Die unterschiedlichen Beiträge des Buches "Generation als Erzählung" befassen sich mit der Definition eines gängigen Begriffes. Welche Logik verbindet sich mit dem Wort Generation? Wann macht es überhaupt Sinn, von einer zu sprechen? Und wie entstehen Generationserzählungen?
"Zwei Arten des Welterlebens standen sich hierbei einander gegenüber und errangen von zwei Seiten her den Zugang zum Thema. Der erste Weg sah sein Ideal in der Quantifizierbarkeit der Problematik: Er suchte die Grenzdaten des Menschseins zu erfassen. Der andere Weg hatte einen qualitativen Zugang, verzichtete auf das mathematische Tageslicht (...)"
Der Soziologe Karl Mannheim definierte bereits in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Wort Generation. Seine Begriffsbestimmung verbindet prägende biografische Erlebnisse mit Geburtsjahrgängen.
An diese Definition knüpft das erste Kapitel des Buches "Generation als Erzählung" an. Es geht unter anderem um traumatische Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. In diesem Kapitel erforschen verschiedene Soziologen, wie spezifische Erfahrungen im individuellen Leben Fixpunkte schaffen, die etwas Allgemeines haben.
Ob es um Bombenangriffe oder das Abgrenzen der 68er von der Kriegsgeneration geht, stets sind es Menschen übereinstimmender Jahrgänge, die eine geschichtliche Situation ähnlich erlebt haben. Die Autoren machen auch klar, dass Generationserzählungen dazu dienen können, das individuelle Dasein als sinnvolle Lebensgeschichte zu begreifen.
Der Soziologe Björn Bohnenkamp interessiert sich nicht nur für das, was erzählt und wie das Erzählte mit Zahlen in Zusammenhang gebracht wird, sondern auch dafür, wie Plotstrukturen entstehen, welche narrativen Konzepte die Befragten haben. Anhand von Fallstudien und Interviews entstehen unterschiedlichste Erzählweisen. Diese verbinden stets Geschichten und Akteure in einer bestimmten zeitlichen Struktur. Bohnenkamp zeigt, wie aus einer Welt von Protagonisten, Konfliktsituationen und Zahlenlogik Generationen konstruiert werden.
"Generation als Mytho"s heißt eine Kapitelüberschrift im mittleren Teil des Buches. Denn eine Generation kann auch vom Ursprung her bestimmt werden. Die Herkunft ist dann der entscheidende Faktor, der Punkt, von dem aus die Erzählungen beginnen. So wird in der Bibel erzählt. Wörter wie Vater und Abstammung bestimmten im Wesentlichen die Folge. Diese Art der Darstellung übernahmen große Familienunternehmen, wo Kapital von Generation zu Generation weitervererbt wurde. Und Thomas Mann hat aus diesem Erzählmuster seinen Roman "Buddenbrooks" gebaut.
"Unzählige Menschen in der modernen Gesellschaft bringen eine schwache Constitution, die sie wenig widerstandsfähig gegen schädliche Einflüsse aller Art macht, mit auf die Welt. Diese nervöse Constitution ist in der Regel eine vererbte. Das gewaltige Gesetz der Vererbung, das in der ganzen organischen Natur bestimmend eingreift, hat eine eminente Bedeutung auf dem Gebiet des Nervenlebens."
"Erbangelegenheiten" hat die Soziologin Katrin Max ihren Beitrag überschrieben, in dem sie analysiert, wie Thomas Mann eine Generationserzählung mit Erbtheorien in Einklang bringt und so einen Generationsbegriff, der mit Abstammung und Vererbung in Zusammenhang steht, um die Wörter Aufstieg und Fall erweitert.
Eine Generationserzählung kann sowohl auf die Vergangenheit als auch die Zukunft bezogen dargestellt werden. Denn die Frage ist nicht nur, wie entsteht, sondern auch, was bewirkt sie. Diese These aus dem dritten Kapitel lässt sich am Beispiel der 68er am besten nachvollziehen. Emanzipation, ökologische Erneuerung, Bildungsreform, das alles sind die bis in die heutige Zeit reichenden Folgen.
Michael Ostheimer beschäftigt sich mit dem Gegenteil des Erzählens - dem Schweigen. Gerade das, was nicht erzählbar ist, sei das Spezifische, so seine These. Kriegserlebnisse traumatisieren, und die Sprachlosigkeit sei die eigentlich kollektive Erfahrung. So entsteht nach seiner Auffassung die Frage, ob nicht Orte und Symbole typischer sind als individuell erwähnte oder verschwiegene Erfahrungen.
Generation ist ein Begriff, der viele Aspekte bündelt und unterschiedlichste narrative Elemente aufweist. Dies zeigen die Beiträge des Buches sehr gut. Leider beschäftigen sich die meisten Autoren zu sehr mit vergangenen Jahrzehnten. Denn gerade in den letzten Jahren wurde der Begriff Generation häufig und in vielen Zusammenhängen gebraucht. Die Soziologin Christina May ist die Einzige, die in ihrem Beitrag die Gegenwart stets im Blick hat. Sie weist darauf hin, dass es in heutiger Zeit oft weniger um gemeinsame Erfahrungen, sondern eher um Meinungen geht, wenn von einer Generation die Rede ist.
Wer sich für die vielen Möglichkeiten, das Wort Generation zu definieren, interessiert, für den wird dieses Buch inspirierend sein.
Generation als Erzählung - Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster
Herausgegeben von Björn Bohnenkamp, Till Manning und Eva-Marie Silies
Wallstein Verlag, Göttingen, 2009
262 Seiten, 29,90 Euro
"Zwei Arten des Welterlebens standen sich hierbei einander gegenüber und errangen von zwei Seiten her den Zugang zum Thema. Der erste Weg sah sein Ideal in der Quantifizierbarkeit der Problematik: Er suchte die Grenzdaten des Menschseins zu erfassen. Der andere Weg hatte einen qualitativen Zugang, verzichtete auf das mathematische Tageslicht (...)"
Der Soziologe Karl Mannheim definierte bereits in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Wort Generation. Seine Begriffsbestimmung verbindet prägende biografische Erlebnisse mit Geburtsjahrgängen.
An diese Definition knüpft das erste Kapitel des Buches "Generation als Erzählung" an. Es geht unter anderem um traumatische Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. In diesem Kapitel erforschen verschiedene Soziologen, wie spezifische Erfahrungen im individuellen Leben Fixpunkte schaffen, die etwas Allgemeines haben.
Ob es um Bombenangriffe oder das Abgrenzen der 68er von der Kriegsgeneration geht, stets sind es Menschen übereinstimmender Jahrgänge, die eine geschichtliche Situation ähnlich erlebt haben. Die Autoren machen auch klar, dass Generationserzählungen dazu dienen können, das individuelle Dasein als sinnvolle Lebensgeschichte zu begreifen.
Der Soziologe Björn Bohnenkamp interessiert sich nicht nur für das, was erzählt und wie das Erzählte mit Zahlen in Zusammenhang gebracht wird, sondern auch dafür, wie Plotstrukturen entstehen, welche narrativen Konzepte die Befragten haben. Anhand von Fallstudien und Interviews entstehen unterschiedlichste Erzählweisen. Diese verbinden stets Geschichten und Akteure in einer bestimmten zeitlichen Struktur. Bohnenkamp zeigt, wie aus einer Welt von Protagonisten, Konfliktsituationen und Zahlenlogik Generationen konstruiert werden.
"Generation als Mytho"s heißt eine Kapitelüberschrift im mittleren Teil des Buches. Denn eine Generation kann auch vom Ursprung her bestimmt werden. Die Herkunft ist dann der entscheidende Faktor, der Punkt, von dem aus die Erzählungen beginnen. So wird in der Bibel erzählt. Wörter wie Vater und Abstammung bestimmten im Wesentlichen die Folge. Diese Art der Darstellung übernahmen große Familienunternehmen, wo Kapital von Generation zu Generation weitervererbt wurde. Und Thomas Mann hat aus diesem Erzählmuster seinen Roman "Buddenbrooks" gebaut.
"Unzählige Menschen in der modernen Gesellschaft bringen eine schwache Constitution, die sie wenig widerstandsfähig gegen schädliche Einflüsse aller Art macht, mit auf die Welt. Diese nervöse Constitution ist in der Regel eine vererbte. Das gewaltige Gesetz der Vererbung, das in der ganzen organischen Natur bestimmend eingreift, hat eine eminente Bedeutung auf dem Gebiet des Nervenlebens."
"Erbangelegenheiten" hat die Soziologin Katrin Max ihren Beitrag überschrieben, in dem sie analysiert, wie Thomas Mann eine Generationserzählung mit Erbtheorien in Einklang bringt und so einen Generationsbegriff, der mit Abstammung und Vererbung in Zusammenhang steht, um die Wörter Aufstieg und Fall erweitert.
Eine Generationserzählung kann sowohl auf die Vergangenheit als auch die Zukunft bezogen dargestellt werden. Denn die Frage ist nicht nur, wie entsteht, sondern auch, was bewirkt sie. Diese These aus dem dritten Kapitel lässt sich am Beispiel der 68er am besten nachvollziehen. Emanzipation, ökologische Erneuerung, Bildungsreform, das alles sind die bis in die heutige Zeit reichenden Folgen.
Michael Ostheimer beschäftigt sich mit dem Gegenteil des Erzählens - dem Schweigen. Gerade das, was nicht erzählbar ist, sei das Spezifische, so seine These. Kriegserlebnisse traumatisieren, und die Sprachlosigkeit sei die eigentlich kollektive Erfahrung. So entsteht nach seiner Auffassung die Frage, ob nicht Orte und Symbole typischer sind als individuell erwähnte oder verschwiegene Erfahrungen.
Generation ist ein Begriff, der viele Aspekte bündelt und unterschiedlichste narrative Elemente aufweist. Dies zeigen die Beiträge des Buches sehr gut. Leider beschäftigen sich die meisten Autoren zu sehr mit vergangenen Jahrzehnten. Denn gerade in den letzten Jahren wurde der Begriff Generation häufig und in vielen Zusammenhängen gebraucht. Die Soziologin Christina May ist die Einzige, die in ihrem Beitrag die Gegenwart stets im Blick hat. Sie weist darauf hin, dass es in heutiger Zeit oft weniger um gemeinsame Erfahrungen, sondern eher um Meinungen geht, wenn von einer Generation die Rede ist.
Wer sich für die vielen Möglichkeiten, das Wort Generation zu definieren, interessiert, für den wird dieses Buch inspirierend sein.
Generation als Erzählung - Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster
Herausgegeben von Björn Bohnenkamp, Till Manning und Eva-Marie Silies
Wallstein Verlag, Göttingen, 2009
262 Seiten, 29,90 Euro