"Diese Teresa von Avila ist ein unruhiges, ungehorsames und verstocktes Weibsbild, das unter dem Vorschein der Frömmigkeit verkehrte Lehren erfand und andere wie eine Lehrmeisterin belehrt – obwohl der Heilige Paulus anordnete, dass Frauen nicht lehren sollen." (Nuntius Sega)
"Teresa war von Anfang an ein Mensch, der unglaublich eigenständig dachte, ein Mensch, den man wirklich als Genie bezeichnen kann. Sie war eine hoch begabte Mystikerin, deren Werke wir Gott sei Dank bis heute haben." (Veronika Schmitt, Karmelitin)
"Teresa hat sich immer frei gefühlt. Es war keine absolute Freiheit. Sie wusste sehr genau um die Macht der Intrigen und um die Grenzen, denen sie als Mensch und vor allem als Frau unterworfen war. Aber sie hatte eine große innere Freiheit, und das war eine Folge ihrer tiefen Beziehung zu Gott." (Emilio Martinez, spanischer Theologe und Karmeliter)
"Durch eine Art geheimen Anhauch gewahrt man deutlich, dass es Gott ist, der unserer Seele Leben gibt. Dieser Anhauch ist oft so stark, dass überhaupt nicht daran zu zweifeln ist. Die Seele fühlt es genau. Gott weilt in ihrem Innersten, in der aller innersten Mitte, in einer Tiefe, die man nicht beschreiben kann." (Teresa von Avila)
Teresa von Avila schildert in ihrem literarischen Hauptwerk, der "Inneren Burg" – "Castillo Interior" – die mystische Grunderfahrung ihres Lebens. Dabei empfiehlt sie einen Weg zur Begegnung mit dem Göttlichen, der im Spanien des 16. Jahrhunderts als revolutionär gilt: Er heißt Kontemplation oder inneres Gebet.
"Hier wirkt Gott alles, über unsere Natur hinaus. Er hebt die Tätigkeit unseres Verstandes auf und bindet die Gedanken. Der Wille des Betenden ist dann versenkt in Freude." (Teresa von Avila)
Was in Teresas Schriften nahezu selbstverständlich klingt, ist in der Praxis schwer errungen. Als die 1515 in Avila geborene Adelige sich mit 20 Jahren entschließt, in das Karmelitinnen-Kloster "Monasterio de Encarnacion" einzutreten, ist sie verzweifelt auf der Suche nach Orientierung. Wie viele ihrer Zeitgenossen hat auch die junge Teresa panische Angst vor der Hölle. Sie sehnt sich nach direkten Erfahrungen mit Gott, jenseits aller kirchlichen Lehrsätze und Furcht einflößenden Dogmen. Der spanische Theologe und Karmeliter Emilio Martinez:
"Teresa ist ein Kind ihrer Zeit. Spanien erlebt im 16. Jahrhundert, nach dem Ende der Kämpfe gegen die Mauren, eine Phase der Neuorientierung. Man fragt nach der eigenen Identität, auch in der Religion. Erstmals tritt die persönliche Spiritualität in den Vordergrund, die Gewissens-Verantwortung jedes einzelnen in Glaubens-Fragen. Neue Strömungen wie die Devotio Moderna entstehen. Gedanken großer Humanisten wie die eines Erasmus von Rotterdam werden von spanischen Humanisten aufgenommen. Teresa wird von all diesen Ideen, die in der Luft liegen, beeinflusst. Zwar darf sie als Frau nicht studieren, aber sie verschlingt alle Bücher zu diesen Themen, die sie bekommen kann."
Sowohl spanische Franziskaner als auch Dominikaner streben schon seit dem 15. Jahrhundert Reformen ihrer Klöster an, um dort mehr Raum für Spiritualität zu schaffen. 1540 gründet Ignatius von Loyola den Jesuiten-Orden, der auf besondere Weise die Kontemplation mit praktischem Einsatz verbindet. Darüber hinaus finden geistliche Aufbruch-Bewegungen wie die sogenannte "Alumbrados" großen Zustrom im Volk. Auch sie suchen nach einer Erneuerung des religiösen Lebens durch mehr Innerlichkeit. Einige Gruppierungen führen aber bald ein Eigenleben, das kirchliche und staatliche Autoritäten alarmiert.
"Manche dieser Gruppen erklären dem Volk, dass es die Kirche nicht mehr brauche, um mit Gott in Kontakt zu kommen. Dadurch werden sie der Inquisition verdächtig. Auch die spanische Krone sieht in ihnen eine Gefahr: Sie könnten die Moral, die Werte, die Ordnung untergraben. Denn die entscheidende Frage lautet: Wenn jeder Mensch fähig ist, Gottes Gegenwart zu erfahren und zu predigen, wer legt dann noch Regeln fest? Und in der Tat wächst im Spanien des 16. Jahrhunderts die Zahl der Gruppierungen, in denen Prediger einfache Leute von sich abhängig machen. Vor allem ungebildete Frauen sind solchen Scharlatanen hilflos ausgeliefert." (Emilio Martinez)
Immer öfter sieht die Inquisition Grund einzuschreiten. Zahllose Alumbrados – Männer ebenso wie Frauen – werden als Häretiker verurteilt. Um Herr der Lage zu bleiben, greift die Inquisition in Spanien durch: Sie untersagt spirituelle Bücher in der Landessprache sowie Übersetzungen von Bibeltexten. Eine gängige Begründung formuliert der Dominikaner Melchior Cano:
"Nicht-studierten Laien kann es sehr schaden, wenn man ihnen die Heilige Schrift in der Muttersprache in die Hände gibt. Es ist schlimm genug, dass das einfache Volk und sogar Frauen mit unersättlicher Begierde nach solchen Früchten verlangen. Umso notwendiger ist es, mit dem feurigen Schwert zu verhindern, dass sie daran kommen."
Vor diesem Hintergrund gleicht Teresas Streben nach eigenen Erfahrungen mit Gott einer gefährlichen Grat-Wanderung. Die junge Ordensfrau spürt zunehmend eine Kraft, die vom stillen, inneren Gebet ausgeht, das sie pflegt. Sie hat erste Visionen, weiß ihre Erfahrungen aber nicht einzuordnen. Irritiert fragt die Spanierin diverse Theologen und Beichtväter um Rat, muss aber immer wieder enttäuscht erkennen, wie begrenzt deren spirituelle Kompetenz ist. Manche halten sie für verwirrt, andere behaupten gar, sie sei Einflüsterungen des Teufels verfallen.
"Ich konnte oft nur noch weinen. Das ging ziemlich lange so. Ich erlebte mich in einem solchen Zustand, dass ich nicht wusste, was tun – außer die Augen zum Herrn erheben. Denn Widerstand von guten Menschen – Beichtvätern und Theologen – gegen ein so erbärmliches, schwaches Weiblein wie mich und obendrein ängstlich, ist eine der schwersten Prüfungen."
Im Hintergrund dieses Widerstandes steht nicht zuletzt der mangelnde Respekt, den die spanische Männer-Welt des 16. Jahrhunderts ganz allgemein gegenüber Frauen zeigt. Frauen gelten in fast jeder Hinsicht als minderwertig. Teresa empfindet es deutlich:
"Oft heißt es dann: Auf dem Weg des inneren Betens drohen Gefahren... das schadet der Tugend... das ist nichts für Frauen... da kommen ihnen nur Illusionen... die sollen lieber spinnen... solche Leckerbissen brauchen die nicht... für Frauen reicht das Vater Unser und das Ave Maria."
Dass Teresa trotz all dieser Hindernisse ihren Weg findet, verdankt sie nicht zuletzt der fachkundigen Beratung durch einige Jesuiten, die sie ab 1554 kennenlernt. Sie öffnen ihr in Avila die Türen zu jenen theologischen Reform-Kreisen, in denen aufgeschlossene Schultheologen – "intelectuales" – und Mystiker – "e-spirituales" – das Gespräch suchen. Hier begegnet Teresa erstmals Gleichgesinnten. Es sind Theologen aus diesem Kreis, die sie schließlich auffordern, ihre geistigen Erfahrungen schriftlich festzuhalten. Sie verfasst ein erstes Buch über ihr Leben, die "Vida". 1565 wird es vom Dominikaner Pedro Ibanez im Auftrag der Inquisition geprüft. Er urteilt:
"Gott hat dieser Frau einen so starken Mut gegeben, dass es einen erstaunt. Zuerst war sie ängstlich, jetzt ist sie über alle bösen Geister erhaben. Von allen typisch weiblichen Kindereien ist sie weit entfernt. Sie ist äußerst geradlinig."
Schritt für Schritt gewinnt Teresa immer tieferes Vertrauen in ihre mystischen Wahrnehmungen. Sie erkennt:
"Wer Gott sucht, braucht keine Flügel. Er soll nur still in sein Inneres schauen. Dort wird er ihn finden. Das Innere des Menschen ist wie ein Kristall, in dessen Mitte Gott wie eine alles durchdringende Sonne wohnt. Das Tun des Menschen wird nicht wirksam, wenn seine Taten nicht aus dieser Mitte stammen."
Nach Jahrzehnten des ängstlichen Ringens, in denen sie auch schwerste, fast tödliche Krankheiten durchstehen muss, spürt Teresa nun eine nie zuvor gekannte Freiheit. Rund 400 Jahre vor dem Entstehen der modernen Tiefenpsychologie erfährt die spanische Mystikerin, dass die bedingungslose Aufgabe des eigenen "Ichs" den Menschen zu seinem wahren "Selbst" führt. Letztlich gehe es um einen Prozess des psychologischen und spirituellen Reifens, überlegt die Karmelitin Veronika Schmitt.
"Dieses 'Vom eigenen Ich los kommen', man muss ganz klar sagen, das ist ein lebenslanger Prozess. Johannes vom Kreuz, der Mitbegründer unseres Ordenszweigs, spricht davon, dass der Mensch Nächte durchleben muss, das heißt seine Vorstellungen von sich selber, von Gott müssen alle zerbrechen, weil er Vorstellungen hat, die Gott gar nicht gerecht werden, weil der Mensch Reifungs-Prozesse durchleben muss. Und diese Prozesse schildert Teresa von Avila auf ihrem Weg in die sogenannte 'Seelenburg'."
"Gott ist die höchste Wahrheit. Es ist richtig, dass wir nichts Gutes aus uns selbst heraus haben, sondern nur Armseligkeit und Nichtigkeit. Je mehr man das aber begreift, desto mehr wandelt man in der höchsten Wahrheit. Möge Gott uns die Gnade erweisen, nie vor solcher Selbsterkenntnis davon zu laufen."
Das Aufgeben beziehungsweise Sterben des eigenen Ichs spielt in der christlichen Mystik von jeher eine zentrale Rolle. Schon im 5. Jahrhundert empfiehlt Dionysios Areopagita in Kleinasien:
"Wenn du dich mit der mystischen Schau beschäftigst, lass alles hinter dir zurück, was wahrgenommen und gedacht wird, und brich auf, um eins zu werden mit dem, was mehr ist als alles Sein und Erkennen."
Teresa drückt es so aus:
"Es ist ganz gewiss, dass der Herr, wenn wir uns aus Liebe zu ihm von allem Kreatürlichen losmachen, uns mit sich selber ausfüllen wird."
Interessanterweise findet man ähnliche Vorstellungen auch in den mystischen Traditionen anderen Religionen, etwa im Buddhismus oder im Islam.
"Teresa von Avila hat da ein Motiv, ein Symbol aufgegriffen, das es in der Spiritualitätsgeschichte sehr viel früher schon gab, ein Gedankengut, das aus dem Osten kam, wo das Mysterium erfahren wird und wo diese Erfahrung ganz anders in den Blick genommen wurde als im Westen." (Veronika Schmitt)
Spanien, das Jahrhunderte lang von muslimischen Mauren beherrscht wurde, war im Mittelalter ein Schnittpunkt östlicher und westlicher Spiritualität. Wie viel Teresa über die orientalischen Einflüsse auf die spanische Kultur wusste, ist bisher kaum erforscht. Man darf aber annehmen, dass Parallelen zwischen den Gedanken der Spanierin und den Erfahrungen muslimischer Mystiker mehr als Zufall sind.
"Stirb deinem Ich und komm zum Leben aus Gott. Wer sich mit ihm vereinigt, muss sich ganz loslassen. Lass deine Seele im Feuer der Liebe entbrennen und brenne damit alle deine Gedanken und Worte weg."
Schreibt der orientalische Sufi Jelaladdin Rumi. Teresa schildert in der Inneren Burg die "mystische Vereinigung der Seele mit Gott":
"Wenn die Seele entbrannt ist und sich verzehrt, geschieht es oft, dass sie so etwas wie ein feuriger Pfeil trifft. Was es auch sein mag, man erkennt klar, dass es nicht aus unserer Natur kommen kann. Es verwundet zutiefst im Inneren der Seele. Dahinein schlägt dieser Blitz, der alles, was er Irdisches an unserer Natur findet, geschwind durchzuckt und in Staub verwandelt."
Sowohl bei Rumi als auch bei Teresa nimmt der Austausch mit dem Göttlichen ekstatische Dimensionen an. Spirituelle und erotische Motive verschmelzen.
"Gott spricht zu mir: Dein glühendes Bitten und dein ganzes Bemühen, mich zu erreichen, ist nichts anderes als meine Hände, die dich an mich ziehen. Und auf jeden deiner Schreie 'Oh mein Gott!' antworte ich hundertfach: 'Hier bin ich!' Meine Antwort gebe ich dir ohne Worte, aber du kannst sie vom Kopf bis in die Zehen spüren." (Jelaladdin Rumi)
"Der Schmerz, den ich empfand, als mich der Pfeil traf, war so stark, dass er mich Klagen ausstoßen ließ. Aber zugleich war die Zärtlichkeit, die dieser ungemein große Schmerz bei mir auslöst, so überwältigend, dass noch nicht einmal der Wunsch hochkommt, er möge vergehen, noch dass sich die Seele mit weniger begnügt als mit Gott." (Teresa von Avila)
"Die Mystik beschreibt Momente, in denen Gott den Menschen berührt. Für jeden, dem das widerfährt, hat es andere Konsequenzen. Teresa erlebt Visionen und Ekstasen. Aber all diese Details sind zweitrangig. Entscheidend ist: Ein Mystiker erfährt Gottes alles durchdringende Gegenwart. Die Mystik verbindet daher Menschen verschiedener Religionen."
Sagt der spanische Theologe Emilio Martinez.
"Wer sich Gott nähert und sich mit ihm verbindet, wird ein Geist mit ihm. Es ist dann, als weilte die Seele nicht mehr im Leibe. Da ist nur noch Geist. Diese geheimnisvolle Vereinigung vollzieht sich in der aller innersten Mitte der Seele, dort, wo Gott selber weilt."
Für Teresa besteht kein Zweifel, dass sie in ihrem Inneren dem Gott begegnet, den sie seit ihrer Jugend sucht. Das spornt sie an, ihre Erfahrungen in praktisches Engagement umzusetzen:
"Hierfür ist das Gebet da, das ist die Bestimmung dieser geistlichen Vereinigung: dass ihr immerfort Werke entsprießen, Werke!"
Konkret bedeutet dies für die Spanierin, dass sie zahllose Widerstände in Kirche und Gesellschaft überwindet, um den Karmeliter-Orden, in dessen Klöstern etliche Missstände herrschen, zu reformieren. Sie gründet 17 kontemplative Frauen-Klöster und ruft sogar einen neuen männlichen Ordenszweig ins Leben: die "Unbeschuhten Karmeliten". Alle Gründungen orientieren sich an einer klug ausgewogenen Ordensregel, die neben den alltäglichen Pflichten genügend Freiraum für das persönliche Gebet und die Kontemplation lässt:
"Sie hat versucht, ihre eigene Freiheit an ihre Mitschwestern weiter zu geben. Dazu dient nicht zuletzt die strenge Klausur in ihren Klöstern. Denn in der damaligen spanischen Gesellschaft ist die Klausur für Frauen der einzige Ort, an dem sie frei von jeder männlichen Bevormundung bleiben können." (Emilio Martinez)
Teresa gelingt es, einen Raum für die Begegnung mit Gott zu schaffen, der nicht einmal von kirchlichen Autoritäten angetastet werden kann. Und sie schärft allen Karmelitinnen ein:
"In die innere Burg Eurer Seele könnt ihr ohne Genehmigung der Oberen zu jeder Stunde hinein gehen. Habt ihr einmal die Freuden dieser Burg erfahren, werdet ihr in allen Dingen Ruhe finden. Denn die Hoffnung, in diese innere Burg zurückzukehren, kann Euch niemand rauben."
Freilich bleibt ein bitterer Beigeschmack. Denn die Freiheit, die Teresa in Gott findet, ist weitaus größer als die praktische Freiheit, die ihr die Kirche gewährt. Gegen Ende ihres Lebens beklagt sich die Mystikerin immer öfter über die Grenzen, die ihrem Wirken als Frau in der spanischen Gesellschaft gesetzt sind. Mehr als einmal wird sie verleumdet und bei der Inquisition verklagt. Auch ihre Klöster werden durch kirchenpolitische Machtkämpfe bedroht. Doch 1622, 40 Jahre nach ihrem Tod, wird der Vatikan Teresas Ideale durch ihre Heilig-Sprechung endgültig bestätigen. Und 1970 wird die Spanierin als erste Frau in der Geschichte zur "Kirchenlehrerin" ernannt.
"Der studierte Theologe soll sich nicht wundern, noch mögen ihm diese Dinge unmöglich erscheinen, sondern er bemühe sich, im Glauben zu erstarken und demütig zu werden, weil der Herr in dieser Wissenschaft – die Theologie – womöglich ein Weiblein weiser macht als ihn."