Afrika oder einem leidenden Soldaten in Afghanistan oder im Irak oder einer unterdrückten Frau anderswo, aber die existenzielle Grundbedingung muss keine andere sein."
Joshua Ferris: Ins Freie. Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. Luchterhand Verlag 2010, 352 Seiten, gebunden, 19.99 Euro.