"In Cesenatico gibt es noch ein komplexes Fischereiwesen. Wir sind mindestens 100 Fischkutter, kleine und große. Nicht alle Fischer machen die selbe Arbeit. Die einen fangen Sardinen, wir sind züchten Cozze, Miesmuscheln."
Paolo Polini und ich sitzen auf seiner "Magía Blu", die direkt am Porto Canale von Cesenatico angelegt hat. Der weitgehend in den 60er und 70er-Jahren entstandene Badeort an der Adriatischen Riviera besitzt mit dem pittoresken Hafenkanal ein wahres Schmuckstück. Er soll von keinem geringerem als dem Renaissance-Genie Leonardo da Vinci entworfen worden sein. Paolo zwinkert mit den Augen ob dessen und lächelt nur. Nach 30 Jahren als "pescatore" hat er sich auf die Muschelzucht spezialisiert, denn sie lässt dem humorvollen Freizeitsänger mehr Zeit für das Privatleben.
"Ein paar Kilometer "offshore" haben wir unsere Muschelbänke. Während des Sommers fahren wir auch mit Touristen dort hinaus, erklären ihnen die Zucht, die Netze, fangen Fische mit ihnen. Die braten wir ‘alla marinara’ direkt an Board und dann wird gefeiert und gesungen."
Voilá! An Land zeigt mir Paolo am Ufer ein restauriertes kleines Stück der historischen Kaimauern. Es ist im Stadtplan als Fragment des Hafens von Leonardo da Vinci bezeichnet. Eine falsche Fährte oder ein erster Beweis, dass wirklich er den Kanal gebaut hat? Gerade als ich darüber rätsele, kommt Raoul Casadei mit seinem Sohn Mirko auf mich zu. Der Re, der König, des "Ballo Liscio"! So wird die populäre, von seinem Onkel bereit begründete Musik der Romagna genannt, zu der im Sommer gern auf den Plätzen getanzt wird. Bekannt geworden ist Raoul mit seinem "Orchestra Casadei" in den 70er und 80er-Jahren - mit adriatischen Sommerhits wie "Ciao Mare" oder "Romagna Capitale".
Nach der charmanten Improvisation der beiden, mache ich mich mit Touristikerin Cristina zu einer "Passegiata" auf.
Wir flanieren entlang des Hafenkanals mit all den Cafés, Restaurants, Lädchen und der 100jährigen Fischhalle landeinwärts. Vorher haben wir uns noch die "Porte Vinciane" angeguckt. Die modernen Fluttore bei den Molen am Meer schützen den Hafen vor Hochwasser. Die Bezeichnung "Vinciane" geht auf eine Vorläufer-Erfindung des Meisters da Vinci zurück.
Cristina bringt mich nun zu einem Mann, der alles über Leonardo, wie die Italiener ihn familiär nennen, und den Porto Canale weiß.
"Wir sind hier im Museo della Marineria, das direkt am Hafenkanal liegt. Er ist der Ursprung des heutigen Cesenatico. Es ist ein mittelalterlicher Hafenkanal, der bereits um 1300 hier gegraben wurde und der lebhafte Handelshafen von Cesena war, daher der Name Cesenatico. Für Jahrhunderte verschifften die Händler hier ihre Waren."
Davide Gnola ist der Direktor des Museums, das vom Leben am Adriatischen Meer erzählt.
Der Porto Canale ist also rund 200 Jahre vor dem Besuch Leonardos in Cesenatico anno 1502 entstanden! Wieso die Bewohner Cesena, die Cesenensi, gerade hier mitten an diesem flachen Strand einen Hafenkanal anlegten und ihre Waren wohl über Land transportieren, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Es gibt zwar archäologische Hinweise auf einen Kanal, erwähnt Gnola. Er verlief aber mehr in Richtung Ravenna und nicht in Richtung Cesena.
"Leonardo kam nicht zufällig hierher, sondern mit einem Auftrag von seinem Dienstherrn Cesare Borgia, der gerade die Romagna erobert hatte. Der kannte ihn aus Mailand und beauftragte ihn, wichtige Stätten seines neuen Herzogtums ‘zu besichtigen, zu vermessen und zu beurteilen’, wie Borgia in einem Brief an Leonardo schreibt."
Der Herzog hatte das 15 Kilometer landeinwärts gelegene Cesena zu seiner Hauptstadt erklärt. Dessen Handelshafen Cesenatico war also von außerordentlicher Bedeutung für Borgia. Leonardo fertigte bei seinem Besuch zwei Zeichnungen an. Eine Grundriss-Skizze des Porto Canale mit säuberlich eingetragenen Messdaten und eine Ansicht Cesenaticos von oben, die er von einer nicht mehr existenten Fortifikation am Kanal machte.
Die Darstellungen finden sich in Leonardos 7 x 9 cm kleinem Büchlein, in dem er alles auf seiner Inspektionsreise durch die Romagna notierte. Es liegt heute als "Codex L" im Institut Francais in Paris.
"Wir können aber nicht sagen, dass es schon ein Projekt, ein Plan war. Es sind Zeichnungen, Skizzen für ihn selbst, um sich zu erinnern. Und er notiert darunter, wie auch sonst, in Spiegelschrift: Cesenatico, am Tag des 6. September 1502, um 15.00 Uhr."
Es sind die ältesten bekannten Darstellungen von Cesenatico überhaupt.
Lange nach Leonardos Zeiten kam zum Handel im Hafen zunehmend die Fischerei hinzu. Davon erzählt "la parte gallegiante", der "schwimmende Teil" des Museo della Marineria im Hafenkanal. Dort wartet ein großes "Trabacolo da trasporto" auf Besucher. Um das alte Handelsschiff herum dümpeln weitere zehn, zwölf bunt bemalte historische, adriatische Fischerboote im Wasser.
Die Spuren des berühmten Malers, Ingenieurs, Erfinders, Forschers und Schriftstellers in einer Person, Leonardo da Vinci, führen mich nun nach Cesena. An der Barriera Cavour erwarten mich der Architekt und Leonardo-Kenner Pino Montalti und der Cesena-Spezialist Pier Luigi Bazzocchi.
"Die Barriera Cavour ist eine der wichtigsten Zugänge zur Altstadt und ist nach dem Mitbegründer Italiens, Conte Cavour benannt. Historisch gesehen ist es die Porta Mare. Auch Porta Cervese genannt, nach der am Meer liegenden Stadt Cervia."
Im Keller des Cafés von einem der beiden Torgebäude der ‘Barriera’ sind mittelalterliche Rudimente zu betrachten, was erst einmal Anlass genug ist, einen Espresso zu schlürfen. Dabei erzählt Architekt Pino Montalti:
<im_82391>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT SONNTAGSSPAZIERGANG Rocca</im_82391>"Diese Reste sind die unteren Teile des Stadtmauergürtels, den, unter anderem, Leonardo da Vinci 1502 gezeichnet und vermessen hat. Er hatte den Auftrag von Cesare Borgia, die Befestigungs- und Verteidigungsanlagen, das ganze militärische System der neuen Hauptstadt des Herzogtums, Cesena, zu erneuern."
Der Renaissance-Fürst, als skrupelloser Machtmensch Vorbild für Machiavellis "Il Principe", weilt zu dieser Zeit in Pavia in der Nähe von Mailand.
Leonardos Notizbüchlein, der erwähnte Pariser "Codex L", belegt seine Anwesenheit in Cesena ab dem 10. August bis um die Zeit seines Besuchs in Cesenatico am 6. September.
Wir spazieren nun auf der Via Barriera Ponente entlang. Hier begleitet uns die Stadtmauer oberirdisch. Früher umgeben von einem Graben, hatte sie eine Höhe von zehn bis zwölf Metern. Heute sind es immer noch vier bis sechs Meter. Sie umschließt auf knapp vier Kilometern Länge das Innere Cesenas und den Burgberg, die Rocca Malatestiana.
Nach seiner Vermessung der Stadtmauer hat Leonardo eine detaillierte Skizze in sein Reisebüchlein eingetragen. Gut ist darauf die sonderbare Form der Malatesta-Stadt zu erkennen. Ein Skorpion, worauf die Cesenensi besonders stolz sind. Eine Kopie davon hängt in der von der UNESCO 1996 mit dem Weltkulturerbe-Titel geadelten Biblioteca Malatestiana. Die Malatesta waren im Mittelalter die Herren Cesenas. Der letzte von ihnen, Novello, hat 1452 im damaligen Kloster San Francesco eine basilikaartige Bibliothek erbauen lassen, mit 29 Holzpulten und -bänken je Seitenschiff. Dort finden sich seit der Eröffnung mit zierlichen Kettchen an den Pulten befestigt, wertvollste Manuskripte.
"Hier sehen wir einen Codex, den Leonardo selber als eine von nur fünf Kopien besaß. Es ist das Werk des Waffenspezialisten Valturio aus der Zeit um 1450 und handelt von der "Kriegskunst". Vermutlich hat Leonardo hier in der Bibliothek Valturios für uns heute kuriose Kriegsmaschinen für seine in Cesena geplanten Arbeiten studiert."
Im Anschluss führt mich Pino Montalti zur "Portaccia". Es gab ursprünglich zwei dieser ehemals mit Wehrtürmen versehenen Wassertore, durch die der kleine Fluss Cesuola in die Stadt hinein- und wieder hinaus floss. In der Stadt ist er heute überbaut. An dem grün bewachsenen Tor tritt er wieder zu Tage.
"Auf Seite 2 seines Manuskripts sehen wir die Details der Portaccia. Ich habe seine Angaben nachgemessen vor einigen Jahren. Es besteht nur ein Unterschied von vielleicht zehn Zentimetern zwischen seinen und meinen Berechnungen. Seine sind noch genauer, da er oben auf dem Tor entlang gelaufen ist. Ich konnte die Portaccia nur von außen und innen messen". "
Die Kommune hat vor kurzem 150.000 Euro für die Restaurierung des Daches der vernachlässigten Portaccia bereitgestellt.
<im_82392>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT SONNTAGSSPAZIERGANG Hafen</im_82392>""Das Thema Wasser war enorm wichtig für Leonardo und seine Zeit. So sollte er auf Wunsch des Borgia einen schiffbaren Kanal zwischen Cesena und Cesenatico konstruieren. Eine geradezu pharaonische Aufgabe in seiner Epoche. Ein Plan dazu lässt sich in den Dokumenten nicht nachweisen. Aber wir finden in gewisser Art Vorarbeiten unter anderem im "Codex L" in Form von Entwürfen, zum Beispiel wie und mit welchen Maschinen man möglichst schnell Gräben ausheben kann."
Wie bei so vielen von Leonardos großartigen Projekten kam es nie zu einer Realisierung. Der Stern des Cesare Borgia begann mit dem Tod seines Vaters, Papst Alexander VI. im Jahre 1503, schnell zu verblassen und er musste die Romagna verlassen. Verwirklicht wurde vermutlich nur ein durch Zeichnungen im "Codex L" belegtes Projekt Leonardos auf der Rocca Malatestiana, das ein halbes Jahr nach seiner Abreise 1503 fertig gestellt wurde.
"Das hier oben auf der Burgmauer sind die Reste der "Bombardiere" von Leonardo, wo man die modernen Feuerwaffen, wie die gerade erfundenen Kanonen abschießen konnte. Zum Ablenken eventueller Kugeln des Feindes waren die Anlagen ursprünglich mit gerundeten Abdeckungen überbaut."
Von der Festung kann man gut über Stadt und Land schauen. Der Blick verliert sich in der dunstigen Ferne. Dort, wo Cesenatico und das Meer liegt und wo meine kleine Reise auf den Spuren Leonardo da Vincis begann.
Paolo Polini und ich sitzen auf seiner "Magía Blu", die direkt am Porto Canale von Cesenatico angelegt hat. Der weitgehend in den 60er und 70er-Jahren entstandene Badeort an der Adriatischen Riviera besitzt mit dem pittoresken Hafenkanal ein wahres Schmuckstück. Er soll von keinem geringerem als dem Renaissance-Genie Leonardo da Vinci entworfen worden sein. Paolo zwinkert mit den Augen ob dessen und lächelt nur. Nach 30 Jahren als "pescatore" hat er sich auf die Muschelzucht spezialisiert, denn sie lässt dem humorvollen Freizeitsänger mehr Zeit für das Privatleben.
"Ein paar Kilometer "offshore" haben wir unsere Muschelbänke. Während des Sommers fahren wir auch mit Touristen dort hinaus, erklären ihnen die Zucht, die Netze, fangen Fische mit ihnen. Die braten wir ‘alla marinara’ direkt an Board und dann wird gefeiert und gesungen."
Voilá! An Land zeigt mir Paolo am Ufer ein restauriertes kleines Stück der historischen Kaimauern. Es ist im Stadtplan als Fragment des Hafens von Leonardo da Vinci bezeichnet. Eine falsche Fährte oder ein erster Beweis, dass wirklich er den Kanal gebaut hat? Gerade als ich darüber rätsele, kommt Raoul Casadei mit seinem Sohn Mirko auf mich zu. Der Re, der König, des "Ballo Liscio"! So wird die populäre, von seinem Onkel bereit begründete Musik der Romagna genannt, zu der im Sommer gern auf den Plätzen getanzt wird. Bekannt geworden ist Raoul mit seinem "Orchestra Casadei" in den 70er und 80er-Jahren - mit adriatischen Sommerhits wie "Ciao Mare" oder "Romagna Capitale".
Nach der charmanten Improvisation der beiden, mache ich mich mit Touristikerin Cristina zu einer "Passegiata" auf.
Wir flanieren entlang des Hafenkanals mit all den Cafés, Restaurants, Lädchen und der 100jährigen Fischhalle landeinwärts. Vorher haben wir uns noch die "Porte Vinciane" angeguckt. Die modernen Fluttore bei den Molen am Meer schützen den Hafen vor Hochwasser. Die Bezeichnung "Vinciane" geht auf eine Vorläufer-Erfindung des Meisters da Vinci zurück.
Cristina bringt mich nun zu einem Mann, der alles über Leonardo, wie die Italiener ihn familiär nennen, und den Porto Canale weiß.
"Wir sind hier im Museo della Marineria, das direkt am Hafenkanal liegt. Er ist der Ursprung des heutigen Cesenatico. Es ist ein mittelalterlicher Hafenkanal, der bereits um 1300 hier gegraben wurde und der lebhafte Handelshafen von Cesena war, daher der Name Cesenatico. Für Jahrhunderte verschifften die Händler hier ihre Waren."
Davide Gnola ist der Direktor des Museums, das vom Leben am Adriatischen Meer erzählt.
Der Porto Canale ist also rund 200 Jahre vor dem Besuch Leonardos in Cesenatico anno 1502 entstanden! Wieso die Bewohner Cesena, die Cesenensi, gerade hier mitten an diesem flachen Strand einen Hafenkanal anlegten und ihre Waren wohl über Land transportieren, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Es gibt zwar archäologische Hinweise auf einen Kanal, erwähnt Gnola. Er verlief aber mehr in Richtung Ravenna und nicht in Richtung Cesena.
"Leonardo kam nicht zufällig hierher, sondern mit einem Auftrag von seinem Dienstherrn Cesare Borgia, der gerade die Romagna erobert hatte. Der kannte ihn aus Mailand und beauftragte ihn, wichtige Stätten seines neuen Herzogtums ‘zu besichtigen, zu vermessen und zu beurteilen’, wie Borgia in einem Brief an Leonardo schreibt."
Der Herzog hatte das 15 Kilometer landeinwärts gelegene Cesena zu seiner Hauptstadt erklärt. Dessen Handelshafen Cesenatico war also von außerordentlicher Bedeutung für Borgia. Leonardo fertigte bei seinem Besuch zwei Zeichnungen an. Eine Grundriss-Skizze des Porto Canale mit säuberlich eingetragenen Messdaten und eine Ansicht Cesenaticos von oben, die er von einer nicht mehr existenten Fortifikation am Kanal machte.
Die Darstellungen finden sich in Leonardos 7 x 9 cm kleinem Büchlein, in dem er alles auf seiner Inspektionsreise durch die Romagna notierte. Es liegt heute als "Codex L" im Institut Francais in Paris.
"Wir können aber nicht sagen, dass es schon ein Projekt, ein Plan war. Es sind Zeichnungen, Skizzen für ihn selbst, um sich zu erinnern. Und er notiert darunter, wie auch sonst, in Spiegelschrift: Cesenatico, am Tag des 6. September 1502, um 15.00 Uhr."
Es sind die ältesten bekannten Darstellungen von Cesenatico überhaupt.
Lange nach Leonardos Zeiten kam zum Handel im Hafen zunehmend die Fischerei hinzu. Davon erzählt "la parte gallegiante", der "schwimmende Teil" des Museo della Marineria im Hafenkanal. Dort wartet ein großes "Trabacolo da trasporto" auf Besucher. Um das alte Handelsschiff herum dümpeln weitere zehn, zwölf bunt bemalte historische, adriatische Fischerboote im Wasser.
Die Spuren des berühmten Malers, Ingenieurs, Erfinders, Forschers und Schriftstellers in einer Person, Leonardo da Vinci, führen mich nun nach Cesena. An der Barriera Cavour erwarten mich der Architekt und Leonardo-Kenner Pino Montalti und der Cesena-Spezialist Pier Luigi Bazzocchi.
"Die Barriera Cavour ist eine der wichtigsten Zugänge zur Altstadt und ist nach dem Mitbegründer Italiens, Conte Cavour benannt. Historisch gesehen ist es die Porta Mare. Auch Porta Cervese genannt, nach der am Meer liegenden Stadt Cervia."
Im Keller des Cafés von einem der beiden Torgebäude der ‘Barriera’ sind mittelalterliche Rudimente zu betrachten, was erst einmal Anlass genug ist, einen Espresso zu schlürfen. Dabei erzählt Architekt Pino Montalti:
<im_82391>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT SONNTAGSSPAZIERGANG Rocca</im_82391>"Diese Reste sind die unteren Teile des Stadtmauergürtels, den, unter anderem, Leonardo da Vinci 1502 gezeichnet und vermessen hat. Er hatte den Auftrag von Cesare Borgia, die Befestigungs- und Verteidigungsanlagen, das ganze militärische System der neuen Hauptstadt des Herzogtums, Cesena, zu erneuern."
Der Renaissance-Fürst, als skrupelloser Machtmensch Vorbild für Machiavellis "Il Principe", weilt zu dieser Zeit in Pavia in der Nähe von Mailand.
Leonardos Notizbüchlein, der erwähnte Pariser "Codex L", belegt seine Anwesenheit in Cesena ab dem 10. August bis um die Zeit seines Besuchs in Cesenatico am 6. September.
Wir spazieren nun auf der Via Barriera Ponente entlang. Hier begleitet uns die Stadtmauer oberirdisch. Früher umgeben von einem Graben, hatte sie eine Höhe von zehn bis zwölf Metern. Heute sind es immer noch vier bis sechs Meter. Sie umschließt auf knapp vier Kilometern Länge das Innere Cesenas und den Burgberg, die Rocca Malatestiana.
Nach seiner Vermessung der Stadtmauer hat Leonardo eine detaillierte Skizze in sein Reisebüchlein eingetragen. Gut ist darauf die sonderbare Form der Malatesta-Stadt zu erkennen. Ein Skorpion, worauf die Cesenensi besonders stolz sind. Eine Kopie davon hängt in der von der UNESCO 1996 mit dem Weltkulturerbe-Titel geadelten Biblioteca Malatestiana. Die Malatesta waren im Mittelalter die Herren Cesenas. Der letzte von ihnen, Novello, hat 1452 im damaligen Kloster San Francesco eine basilikaartige Bibliothek erbauen lassen, mit 29 Holzpulten und -bänken je Seitenschiff. Dort finden sich seit der Eröffnung mit zierlichen Kettchen an den Pulten befestigt, wertvollste Manuskripte.
"Hier sehen wir einen Codex, den Leonardo selber als eine von nur fünf Kopien besaß. Es ist das Werk des Waffenspezialisten Valturio aus der Zeit um 1450 und handelt von der "Kriegskunst". Vermutlich hat Leonardo hier in der Bibliothek Valturios für uns heute kuriose Kriegsmaschinen für seine in Cesena geplanten Arbeiten studiert."
Im Anschluss führt mich Pino Montalti zur "Portaccia". Es gab ursprünglich zwei dieser ehemals mit Wehrtürmen versehenen Wassertore, durch die der kleine Fluss Cesuola in die Stadt hinein- und wieder hinaus floss. In der Stadt ist er heute überbaut. An dem grün bewachsenen Tor tritt er wieder zu Tage.
"Auf Seite 2 seines Manuskripts sehen wir die Details der Portaccia. Ich habe seine Angaben nachgemessen vor einigen Jahren. Es besteht nur ein Unterschied von vielleicht zehn Zentimetern zwischen seinen und meinen Berechnungen. Seine sind noch genauer, da er oben auf dem Tor entlang gelaufen ist. Ich konnte die Portaccia nur von außen und innen messen". "
Die Kommune hat vor kurzem 150.000 Euro für die Restaurierung des Daches der vernachlässigten Portaccia bereitgestellt.
<im_82392>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT SONNTAGSSPAZIERGANG Hafen</im_82392>""Das Thema Wasser war enorm wichtig für Leonardo und seine Zeit. So sollte er auf Wunsch des Borgia einen schiffbaren Kanal zwischen Cesena und Cesenatico konstruieren. Eine geradezu pharaonische Aufgabe in seiner Epoche. Ein Plan dazu lässt sich in den Dokumenten nicht nachweisen. Aber wir finden in gewisser Art Vorarbeiten unter anderem im "Codex L" in Form von Entwürfen, zum Beispiel wie und mit welchen Maschinen man möglichst schnell Gräben ausheben kann."
Wie bei so vielen von Leonardos großartigen Projekten kam es nie zu einer Realisierung. Der Stern des Cesare Borgia begann mit dem Tod seines Vaters, Papst Alexander VI. im Jahre 1503, schnell zu verblassen und er musste die Romagna verlassen. Verwirklicht wurde vermutlich nur ein durch Zeichnungen im "Codex L" belegtes Projekt Leonardos auf der Rocca Malatestiana, das ein halbes Jahr nach seiner Abreise 1503 fertig gestellt wurde.
"Das hier oben auf der Burgmauer sind die Reste der "Bombardiere" von Leonardo, wo man die modernen Feuerwaffen, wie die gerade erfundenen Kanonen abschießen konnte. Zum Ablenken eventueller Kugeln des Feindes waren die Anlagen ursprünglich mit gerundeten Abdeckungen überbaut."
Von der Festung kann man gut über Stadt und Land schauen. Der Blick verliert sich in der dunstigen Ferne. Dort, wo Cesenatico und das Meer liegt und wo meine kleine Reise auf den Spuren Leonardo da Vincis begann.