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Auf Pflanzenjad

Für das Projekt Pflanzenatlas ziehen bundesweit Tausende freiwilliger Helfer durch Wald und Flur. Ausgerüstet mit Karte, Notizblock und Lupe finden sie heraus, welche verschiedenen Pflanzenarten wie häufig an welchen Standorten zu finden sind. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es bereits eine Art floristische Kartierung, denn diese Informationen geben Auskunft über Bestand und Gefährdung der Pflanzenarten.

Von Ursula Storost |
    Hans Helmut Poppendieck und Barbara Engelschall streifen mit auf den Boden gesenktem Blick über eine Brachfläche im Hamburger Hafengebiet: zwei suchende Menschen zwischen einem vergammelten Bauwagen, alten Brettern und jede Menge kniehohem Unkraut.

    "Also hier, das ist so eine Fläche, wo sich der Botaniker gleich wohl und zuhause fühlt."

    Hans Helmut Poppendieck ist Botaniker und liebt vor allem solche Gegenden, die normale Spaziergänger wegen ihrer unordentlichen Hässlichkeit eher meiden:

    "Und zwar deswegen, weil wir hier eine relativ große Artenvielfalt haben an höheren Pflanzen und weil wir hier so schön blühende Arten haben, auch ein Nektarangebot haben für Hummeln, Schmetterlinge Bienen, Wildbienen und so weiter. Also hier lebt es, hier ist biologisch was los."

    Seit zwölf Jahren untersucht Hans Helmut Poppendieck im etwa 800 Quadratkilometer großen Hamburger Stadtgebiet bestimmte Flächen auf alte und neue Pflanzen:

    "Wir haben unser Notizbuch mitgenommen, unser Bestimmungsbuch mitgenommen, eine Lupe. Botaniker braucht immer eine Lupe zum Bestimmen. Und dann haben wir aufgeschrieben, was alles vorkommt."

    Insgesamt sind es mehr als 100 Freiwillige, die genau festgelegte Gebiete immer wieder aufsuchen und die dortigen Pflanzen bestimmen. Eine von ihnen ist die Biologin Barbara Engelschall, die gerade in den vornehmen Elbvororten unterwegs war:

    "Die fragen natürlich, wenn man dann plötzlich hinter der Hecke auftaucht, wo sie dann niemanden vermuten, das ist schon ein bisschen ungewöhnlich."

    Dreimal im Jahr, im Frühling, Sommer und Herbst wird aufgenommen, was in der botanischen Karte erscheinen soll. Oft werden in kurzer Zeit die Lebensräume bestimmter Blütenpflanzen zerstört, sagt Barbara Engelschall:

    "Dass eben die Brachflächen massiv abnehmen, weil in den letzten Jahren doch im Zuge der wachsenden Stadt geguckt wird, dass das, was an Baugrundstücken noch übrig ist, alles bebaut wird."

    Immer mehr Flächen werden gezähmt und zivilisiert, man pflanzt Bäume und sät Rasen und schafft gepflegte Monotonie. Andererseits erlebt die engagierte Biologin bei ihrer Pflanzensuche Gegenden, die sie vorher nicht einmal erahnt hat:

    "Ich bin jetzt im Moment im Harburger Raum am Kartieren und bin ganz begeistert, was es da noch für alte Wälder gibt, was da noch für Naturrelikte vorhanden sind."

    Die Hamburger Kartierer liefern nur einen kleinen Baustein für das gesamte deutsche Kartierungsprojekt. Unterstützt vom Bundesamt für Naturschutz fließen Kartierungen aus allen Bundesländern auf der Homepage Floraweb zusammen. Da kann sich jeder Interessierte die Pflanzenarten anschauen und eine Verbreitungskarte abrufen:

    "Einmal haben wir die Aufgabe, auch gefährdete Arten zu schützen, und dass man natürlich durch so eine Bestandsaufnahme sieht, wo gibt es denn diese gefährdeten Arten, die auch bundesweit gefährdet sinn, und was für Möglichkeiten kann man ergreifen, um diese Arten zu schützen?"

    "Also hier, das sieht nach dem kleinen Berufkraut aus. Dahinten habe ich auch Hafenklee gesehen, und hier der Schneckenklee, und man kann sehen, das ist so eine ausgezogene Spitze."

    Und dann findet Hans Helmut Poppendieck noch die Pflanze, die er unbedingt zeigen will:

    "Das ist der botanische Rausreißer dieses Gebietes, das ist das Herzgespann. Das Interessante an der Pflanze ist, sie ist sehr selten, dass wir hier im Herbarium an der Universität, Herbaarexemplare liegen haben von diesem Herzgespann, Elbhänge bei Neumühlen aus dem Jahre 1855. Und wenn man sich vorstellt, dass diese Pflanze hier eine Kontinuität von weit über 150 Jahren an einer Stelle mitten in der Stadt hat, dann finde ich das faszinierend."

    Das Herzgespann hat Bombennächte, Containerterminals und Bauboom überdauert. So langlebig können Pflanzenarten also sein, auch in der Großstadt:

    "Es hat sich herausgestellt, dass Städte artenreicher sind als die freie Landschaft. Das landwirtschaftlich geprägte Umland ist viel monotoner. Da haben Sie riesige Ackerflächen, Maisäcker und so weiter.. In der Stadt ist es so, da haben Sie viele kleine Flächen, die unterschiedliche Geschichte haben, unterschiedlich bewirtschaftet werden und wo unterschiedliche Tiere und Pflanzen vorkommen. Also es hat sich herausgestellt, dass die Städte Zentren der Artenvielfalt sind und nicht das freie Land."