Dieser Roman ist träge von sinnlicher Schwermut, präzise wie ein Road Movie von David Lynch und brutal poetisch wie ein film noir von Jim Jarmusch. "Hinter der Blechwand" spielt zwischen verhangenen Horizonten und vom Alkohol benebelten Hirnen, gedreht an Originalschauplätzen im verkommensten Winkel von EU-Europa, im Bermuda-Dreieck von Korruption, Menschenschmuggel und Armut, wo Menschen und Waren spurlos verschwinden, wo Schweine Jagd auf Menschen machen: auf der Müllhalde des Kontinents, der Resterampe der globalisierten "brave new world", wo der Abschaum der westlichen Wohlstandsgesellschaften unter sich bleibt. Er spielt da, wo sein Verfasser Andrzej Stasiuk seit Jahrzehnten zuhause ist, am Westrand der Karpaten; hier stoßen Polen, die Slowakei, die Ukraine zusammen; nach Ungarn, Rumänien, Slowakei, Serbien, Slowenien, Kroatien ist es nicht sehr weit.
Stasiuk hat sich als Chronist des ostmitteleuropäischen Aufbruchs aus dem Postkommunismus einen Namen gemacht; er ist der Poet der Wellblechdächer und Zigeunerlager, der nächtlichen Tankstellen und verwitterten Neubaublöcke an den Rändern exsozialistischer Großstädte, der melancholische Sänger der Subkultur. Es riecht nach Suff und Siff in diesem neuen Roman, nach Maschinenöl und Wodka, nach Schweiß und Blut. Die Gegenden, die er beschreibt, sind politisch gesehen so etwas wie eine real existierende Parallelwelt, das Asien von Europa. Und so nannte Stasiuk sein Buch im Original "Taksim", nach dem großen Platz in Istanbul.
Pawel, der Erzähler, fährt mit Wladek, der in den 1980er Jahren tonnenweise Kaffeepäckchen von Wien nach Bukarest geschmuggelt hat und jetzt mit Second-Hand-Kleidung handelt, 348 Seiten lang durch die Kleinstädte und Dörfer der Karpaten, in denen die Globalisierung schon angekommen ist in Gestalt billiger, in Plastikfolie verschweißter Produkte aus China. Schon immer hieß der Zug von Ostberlin nach Bukarest "Balt-Orient-Express", ein Mythos aus den Gerüchen des Ostens und der romantischen Sehnsucht des Westens. Dahinter war Schluss. Das ist der einzige Unterschied zu heute. Nun vermischt sich das Alte mit dem Neuen, der Westen mit dem Osten auf die schrecklichste Art, die man sich nur vorstellen kann.
"Kalkutta beginnt jenseits der Donau". Pawel, ein gestrandeter Mittvierziger, dem vom bürgerlichen Leben nur ein alter italienischer Lieferwagen geblieben ist, und Wladek, dieser "erstgeborene Sohn der Alltäglichkeit", ein grauer Mittfünfziger in Adidas-Tretern und Trainingsanzug, sind zwischen den überladenen Tischen der Billighändler die "Könige des Plunders", denn ihre Sachen atmen noch den letzten Hauch des abgelegten Luxus, den leichten Hautgout westlicher Dekadenz, teures Parfüm und Geld. Darauf sind sie stolz. Das war das alte Osteuropa, das sich immer als armer Bruder nach dem reichen Westen sehnte und das nun überschwemmt wird von Trash und Talmi, vergifteten Textilien, billigen Marken-Kopien und Plastikschrott aus Asien.
Wenn die polnischen Kleinhändler früher durch rumänische Dörfer fuhren, waren sie "unersättliche galizische Piranhas, die Haie der Vorkarpaten". Heute sind sie selber ein Teil dieser prekären Unterschicht, aus der sich eine kriminelle Unterwelt von illegalen Händlern und Handlangern rekrutiert. Stasiuk beschreibt "die totale Verzweiflung dieses schönen Landes", das unter Ceaucescu ausgesaugt wurde von einem nach Luxus verrückten Diktator, der sein Volk verhungern ließ, und heute von Menschenhändlern und Profiteuren beherrscht wird. Und er macht drastisch klar, dass die explosive Mischung aus Zigeunern, die von allen verachtet und überall weggejagt werden, Russen, die Geschäfte mit transkarpatischen Separatisten machen, Ungarn, Slowaken, Polen und neuerdings Bulgaren, die sich im untersten Marktsegment, im Straßenhandel, gegenseitig bekämpfen bis aufs Blut – dass diese Mischung erst durch die Zündschnur des "Business" zu einem mörderischen Krieg jedes gegen jeden geworden ist.
Mit effektvollem Realismus zwischen Polit-Thriller und Dokumentarismus erzählt Stasiuk in großen, unvergesslichen Bildern, wie ethnische, politische, historische und mentale Unterschiede der Karpatenvölker beim Erlernen des Kapitalismus zusammenwirken, eines Kapitalismus ohne soziale Marktwirtschaft: nackt, billig, hässlich, mörderisch. Zynisch schiebt er die Schuld auf die Chinesen, die "wie ein barmherziger Christenmensch die Nackten" einkleideten. "Sie schauten unter gesenkten Lidern hervor, aber sie lieferten Kleider." Europa "brauchte das große China, um die europäischen Parias einzukleiden". Einmal werden wir Zeuge, wie ein vietnamesischer Händler von einer Wildsau auf einem Markt totgebissen wird. "Man könnte sagen, er war ein Märtyrer des asiatischen Markts."
Das Paradoxon der ökonomischen Globalisierung – nirgends ist es besser mit Händen zu greifen als in diesen immer noch ärmsten Gegenden von Europa. Stasiuk ist ein Verteidiger des einfachen, ländlichen Lebens und der ökologischen Vernunft, das ist bekannt. Doch wird man diesem Problem schwerlich mit antichinesischen Ressentiments und einer Art von literarischem Regionalismus gerecht werden. Um als europäischer Erzähler wahrgenommen zu werden, reicht es nicht, die Überschwemmung der osteuropäischen Märkte mit asiatischen Billigwaren verantwortlich zu machen für das Elend derer, die schon vor dem Ende des Kommunismus die Ärmsten waren. Stimmt schon, der Eiserne Vorhang ist noch da. Was den einen die Mauer im Kopf, ist den andern die Blechwand der fliegenden Händler und ihrer schrottreifen Autos, der endlosen und trostlosen Basare an der Kulturgrenze der Karpaten und des Balkans. Jeder kann es sehen, der mit dem Auto hinfährt. Doch die globale Kreiselpumpe der Warenflüsse von Osten nach Westen nach Osten ist kein ostmitteleuropäisches Problem. Die Welt geht gegenwärtig unter im Müll überflüssiger Waren. Die Sintflut des 21. Jahrhunderts ist aus Polyestern. Dieses kluge, schockierende, wütende, leidenschaftliche Buch zeigt, wer seine ersten Opfer sind, die Schwächsten. Aber es verschweigt uns leider, dass die nächsten mit großer Wahrscheinlichkeit wir selber sein werden, Stasiuks deutsche Leser.
Andrzej Stasiuk: Hinter der Blechwand. Roman
Aus dem Polnischen von Renate Schmidtgall
Suhrkamp Verlag Berlin 2011, 349 Seiten, 22,90 Euro
Stasiuk hat sich als Chronist des ostmitteleuropäischen Aufbruchs aus dem Postkommunismus einen Namen gemacht; er ist der Poet der Wellblechdächer und Zigeunerlager, der nächtlichen Tankstellen und verwitterten Neubaublöcke an den Rändern exsozialistischer Großstädte, der melancholische Sänger der Subkultur. Es riecht nach Suff und Siff in diesem neuen Roman, nach Maschinenöl und Wodka, nach Schweiß und Blut. Die Gegenden, die er beschreibt, sind politisch gesehen so etwas wie eine real existierende Parallelwelt, das Asien von Europa. Und so nannte Stasiuk sein Buch im Original "Taksim", nach dem großen Platz in Istanbul.
Pawel, der Erzähler, fährt mit Wladek, der in den 1980er Jahren tonnenweise Kaffeepäckchen von Wien nach Bukarest geschmuggelt hat und jetzt mit Second-Hand-Kleidung handelt, 348 Seiten lang durch die Kleinstädte und Dörfer der Karpaten, in denen die Globalisierung schon angekommen ist in Gestalt billiger, in Plastikfolie verschweißter Produkte aus China. Schon immer hieß der Zug von Ostberlin nach Bukarest "Balt-Orient-Express", ein Mythos aus den Gerüchen des Ostens und der romantischen Sehnsucht des Westens. Dahinter war Schluss. Das ist der einzige Unterschied zu heute. Nun vermischt sich das Alte mit dem Neuen, der Westen mit dem Osten auf die schrecklichste Art, die man sich nur vorstellen kann.
"Kalkutta beginnt jenseits der Donau". Pawel, ein gestrandeter Mittvierziger, dem vom bürgerlichen Leben nur ein alter italienischer Lieferwagen geblieben ist, und Wladek, dieser "erstgeborene Sohn der Alltäglichkeit", ein grauer Mittfünfziger in Adidas-Tretern und Trainingsanzug, sind zwischen den überladenen Tischen der Billighändler die "Könige des Plunders", denn ihre Sachen atmen noch den letzten Hauch des abgelegten Luxus, den leichten Hautgout westlicher Dekadenz, teures Parfüm und Geld. Darauf sind sie stolz. Das war das alte Osteuropa, das sich immer als armer Bruder nach dem reichen Westen sehnte und das nun überschwemmt wird von Trash und Talmi, vergifteten Textilien, billigen Marken-Kopien und Plastikschrott aus Asien.
Wenn die polnischen Kleinhändler früher durch rumänische Dörfer fuhren, waren sie "unersättliche galizische Piranhas, die Haie der Vorkarpaten". Heute sind sie selber ein Teil dieser prekären Unterschicht, aus der sich eine kriminelle Unterwelt von illegalen Händlern und Handlangern rekrutiert. Stasiuk beschreibt "die totale Verzweiflung dieses schönen Landes", das unter Ceaucescu ausgesaugt wurde von einem nach Luxus verrückten Diktator, der sein Volk verhungern ließ, und heute von Menschenhändlern und Profiteuren beherrscht wird. Und er macht drastisch klar, dass die explosive Mischung aus Zigeunern, die von allen verachtet und überall weggejagt werden, Russen, die Geschäfte mit transkarpatischen Separatisten machen, Ungarn, Slowaken, Polen und neuerdings Bulgaren, die sich im untersten Marktsegment, im Straßenhandel, gegenseitig bekämpfen bis aufs Blut – dass diese Mischung erst durch die Zündschnur des "Business" zu einem mörderischen Krieg jedes gegen jeden geworden ist.
Mit effektvollem Realismus zwischen Polit-Thriller und Dokumentarismus erzählt Stasiuk in großen, unvergesslichen Bildern, wie ethnische, politische, historische und mentale Unterschiede der Karpatenvölker beim Erlernen des Kapitalismus zusammenwirken, eines Kapitalismus ohne soziale Marktwirtschaft: nackt, billig, hässlich, mörderisch. Zynisch schiebt er die Schuld auf die Chinesen, die "wie ein barmherziger Christenmensch die Nackten" einkleideten. "Sie schauten unter gesenkten Lidern hervor, aber sie lieferten Kleider." Europa "brauchte das große China, um die europäischen Parias einzukleiden". Einmal werden wir Zeuge, wie ein vietnamesischer Händler von einer Wildsau auf einem Markt totgebissen wird. "Man könnte sagen, er war ein Märtyrer des asiatischen Markts."
Das Paradoxon der ökonomischen Globalisierung – nirgends ist es besser mit Händen zu greifen als in diesen immer noch ärmsten Gegenden von Europa. Stasiuk ist ein Verteidiger des einfachen, ländlichen Lebens und der ökologischen Vernunft, das ist bekannt. Doch wird man diesem Problem schwerlich mit antichinesischen Ressentiments und einer Art von literarischem Regionalismus gerecht werden. Um als europäischer Erzähler wahrgenommen zu werden, reicht es nicht, die Überschwemmung der osteuropäischen Märkte mit asiatischen Billigwaren verantwortlich zu machen für das Elend derer, die schon vor dem Ende des Kommunismus die Ärmsten waren. Stimmt schon, der Eiserne Vorhang ist noch da. Was den einen die Mauer im Kopf, ist den andern die Blechwand der fliegenden Händler und ihrer schrottreifen Autos, der endlosen und trostlosen Basare an der Kulturgrenze der Karpaten und des Balkans. Jeder kann es sehen, der mit dem Auto hinfährt. Doch die globale Kreiselpumpe der Warenflüsse von Osten nach Westen nach Osten ist kein ostmitteleuropäisches Problem. Die Welt geht gegenwärtig unter im Müll überflüssiger Waren. Die Sintflut des 21. Jahrhunderts ist aus Polyestern. Dieses kluge, schockierende, wütende, leidenschaftliche Buch zeigt, wer seine ersten Opfer sind, die Schwächsten. Aber es verschweigt uns leider, dass die nächsten mit großer Wahrscheinlichkeit wir selber sein werden, Stasiuks deutsche Leser.
Andrzej Stasiuk: Hinter der Blechwand. Roman
Aus dem Polnischen von Renate Schmidtgall
Suhrkamp Verlag Berlin 2011, 349 Seiten, 22,90 Euro