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"Auf Kohle muss verzichtet werden"

Atomausstieg, ja, aber möglichst auch keine CO2-produzierenden Kohlekraftwerke: Rebecca Harms fordert auch für den fossilen Brennstoff einen Ausstiegsplan.

Rebecca Harms im Gespräch mit Christian Bremkamp |
    Christoph Heinemann: Heute ist der 10. Juni. Vor rund drei Monaten, am 11. März, wurde Japan vom Erdbeben und Tsunami heimgesucht. Die Naturkatastrophe hat auch hierzulande Spuren hinterlassen, die Mehrheit der Deutschen begrüßt die schnelle Entscheidung zum Atomausstieg, 54 Prozent der Befragten finden, dass es richtig war, innerhalb weniger Wochen nach der Atomkatastrophe eine Entscheidung zum Atomausstieg zu treffen. Das ergab eine Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend. Also noch mal: 54 Prozent dafür, 43 Prozent sind hingegen der Meinung, dass man sich mehr Zeit zur Prüfung und Abwägung hätte lassen sollen. Über die, wie die Kanzlerin sie nennt, Herkules-Aufgabe Energiewende hat mein Kollege Christian Bremkamp mit Rebecca Harms gesprochen. Sie sitzt für die Grünen im Europaparlament und beschäftigt sich dort insbesondere mit den Themen Industrie, Forschung, Energie und Umweltfragen. Erste Frage: Kann Deutschland diese Herkules-Aufgabe überhaupt stemmen?

    Rebecca Harms: Ich denke, dass der Zuspruch für den Ausstieg aus der Atomenergie, dass der heute leichter fällt als vor 30 oder 35 Jahren, als die Anti-Atom-Bewegung angefangen hat, weil heute die alternativen Energietechnologien sehr weit entwickelt sind und weil heute schon gezeigt werden kann, dass man durch konsequente Investition, durch konsequenten Ausbau für regenerative Energien und für Energieeffizienz unglaublich viel erreichen kann.

    Christian Bremkamp: Sie haben gerade die regenerativen Energien angesprochen. Zunächst sollen ja übergangsweise neue Kohle- und Gaskraftwerke gebaut werden, um den Energiehunger im Industrieland Deutschland zu stillen. Das kann doch eigentlich nicht in Ihrem Sinne sein, oder? Stichwort Klimaschutz.

    Harms: Ich bin der Auffassung, dass der Ausstieg aus der Atomkraft zu leisten ist und dass man gleichzeitig ehrgeizig Klimaschutz verfolgen kann.

    Bremkamp: Auch mit fossilen Brennstoffen?

    Harms: Dazu darf man dann nicht auf Kohle setzen. Das hat in Deutschland eine lange Tradition und diese Tradition, die lässt sich offensichtlich nicht so leicht brechen. Ich halte das für unverantwortlich. Wir werden das in der Überbrückung ins solare Zeitalter sicher brauchen, aber auf Kohle muss verzichtet werden. Kohle muss genau wie die Atomkraft in einem Ausstiegsplan eben überwunden werden.

    Bremkamp: Aber wo sollen dann die Energiemengen herkommen, die man ja recht kurzfristig brauchen wird?

    Harms: Die Ideen, die erneuerbaren Energien auszubauen, die sind ja in den letzten Jahren von der Bundesregierung gebremst worden. Viele sind gebremst worden, die Mittel, die man investiert hat, sind zurückgefahren worden. Man kann im Bereich erneuerbare, aber auch im Bereich Energieeffizienz und Einsparung sehr viel mehr erreichen für die Energiesicherheit in Deutschland, als das bisher beabsichtigt war. Da muss man nachlegen. Das wäre sonst unverantwortlich, das in diesem Konzept des Ausstiegs nicht zu tun. Und man muss zu den Klimaschutzzielen stehen, man kann das auch, man muss einen Ausstiegsplan Kohle auflegen.

    Bremkamp: Nur, Frau Harms, Kritiker warnen ja vor Stromengpässen. Deswegen noch mal die Frage: So populär dieser Ausstieg sein mag, diese Energiewende sein mag, ist sie vielleicht doch etwas überhastet?

    Harms: Es ist ja eigentlich so, dass die Bundesregierung jetzt wieder Tritt fasst in einem Ausstieg, der schon im Jahre 2000 beschlossen worden war. Angela Merkel hat ihr Regierungsprogramm korrigiert und geht zurück auf die Ideen der rot-grünen Bundesregierung. Ich halte das gerade nach Fukushima für ausgesprochen vernünftig, aus der Hochrisikotechnologie Atomkraft auszusteigen. Ich würde nie behaupten, dass das alles einfach ist. Ich finde aber die Drohung, dass die Versorgung nicht gesichert ist und dass man sich das nicht leisten kann, völlig unbelegt. Die Energiepreise, die Elektrizitätspreise sind in Deutschland Jahr für Jahr gestiegen, obwohl wir einen hohen Anteil Atomkraft ja in Deutschland heute noch haben. Energie wird nicht billig sein, Energieversorgung muss für jeden erschwinglich sein, und dafür ein Konzept zu machen, darum geht es jetzt in der Auseinandersetzung auch in Deutschland.

    Bremkamp: Deutschland ist Mitglied der Europäischen Union, ist eng vernetzt auf dem Kontinent, auch was die Energieversorgung betrifft. Sie sagen, dieser Beschluss ist richtig, der ist gut, der musste jetzt kommen. Aber wäre in diesem Kontext nicht etwas mehr Absprache auf europäischer Ebene ratsam gewesen? Diese Entscheidung wird ja auch Auswirkungen auf andere Länder haben.

    Harms: Deutschland sowie alle anderen Länder auch haben bisher immer darauf bestanden, dass über den Energiemix alleine die Mitgliedsstaaten entscheiden. Die Entscheidung, Atomkraft zu nutzen oder nicht, ist bisher Sache der Mitgliedsstaaten gewesen. Ungefähr die Hälfte der Mitgliedsstaaten nutzen keine Atomkraft und haben zum Teil auch Ausstiegspläne. Deutschland macht es jetzt rapider, aber, wie ich schon gesagt habe, bereits im Jahr 2000 war ein ähnliches Ziel verabredet worden. Und wenn Sie in ein Nachbarland gucken, Schweiz, da hat man jetzt auch einen Ausstiegsfahrplan neu begründet. Ich glaube, dass in anderen Ländern die deutsche Entscheidung positiv nachvollzogen werden wird, weil selbst im Mitgliedsstaat Frankreich, dem Atomland schlechthin, sind weit über 60 Prozent der Bürger inzwischen für den Ausstieg.

    Bremkamp: Aber höhere Preise hier können auch höhere Strompreise woanders bedeuten.

    Harms: In Frankreich ist Strom bisher billiger. Frankreich hat trotzdem zu kämpfen mit wachsender Energiearmut, mehr als Deutschland, unter anderem deshalb, weil Energie, gerade Elektrizität, in einem unglaublich verschwenderischen Stil eingesetzt wird, die Wohnungen werden elektrisch geheizt, viele Franzosen, wenn sie in die Vororte von Paris gehen, können sich im Winter das Heizen ihrer Wohnung nicht leisten. Frankreich hat ein großes Problem mit Energiearmut, trotz viel Atomstroms.

    Heinemann: Rebecca Harms von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament.

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