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Auf der Jagd nach Moby Dick

Das Musikfest in Stuttgart ist in diesem Jahr dem Thema "Wasser" gewidmet. Zur Eröffnung hat Regisseur Martin Mühleis das Stück "Ahab" nach dem Roman "Moby Dick" von Hermann Melville auf die Bühne gebracht. Schauspieler Dominique Horwitz verausgabt sich als Icherzähler bei der Jagd nach dem weißen Wal.

Von Frieder Reininghaus |
    Das Musikfest Stuttgart, das in Fortsetzung der Europäischen Musikfeste in der württembergischen Hauptstadt seit 2009 als "Themenfestival" neu positioniert wird, widmet sich in diesem Jahr dem Generalthema "Wasser". Ministerpräsident Winfried Kretschmann verwies zur Eröffnung nicht nur darauf, dass das Festival verschiedene bislang noch nicht erprobte Spielstätten wie den Trinkwasserspeicher Rohr nutze, sondern über so viel Mineralwasservorkommen verfüge wie sonst nur noch Budapest.

    Mit Mendelssohns imposantem Oratorium "Elias" geht es allerdings nicht um einen Überfluss an Wasser oder gar die Bedrohlichkeit von Fluten, sondern um den Mangel. Den kündigt der Prophet Elias an, der ohne Vorankündigung aus den Tiefen des Alten Testaments auftaucht. Er profiliert sich als Gegenspieler Ahabs und kündigt die große Plage an, weil der erfolgreiche König Israels es mit dem Alleinvertretungsanspruch des einzigen, allmächtigen, unsichtbaren, ewigen und ziemlich rachsüchtigen Gottes nicht allzu genau nahm und mit dessen Erzrivalen Baal liebäugelte. Dieser "Götze" war mit der Königin aus den fruchtbaren Ebenen des Libanon in sein eher karges Bergland gekommen.

    Helmuth Rilling beseelte das Bach-Collegium Stuttgart und die stark besetzte Gächinger Kantorei zu einer Interpretation aus dem Geist der Oratorien-Tradition des 19. Jahrhunderts. Der königliche Solo-Sopran von Camilla Nylund begann in der zweiten Halbzeit unbewölkt zu strahlen.

    Markus Eiche war von Anfang an mit seinem gewaltig strömenden, im Piano wunderbar geschmeidigen Bassbariton präsent – eine Eichbaumstimme, wie geschaffen für die Partie des unbeugsamen Propheten, der zweimal fliehen muss und sich schließlich im Wadi Kelt als Eremit seiner emphatischen Gotteserfahrung erinnert. Die mit Rilling sich aufwölbende inbrünstige Interpretation unterstreicht den Glaubensfeuereifer des Elias und die Überdrücklichkeit eines Tonsatzes, die manchen heutigen Ohren vorkommen mag wie das Pfeifen des eigentlich gar nicht ängstlichen Manns im dunklen Wald.
    Einen doppelten Brückenschlag suchte das Melodram "Ahab" des Librettisten und Regisseurs Martin Mühleis mit einem in breiten Pinselstrichen ausgeführten, ganz überwiegend tonal gehaltenen und recht redundanten Tonsatz des Stuttgarter Orchestermusikers und Komponisten Libor Šíma zu bewerkstelligen: den der Landratten zur aufgewühlten literarischen Meereswelt Herman Melvilles aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und den des "klassischen" Symphonieorchesters zur Filmmusik, wie sie Hollywood in der Mitte des 20. Jahrhunderts pflegte. Dominique Horwitz gelang eine rhetorische Glanzleistung: als Icherzähler Ishmael deklamierte er voll Empathie Erinnerungen an die hasserfüllt leidenschaftliche Jagd nach dem weißen Wal Mobby Dick.
    Mit seinem Rachefeldzug gegen das freiheitshungrige Tier verstieß Kapitän Ahab in prometheisch hybrider Weise gegen Grundsätze der "christlichen Seefahrt". Den Namen des alttestamentarischen Monarchen trägt er nicht zufällig: Ihn erreicht die Strafe einer höheren Gerechtigkeit. Das könnte auch dem Werk widerfahren: So geschäftig die Streicher scharren und die Bläser die Sturmbacken aufblasen: Eine philosophisch genährte Katastrophenmusik könnte und müsste heute nicht so retrospektiv naiv ausfallen und ungehemmt tonales Wasser lassen.

    Gegenüber dem "Europäischen", das Helmuth Rilling als Festivalleiter des Musikfestes im Herzen Württembergs akzentuierte, soll und will der Nachfolger Christian Lorenz die stuttgarterischen Faktoren stärken. Ob dieses offensichtlich mit den Geldgebern und dem Hauptsponsor Daimler abgestimmte Verjüngungskonzept langfristig den "Leuchtturm"-Charakter des ambitionierten Unternehmens sichert, steht in den Sternen von Glaube, Liebe und Hoffnung. Und das sind auch die Themen der Musikangebote in den nächsten Jahren.