Archiv


Auf der Suche nach dem Glück

Es gibt keine Gebrauchsanweisung, es gibt keine Garantie dafür, es ist manchmal schwer erreichbar - die Rede ist vom Glück. "Unbekannte Größe Glück" lautete der Titel unter dem Hirnforscher, Soziologen und Ökonomen am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung diskutierten - und dabei das Glück aus ihren jeweiligen Blickwinkeln betrachteten, um es gemeinsam weiterzudenken.

Von Barbara Leitner |
    "Glück ist das momentane, kurzfristige Wohlsein, das wir als Glücksempfinden bezeichnen. Man soll sich davor hüten, dieses Glücksgefühl zu häufig zu suchen. Glück schwindet ganz schnell dahin wie der Schnee in der Sonne. Das heißt man soll lernen, was einen glücklich macht, man soll es anstreben. Aber man soll wissen, dass man damit sparsam umgeht."
    Gerhard Roth, Philosoph, Biologe und heute Professor für Neurobiologie an der Universität Bremen. Deutlich grenzt der Wissenschaftler Glück von Zufriedenheit ab - für ihn biologisch zwei sehr verschiedene Prozesse.

    "Zufrieden sind Menschen überwiegend auf Grund ihrer genetischen Ausstattung oder ihrer frühkindlichen Prägung. Man kann zeigen, dass es da bis zu sechs Typen von Zufriedenheit gibt und die bilden sich sehr früh in der Entwicklung der Persönlichkeit aus. Nur etwa 25 Prozent der Menschen ändern sich stark in dem Grad ihrer Zufriedenheit. Die meisten sind durchgängig Pessimisten, Neutralisten oder Optimisten und bleiben das ihr Leben lang. Das Glück oder Unglück setzt sich dann kurzfristig auf diese Grundlinie auf."
    Dabei stellt sich das Glück im Verhältnis zwischen erwarteter und erreichter Belohnung ein und ist nicht kalkulierbar.

    In seinem Labor kann Gerhard Roth mitverfolgen, wie die Dopaminkurven bei Spielern Sekunden vor einem Gewinn ansteigen und doch immer mehr abflachen - je öfter sie die Belohnung auch erhalten. Seine Schlussfolgerung: Für einen momentanen Glücksrausch zahlt man in der Zukunft. Man ist gezwungen, sich etwas Neues einfallen zu lassen, um erneut den Zustand zu erreichen.

    Ähnliche Befunde kennen Sozialwissenschaftler.

    Obwohl das Pro-Kopf-Einkommen in der westlichen Welt gleich bleibt oder sogar leicht steigt, sind die Menschen nicht glücklicher. Jens Alber, Soziologieprofessor vom Wissenschaftszentrum Berlin, fragte nach dem Glück der Europäer. Mit Hilfe der von ihn erhobenen Daten über die Erfolg und Misserfolge wohlfahrtsstaatlicher Politik in den Ländern der Europäischen Union suchte er nach den Faktoren, die Einfluss auf das Glück haben.

    "Und da war das Ergebnis, dass man beim Glück findet, dass die sozialen Beziehung, also die Einbindung in Wärme spendenden stabile Beziehungen zu anderen Menschen einen höheren Einfluss auf das Glücksempfinden der Europäer hat, als materielle Dinge wie zum Beispiel das Einkommen."
    Die Werte für die 27 EU-Länder stellte der Soziologe in einem Diagramm dar. Auch wenn die Lebensverhältnisse sich zwischen Irland und Lettland, Spanien und Finnland erheblich unterscheiden - in Punkto Glück ergab sich ein überraschend einheitliches Bild.

    "Bei der Lebenszufriedenheit sind die Unterschiede sehr viel größer. Da geht es von einem Wert von 4,5 in Bulgarien auf dieser Zehnerskala zu einem Wert von über acht in Dänemark, so dass wir zwischen Lebenszufriedenheit und Glück unterscheiden wollen. Glück reagiert mehr auf die soziale Einbindung, Lebenszufriedenheit mehr auf die materielle Lage."
    Gerade wegen ihrer Aussagekraft über die gesellschaftlichen Verhältnisse überlassen inzwischen auch Ökonomen das Nachdenken über Glück und Zufriedenheit nicht länger nur Philosophen und Psychologen.

    Frey: "Viele Leute glauben, Glück sei etwas rein individuelles, was aus dem Bauch kommt. Und wir Ökonomen sehen, dass Arbeitslosigkeit das Glück sehr stark vermindert, zutiefst unglücklich macht."
    Für einen Betroffenen ist das nicht neues, wovon Prof. Bruno Frey, vom Institut für empirische Wirtschaftsforschung in Zürich spricht. Für den Ökonomen aber ist die Erkenntnis mit einer entscheidenden Konsequenz verbunden. Wenn es gilt, wirtschaftliches Wachstum oder mehr Beschäftigung gegeneinander abzuwägen, empfiehlt er aus seiner Glücksforschung, mehr Menschen eine sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen. Dabei genügt es nicht, irgendwelche Jobs zu schaffen:

    "Man muss auch selbst entscheiden können im Arbeitsprozess. Wenn der Vorgesetzte alles bis in die letzte Kleinigkeit festlegt, dann fühlen sich die Leute gar nicht aufgehoben und das zweite ist, dass die Arbeit auch sinnvoll ist oder als sinnvoll angesehen wird."
    Durch solche Arbeitsverhältnisse könnten neue Kreativitätspotenziale im globalen Wettlauf geweckt werden. Zugleich würde auch das gesellschaftliche Klima von einem Mehr an Zufriedenheit profitieren, glaubt der Ökonom. Er plädiert dafür, Glück und Zufriedenheit als neue Parameter für einen Wohlfahrtsstaat zu erheben und als ein Korrektiv des politischen Handelns für den Staat zu nutzen. Dabei ist Bruno Frey davon überzeugt,

    "dass das Sozialprodukt ein schlechter Wohlfahrtsindikator ist. Das Sozialprodukt misst Produktion sehr gut. Nur mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen, mit steigendem materiellem Wohlstand nimmt das Glück nicht unbedingt zu. In einigen Ländern, zum Beispiel in China - die haben ja in den letzten Jahren eine gewaltige Steigerung des Pro-Kopf- Einkommen erlebt. Da ist sogar die Lebenszufriedenheit zurückgegangen."

    Das ist eben das interessante, was wir immer wieder feststellen. Es sind nicht nur die individuellen Lebensumstände, die für die Menschen wichtig sind, sondern auch die Qualität der Gesellschaft oder die Qualität der politischen Institutionen.
    Aus seiner Forschung über die Lebensbedingungen der Europäer und die Weichenstellung durch die Staaten liest Prof. Alber ab: Auch in den ärmeren Ländern des Kontinentes wirkt sich die Qualität der öffentlichen Dienste deutlich auf das Wohlbefinden aus! Die Leute wollen nicht erst fressen, ehe sie sich um die Moral kümmern, lautet seine Erkenntnis.

    Für den Schweizer Bruno Frey ist das ein Grund, warum sich seine Landsleute zu den glücklichsten Menschen in Europa zählen:

    "Wir haben mehr Möglichkeiten zur politischen Mitsprache. Das lösen wir in der Schweiz mit Volksabstimmung. Und der zweite wichtige Faktor, warum Schweizer vielleicht auch glücklich sind, dass sie viel mehr lokal entschieden."
    Von den Sozialwissenschaftlern werden Glück und Zufriedenheit außer durch allgemeine Befragungen heute auch durch die Daily Construction Methode gemessen. Bei dem Verfahren geben die Probanten an, welche Erfahrung am Vortag sie für befriedigend oder weniger befriedigend hielten. Damit werden auch Faktoren erfasst wie die Umweltverschmutzung in der Region oder das konkrete Wirken der staatlichen Behörden vor Ort. Mit diesen Daten bekommen die politischen Akteure - jenseits von Quantitäten - spezifischer Kriterien in der Hand, wie bestimmte Bedingungen oder Maßnahmen sich auf die Lebensqualität der Menschen auswirken. Bruno Frey:

    "Es gibt Länder, die geben sehr viel Geld aus für Schulen, aber es kommt nichts dabei heraus - oder nicht mehr als in anderen Ländern. Und beim Glück wird wirklich das angeschaut, was die Leute denken, wie zufrieden sie mit dem Leben sind und das ist eine rein subjektive Einschätzung der Personen und das ist das Entscheidende."

    Mit dieser differenzierten Glücks- und Zufriedensheitswahrnehmung formuliert der Ökonom auch neue Forschungsfelder für die Neurobiologie. Gerhard Roth beschreibt vier Ebenen der Glücksempfindungen. Eine archaische, die beispielsweise beim Anblick eines Neugeboren aktiviert wird. Eine emotional konditionierte, auf der wir durch unsere Bindungen in der frühen Kindheit lernen, was uns glücklich und traurig macht.

    Roth: "Und dann gibt es die dritte Ebene der sozialen Vermittlung von Zielen und das sind dann eher soziale Ziele des Glücks. ZUM BEISPIEL Bildung, Anerkennung, die Bewunderung durch andere, Erfolg, aber auch viele Formen der Liebe, aber die sind gesellschaftlich stark abhängig. Und dann gibt es daneben im kognitiven Bereich ganz eigenartige Glücksgefühle, die man kaum wissenschaftlich beschreiben kann, zum Beispiel ein spannendes Buch lesen oder eine neue Erkenntnis oder ein angeregtes Gespräch, wo ich glücklich nach Hause gehe. Wie das funktioniert ist noch ganz unklar."