Franz Liszt – Années de Pèlerinage
Ragna Schirmer & amarcord
Label: Berlin Classics
Bestell-Nr.: 0300121BC
LC:06203
Wer Außergewöhnliches auf CD aufnehmen möchte, der ergreift mitunter außergewöhnliche Maßnahmen. So wie Ragna Schirmer. Bevor die Pianistin für ihr neuestes CD-Projekt ins Studio ging, ist sie zu einer Art Pilgerreise aufgebrochen. In die Schweiz und nach Italien, an all die Orte, zu all den Kunstwerken, von denen sich Franz Liszt einst inspirieren ließ für seinen Klavierzyklus "Années de Pèlerinage" – oder zu deutsch "Pilgerjahre".
Im Anschluss an ihre Reise hat Ragna Schirmer die "Années de Pèlerinage" auf CD eingespielt, und pünktlich zum 200. Liszt-Geburtstag ist die Aufnahme beim Label Berlin Classics erschienen. Dreifach-CD samt Ragna Schirmers Reisetagebuch stelle ich Ihnen heute vor. Am Mikrofon begrüßt Sie Jochen Hubmacher.
Orage aus Années de Pèlerinage – Première année : Suisse
K: Franz Liszt
CD 1 Tr. 6
"Orage", diesen Gewittersturm aus Noten finden wir im ersten, dem Schweizer Jahr der "Années de Pèlerinage". Schwere Unwetter wird Franz Liszt mehrfach erlebt haben, als er die Alpen bereiste. Doch ein Zitat von Lord Byron, das dem Stück vorangestellt ist, deutet an: Hier finden wohl auch heftige Gefühlsstürme ihren Ausdruck. Und mit denen kannte sich Liszt schon in jungen Jahren ebenfalls bestens aus.
Das Booklet der neuen CD von Ragna Schirmer ist eine Mischung aus Reiseführer und persönlichem Reisetagebuch mit Fotos und Notizen der Pianistin. Eine Wolke samt zuckendem Blitz hat Ragna Schirmer mit rotem Stift genau dort hingemalt, wo sie sich mit dem Stück "Orage" beschäftigt. Als wollte die Pianistin damit deutlich machen, dass hier etwas Theaterdonner angebracht ist. Ansonsten setzt Ragna Schirmer dieses musikalische Stilmittel bei ihrer Gesamteinspielung der "Années de Pèlerinage" wohltuend dosiert ein.
Ihr geht es bei ihrer Aufnahme nicht um Testosteron gesättigte Klavierakrobatik, die im Liszt-Jubiläumjahr schon reichlich auf den Plattenmarkt geworfen wurde. Ragna Schirmer ist hörbar auf der Suche nach dem leisen Liszt, der im Musikbetrieb eher selten auftaucht.
"Viele Veranstalter scheuen sich zum Beispiel auch. Wenn man Liszt aufs Programm setzt, heißt es, ach das ist immer laut und schnell, und das ist es eben gerade nicht. Und wenn man sich schon zu einem solchen Jubiläum dann mit einem Komponisten so intensiv beschäftigt und sagt, ich reihe mich ein in all diejenigen, die jetzt hier die Geburtstagskerzen anzünden, dann muss man diese Chance nutzen, um auch mal Seiten eines Komponisten zu beleuchten, die gerade in einem Fall wie bei Franz Liszt, der sehr einseitig wahrgenommen wird, nocht nicht so bekannt sind. Was mich immer fasziniert hat, war zum Beispiel Alfred Brendel, der ja sich so wahnsinnig viele Gedanken über Musik gemacht hat und auch in seinem Buch "Nachdenken über Musik" dann festgehalten hat, schreibt in diesem Buch hauptsächlicher über Beethoven, Schubert und Liszt. Das hat mich schon als Teenager immer sehr gewundert, weil ich natürlich auch so die heiligen Komponisten auf der einen Seite und Franz Liszt war immer so derjenige, den man dann als Zugabe spielte, weil da die Leute klatschen. Und dass der eben auch diese Tiefe hat und dass der eben auch diese Seiten hat, die es zu erforschen gilt und die man in ihrem ganzen Ausmaß gar nicht ahnen kann, das erfährt man dann erst viel später und gerade das rauszustellen, war mir so wichtig."
Eine diese unscheinbaren Kostbarkeiten ist die Pastorale aus dem ersten Jahr der "Années de Pèlerinage". Ein Stück, das maximalen Charme entfaltet, bei minimalem Einsatz musikalischer Mittel. Ragna Schirmer stellt dazu in ihrem Reisetagebuch treffend fest: "Wie bezaubernd, wenn Liszt schlicht wird"
Pastorale aus Années de Pèlerinage – Première année : Suisse
K: Franz Liszt
CD 1, Tr. 3
Bis die "Années de Pèlerinage" in ihrer heute bekannten Form vorliegen, vergeht fast ein halbes Jahrhundert. Immer wieder überarbeitet Liszt seinen Klavierzyklus und fügt neue Stücke hinzu. Wie ein lebendiger Organismus wachsen die "Années de Pèlerinage" nach und nach auf drei Teile beziehungsweise drei Jahre an. Gut zu erkennen, wie sich dabei auch Liszts Kompositionsstil weiterentwickelt und oft schon in die Zukunft weist. Im dritten und letzen Jahr der "Années de Pèlerinage" etwa verarbeitet Liszt Eindrücke aus dem Park der Villa d'Este bei Rom. Seine lautmalerische Vertonung der dortigen Wasserspiele stößt die Tür weit auf in Richtung Impressionismus.
Für Ragna Schirmer klärte sich speziell bei diesem Stück erst vor Ort eine wichtige Interpretationsfrage.
"Die Wasserspiele der Villa d'Este, man denkt beim Einstudieren warum ist das nicht alles pianissimo, das muss doch plätscherndes Wasser sein, warum schreibt er forte oder gar fortissimo, Wasserspiele sind doch was leises, Tropfen, plätscherndes so. Und dann kommt man da hin und dann sind das riesige Fontänen, Hunderte davon. Man kann sein eigenes Wort kaum verstehen. Das ist richtig laut dort und das ist dann was völlig anderes und dann versteht man das Stück auch anders."
Les jeux d'eaux à la Villa d'Este aus Années de Pèlerinage – Troisième année
K : Franz Liszt
CD 3, Tr. 5
"Asciugate i begli occhi"
K: Carlo Gesualdo
amarcord
CD 3, Tr 6
Zum Konzept von Ragna Schirmers Gesamteinspielung der "Années de Pèlerinage" gehören auch Renaissance-Madrigale von Carlo Gesualdo und Luca Marenzio. Sie durchbrechen immer wieder die gewohnte Dramaturgie des Klavierzyklus'. Was beim ersten Hören vielleicht etwas willkürlich erscheint, ergibt durchaus Sinn. Denn Liszt hat sich während seiner Reisen intensiv mit Kunst und Literatur der Renaissance auseinandergesetzt. Besonders im zweiten Teil seiner Années de Pèlerinage hinterließ diese Beschäftigung deutliche Spuren. Liszt vertonte hier Sonette von Francesco Petrarca, genauso wie Marenzio Jahrhunderte zuvor. Ein Stück trägt den programmatischen Titel "Après une lecture de Dante", also "nach einer Dante-Lektüre". Und zwei andere, "Sposalizio" und "Il Penseroso", beziehen sich auf Kunstwerke von Raffael und Michelangelo.
Inhaltliche Querverbindungen sind also reichlich vorhanden, und die letzten Zweifel, ob diese akustischen Abstecher in die Renaissance tatsächlich notwendig sind, zerstreut das Leipziger Vokalenensemble amarcord mit gewohnt atemberaubender Klangschönheit.
"Amor, i'ho molti"
K: Luca Marenzio
CD 2, Tr. 4
"Dies ist mir das liebste Stück von allen", schreibt Ragna Schirmer in ihrem Reisetagebuch und meint damit: "Le Mal du Pays", zu deutsch "Heimweh" aus dem ersten Jahr der "Années de Pèlerinage". Im Deutschlandfunk-Interview erklärt sie warum.
"Heimweh kann ja auch eine sehr intime Aussage sein. Deswegen ist mir das so lieb, weil er diese intime Aussage in meinen Augen tatsächlich macht mit diesem Stück. Fühlte er sich als Ungar oder als Deutscher? In der Schweiz Heimweh zu haben, was hieß das für ihn? Und dann hab' ich entdeckt, dass er da wahrscheinlich ein ungarisches Volkslied ganz langsam und ganz stilisiert verwendet in diesem Stück und dann glaubt man natürlich in solchen Momenten schon eine Charakterwelt eines Komponisten gefunden zu haben und sich dem wirklich angenähert zu haben."
Le Mal du Pays aus Années de Pèlerinage – Première année : Suisse
K : Franz Liszt
CD 1, Tr. 11
Ragna Schirmer bedankt sich auf der letzten Seite ihres Tagebuchs für eine "Reise voller Erkenntnisse". Der Dank des Hörers gilt der Pianistin. Denn sie liefert mit ihrer neuen CD den Beweis, und das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis dieser Klangreise, dass es ihn tatsächlich gibt, den leisen Liszt. Er sollte nur viel öfter auftauchen im Konzertleben und auf CD.
Bis es soweit ist, kann man sich an Ragna Schirmers Gesamteinspielung der "Années de Pèlerinage" von Franz Liszt halten. Jetzt erschienen beim Label Berlin Classics.
Ragna Schirmer & amarcord
Label: Berlin Classics
Bestell-Nr.: 0300121BC
LC:06203
Wer Außergewöhnliches auf CD aufnehmen möchte, der ergreift mitunter außergewöhnliche Maßnahmen. So wie Ragna Schirmer. Bevor die Pianistin für ihr neuestes CD-Projekt ins Studio ging, ist sie zu einer Art Pilgerreise aufgebrochen. In die Schweiz und nach Italien, an all die Orte, zu all den Kunstwerken, von denen sich Franz Liszt einst inspirieren ließ für seinen Klavierzyklus "Années de Pèlerinage" – oder zu deutsch "Pilgerjahre".
Im Anschluss an ihre Reise hat Ragna Schirmer die "Années de Pèlerinage" auf CD eingespielt, und pünktlich zum 200. Liszt-Geburtstag ist die Aufnahme beim Label Berlin Classics erschienen. Dreifach-CD samt Ragna Schirmers Reisetagebuch stelle ich Ihnen heute vor. Am Mikrofon begrüßt Sie Jochen Hubmacher.
Orage aus Années de Pèlerinage – Première année : Suisse
K: Franz Liszt
CD 1 Tr. 6
"Orage", diesen Gewittersturm aus Noten finden wir im ersten, dem Schweizer Jahr der "Années de Pèlerinage". Schwere Unwetter wird Franz Liszt mehrfach erlebt haben, als er die Alpen bereiste. Doch ein Zitat von Lord Byron, das dem Stück vorangestellt ist, deutet an: Hier finden wohl auch heftige Gefühlsstürme ihren Ausdruck. Und mit denen kannte sich Liszt schon in jungen Jahren ebenfalls bestens aus.
Das Booklet der neuen CD von Ragna Schirmer ist eine Mischung aus Reiseführer und persönlichem Reisetagebuch mit Fotos und Notizen der Pianistin. Eine Wolke samt zuckendem Blitz hat Ragna Schirmer mit rotem Stift genau dort hingemalt, wo sie sich mit dem Stück "Orage" beschäftigt. Als wollte die Pianistin damit deutlich machen, dass hier etwas Theaterdonner angebracht ist. Ansonsten setzt Ragna Schirmer dieses musikalische Stilmittel bei ihrer Gesamteinspielung der "Années de Pèlerinage" wohltuend dosiert ein.
Ihr geht es bei ihrer Aufnahme nicht um Testosteron gesättigte Klavierakrobatik, die im Liszt-Jubiläumjahr schon reichlich auf den Plattenmarkt geworfen wurde. Ragna Schirmer ist hörbar auf der Suche nach dem leisen Liszt, der im Musikbetrieb eher selten auftaucht.
"Viele Veranstalter scheuen sich zum Beispiel auch. Wenn man Liszt aufs Programm setzt, heißt es, ach das ist immer laut und schnell, und das ist es eben gerade nicht. Und wenn man sich schon zu einem solchen Jubiläum dann mit einem Komponisten so intensiv beschäftigt und sagt, ich reihe mich ein in all diejenigen, die jetzt hier die Geburtstagskerzen anzünden, dann muss man diese Chance nutzen, um auch mal Seiten eines Komponisten zu beleuchten, die gerade in einem Fall wie bei Franz Liszt, der sehr einseitig wahrgenommen wird, nocht nicht so bekannt sind. Was mich immer fasziniert hat, war zum Beispiel Alfred Brendel, der ja sich so wahnsinnig viele Gedanken über Musik gemacht hat und auch in seinem Buch "Nachdenken über Musik" dann festgehalten hat, schreibt in diesem Buch hauptsächlicher über Beethoven, Schubert und Liszt. Das hat mich schon als Teenager immer sehr gewundert, weil ich natürlich auch so die heiligen Komponisten auf der einen Seite und Franz Liszt war immer so derjenige, den man dann als Zugabe spielte, weil da die Leute klatschen. Und dass der eben auch diese Tiefe hat und dass der eben auch diese Seiten hat, die es zu erforschen gilt und die man in ihrem ganzen Ausmaß gar nicht ahnen kann, das erfährt man dann erst viel später und gerade das rauszustellen, war mir so wichtig."
Eine diese unscheinbaren Kostbarkeiten ist die Pastorale aus dem ersten Jahr der "Années de Pèlerinage". Ein Stück, das maximalen Charme entfaltet, bei minimalem Einsatz musikalischer Mittel. Ragna Schirmer stellt dazu in ihrem Reisetagebuch treffend fest: "Wie bezaubernd, wenn Liszt schlicht wird"
Pastorale aus Années de Pèlerinage – Première année : Suisse
K: Franz Liszt
CD 1, Tr. 3
Bis die "Années de Pèlerinage" in ihrer heute bekannten Form vorliegen, vergeht fast ein halbes Jahrhundert. Immer wieder überarbeitet Liszt seinen Klavierzyklus und fügt neue Stücke hinzu. Wie ein lebendiger Organismus wachsen die "Années de Pèlerinage" nach und nach auf drei Teile beziehungsweise drei Jahre an. Gut zu erkennen, wie sich dabei auch Liszts Kompositionsstil weiterentwickelt und oft schon in die Zukunft weist. Im dritten und letzen Jahr der "Années de Pèlerinage" etwa verarbeitet Liszt Eindrücke aus dem Park der Villa d'Este bei Rom. Seine lautmalerische Vertonung der dortigen Wasserspiele stößt die Tür weit auf in Richtung Impressionismus.
Für Ragna Schirmer klärte sich speziell bei diesem Stück erst vor Ort eine wichtige Interpretationsfrage.
"Die Wasserspiele der Villa d'Este, man denkt beim Einstudieren warum ist das nicht alles pianissimo, das muss doch plätscherndes Wasser sein, warum schreibt er forte oder gar fortissimo, Wasserspiele sind doch was leises, Tropfen, plätscherndes so. Und dann kommt man da hin und dann sind das riesige Fontänen, Hunderte davon. Man kann sein eigenes Wort kaum verstehen. Das ist richtig laut dort und das ist dann was völlig anderes und dann versteht man das Stück auch anders."
Les jeux d'eaux à la Villa d'Este aus Années de Pèlerinage – Troisième année
K : Franz Liszt
CD 3, Tr. 5
"Asciugate i begli occhi"
K: Carlo Gesualdo
amarcord
CD 3, Tr 6
Zum Konzept von Ragna Schirmers Gesamteinspielung der "Années de Pèlerinage" gehören auch Renaissance-Madrigale von Carlo Gesualdo und Luca Marenzio. Sie durchbrechen immer wieder die gewohnte Dramaturgie des Klavierzyklus'. Was beim ersten Hören vielleicht etwas willkürlich erscheint, ergibt durchaus Sinn. Denn Liszt hat sich während seiner Reisen intensiv mit Kunst und Literatur der Renaissance auseinandergesetzt. Besonders im zweiten Teil seiner Années de Pèlerinage hinterließ diese Beschäftigung deutliche Spuren. Liszt vertonte hier Sonette von Francesco Petrarca, genauso wie Marenzio Jahrhunderte zuvor. Ein Stück trägt den programmatischen Titel "Après une lecture de Dante", also "nach einer Dante-Lektüre". Und zwei andere, "Sposalizio" und "Il Penseroso", beziehen sich auf Kunstwerke von Raffael und Michelangelo.
Inhaltliche Querverbindungen sind also reichlich vorhanden, und die letzten Zweifel, ob diese akustischen Abstecher in die Renaissance tatsächlich notwendig sind, zerstreut das Leipziger Vokalenensemble amarcord mit gewohnt atemberaubender Klangschönheit.
"Amor, i'ho molti"
K: Luca Marenzio
CD 2, Tr. 4
"Dies ist mir das liebste Stück von allen", schreibt Ragna Schirmer in ihrem Reisetagebuch und meint damit: "Le Mal du Pays", zu deutsch "Heimweh" aus dem ersten Jahr der "Années de Pèlerinage". Im Deutschlandfunk-Interview erklärt sie warum.
"Heimweh kann ja auch eine sehr intime Aussage sein. Deswegen ist mir das so lieb, weil er diese intime Aussage in meinen Augen tatsächlich macht mit diesem Stück. Fühlte er sich als Ungar oder als Deutscher? In der Schweiz Heimweh zu haben, was hieß das für ihn? Und dann hab' ich entdeckt, dass er da wahrscheinlich ein ungarisches Volkslied ganz langsam und ganz stilisiert verwendet in diesem Stück und dann glaubt man natürlich in solchen Momenten schon eine Charakterwelt eines Komponisten gefunden zu haben und sich dem wirklich angenähert zu haben."
Le Mal du Pays aus Années de Pèlerinage – Première année : Suisse
K : Franz Liszt
CD 1, Tr. 11
Ragna Schirmer bedankt sich auf der letzten Seite ihres Tagebuchs für eine "Reise voller Erkenntnisse". Der Dank des Hörers gilt der Pianistin. Denn sie liefert mit ihrer neuen CD den Beweis, und das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis dieser Klangreise, dass es ihn tatsächlich gibt, den leisen Liszt. Er sollte nur viel öfter auftauchen im Konzertleben und auf CD.
Bis es soweit ist, kann man sich an Ragna Schirmers Gesamteinspielung der "Années de Pèlerinage" von Franz Liszt halten. Jetzt erschienen beim Label Berlin Classics.