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Auf der Suche nach den ersten Briten

Paläoanthropologie.- Im sogenannten AHOB-Projekt rekonstruieren Paläoanthropologen, Geologen, Archäologen und Isotopenspezialisten seit mehr als zehn Jahren die Besiedlungsgeschichte der britischen Insel. Nun gibt es den ersten groben Überblick über die zahlreichen Versuche, Großbritannien dauerhaft bewohnbar zu machen.

Von Michael Stang |
    Die Suche nach den ersten Briten sei auch für ihn auch eine Art Suche nach der eigenen Geschichte, der eigenen Identität, sagt Chris Stringer. Der Paläoanthropologe vom Naturhistorischen Museum in London leitet seit mehr als zehn Jahren das AHOB-Projekt.

    "Am Anfang stand der Versuch, die Besiedlungsgeschichte Britanniens während der Altsteinzeit zu dokumentieren. Denn es gab einfach keine zusammenhängende Daten, wann, wie, und vom wem die Insel besiedelt wurde, und ob und wie diese ganzen Populationen miteinander verwandt sind."

    Zu Beginn der Forschungen nahmen sich die britischen Forscher berühmte Ausgrabungsstätten vor, wie etwa Boxgrove in Südengland, das vor mehr als 500.000 Jahren von Menschen besiedelt wurde, die unter anderem Steinwerkzeuge herstellten. Neben der Durchsicht alter Dokumente, wurden alte Funde neu datiert, neue Siedlungsplätze entdeckt und systematisch alle Informationen der zahlreichen Ausgrabungsstätten unterschiedlicher Zeiten in einer Datenbank gesammelt.

    "Wir haben dann eine Art Kalender erstellt, wo man genau sehen kann, wann Britannien besiedelt war und wann nicht. Letztendlich war es eine Aneinanderreihung von Episoden. Grob haben wir alle 100.000 Jahre eine Besiedlungsphase, die älteste liegt bei rund 900.000 Jahren. Doch dann kam eine Eiszeit und die Menschen verschwanden alle. Und wieder 100.000 Jahre später gab es erneut eine Besiedlung von Kontinentaleuropa aus."

    Zeigte sich das Klima von seiner milden Seite, wurde die Insel rasch besiedelt. Doch dann wurde es im Laufe der Jahrtausende wieder kälter und auch die Neuankömmlinge gaben irgendwann auf.

    "Und dieses Szenario wiederholte sich immer wieder. Selbst als sich Vertreter von Homo sapiens vor gut 40.000 Jahren nach den Neandertalern in Britannien niedergelassen hatten, haben sie dieses Gebiet wieder verlassen. In der Zeit vor 20.000 bis 25.000 Jahren sind sämtliche archäologischen Hinterlassenschaften verschwunden. Erst später, vor etwa 15.000 Jahren, gab es wieder eine Neubesiedlung."

    Diese stetige Wiederbesiedlung sei vermutlich ein typisches Szenario für die Menschheitsgeschichte, nicht nur für diese Insel. An ihrem Beispiel können sie nun erstmals zeigen, wie Landschaften genutzt und wieder verlassen wurden. Man könne also mitnichten von einer Konstanz sprechen, mahnt Chris Stringer.

    "Wir gehen davon aus, dass es mindestens acht Neubesiedlungen gab, was eine unglaublich hohe Zahl ist. Mithilfe dieses Projekts haben wir wirklich eine neue Sichtweise auf die Geschichte der Menschen in Britannien geschaffen."

    Eine oft unterstellte Stringenz oder gemeinsame Geschichte der frühen Briten gibt es also nicht, viele ehemalige Siedler sind nicht einmal entfernt mit den heutigen Briten wie ihm, Chris Stringer, verwandt. Er konnte nun die Finanzierung des Projekts für weitere drei Jahre sichern. An Aufgaben mangelt es nicht. Die nächste Zielsetzung sind Untersuchungen in East Anglia, in der Gegend um Norfolk und Suffolk an der Ostküste. Dort gibt es Hinweise auf die frühesten Besiedlungen Britanniens überhaupt, die möglicherweise vor mehr als 900.000 Jahren entstanden sind.