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"Auf lange Sicht sind wir alle tot"

Er verkehrte in literarischen Kreisen, war bekennender Homosexueller, heiratete aber eine bekannte Tänzerin - John Maynard Keynes entsprach nicht den Vorstellungen von einem Ökonom. Doch sein wirtschaftlicher und politischer Weitblick machen ihn zu einem der bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Vor 125 Jahren wurde Keynes geboren.

Von Klaus Peter Weinert |
    In einem Radiointerview von 1939 sprach John Maynard Keynes das Thema an - in Bezug auf die wirtschaftliche Situation Englands -, mit dem er bis heute in der öffentlichen Diskussion in Verbindung gebracht wird:

    "Wenn wir mehr als hundertfünfzig Millionen Pfund ausgeben, dann werden alle Menschen ein höheres Einkommen haben; und jene, die arbeitslos sind, brauchen nicht länger die Arbeitslosenunterstützung. Darüber hinaus werden diese Ausgaben eine Menge anderer Menschen in Arbeit bringen. Das Geld wird in der Wirtschaft zirkulieren und ausgegeben werden für verschiedenste Waren und nicht konzentriert sein auf nur wenige Industrien."

    Wenn die Wirtschaft nicht mehr floriert, dann muss der Staat mehr Geld ausgeben, das war scheinbar Keynes' Konzept. Aber dahinter stand mehr, denn Keynes erkannte, dass es Situationen gab, in der der freie Markt nicht funktionierte und der Staat eingreifen musste, um Arbeitsplätze zu schaffen.

    Damit griff er die klassische Ökonomie an, die behauptete, dass jedes Angebot sich auch seine Nachfrage schaffe. Bis heute spielt diese Überzeugung eine große Rolle. Sind nur die Bedingungen für die Unternehmen gut - keine hohen Steuern, wenig Kündigungsschutz -, dann können sie ihre Anlagen auslasten, Produkte herstellen und auch Arbeitnehmer einstellen. Der Staat muss sich nur zurückhalten.

    Diese Theorie hängt unter anderem davon ab, dass es die Sicherheit gibt, dass Menschen auch die angebotenen Waren kaufen. Keynes schrieb in seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" 1936:

    "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass menschliche Entscheidungen die Zukunft beeinflussen, ob es persönliche, politische oder ökonomische sind. Und diese Entscheidungen sind keine mathematisch berechenbaren Erwartungen, da es keine Grundlage gibt, die solche Berechnungen möglich machen."

    Wie also die Zukunft genau aussehen wird, das weiß man nicht, unterstrich Keynes. Daher glaubte er auch nicht daran, die Zukunft prognostizieren zu können, was die klassische Ökonomie unterstellt. Sie behauptet, dass ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen zwar nicht gleich, aber auf lange Sicht für ein ökonomisches Gleichgewicht sorgen würden. Bis dahin leiden manche Menschen unter notwendigen Anpassungen.

    Keynes meinte dazu lakonisch, dass wir auf lange Sicht alle tot sind. Er hoffte also nicht auf ein ökonomisches Gleichgewicht und mehr Arbeitsplätze irgendwann in der unsicheren Zukunft, sondern wollte Krisen heute lösen.

    John Maynard Keynes war eine schillernde Persönlichkeit. Er verkehrte in literarischen Kreisen, war bekennender Homosexueller und heiratete dennoch eine bekannte Tänzerin, Attribute, die sicherlich nicht geeignet waren und sind, ihn in den eher konservativen Kreisen der Ökonomen beliebt zu machen.

    Keynes betrachtete aber nicht nur die Nationalwirtschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte er sich für ein internationales Währungssystem. Schon 1941 schrieb er:

    "Das Charakteristikum eines freien Währungssystems ist, dass die Hauptlasten der Anpassung den Ländern zugemutet werden, die in einer Schuldnerposition sind innerhalb des internationalen Währungssystems. Das sind die schwächeren Länder und die kleineren im Vergleich zum Rest der Welt."

    Keynes glaubte nicht an die Effizienz freier Kapitalmärkte. Er lastete ihnen ein geringeres Wachstum, höhere Arbeitslosigkeit an sowie eine größere Krisenanfälligkeit aufgrund von Spekulationen. In seiner "Allgemeinen Theorie" schrieb er 1936:

    "Wenn sich die Organisation des Investment-Marktes verbessert, dann vergrößert sich die Dominanz der Spekulation. In New York ist die Spekulation enorm. Selten investieren Amerikaner, wie es meist Engländer tun, um Einkommen zu erzielen. Der Amerikaner will nicht ein Investment kaufen, außer in der Hoffnung, dass sich der Wert erhöht. Der Amerikaner schaut nicht so sehr auf den Ertrag als nach einer günstigen Veränderung in den wirtschaftlichen Umständen. Er ist ein Spekulant. Spekulanten schaden den Unternehmern nicht unbedingt. Wenn aber Unternehmen in einen Whirlpool von Spekulationsblasen kommen, dann wird es ernst."

    Dieses Zitat könnte aus der heutigen Zeit stammen, wenn man an die zahlreichen Hedge-Fonds denkt, die nicht immer das Wohl der Unternehmen im Auge haben, oder an die akute Subprime-Krise.

    Keynes Weitblick, seine hoch aktuellen politischen Analysen - wie die Kritik an den Reparationszahlungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg - waren außergewöhnlich. Als John Maynard Keynes am 21. April 1946 starb, wurden viele seiner Gedanken auf eine Weise interpretiert, die Keynes vermutlich nicht akzeptiert hätte, wie ausländische Keynes-Forscher betonen. Sie behaupten auch, dass viele Kritiker von Keynes seine "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" wahrscheinlich nie gelesen haben.