Jasper Barenberg: Der "Schlächter vom Balkan" wird Ratko Mladić genannt, er stand im Krieg um Bosnien an der Spitze der Armee der bosnischen Serben, er führte das Kommando bei der Belagerung von Sarajevo und auch, als seine Soldaten im Juli 1995 die Enklave der Srebrenica erstürmten und 8000 Jungen und Männer getötet wurden. Seit Dienstag sitzt er im Gefängnis des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, heute Vormittag wird er zum ersten Mal vor einem Richter erscheinen und sich zu den elf Anklagepunkten äußern müssen: Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – das sind die Vorwürfe. Wie beurteilt man in Serbien die Verhaftung und das Verfahren, welche Perspektiven eröffnen sich für das Land jetzt auf dem Weg in die Europäische Union? Darüber möchte ich in den nächsten Minuten mit dem Repräsentanten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belgrad sprechen. Guten Morgen, Henri Bohnet!
Henri Bohnet: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Herr Bohnet, in dem Dorf, in dem Mladić aufgespürt und verhaftet wurde, gilt er weiterhin als Held. Es gab nach seiner Verhaftung Proteste auch in Belgrad. Ist das nur noch ein Häuflein ewig Gestriger, oder ist das noch mehrheitsfähig in Serbien, diese Meinung?
Bohnet: Also es ist deutlich geworden, dass es noch ewig Gestrige gibt. Das ist natürlich schade, aber ich denke auch, dass es wirklich nicht mehr so viele Leute sind, die Mladić unterstützen, die Sympathie mit ihm haben. Seit den letzten Jahren hat sich einiges verändert, Präsident Tadić hat dies auch in seinen letzten Äußerungen jetzt gesagt in Zusammenhang mit seinen Bestrebungen und den Bestrebungen Serbiens, in die EU einzutreten. Ich glaube wirklich, dass die Unterstützung für Mladić in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat, und obwohl es eine politische Partei gibt, die Radikalen, die Sympathien mit ihm haben, aber deren Anführer auch in Den Haag sitzt – denke ich, dass die Mehrheit der Menschen wirklich vorwärtsschaut in Richtung EU und endlich weiter die Reformen in Serbien greifen sehen möchte.
Barenberg: Warum ist das denn so, dass die Unterstützung für diese Figur Mladić, die ja auch immer eine Symbolfigur gewesen ist, abgenommen hat?
Bohnet: Also auf jeden Fall wurde mehr dafür getan, darüber zu sprechen, welche Verbrechen Mladić angehaftet sind, aber auch natürlich die Rolle Serbiens im Krieg, denn Bosnien … oder auch im ganzen Jugoslawien. Nicht umsonst wurde letztes Jahr die Srebenica-Resolution des Parlaments in Serbien verabschiedet, die zwar sehr kontrovers diskutiert wurde, aber doch mit einer Mehrheit verabschiedet wurde. Und das sind kleine Schritte, die dazu beigetragen haben, dass auch das Bewusstsein, das öffentliche Bewusstsein darüber, dass man eingestehen muss, früher Fehler begangen zu haben, eine schwierige, problematische Rolle auf dem Balkan gespielt zu haben, überdacht wird.
Barenberg: Das ist nach Ihrem Eindruck auch anerkannt in Serbien bei den Menschen, dass das Land in den 90er-Jahren quasi einen Eroberungskrieg geführt hat auf dem Balkan?
Bohnet: Also ich denke, es wird meistens weiterhin ausgeblendet, aber es wird damit begonnen, darüber nachzudenken, und meine Hoffnung ist, dass gerade mit dem Prozess gegen Mladić auch deutlicher und öffentlich darüber gesprochen wird, erstens, wie er natürlich so lange versteckt bleiben konnte und wer ihn dabei unterstützt hat, aber natürlich auch, die Fakten noch mal anzuschauen und darüber zu diskutieren, welche Rolle Serbien da wirklich gespielt hat. Darüber wird öffentlich wenig gesprochen, und es ist problematisch, solange auch noch Parteien, politische Parteien eine Rolle spielen, die damals auch relevant gewesen sind, so zum Beispiel die Nachfolgepartei von Milosević in der Regierung mit Präsident Tadić. Der Innenminister ist der Chef dieser Partei, die SPS heißt. Aber man sieht: Es hat sich einiges getan, und auch diese Menschen – der Innenminister sagt wenigstens, dass sie in die EU wollen, und die Reformen, die bisher durchgeführt wurden, zeigen, dass es ernsthafter seit Langem in der Geschichte so verläuft.
Barenberg: Muss denn Tadić, muss Präsident Boris Tadić mit Blick auf seine Koalitionspartner da auch innenpolitisch noch Rücksicht nehmen?
Bohnet: Also ich glaube, und Präsident Tadić macht das auch immer deutlich, dass seine Regierung die Reformen macht und in die EU will, dass seine Regierung als oberste Priorität hat, den Kandidatenstatus der Europäischen Union zu bekommen. Seine Regierung hat die Resolution für Srebrenica verabschiedet, unter seiner Führung wurde auch die UN-Resolution für den Beginn der Gespräche mit Kosovo erarbeitet. Also ich denke, dass tatsächlich hier es Kräfte gibt, die Einsicht haben, dass viel gemacht werden soll. Das heißt noch lange nicht, dass natürlich jeder ein begeisterter Europäer ist, aber ich denke, dass die meisten Politiker des Landes sehen, dass der große Nutzen Serbiens innerhalb der EU viel größer ist als außerhalb. Und diese Zweifel oder diese Dichotomie zwischen entweder "wir gehen nach Brüssel" oder "wir lassen uns von Russland unterstützen oder haben engere Beziehungen zu China" – ich glaube, den meisten Leuten ist klar, dass wirtschaftliches Wohlbefinden nur noch innerhalb der EU möglich ist.
Barenberg: Mit der Verhaftung von Mladić hat Serbien ja sicherlich eine wichtige Voraussetzung erfüllt auf dem Weg in die Europäische Union. Ist aber das Land reif für den Beitritt mit Blick auf all die Kriterien und Anforderungen, die die Gemeinschaft nun mal stellt?
Bohnet: Also der Annäherungsprozess und Beitrittsprozess für die EU ist ja sehr abgestuft worden in den letzten Jahren, er ist in gewisser Hinsicht auch sehr bürokratisch geworden, und es gibt eine immer stärkere Konditionalität, das heißt, werden diese Kriterien umgesetzt, kommt der Kandidatenstatus, werden andere Kriterien weiter umgesetzt, kommen da die Beitrittsverhandlungen. Insofern denke ich hat der Präsident Tadić ja deutlich gemacht, dass er jetzt erwartet, dass der Kandidatenstatus und dann auch die Beitrittsverhandlungen für die EU beginnen. Es ist normalerweise ein Prozess der Beitrittsverhandlungen, der recht lange dauert. Man sieht das jetzt auch am Beispiel von Kroatien, man muss da mit fünf oder sechs Jahren rechnen. Zuerst aber geht es wirklich darum, den Kandidatenstatus zu erhalten, und dann die Gespräche zu beginnen. Die EU hat bis jetzt deutlich gemacht – und das haben auch westliche und deutsche Politiker gemacht –, dass es nicht nur um die Auslieferung Mladićs geht, sondern es geht vor allem auch um Reformen, vor allem in der Justiz, aber auch in der Administration, aber auch in der Wirtschaft und der Politik, sodass ich denke: Auf jeden Fall hat Serbien jetzt einen großen Schritt nach vorne gemacht, aber es gibt noch mehrere Kriterien, die erfüllt sein sollten, und da geht es vor allem noch um die Umsetzung von Gesetzen und nicht nur um die Verabschiedung der Gesetze, wo Fortschritte zu sehen sein müssen bis zum Sommer, damit man wirklich ruhigen Gewissens den Kandidatenstatus an Serbien verleihen kann.
Barenberg: Das heißt, Herr Bohnet, Sie machen da noch, was den Beitrittsstatus oder den Status als Beitrittskandidat angeht, da machen Sie noch ein Fragezeichen?
Bohnet: Also ich denke: Beurteilt man das objektiv, sollte man wirklich noch mal auch den Serben deutlich machen, dass jetzt in den letzten Wochen, bevor es dann dazu kommt, die Beurteilung zu schreiben, wie weit ist Serbien gekommen, noch mal verstärkte Anstrengungen gerade im Bereich Rechtsstaat macht, zum Beispiel auch mithilfe von den Erkenntnissen, die man durch die Festnahme von Mladić hat, dass man alte Strukturen aufdeckt, dass man die Unabhängigkeit der Justiz weiter festigt, die bis jetzt immer noch unter politischem Einfluss ist, dass die Rechtsprechung und auch vor allem die Rechtsstaatlichkeit, die Prinzipien eingehalten werden. Da gibt es noch große Defizite. Man hat die Erfahrungen in Kroatien, dass das auch das schwierigste Kapitel in den Verhandlungen ist, das heißt: Je mehr auch vorher noch geregelt wird und die Kriterien schon erfüllt werden, desto einfacher werden vielleicht auch die Gespräche werden, die sowieso lange dauern, vor allem, weil es natürlich noch die zusätzliche Frage gibt, wie die Normalisierung mit Kosovo bewerkstelligt werden kann, denn nur so, mit gutnachbarlichen Beziehungen, kann Serbien später in die EU eintreten.
Barenberg: Das heißt, ohne eine Anerkennung eines unabhängigen Kosovo, auch ohne klaren und verbindlichen Verzicht auf Gebietsansprüche ist es undenkbar, dass Serbien in die EU kommt?
Bohnet: Auch hier muss man wieder ein bisschen vorsichtig formulieren: Ich glaube, den meisten Leuten in Europa ist klar, dass momentan es unwahrscheinlich ist und auch unmöglich ist für die Serben, innerhalb so kurzer Zeit nach der Unabhängigkeitserklärung den Kosovo offiziell anzuerkennen. Aber was gefordert wird, ist, dass die Beziehungen normalisiert werden, dass es einen pragmatischen Umgang mit den Nachbarn gibt, dass eine Lösung gefunden wird für alltägliche Probleme wie zum Beispiel Katasterwesen oder Mobilfunk innerhalb Kosovos, dass da, sagen wir mal, nicht nur die Kosovaren, sondern auch die Minderheit der Serben, die dort lebt, ein ordentliches Leben führen kann, aber gleichzeitig, dass, wie gesagt, die Beziehungen normalisiert werden, denn zum Beispiel momentan können Kosovaren mit kosovarischen Pässen nicht oder nur in Ausnahmefällen nach Serbien einreisen, was natürlich zwischen Nachbarn vor allem in Europa heutzutage kaum denkbar ist.
Barenberg: Henri Bohnet, er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belgrad. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bohnet!
Bohnet: Sehr gerne!
Links auf dradio.de:
"Aktuell" vom 31.05.2011: Serbien überstellt Mladic nach Den Haag - Auslieferung an UN-Kriegsverbrechertribunal
"Aktuell" vom 26.05.2011: Serbischer Kriegsverbrecher Mladic ist verhaftet - Regierungschef Boris Tadic bestätigt Festnahme
"Aktuell" vom 26.05.2011: Ein Schritt in Richtung EU-Beitritt - Viel Lob für Serbiens Regierung nach Mladic-Festnahme
Henri Bohnet: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Herr Bohnet, in dem Dorf, in dem Mladić aufgespürt und verhaftet wurde, gilt er weiterhin als Held. Es gab nach seiner Verhaftung Proteste auch in Belgrad. Ist das nur noch ein Häuflein ewig Gestriger, oder ist das noch mehrheitsfähig in Serbien, diese Meinung?
Bohnet: Also es ist deutlich geworden, dass es noch ewig Gestrige gibt. Das ist natürlich schade, aber ich denke auch, dass es wirklich nicht mehr so viele Leute sind, die Mladić unterstützen, die Sympathie mit ihm haben. Seit den letzten Jahren hat sich einiges verändert, Präsident Tadić hat dies auch in seinen letzten Äußerungen jetzt gesagt in Zusammenhang mit seinen Bestrebungen und den Bestrebungen Serbiens, in die EU einzutreten. Ich glaube wirklich, dass die Unterstützung für Mladić in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat, und obwohl es eine politische Partei gibt, die Radikalen, die Sympathien mit ihm haben, aber deren Anführer auch in Den Haag sitzt – denke ich, dass die Mehrheit der Menschen wirklich vorwärtsschaut in Richtung EU und endlich weiter die Reformen in Serbien greifen sehen möchte.
Barenberg: Warum ist das denn so, dass die Unterstützung für diese Figur Mladić, die ja auch immer eine Symbolfigur gewesen ist, abgenommen hat?
Bohnet: Also auf jeden Fall wurde mehr dafür getan, darüber zu sprechen, welche Verbrechen Mladić angehaftet sind, aber auch natürlich die Rolle Serbiens im Krieg, denn Bosnien … oder auch im ganzen Jugoslawien. Nicht umsonst wurde letztes Jahr die Srebenica-Resolution des Parlaments in Serbien verabschiedet, die zwar sehr kontrovers diskutiert wurde, aber doch mit einer Mehrheit verabschiedet wurde. Und das sind kleine Schritte, die dazu beigetragen haben, dass auch das Bewusstsein, das öffentliche Bewusstsein darüber, dass man eingestehen muss, früher Fehler begangen zu haben, eine schwierige, problematische Rolle auf dem Balkan gespielt zu haben, überdacht wird.
Barenberg: Das ist nach Ihrem Eindruck auch anerkannt in Serbien bei den Menschen, dass das Land in den 90er-Jahren quasi einen Eroberungskrieg geführt hat auf dem Balkan?
Bohnet: Also ich denke, es wird meistens weiterhin ausgeblendet, aber es wird damit begonnen, darüber nachzudenken, und meine Hoffnung ist, dass gerade mit dem Prozess gegen Mladić auch deutlicher und öffentlich darüber gesprochen wird, erstens, wie er natürlich so lange versteckt bleiben konnte und wer ihn dabei unterstützt hat, aber natürlich auch, die Fakten noch mal anzuschauen und darüber zu diskutieren, welche Rolle Serbien da wirklich gespielt hat. Darüber wird öffentlich wenig gesprochen, und es ist problematisch, solange auch noch Parteien, politische Parteien eine Rolle spielen, die damals auch relevant gewesen sind, so zum Beispiel die Nachfolgepartei von Milosević in der Regierung mit Präsident Tadić. Der Innenminister ist der Chef dieser Partei, die SPS heißt. Aber man sieht: Es hat sich einiges getan, und auch diese Menschen – der Innenminister sagt wenigstens, dass sie in die EU wollen, und die Reformen, die bisher durchgeführt wurden, zeigen, dass es ernsthafter seit Langem in der Geschichte so verläuft.
Barenberg: Muss denn Tadić, muss Präsident Boris Tadić mit Blick auf seine Koalitionspartner da auch innenpolitisch noch Rücksicht nehmen?
Bohnet: Also ich glaube, und Präsident Tadić macht das auch immer deutlich, dass seine Regierung die Reformen macht und in die EU will, dass seine Regierung als oberste Priorität hat, den Kandidatenstatus der Europäischen Union zu bekommen. Seine Regierung hat die Resolution für Srebrenica verabschiedet, unter seiner Führung wurde auch die UN-Resolution für den Beginn der Gespräche mit Kosovo erarbeitet. Also ich denke, dass tatsächlich hier es Kräfte gibt, die Einsicht haben, dass viel gemacht werden soll. Das heißt noch lange nicht, dass natürlich jeder ein begeisterter Europäer ist, aber ich denke, dass die meisten Politiker des Landes sehen, dass der große Nutzen Serbiens innerhalb der EU viel größer ist als außerhalb. Und diese Zweifel oder diese Dichotomie zwischen entweder "wir gehen nach Brüssel" oder "wir lassen uns von Russland unterstützen oder haben engere Beziehungen zu China" – ich glaube, den meisten Leuten ist klar, dass wirtschaftliches Wohlbefinden nur noch innerhalb der EU möglich ist.
Barenberg: Mit der Verhaftung von Mladić hat Serbien ja sicherlich eine wichtige Voraussetzung erfüllt auf dem Weg in die Europäische Union. Ist aber das Land reif für den Beitritt mit Blick auf all die Kriterien und Anforderungen, die die Gemeinschaft nun mal stellt?
Bohnet: Also der Annäherungsprozess und Beitrittsprozess für die EU ist ja sehr abgestuft worden in den letzten Jahren, er ist in gewisser Hinsicht auch sehr bürokratisch geworden, und es gibt eine immer stärkere Konditionalität, das heißt, werden diese Kriterien umgesetzt, kommt der Kandidatenstatus, werden andere Kriterien weiter umgesetzt, kommen da die Beitrittsverhandlungen. Insofern denke ich hat der Präsident Tadić ja deutlich gemacht, dass er jetzt erwartet, dass der Kandidatenstatus und dann auch die Beitrittsverhandlungen für die EU beginnen. Es ist normalerweise ein Prozess der Beitrittsverhandlungen, der recht lange dauert. Man sieht das jetzt auch am Beispiel von Kroatien, man muss da mit fünf oder sechs Jahren rechnen. Zuerst aber geht es wirklich darum, den Kandidatenstatus zu erhalten, und dann die Gespräche zu beginnen. Die EU hat bis jetzt deutlich gemacht – und das haben auch westliche und deutsche Politiker gemacht –, dass es nicht nur um die Auslieferung Mladićs geht, sondern es geht vor allem auch um Reformen, vor allem in der Justiz, aber auch in der Administration, aber auch in der Wirtschaft und der Politik, sodass ich denke: Auf jeden Fall hat Serbien jetzt einen großen Schritt nach vorne gemacht, aber es gibt noch mehrere Kriterien, die erfüllt sein sollten, und da geht es vor allem noch um die Umsetzung von Gesetzen und nicht nur um die Verabschiedung der Gesetze, wo Fortschritte zu sehen sein müssen bis zum Sommer, damit man wirklich ruhigen Gewissens den Kandidatenstatus an Serbien verleihen kann.
Barenberg: Das heißt, Herr Bohnet, Sie machen da noch, was den Beitrittsstatus oder den Status als Beitrittskandidat angeht, da machen Sie noch ein Fragezeichen?
Bohnet: Also ich denke: Beurteilt man das objektiv, sollte man wirklich noch mal auch den Serben deutlich machen, dass jetzt in den letzten Wochen, bevor es dann dazu kommt, die Beurteilung zu schreiben, wie weit ist Serbien gekommen, noch mal verstärkte Anstrengungen gerade im Bereich Rechtsstaat macht, zum Beispiel auch mithilfe von den Erkenntnissen, die man durch die Festnahme von Mladić hat, dass man alte Strukturen aufdeckt, dass man die Unabhängigkeit der Justiz weiter festigt, die bis jetzt immer noch unter politischem Einfluss ist, dass die Rechtsprechung und auch vor allem die Rechtsstaatlichkeit, die Prinzipien eingehalten werden. Da gibt es noch große Defizite. Man hat die Erfahrungen in Kroatien, dass das auch das schwierigste Kapitel in den Verhandlungen ist, das heißt: Je mehr auch vorher noch geregelt wird und die Kriterien schon erfüllt werden, desto einfacher werden vielleicht auch die Gespräche werden, die sowieso lange dauern, vor allem, weil es natürlich noch die zusätzliche Frage gibt, wie die Normalisierung mit Kosovo bewerkstelligt werden kann, denn nur so, mit gutnachbarlichen Beziehungen, kann Serbien später in die EU eintreten.
Barenberg: Das heißt, ohne eine Anerkennung eines unabhängigen Kosovo, auch ohne klaren und verbindlichen Verzicht auf Gebietsansprüche ist es undenkbar, dass Serbien in die EU kommt?
Bohnet: Auch hier muss man wieder ein bisschen vorsichtig formulieren: Ich glaube, den meisten Leuten in Europa ist klar, dass momentan es unwahrscheinlich ist und auch unmöglich ist für die Serben, innerhalb so kurzer Zeit nach der Unabhängigkeitserklärung den Kosovo offiziell anzuerkennen. Aber was gefordert wird, ist, dass die Beziehungen normalisiert werden, dass es einen pragmatischen Umgang mit den Nachbarn gibt, dass eine Lösung gefunden wird für alltägliche Probleme wie zum Beispiel Katasterwesen oder Mobilfunk innerhalb Kosovos, dass da, sagen wir mal, nicht nur die Kosovaren, sondern auch die Minderheit der Serben, die dort lebt, ein ordentliches Leben führen kann, aber gleichzeitig, dass, wie gesagt, die Beziehungen normalisiert werden, denn zum Beispiel momentan können Kosovaren mit kosovarischen Pässen nicht oder nur in Ausnahmefällen nach Serbien einreisen, was natürlich zwischen Nachbarn vor allem in Europa heutzutage kaum denkbar ist.
Barenberg: Henri Bohnet, er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belgrad. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bohnet!
Bohnet: Sehr gerne!
Links auf dradio.de:
"Aktuell" vom 31.05.2011: Serbien überstellt Mladic nach Den Haag - Auslieferung an UN-Kriegsverbrechertribunal
"Aktuell" vom 26.05.2011: Serbischer Kriegsverbrecher Mladic ist verhaftet - Regierungschef Boris Tadic bestätigt Festnahme
"Aktuell" vom 26.05.2011: Ein Schritt in Richtung EU-Beitritt - Viel Lob für Serbiens Regierung nach Mladic-Festnahme