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Dirk Schümer: "Die schwarze Rose"
Auf Umberto Ecos Spuren

In seinem historischen Roman "Die schwarze Rose" entfaltet Dirk Schümer ein üppiges Panorama des Spätmittelalters, in dessen Zentrum ein Novize steht, der in politische Ränkespiele gerät. Er deckt Intrigen auf, fordert den Papst heraus und erfährt, dass der Glaube nur eine Methode des Machterhalts ist.

Von Samuel Hamen | 07.03.2022
Ein Portrait des Autors
 Dirk Schümer und das Cover seines Romans "Die schwarze Rose"
Schon im Titel eine Anspielung auf Umberto Ecos berühmten Roman: Dirk Schümers "Die schwarze Rose" (Buchcover Zsolnay Verlag / Autorenportrait Stephany Fotografie / Zsolnay)
Avignon im Jahr 1328: Die südfranzösische Stadt, die zwischen 1309 und 1376 Exil-Sitz des Papstes ist, stinkt gleichzeitig nach Geld und nach Kot. Auf den Gassen, vor Tavernen, in den Palästen und Konventen der Mönchsbrüder sind Worte zugleich Wahrheit und Lüge, Bitte um Hilfe und Verleumdung. So jedenfalls präsentiert sich die Stadt dem jungen Wittekind, einem "Novizen aus dem kalten Deutschland". Er ist gemeinsam mit seinem Meister angereist, der nach Avignon beordert wurde. Ihm soll der Prozess wegen Häresie gemacht werden.
"Wir haben keinen Freund in Avignon, nicht einmal im Konvent der Brüder, da am allerwenigsten. In Köln warst du der größte Prediger, die Menschen kamen von weit her, um dich zu hören. Hier hat dir die Inquisition den Mund verboten, sie haben dich wochenlang im Kloster eingesperrt. Wir werden immer noch überwacht. Wir hätten nie nach Avignon kommen dürfen. Meister, ich habe Angst."
Die wird Wittekind in Dirk Schümers historischem Roman bis zuletzt begleiten: Angst vor Auftragsmördern und hinterlistigen Kardinälen, Angst vor dem machtversessenen Papst Johannes XXII.  und einer Stadtbevölkerung, die zu großen Teilen aus Profiteuren, Unterdrückten und Taugenichtsen besteht.

Reichtum und Armut der Kirche

Denn in Avignon, dort, wo "so viele Fäden der europäischen Politik zusammenlaufen" wie nirgendwo sonst zu der Zeit, gerät der junge Mönch in eine Intrige epochalen Ausmaßes.
"Die politischen Fronten waren klar: Napoleone Orsini und die Franziskaner standen gegen den Papst und für seinen Erzfeind, den Kaiser. Papst Joan mit den französischen Kardinälen und den Dominikanern standen auf der anderen Seite. Wer wie die Franziskaner Christus für besitzlos erklärte und deswegen den Reichtum der Kirche verdammte, wurde den Inquisitoren sofort verdächtig. Und wer die Rückkehr des Papstes nach Italien, in Napoleone Orsinis geliebte Heimat, forderte, der fand sich schon halb in einem päpstlichen Kerker wieder. Italien war momentan Feindesland."
Schümer evoziert in seinem 600 Seiten starken Roman nicht nur die Opulenz der historischen Kulisse samt Konventen, Papstpalast sowie jüdischen und italienischen Vierteln, in denen Wittekind die städtische Bevölkerung kennenlernt – darunter den Juden Shimon, die Sängerin Lorena sowie den Schankwirt Rik. Das Buch glänzt ebenso durch eine Opulenz der Rhetorik und Gelehrsamkeit, die der Autor detailliert und mit geschichtlicher Finesse präsentiert.
Als Folie dient ihm dabei der Konflikt zwischen Papst Johannes XXII. und Kaiser Ludwig dem Bayern sowie der sogenannte „Armutsstreit“: In diesem unerbittlich geführten Konflikt ging es um die Grundfrage, wie vermögend die Kirche sein durfte, ja, ob sie überhaupt über weltliches Eigentum verfügen sollte.

Lagerkämpfe

Disputationen über Gottes Wirken wechseln sich ab mit Leichenfunden, Troubadour-Abende und Mysterienspiele mit scholastischen Streitgesprächen über die päpstliche Autorität. Diese nämlich wird von dem einen Lager mit viel Geld und viel Blut verteidigt, von dem anderen Lager mit Verschwörungen und ähnlich viel Blut in Frage gestellt. Insgesamt gelingt es Schümer, unterschiedlichste Welten, Sprachregister und Genres umsichtig in einem Text zu vereinen, der spannend, aber nicht plakativ, fachkundig, aber nicht dröge ist:
"Dann schlugen Trommeln, und es erschien unter einem Baldachin, den vier Diakone hielten, der Papst persönlich. Der kleine Mann trug ein prächtiges Brokatgewand mit glänzender Stola und hatte die Tiara mit den drei goldenen Kronen auf dem Kopf. Der Papst hob die Arme, es wurde totenstill. Meine Kinder, rief er sichtlich erregt, wir müssen euch Fürchterliches kundtun. Satan hat sein Haupt erhoben und richtet es mit Macht gegen die heilige Kirche und damit gegen uns, euren Papst."
"Das ist Gottes Wille" – mit diesem Spruch rechtfertigen irrsinnig reiche Bankiers, intrigante Machtpolitiker und Inquisitoren ihre eigene Hab-, Rach- und Geldsucht. "Gab es überhaupt gute Leute?", fragt sich Wittekind an einer Stelle. Einige wenige wird er auf seinen Abenteuern antreffen, dem großen Rest hingegen geht man in der Gottes- und Teufelsstadt Avignon besser aus dem Weg.
An den Roman "Der Name der Rose" des italienischen Schriftstellers und Philologen Umberto Eco knüpft Schümer nicht nur im Titel an. Wie Eco ist es ihm ein Anliegen, das populäre Bild des Mittelalters als archaische Zwischenzeit im europäischen Zivilisationsprozess zurechtzurücken. Gewiss, sein Avignon ist voller Schmutz, Unvernunft und politischer Ränkespiele; aber es ist ebenso ein Schauplatz der Logik, der Argumentation und des Frühhumanismus.   
Auch auf Ecos Hauptfigur, den Franziskanermönch William von Baskerville, wird Wittekind treffen; von ihm wird er sich das detektivische Gespür abschauen, um heil aus dem "Dunstkreis dieses Mörderpapstes" zu gelangen. Gut aber, dass "Die schwarze Rose" sich nicht als eilfertige Fortsetzung von "Der Name der Rose" versteht. Wahrscheinlich hätte sich Schümer zwischen Hommage, Update und Überbietung verrannt.

Gut orchestrierte Handlung

Stattdessen legt er mit "Die schwarze Rose" einen beeindruckend belesenen Roman vor. Den bildungsgesättigten Stoff vermag Schümer feingliedrig und ohne den Ballast trockener geschichtlicher Referate in seine Handlung einzubetten. Bei diesem Buch ist letztlich nur eines vorhersehbar: Wenn Schümers Franziskaner mal wieder eloquent über Gottes Anwesenheit in allen Dingen disputiert haben, kann man sich sicher sein, dass kurz darauf entweder eine weitere Leiche, ein grobschlächtiger Hüne oder eine verschollen geglaubte Schachtel auftaucht.
Dirk Schümer: „Die schwarze Rose“
Zsolnay Verlag, Wien, 608 Seiten, 28 Euro.