Ja, um diese immer wieder gestellte Frage gleich zu beantworten, ja, Raffaele Cantone steht immer noch auf der Todesliste der Mafia und steht deshalb rund um die Uhr unter Polizeischutz. Nicht nur in Italien, auch in Deutschland, wo er sein Buch "Allein für die Gerechtigkeit - Ein Leben im Kampf gegen die Camorra" präsentiert hat. Diese Information ist wichtig, zeigt sie doch das lange Gedächtnis der Mafia: Cantone war von 1999 bis 2007 leitender Staatsanwalt der Antimafia-Behörde in Neapel, arbeitet heute aber in Rom am Kassationsgericht. Trotzdem lässt ihn die Mafia nicht in Ruhe: Wer die Bosse und Paten herausfordert, lebt gefährlich! Und Cantone tut dies gleich zweifach: als Ankläger und als Beobachter. In seinem Buch schlüpft er in die zweite Rolle. Nicht die spektakulären Aktionen der Camorra stehen im Mittelpunkt, sondern die "alltägliche" Mafia in all ihrer Brutalität:
""Ich glaube, es ist einfach interessanter, mal über einen anderen Aspekt der Antimafia zu erzählen. Man lebt ja jeden Tag im Konflikt mit der Mafia, und da ist das einfach interessanter, als jeden Tag Blutbäder wiederzugeben, die man ohnehin täglich in Zeitungen und auch Büchern nachlesen kann."
Da ist zum Beispiel die Geschichte eines Jungen, den die Aussicht auf viel Geld der Mafia in die Arme getrieben hat:
"Ein Junge aus Mondragona war ... mit der Schutzgeldeintreibung betraut worden und hatte diese Aufgabe auch immer zufriedenstellend erledigt. Doch weil er anfing, Heroin zu nehmen, war er in den Augen des Clans nicht mehr zuverlässig. Nicht dass es für diesen Verdacht einen ernsthaften Grund gab, denn der Junge hatte lediglich ein paar Diebstähle begangen und ein bisschen zu oft in der Öffentlichkeit Streit gesucht. Dennoch fürchtete man, er werde früher oder später zum Überläufer, und dieser Verdacht bedeutete sein Todesurteil. In einem Haus auf dem Lande ... wurde er in Anwesenheit seines ehemals besten Freundes vom Boss persönlich umgebracht."
Cantone erzählt vom Alltag, von der aufgeladenen Atmosphäre im Stadtteil, von Angst und Hoffnungslosigkeit. Er weiß, worüber er redet, er ist in diesem Milieu aufgewachsen:
"Das war sehr wichtig, weil das Aufwachsen in diesem Umfeld dazu führt, dass man den Willen hat, das Phänomen "Mafia" zu verstehen und auch zu bekämpfen."
Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität ist lang und mühselig. "Ermitteln bedeutet forschen" heißt Cantones Wahlspruch, wobei er großen Wert auf Teamarbeit legt - ganz im Gegensatz zum missverständlichen Titel des Buches, der in Cantone einen missionarischen Einzelkämpfer vermuten lässt. Das stimmt so nicht. Richtig ist vielmehr, dass Cantone streng nach Recht und Gesetz handelt, auch da, wo es schwerfällt. Etwa wenn Verfahren verschleppt und die Verdächtigen entlassen werden. So etwas passiert immer wieder, trotz der weitreichenden Kronzeugenregelung.
"Ich glaube, das ist ein unverzichtbares Instrument, weil man einfach Mitglieder der Mafia braucht, um zu verstehen, was innerhalb der Mafia passiert. Durch Kronzeugen haben wir viele Morde und Totschläge aufklären können, außerdem sind viele Täter verhaftet und verurteilt worden. Man muss allerdings sehr aufmerksam und vorsichtig sein, wenn es darum geht, die Aussagen von Kronzeugen zu bewerten."
Ohne Kronzeugenregelung - so kritisch sie auch gesehen wird - wären viele Verbrechen der Mafia niemals aufgedeckt worden. Dies ist umso wichtiger, weil die Mafia sich neu organisiert:
"Die Mafia wird immer mehr wie ein Unternehmen geführt, es gibt immer mehr wirtschaftliche Felder, die zur Mafia gehören. Wenn die Mafia gut geführt wird, nutzt sie Gewalt nur noch, um in die Wirtschaft einzusteigen. Allerdings ist die Mafia lokal sehr unterschiedlich: Die Camorra auf dem Land ist sehr gewalttätig, sobald sie Gelder in Norditalien oder im Ausland investiert, setzt sie allerdings möglichst wenig Gewalt ein."
In der Wall Street wird nicht geschossen. Und den Sechsfachmord in Duisburg werten die meisten Experten als "Ausrutscher". Die Mafia operiert im Stillen:
"Schnell wurde klar, dass sich der Clan in eine regelrechte Holding verwandelt hatte und über die mit ihm verbundenen Unternehmen ganze Wirtschaftsbereiche kontrollierte. Ein bedeutender Teil des Geschäftsinteresses hatte sich nach Norden verlagert, besonders nach Parma, wo die Familie um Pasquale Zagaria große Summen in den Bau und die Sanierung von Immobilien investierte. Zu diesem Zweck hatte sie sich einen Unternehmer vor Ort als Gesellschafter gesucht, dessen Stieftochter Pasquale heiratete."
"Allein für die Gerechtigkeit" ist das Buch eines Insiders, gespickt mit Informationen und Geschichten aus der Perspektive desjenigen, der die Mafia bekämpft. "Allein für die Gerechtigkeit" liefert aber keine soziale oder politische Analyse. Cantone schreibt sachlich, manchmal etwas farblos. Der Text ist leicht zu lesen, erschreckt aber in der nüchternen Darstellung eines Phänomens, das seit vielen Jahrzehnten großes Leid über Menschen bringt und enorme Kosten verursacht.
Bleibt zum Schluss die Frage, wie denn die Organisierte Kriminalität erfolgreich bekämpft werden soll? Man müsse, sagt Cantone, die wirtschaftlichen Interessen der Mafia treffen, man müsse die Zusammenarbeit der staatlichen Stellen mit der Mafia anprangern und man müsse den Kampf gegen die Mafia international führen:
""In jedem Fall! Viele Staaten betrachten ja die Mafia als rein italienisches Phänomen, um dann wach zu werden, wie es zum Beispiel in Duisburg passiert ist, obwohl die Mafia in Deutschland seit Jahren schon operiert. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass alle europäischen Staaten beim Antimafia-Kampf zusammenarbeiten."
Raffaele Cantone: Allein für die Gerechtigkeit. Ein Leben im Kampf gegen die Camorra. Kunstmann Verlag, 256 Seiten, Euro 19,90, ISBN 978-3-88897-584-4
""Ich glaube, es ist einfach interessanter, mal über einen anderen Aspekt der Antimafia zu erzählen. Man lebt ja jeden Tag im Konflikt mit der Mafia, und da ist das einfach interessanter, als jeden Tag Blutbäder wiederzugeben, die man ohnehin täglich in Zeitungen und auch Büchern nachlesen kann."
Da ist zum Beispiel die Geschichte eines Jungen, den die Aussicht auf viel Geld der Mafia in die Arme getrieben hat:
"Ein Junge aus Mondragona war ... mit der Schutzgeldeintreibung betraut worden und hatte diese Aufgabe auch immer zufriedenstellend erledigt. Doch weil er anfing, Heroin zu nehmen, war er in den Augen des Clans nicht mehr zuverlässig. Nicht dass es für diesen Verdacht einen ernsthaften Grund gab, denn der Junge hatte lediglich ein paar Diebstähle begangen und ein bisschen zu oft in der Öffentlichkeit Streit gesucht. Dennoch fürchtete man, er werde früher oder später zum Überläufer, und dieser Verdacht bedeutete sein Todesurteil. In einem Haus auf dem Lande ... wurde er in Anwesenheit seines ehemals besten Freundes vom Boss persönlich umgebracht."
Cantone erzählt vom Alltag, von der aufgeladenen Atmosphäre im Stadtteil, von Angst und Hoffnungslosigkeit. Er weiß, worüber er redet, er ist in diesem Milieu aufgewachsen:
"Das war sehr wichtig, weil das Aufwachsen in diesem Umfeld dazu führt, dass man den Willen hat, das Phänomen "Mafia" zu verstehen und auch zu bekämpfen."
Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität ist lang und mühselig. "Ermitteln bedeutet forschen" heißt Cantones Wahlspruch, wobei er großen Wert auf Teamarbeit legt - ganz im Gegensatz zum missverständlichen Titel des Buches, der in Cantone einen missionarischen Einzelkämpfer vermuten lässt. Das stimmt so nicht. Richtig ist vielmehr, dass Cantone streng nach Recht und Gesetz handelt, auch da, wo es schwerfällt. Etwa wenn Verfahren verschleppt und die Verdächtigen entlassen werden. So etwas passiert immer wieder, trotz der weitreichenden Kronzeugenregelung.
"Ich glaube, das ist ein unverzichtbares Instrument, weil man einfach Mitglieder der Mafia braucht, um zu verstehen, was innerhalb der Mafia passiert. Durch Kronzeugen haben wir viele Morde und Totschläge aufklären können, außerdem sind viele Täter verhaftet und verurteilt worden. Man muss allerdings sehr aufmerksam und vorsichtig sein, wenn es darum geht, die Aussagen von Kronzeugen zu bewerten."
Ohne Kronzeugenregelung - so kritisch sie auch gesehen wird - wären viele Verbrechen der Mafia niemals aufgedeckt worden. Dies ist umso wichtiger, weil die Mafia sich neu organisiert:
"Die Mafia wird immer mehr wie ein Unternehmen geführt, es gibt immer mehr wirtschaftliche Felder, die zur Mafia gehören. Wenn die Mafia gut geführt wird, nutzt sie Gewalt nur noch, um in die Wirtschaft einzusteigen. Allerdings ist die Mafia lokal sehr unterschiedlich: Die Camorra auf dem Land ist sehr gewalttätig, sobald sie Gelder in Norditalien oder im Ausland investiert, setzt sie allerdings möglichst wenig Gewalt ein."
In der Wall Street wird nicht geschossen. Und den Sechsfachmord in Duisburg werten die meisten Experten als "Ausrutscher". Die Mafia operiert im Stillen:
"Schnell wurde klar, dass sich der Clan in eine regelrechte Holding verwandelt hatte und über die mit ihm verbundenen Unternehmen ganze Wirtschaftsbereiche kontrollierte. Ein bedeutender Teil des Geschäftsinteresses hatte sich nach Norden verlagert, besonders nach Parma, wo die Familie um Pasquale Zagaria große Summen in den Bau und die Sanierung von Immobilien investierte. Zu diesem Zweck hatte sie sich einen Unternehmer vor Ort als Gesellschafter gesucht, dessen Stieftochter Pasquale heiratete."
"Allein für die Gerechtigkeit" ist das Buch eines Insiders, gespickt mit Informationen und Geschichten aus der Perspektive desjenigen, der die Mafia bekämpft. "Allein für die Gerechtigkeit" liefert aber keine soziale oder politische Analyse. Cantone schreibt sachlich, manchmal etwas farblos. Der Text ist leicht zu lesen, erschreckt aber in der nüchternen Darstellung eines Phänomens, das seit vielen Jahrzehnten großes Leid über Menschen bringt und enorme Kosten verursacht.
Bleibt zum Schluss die Frage, wie denn die Organisierte Kriminalität erfolgreich bekämpft werden soll? Man müsse, sagt Cantone, die wirtschaftlichen Interessen der Mafia treffen, man müsse die Zusammenarbeit der staatlichen Stellen mit der Mafia anprangern und man müsse den Kampf gegen die Mafia international führen:
""In jedem Fall! Viele Staaten betrachten ja die Mafia als rein italienisches Phänomen, um dann wach zu werden, wie es zum Beispiel in Duisburg passiert ist, obwohl die Mafia in Deutschland seit Jahren schon operiert. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass alle europäischen Staaten beim Antimafia-Kampf zusammenarbeiten."
Raffaele Cantone: Allein für die Gerechtigkeit. Ein Leben im Kampf gegen die Camorra. Kunstmann Verlag, 256 Seiten, Euro 19,90, ISBN 978-3-88897-584-4