Eine Szene aus dem Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz vor zwei Wochen. Eine Frage - und ein Wunder: Die beiden Polit-Profis waren sichtlich überrascht.
"Ich war heute nicht ... Ich war heute in einer Kapelle und ich war heute auf einem Friedhof bei meinem Freund Frank Schirrmacher, dessen Grab und die kleine Kapelle habe ich heute besucht." - "Ich war, wenn's dann darum geht, gestern in einer Kirche, weil da mein Vater seinen Todestag hatte, da habe ich in der kleinen Kirche, die er sehr aufgebaut hat, an ihn gedacht."
Ein Nein hätte gereicht. Oder die Antwort: Kirchgang ist Privatsache. Aber der Sozialdemokrat sah sich genötigt, kryptisch eine Kapelle zu erwähnen. Die Christdemokratin toppte das Kirchlein mit einem ausgewachsenen Gotteshaus. Gerade noch rechtzeitig erwachte die Pastorentochter in Angela Merkel, Richtlinienkompetenz verband sich mit Transzendenz.
Gut 16 Millionen schauten zu. Falls das Publikum repräsentativ für die Gesellschaft sein sollte, gehört etwas mehr als die Hälfte davon einer der beiden großen Kirchen an; ein Drittel ist konfessionsfrei. Die erste Gruppe schrumpft stetig, die zweite wächst. Warum die Kirchgangkonkurrenz, wenn der Wählerwachstumsmarkt bei den Konfessionsfreien zu vermuten ist?
Das Staats-Kirchen-Verhältnis hat sich der gesellschaftlichen Entwicklung nicht angepasst. Der Staat finanziert konfessionsgebundene Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Pflegeheime fast vollständig. Und doch gilt dort ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, das immer wieder für Schlagzeilen sorgt, weil es ins Privatleben eingreift. Der Staat zieht die Kirchensteuer ein, während andere Organisationen ihre Mitgliedsbeiträge selbst heranschaffen müssen. Der Staat zahlt mehr als eine halbe Milliarde Euro jährlich als Entschädigung für die Folgen der Säkularisierung, die sogenannten Staatsleistungen. Das alles sind Überbleibsel aus einer Zeit, als die Zugehörigkeit zu einer der beiden Konfessionen selbstverständlich war.
Auffallend viel Rücksicht auf die Volkskirchen
Die beiden Volksparteien - oder das, was davon übrig ist -, nehmen auffallend viel Rücksicht auf die Volkskirchen – oder das, was davon übrig ist.
Im Wahlprogramm der CDU heißt es unter der Überschrift: "Was unser Land zusammenhält":
"Die christlichen Kirchen leisten seit Jahrzehnten einen unverzichtbaren Beitrag zum geistigen Leben in Deutschland und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. ... Der großartige Einsatz kirchlich engagierter Menschen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel."
Die SPD erwähnt in ihrem Wahlprogramm die Kirchen sieben Mal, meist als Säulen der Zivilgesellschaft und des Wohlfahrtsstaates:
"Unser kulturelles Leben ist einzigartig. Ebenso wie unsere Zivilgesellschaft mit ihren vielen unterschiedlichen Vereinen, Verbänden und Initiativen, den Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in denen sich Millionen Menschen ehrenamtlich engagieren."
Und wie die CDU lobt auch die SPD das Engagement beider Kirchen in der Flüchtlingshilfe.
Es geht nicht ohne einander
Das TV-Duell versinnbildlicht den aktuellen Beziehungsstatus zwischen Spitzenpolitik und Kirchturmspitze: Es geht nicht ohne einander. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat ein SPD-Parteibuch, lässt aber seine Mitgliedschaft ruhen. Auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin in diesem Jahr saß er Seit' an Seit mit der Bundeskanzlerin und dem früheren US-Präsidenten Barack Obama. Er fragte Angela Merkel:
"Ich bekomme im Moment viele Briefe als Bischof von Menschen, die sich intensiv, mit viel Empathie um Flüchtlinge gekümmert haben, die geholfen haben, dass sie integriert werden, dass sie Deutsch lernen können, vielleicht einen Job jetzt kriegen.
Und die können nicht verstehen, warum die Politik es nicht schafft, flexible Regelungen zu finden, damit solche Leute bleiben können, von denen alle wollen, dass sie bleiben. Können Sie dazu was sagen."
Die Bundeskanzlerin verteidigte ihren Kurs, das Kirchentags-Publikum, traditionell links-evangelisch, muckte auf. Gütig lächelnd demonstrierte der EKD-Ratsvorsitzende der obersten Protestantin, dass seine Kirche Zuneigung schenken und entziehen kann; sie liefert die Bühne, aber auch die Buhrufe.
Bedford-Strohms katholisches Pendant macht der Kanzlerin weniger zweideutige Liebeserklärungen. Angela Merkel wurde im Februar dieses Jahres mit dem Eugen-Bolz-Preis für christliches Engagement ausgezeichnet. Der Laudator hieß - Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von München und Freising:
"Wir schätzen diese Arbeit. Und das wird über Parteigrenzen hinweg deutlich, dass das eine Arbeit ist, die Unterstützung findet. Und dass die Kirche das auch tut in konstruktiv-kritischer Wegbegleitung, glaube ich, gehört zum guten Verhältnis von Kirche und Gemeinwesen in unserem Land."
Die Gelobte gab einen Einblick in ihre Seelenlage:
"Es ist ein bisschen komisch, wenn man gewöhnt ist, seinen ganzen Tag eigentlich immer mehr so im Kampf zu verbringen, wenn man hier so eine Stunde sitzt und so viel Gutes hört."
So viel Gutes. Die Kanzlerin konnte es selbst nicht glauben. Katholische Bischöfe hatten bei Merkels Amtsantritt 2005 mit der geschiedenen Protestantin gefremdelt. Nun, im täglichen Kampf, erscheinen die Kirchen wie Polit-Seelsorger, die sich um das Wohl der Mächtigen kümmern. Solchen Brüdern und Schwestern im Geiste mag man nicht wehtun, schon gar nicht mit einem Wahlprogramm.
Dabei gibt es einen Bereich im Staats-Kirchen-Verhältnis, in dem Nichtstun geradezu verfassungswidrig ist: die Staatsleistungen. Sie gehen zurück auf den Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Reichsdeputationshauptschluss hatte Fürsten und die alte Reichskirche enteignet. Die Fürsten erhielten als Entschädigung einstmals kirchliche Besitztümer und mussten sich dafür wiederum verpflichten, die Kirchengebäude "fest und bleibend" zu erhalten. Außerdem mussten sie Pensionen für die Geistlichkeit übernehmen und zum Aufwand für Gottesdienste beitragen.
Ein schwer durchschaubares Geflecht an Verträgen sorgt dafür, dass die Kirchen in Deutschland über alle politischen Systemwechsel hinweg diesen Anspruch behalten haben. Dass dies eine Altlast sein könnte, schwante schon den Ideengebern der Weimarer Reichsverfassung. Da gebot Artikel 138:
"Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."
Rund 524 Millionen Euro aus Steuereinnahmen gehen an die Kirchen
Diese Regelung wurde in Artikel 140 des Grundgesetzes übernommen. Geschehen ist seit 1949 wenig. Rund 524 Millionen Euro überweisen die Bundesländer mit Ausnahme der Hansestädte Bremen und Hamburg in diesem Jahr an die katholische und evangelische Kirche. Diese Zahlen sind Näherungswerte, eine genaue Summe, wie viel alles in allem fließt, ist nicht zu ermitteln. Und weil das Geld aus Steuereinnahmen stammt, zahlen auch diejenigen, die keine Kirchenmitglieder sind. Gerade dort, wo die Kirchensteuereinnahmen aufgrund der geringen Christendichte besonders überschaubar sind, trägt das Land prozentual besonders viel zum kirchlichen Budget bei, in Sachsen-Anhalt zum Beispiel.
Ein ewiges Leben ist für die Entschädigungszahlungen eigentlich nicht vorgesehen, Ablösung meint: Die jährlichen Zahlungen inklusive dynamischer Anpassung enden, wenn Bund und Länder sich darauf verständigen, einmalig einen Betrag X überweisen, den die Kirchen akzeptieren können.
"Gerecht wäre, wenn man versucht, seriös zu ermitteln, wie hoch die Summe ist, die uns zusteht durch die Enteignungen und wenn man sich dann auf einen Betrag verständigt, von dem man sagt: Das entspricht ungefähr der Höhe, in der enteignet worden ist",
sagt Karl Jüsten. Er ist Chef des Katholischen Büros in Berlin und damit der oberste Lobbyist der katholischen Kirche in Deutschland.
Warum sollen Atheisten für Altäre zahlen? Oder, wie es in den Fußnoten der Landeshaushalte oft heißt, für "kirchenregimentliche Zwecke"? Eigentlich eine wahlkampftaugliche Frage. Doch die großen Parteien stellen sie allenfalls leise. Karl Jüsten blickt entspannt auf das Geschehen:
"Sicher haben wir im Moment eine gute Situation. Die Kirchen leisten ihren Beitrag für unsere Gesellschaft und die Gesellschaft anerkennt das, die Politik anerkennt das, der Staat anerkennt das."
In dieser ökonomischen Frage ist die Ökumene weit fortgeschritten. Der Göttinger Jura-Professor Hans-Michael Heinig leitet das Kirchenrechtliche Institut der EKD. Die Zufriedenheit beider Kirchen erklärt er so:
"Sowohl die Kirchen als auch die Bundesländer, die die Staatsleistungen erbringen, haben in den letzten Jahrzehnten mit dem bestehenden Arrangement ganz gut leben können. Die Kirchen haben einen solventen Schuldner, kriegen jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag. Und die Länder müssten für eine Ablösung erst mal tiefer in die Tasche greifen."
Lieber zahlen, als Ärger mit den Kirchen
Dass die Kirchen in Ruhe gelassen werden, sieht er weniger als Zeichen der Zuneigung denn als Ergebnis eines Kalküls:
"Für den Bund ist es überhaupt kein Gewinnerthema. Er wird so oder sich mit einzelnen Akteuren anlegen. Der Bund hätte, wenn er die Ablösung in Form einer Rahmengesetzgebung vorantreibt, viel Ärger mit wichtigen Akteuren, Kooperationspartnern, die man an verschiedener Stelle braucht, ohne dass politisch eine Rendite in Sicht ist. "
Kein Gewinnerthema, schwieriges Verfahren, hohe Ablösesumme – mit solchen Erklärungen mag sich Johann-Albrecht Haupt nicht zufriedengeben. Er ist Jurist, gehört dem Beirat der Humanistischen Union an und versucht seit 25 Jahren, die Höhe der Staatsleistungen zu beziffern:
"Das war die erstaunlichste Entdeckung, als ich damit angefangen habe. Dass sowohl die Kirchen als auch die Länder als auch der Bund einheitlich gesagt haben: Entweder wir wissen es nicht, oder es ist zu schwierig festzustellen, jedenfalls haben wir keine Gesamtzusammenstellung, weder auf der Landesebene noch beim Bund."
"Die Politiker haben Angst"
Johann-Albrecht Haupt durchforstete Landeshaushalte und Landesrechnungshofberichte, schrieb Briefe an die Landtagsfraktionen in Niedersachsen. Die Ergebnisse hat er ins Netz gestellt, www.staatsleistungen.de heißt seine Seite. Er vermutet:
"Die Politiker haben Angst. Und zwar haben sie aus zwei Gründen Angst: Erstens haben sie Angst vor dem Wähler. Wenn man den Kirchen etwas wegnimmt, dann kann sich das, bei dem Einfluss den die Kirchenvertreter im politischen Leben haben, negativ auf das Wahlergebnis auswirken. Der zweite, noch gewichtigere Grund scheint mir zu sein, dass die Politiker Angst haben vor den möglicherweise zu zahlenden, einmaligen Entschädigungsbeträgen. "
Die kleineren Parteien geben sich angstfreier. Die Linkspartei versuchte in der vergangenen Legislaturperiode, das Ablösungsverfahren in Gang zu bringen. Vergeblich. Christine Buchholz, eine der Antragstellerinnen der Linken, gibt dennoch nicht auf:
"Es gibt ja auch in den Kirchen durchaus eine Bereitschaft. Wer da momentan eher mauert oder nicht bereit ist, in die Diskussion zu gehen, ist die Politik an wesentlichen Stellen. Gerade in der Union gibt es da keine große Gesprächsbereitschaft."
Mehr Transparenz in Staatsleistungen an Kirchen gefordert
Auf einem turbulenten Parteitag im Juni dieses Jahres hatte die Linkspartei größere Pläne. Sie plädierte für die Aufkündigung der Staatsverträge. Das hätte bedeutet: keine staatliche Finanzierung für Theologenausbildung, keine Militärseelsorge, keine Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge aus staatlichen Mitteln. Der entsprechende Antrag wurde zunächst angenommen, dann abgelehnt. Die Kirchen seien ein wichtiger Bündnispartner in der Flüchtlingsfrage, sagte Parteichef Bernd Riexinger.
Auch die Grünen – einstmals kritisch gegenüber weltlichen wie geistlichen Autoritäten – haben sich arrangiert. Das Wahlprogramm geht die Sache sanft an:
"Die historischen Staatsleistungen an die beiden großen christlichen Kirchen wollen wir endlich ablösen. Die Kirchenfinanzen sollen transparenter werden und den aktuellen Kirchensteuereinzug wollen wir so reformieren, dass Gleichbehandlung und Datenschutz gewährleistet sind."
Volker Beck, in der vergangenen Legislaturperiode religionspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, beschreibt präziser, wie das Vorgehen aussehen könnte:
"Der Bundesgesetzgeber – in der Verfassung steht noch "der Reichsgesetzgeber" - muss ein Ablösegrundsätzegesetz erlassen, nach dem dann die Länder mit den großen Kirchen ihre Verhandlungen führen."
Dass sich jedoch wirklich etwas ändert, bezweifelt der erfahrene Parlamentarier Beck:
"Außer das wir was dran machen und die Linke mal einen abenteuerlichen Vorstoß in der Sache gemacht hat, macht eigentlich niemand was."
So ganz stimmt das nicht. Die FDP fordert traditionell die strikte Trennung von Kirche und Staat. 1974 verabschiedeten die Liberalen einen Beschluss mit dem Titel "Freie Kirche in einem freien Staat". Darin forderten sie unter anderem, die Kirchensteuer durch ein Beitragssystem zu ersetzen. Die FDP war an vielen Bundesregierungen beteiligt, doch noch immer zieht der Staat die Kirchensteuer ein. Christian Lindner hat schon Trennungsvorschläge gemacht. Die Anfrage des Deutschlandfunks zum Staats-Kirchen-Verhältnis beantwortet aber der hessische FDP-Vorsitzende Stefan Ruppert. Er war kirchenpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, ist habilitierter Jurist und hat sich in seiner Dissertation mit Kirchenrecht und Kulturkampf befasst:
"Ich bin selbst ein engagierter, evangelischer Christ. Ich glaube nur: In ein modernes Religionsverfassungsrecht passt vieles hinein. Aber eines passt eben nicht mehr hinein: Das sind Zahlungen, die historisch durchaus begründet entstanden sind, und dann zum Teil auch über die Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinzukamen. Aber es ist an der Zeit deutlich zu machen, dass der Staat nicht Geld an die zwei Kirchen oder mehrere Bistümer oder Landeskirchen bezahlt."
Dass sich etwas ändert, glaubt er dennoch nicht.
"Ich glaube, weil wir in dieser Frage wenig Allianzen haben bei den beiden großen Volksparteien. Die Verfassung gibt uns den Auftrag, die Staatsleistungen abzulösen. An dieses Thema gehen andere Parteien nicht heran."
Auch die FDP stellt das Thema nicht offensiv heraus.
"Wir wissen, dass am Ende kaum jemand seine Wahlentscheidung danach fällt."
Nur AfD setzt auf kirchenkämpferische Rhetorik
Aggressiv aufzutreten, das lohnt sich nicht für Parteien, die um den Korridor zwischen linker Mitte und gemäßigt Konservativen buhlen. Allein die AfD hat sich für kirchenkämpferische Rhetorik entschieden und spielt das "Funktionärschristentum" gegen das "wahre Christentum" aus.
Parteichefin Frauke Petry war lange mit einem evangelischen Pfarrer verheiratet, es gibt Zeitungsartikel über die patente Frau im Pfarrhaus von Tautenhain bei Leipzig. Vor einem Jahr, am Rande des Katholikentages in Leipzig, behauptete Petry im Deutschlandfunk, die Kirchen betrieben mit ihrer Unterstützung in der Flüchtlingshilfe einen modernen Ablasshandel. Auf dem Parteitag in Köln rief AfD-Bundesvorstandsmitglied Armin Paul Hampel die Delegierten zum Kirchenaustritt auf. Er erklärte:
"Die vom Staat eingezogene Kirchensteuer hat sich spätestens dann erledigt, wenn die Amtskirchen selbstherrlich durch eigene Asylprogramme die Rechtstreue, die Grundlage des Kirchenstaatsvertrages ist, gebrochen haben."
Anfang September stellte die AfD in Mainz ein "kirchenpolitisches Manifest" vor. Da bedauerte sie das Zerwürfnis und vertiefte es zugleich.
Die Kirchen können dem Treiben und Nicht-Treiben aus einer komfortablen Situation zuschauen. Sie bekunden Gesprächsbereitschaft, wohl wissend, dass der Teufel im Detail liegt: Wie hoch soll die Ablösesumme sein? Soll sie das 10-fache, das 20-fache, das 40-fache der jährlichen Summe von mehr als einer halben Milliarde Euro betragen? Geistliche predigen gern, dass es gut sein kann, zu verzichten, anstatt auf Ansprüche zu pochen. Der Christliche gibt nach. Karl Jüsten, Chef des katholischen Büros, schaut erstaunt, als er von Verzicht hört:
"Zunächst einmal darf das gar kein Bischof, weil der Bischof dazu verpflichtet ist, das Vermögen, das ihm anvertraut worden ist, zu erhalten für die Seelsorge. Wenn Sie ein Haus besitzen, und das Haus wird Ihnen enteignet, dann wollen Ihre Enkelkinder eines Tages auch eine Entschädigung bekommen. Dann werden Ihre Enkelkinder sagen: Warum soll ich jetzt verzichten, nur weil der Staat das einmal enteignet hat?"
Rechtsbruch mit Rücksicht auf die Kirchen
Johann-Albrecht Haupt kennt die Gleichnisse von Omas und Enkeln. Er ist auch die Geschichten leid nach dem Muster "Wir würden ja gern, aber die anderen ..."
"Das steht im Grundgesetz: Staatsleistungen sind abzulösen. Und keiner kümmert sich darum. Dieser Rechtsbruch ist eigentlich das, was das Ärgernis ist dabei."
Ein Rechtsbruch aus Rücksichtnahme auf die Kirchen? Eine übertriebene Rücksichtnahme, findet Hans Michael Heinig vom Kirchenrechtlichen Institut der EKD. Es sei nicht kirchenfeindlich, die Ablösung anzugehen:
"Wenn man das geltende Religionsverfassungsrecht insgesamt begrüßt und für richtig hält, dann muss man auch der Ablösung offen gegenüber stehen. Staat und Kirche sollen im Institutionellen entflochten werden, die kirchliche Finanzierung soll über die Kirchensteuer erfolgen und nicht über die Staatsleistung."
Die Kirchen haben alte Ansprüche – aber sie brauchen stets frische Akzeptanz. Es kann sein, dass eines Tages weniger Rücksicht auf die Kirchen im Bundestag mehrheitsfähig ist. Dann stehen nicht Details der Ablösung zur Debatte, sondern das große Ganze. Mit Zwei-Drittel-Mehrheit ist eine Verfassungsänderung möglich. Der Artikel 140 des Grundgesetzes hat keine Ewigkeitsgarantie.