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Auf der Suche nach verschollenen Van Gogh-Gemälden

Der Fund eines echten Van Gogh käme einem satten Lotto-Gewinn gleich. Einige Briefe des Malers nähren Hoffnungen auf einen möglichen Zufallsfund, denn darin hat der Künstler viele Werke erwähnt, die heute verschwunden scheinen. Der italienische Hobby-Experte Antonio de Robertis hat ein Buch geschrieben und darin listet er Hunderte von angeblich verschwundenen Bildern auf. Das ist verdienstvoll, aber auch problematisch, denn das Buch könnte auch Kunstfälscher ermutigen.

Von Thomas Migge |
    Das Bild ist weltbekannt. Es zeigt eine ältere Frau aus dem südfranzösischen Arles. "L'Arlesienne" gilt als eines der Meisterwerke von Vincent Van Gogh. Der Holländer malte im Jahr 1890 mehrere Versionen der Südfranzösin, die Madame Ginoux hieß. Eine hängt im Kunstmuseum in Sao Paolo, eine im Rijksmuseum Kröller-Müller, eine in der römischen Nationalgalerie und eine in einer amerikanischen Privatsammlung. Anscheinend existiert aber noch eine fünfte Madame Ginoux. Davon sind der autodidaktische Van-Gogh-Forscher Antonio De Robertis und der an der römischen Hochschule lehrende Kunsthistoriker Matteo Smolizza überzeugt. Als Beweis für ihre These verweisen sie auf einen Brief, den Doktor Peyron an Theo Van Gogh schrieb, den Bruder und Kunsthändler des im südfranzösischen Saint-Remy-de-Provence wegen geistiger Verwirrung in einer Nervenheilanstalt untergebrachten Malers. In diesem Brief vom 24. Februar 1890 schreibt der Arzt von einem Gemälde, das Madame Ginoux darstellt und dass Van Gogh nach eigenen Angaben auf seiner Reise nach Arles verloren habe. De Robertis ist aufgrund seiner Studien davon überzeugt, dass es sich um eines von über 1.000 verlorenen Kunstwerken Van Goghs handelt:

    "Meiner Untersuchung liegen Van Goghs 823 Briefe zugrunde, die er an Verwandte und Freunde schickte. In diesen Briefen spricht er ausführlich über sein Schaffen, was es uns erlaubt, seinen künstlerischen Werdegang exakt zu rekonstruieren, Werk für Werk. Ausgehend von seinen eigenen sehr ausführlichen Werkbeschreibungen haben wir diese Liste seiner Werke mit jener Liste verglichen, die alle seine bekannten Arbeiten umfasst. Das Ergebnis dieses Vergleichs erstaunte uns sehr."

    Mehr als 1.000 Werke des seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts astronomisch hochquotierten Künstlers sind De Robertis zufolge verschollen. Werke, die Van Gogh mehr oder weniger ausführlich beschrieb und von denen nicht ein einziges in einem Museum oder in einer öffentlichen Sammlung zu finden ist.

    De Robertis und Smolizza veröffentlichten das Resultat ihrer Untersuchung in dem kleinen italienischen Verlag Ilisso. Das Buch präsentiert sich als Katalog: die Autoren listen alle von Van Gogh genannten aber nirgendwo zu findenden Werke - Zeichnungen, Grafiken, Studien und Ölbilder - zeitlich geordnet nacheinander auf. Genannt werden das Datum, an dem Van Gogh in seinen Briefen von dem jeweiligen Bild sprach, sowie Zitate aus den Briefen. Hinzugefügt werden, wenn möglich, ikonografische Quellen sowie Vergleichsbilder. Wie im Fall der Madame Ginoux. Oder wie im Fall eines Gemäldes, das Van Gogh im April 1885 in Neunen gemalt haben soll und von dem er in einem seiner Briefe sprach. Zitat. "Hier findest du zwei Zeichnungen, die ich anfertigte, während ich an dem Gemälde mit den Bauern arbeitete, die am Tisch beim Essen von Kartoffeln zusammensitzen." Ein Bild, so De Robertis, das jenem ähneln könnte, das Van Gogh ebenfalls im April 1885 malte und das jetzt im Van-Gogh-Museum in Amsterdam gezeigt wird:

    "Die meisten der von uns als verschollen bezeichneten Werke stammen aus der Frühzeit des Schaffens von Van Gogh. Es handelt sich hauptsächlich um Zeichnungen. Vor allem aus seiner Zeit in Holland. Ich befürchte, dass die meisten dieser von uns ermittelten Werke als verloren gelten müssen, denn als er von Neunen im Jahr 1885 nach Antwerpen umzog, wo er eigentlich nur 15 Tage bleiben wollte aber 3 Monate blieb und nicht mehr nach Neunen zurückkehrte, ließ er eine Vielzahl seiner Werke in einem Atelier, dass er bei einem katholischen Sakrestan angemietet hatte."

    Nach dem Tod von Van Goghs Vater soll, so De Robertis, die Mutter eine nicht definierte Zahl der in diesem Atelier aufbewahrten Werke in drei oder vier Holzkisten gepackt haben. Ein Teil dieser Werke ging verloren. Ein anderer Teil wurde später nach abenteuerlichen Umwegen wieder gefunden. Die von de Robertis und Smolizza durchgeführten Vergleiche der existierenden und der von Van Gogh in seinen Briefen genannten Werke führte auch, so Claudio Strinati, Rom oberster Kulturhüter in seinem Vorwort zu dem Buch der beiden Autoren, zu erstaunlichen Entdeckungen: so ergaben Untersuchungen mit Röntgenstrahlen, dass Van Gogh in mehr als zwanzig Fällen eigene Bilder übermalt hatte. In diesen Fällen konnten die von den Autoren verloren geglaubten Werke wieder gefunden werden.

    "Wir verfügen über ausreichend exakte Hinweise auf verschiedene der verloren gegangenen Bilder Van Goghs. Ich plädiere deshalb dafür, alle existierenden Gemälde Van Gogh mit Röntgenstrahlen zu untersuchen und ich glaube auch, dass nicht signierte aber von ihm selbst beschriebene Zeichnungen noch immer in so manchem Wohnzimmer oder auf Dachböden in Brabant und anderswo zu finden sind."