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"Auf gar keinen Fall nach Berlin"

Kurz nach der Veröffentlichung seines neuen Romans "Untitled" ist Joachim Bessing nach Äthiopien gezogen. Beeinflusst wurde er durch ein Maya-Horoskop. Im Corsogespräch redet er über sein Leben in der Hauptstadt Addis Abeba und warum er nie wieder in Berlin leben will.

Mit Claudia Cosmo |
    Claudia Cosmo: Sie leben in Äthiopien. Seit wann leben Sie da und warum sind Sie ausgerechnet dort hingegangen? Kannten Sie da Leute? Hatten Sie Kontakte?

    Joachim Bessing: Ich kannte dort niemanden, ich bin dort letztes Jahr im August hingezogen mit einer relativ unbedachten Entscheidung. Ich war zuvor in Südfrankreich und habe dort meinen Roma Untitled' geschrieben, als ich damit fertig war, war ich eingeladen bei einer Freundin in Cadiz in Spanien, weil es einen Garten gibt, in dem sämtliche von Kolumbus mitgebrachten Samen eingepflanzt wurden. Und als ich damit fertig war, traf ich dort zufällig auf eine Frau, Luna Rossa, die als Wahrsagerin und Tarotkartenlegerin arbeitet. Und das Maya- Horoskop deutete aufgrund meiner Geburtskoordinaten nach Addis Abeba.Und ich fühlte mich zu der Zeit sowieso relativ entwurzelt, das Haus, in dem ich in Berlin gewohnt hatte, war an einen schwedischen Investor verkauft worden. Und dann habe ich mich entschlossen alle Zelte abzubrechen und nach Äthiopien zu ziehen.

    Ich war auch damals 40 geworden und wollte eine wirklich zweite Karriere anfangen, weil ich nicht daran glaube, dass man alles immer so weiter betreiben soll, wie man man angefangen hat. Ich war ja vorher lange Jahre Resortleiter bei Axel Springer gewesen, habe den Stil-Teil der "Welt am Sonntag" verantwortet, bin dann dort rausgeschmissen worden für mich ging es halt in Deutschland nicht mehr weiter und deshalb habe ich alles verkauft, was ich besaß, und zwar an Freunde verkauft, sodass ich - falls ich mal nach Deutschland zurückkomme- die Dinge noch sehen kann, weil ich weiß, wo sie sind. Und ich kam dann auch nur mit zwei Seesäcken in Addis Abeba an, und von denen wurde ich dann auch rasch erleichtert, weil ich für äthiopische Verhältnisse in relativem Reichtum da ankam, und da dachten die Äthiopier, dann nehmen wir uns mal unseren Anteil von weg. Es ist ja nicht so, dass die dort kriminell sind, es ist eine postkommunistische Gesellschaft, wo man alles teilt. Das, was ich jetzt besitze, das kann man nicht mehr teilen.

    Cosmo: Beteiligen Sie sich dort am soziokulturellen Leben, interessiert Sie die politische Lage? Wie gliedern Sie sich ein oder ist das purer Eskapismus, um einen weiteren Roman oder andere Dinge schreiben und tun zu können?

    Bessing: Es ist auf keinen Fall Eskapismus. Ich bin ja nicht dekadent! Ich habe dann sehr schnell lernen müssen, dass die spezielle Eigenheit des äthiopischen Volkes darin besteht, dass dadurch, dass sie nie wirklich kolonialisiert waren - als einziges afrikanisches Land - von den über 50 afrikanischen Ländern, die alle eine Kolonialgeschichte haben, ihre 3000 Jahre alte Kultur bewahren konnten ohne Fremdspracheneinflüsse. Was bedeutete, dass ich die Sprache lernen musste. Das Amharische, um überhaupt zu verstehen, was die Leute von mir wollen. Ich kann jetzt Amharisch sprechen, schreiben und lesen und konnte so mehr und mehr den Respekt der Bevölkerung gewinnen, weil es gibt da sonst keinerlei Tourismus außer Birdwatcher und Anthropologen.
    Das Land ist unwegsam, da es ein Hochland ist, die Stadt in der ich lebe, Addis Abeba, liegt auf 2000 Metern. Das ist auch ein Grund, warum das Land nie kolonialisiert wurde. Die Italiener, die es zweimal versucht haben, sind immer im Bergland stecken geblieben.

    Cosmo: Sie sagen jetzt, es kommen wenige Leute dorthin. Auch politisch und ökonomisch ist es ja so, dass Europa sich völlig aus Afrika zurückzieht! Was ist in Äthiopien und auch in Addis Abeba los?

    Bessing: Ich glaube, dass niemand richtig weiß, wie Äthiopien aussieht! Wenn man das bei Google eingibt, dann kriegt man so fünf ziemlich neblige Fotos zu sehen. Das hat mit der Informationspolitik der äthiopischen Regierung zu tun, die nicht daran interessiert ist, dass man außerhalb etwas über Addis erfährt oder Äthiopien. Es gibt außerhalb von Addis Abeba eine ganze Stadt, die von den Chinesen errichtet wurde. Das ist die Ethio- Eastern Cooperation. Da wohnen 10.000 von Chinesen. Die Chinesen machen Deals mit der äthiopischen Regierung, indem sie Autobahnen durch die Wüste bauen. Und sie bauen momentan die zweite U-Bahn Afrikas, die Erste wurde ja in Kairo gebaut für wenige Stationen. Jetzt wird eine auf 2000 Metern mitten in der Erdbebenzone durch Addis Abeba gebaut. Warum das fragt sich jeder.

    Cosmo: Wie nimmt man Sie eigentlich wahr in Addis Abeba?

    Bessing: Literatur ist in Äthiopien fast gar nicht vorhanden! Es gibt religiös geprägte Kunst. Äthiopien ist ja ein extrem religiöses Land. Es wird ja von der orthodoxen Kirche beherrscht. Es gibt aber auch eine wachsende muslimische Gemeinde dort. Es gibt in Addis- eine Stadt mit immerhin sieben Millionen Einwohnern- vier Buchläden, die habe ich alle besucht. Die bieten das identische Programm. Das ist Augenheilkunde für Anfänger und vielleicht fünf, sechs geschichtliche Bücher. Es wird die Bibel gelesen. Und von daher, die Annäherung der Einheimischen an mich für einen europäischen Kulturtransfer findet wirklich nicht statt. Was stattfindet ist, dass jeder Einheimische gerne aus diesem Land raus möchte. Äthiopier sind ja nicht in der Lage, frei zu entscheiden, wo sie wohnen, einen Reisepass zu beantragen ist teuer und umständlich. Es gibt einen erschreckend hohen Transfer junger Frauen aus dem Hinterland jeden Tag nach Riad, nach Dubai und nach Katar, wo sie als Hausangestellte angeworben werden.

    Cosmo: Wenn man Sie jetzt so erzählen hört, was Sie alles wissen und jetzt hier in Deutschland: Sind Sie da auch enttäuscht, dass Äthiopien zwar angesprochen wird als Exotikum, aber dass man Sie da aber nicht wahrnimmt als jemand, der viel erzählen kann?

    Bessing: Enttäuschend ist es nicht. Es bestätigt eher mein Gefühl, das ich habe, seitdem ich dort auf dem Kontinent lebe, dass es eigentlich auf der ganzen Welt niemand interessiert, was in Afrika passiert. Dass man eigentlich sagt: Lass uns weiter spenden, um das irgendwie unter Kontrolle zu halten. Wir wollen aber gar nicht wissen, was wir da unter Kontrolle halten. Ich habe den Eindruck, dass es interessanter ist, was in China passiert, dass es interessanter ist sogar, was in Australien passiert. Afrika wird als eine gigantische Problemzone betrachtet und gebe ja auch zu, dass das alles verwirrend ist, und dass man sich gar nicht damit beschäftigen möchte, mit der kulturellen Vielfalt, alleine Äthiopien hat ja 80 verschiedene Stämme, mit 80 verschiedenen Sprachen. Ich glaube, das sind immer noch rassistische Konflikte- so muss man es leider nennen- auf beiden Seiten. Denn als ich dort hingezogen bin und noch nicht so braun war, bin ich auch den ganzen Tag beschimpft worden, weil ich zu weiß war!

    Cosmo: Ist der Joachim Bessing, der in Äthiopien wohnt, ein anderer?

    Bessing: Mir selbst ist aufgefallen, als ich an Weihnachten und Neujahr in New York war, dass ich mich dabei ertappt habe, wie ich das Innere eines öffentlichen Mülleimers fotografiert habe, weil ich so begeistert war von dem Inhalt, der nur aus klargespülten Klarsichtverpackungen von Salaten und bunten Strohhalmen bestand und das sah aus wie ein Jeff Koons Kunstwerk! Und wie ich das Foto mache denke ich, du bist jetzt schon ganz schön afrikanisch, dass du dich am sauberen Mülleimer berauschst!

    Cosmo: Werden Sie eines Tages nach Deutschland zurückkommen?

    Bessing: Ich würde gerne nach Deutschland zurückkommen. Auf gar keinen Fall nach Berlin, weil diese Zeit liegt hinter mir, und Berlin hat sich stark verändert und das, was für kreative und künstlerisch tätige Menschen in Berlin mal anziehend war, das gibt es nicht mehr. Das ist ne von Spekulanten beherrschte Stadt geworden und ich vermisse das Meer sehr. Nun hat ja die äthiopische Regierung in den letzten 100 Jahren durch erratische Schachzüge die Küste komplett abgestoßen. Und das vermisse ich sehr. Ich denke mal, dass ich in zwei Jahren wieder nach Südfrankreich zurückgehen werde.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.