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Auf Wolke Neun

Die Filmfestspiele in Cannes sind nicht nur Treffpunkt für Stars und Sternchen vor fast tropischer Kulisse. In den dunklen Kinosälen kommen auch viele schwermütige Geschichten auf die Leinwand, wie "Das Fremde in mir" der in Berlin geborenen Emily Atef oder die britische Produktion "Better things". Den größten Kontrast zum Schönheits- und Jugendkult zeigt Andreas Dresen mit seinem Film "Wolke 9" über Liebe, Erotik und Sex bei sehr alten Menschen.

Von Christoph Schmitz |
    Wie all die anderen Schönen, Jungen und Erfolgreichen räkelte sich auch Angelina Jolie im Licht der Côte d’Azur und der Kamerascheinwerfer beim Marsch über den roten Teppich. Unter dem Blick der Öffentlichkeit trug die glückliche Mutter ihren Zwillingsbauch die Treppen zum Festivalpalais hinauf.

    In den dunklen Kinosälen jedoch sieht die Welt auf den Leinwänden ganz anders aus, sowohl im Wettbewerbsprogramm, als auch in den drei wichtigen Parallelreihen "Ein gewisser Blick", "Die Kritikerwoche" und Die vierzehn Tage der Filmemacher". Das anstrengende Familienleben und der Versorgungsdruck haben die Eltern abgestumpft, die Kinder verirren sich in Internetpornos, Gewaltvideos, Drogen und Suizide, Mütter wollen ihre Neugeborenen ertränken.

    Eigentlich hat sich Rebecca auf ihr Kind gefreut. In Emily Atefs Film "Das Fremde in mir" erlebt die junge Mutter aber genau das Gegenteil. Das Kind bleibt ihr fremd. Postnatale Depression lautet der späte ärztliche Befund, nachdem sich Rebecca fast selbst das Leben genommen hat, um den Säugling nicht zu gefährden. Die Regisseurin Emily Atef:

    "Sie schämt sich so sehr für das, was sie fühlt - sie weiß nichts über ihre Krankheit - , und denkt, dass sie einen faulen Kern hat, dass sie mit niemandem, auch nicht mit ihrem Freund darüber reden kann, und umso mehr fällt sie in dieses Loch."

    Die in Berlin geborene und aus einer französisch-iranischen Familie stammende Atef erzählt aber nicht nur eine Krankheitsgeschichte, sondern auch ein Beziehungsdrama, in das Verwandte und Partner hineingezogen werden. Johann von Bülow als Rebeccas Freund und Susanne Wolff als depressive Heldin spielen mit großer psychologischer Intensität, die auch den Prozess der Heilung plausibel macht.

    Die schwermütigen Geschichten des britischen Filmemachers Duane Hopkins dagegen enden nicht so, wie es der Titel verspricht: "Better things". Am Ende steht der Tod, in den Langeweile, psychische Verletzung und Drogen die Jugendlichen getrieben haben. Mit radikaler Nüchternheit hat Hopkins die lähmende Atmosphäre der englischen Provinz eingefangen.

    Ähnlich spartanisch und beängstigend hat auch der Amerikaner Antonio Campos die Verwirrung der Gefühle unter den Zöglingen eines Edelinternats in den USA ins Bild gesetzt. "Afterschool" verquickt reale Gewalt und Gewaltszenen des Internet im Kopf der Kinder zu einer allgemeinen Paranoia.

    Unter all diesen finsteren Geschichten hat in den drei Parallelreihen des Filmfestivals von Cannes der deutsche Film starke Akzente gesetzt. Den größten Kontrast zum Schönheits- und Jugendkult auf den Boulevards und in den Partyzelten am Strand zeigte Andreas Dresen mit seinem Film "Wolke 9" über Liebe, Erotik und Sex bei sehr alten Menschen.

    Die betagte Inge ist seit über dreißig Jahren verheiratet, pflegt ein gemütlich-tristes Rentnerdasein mit einem Bahnpensionär, verdient sich etwas als Änderungsschneiderin hinzu und hat sich dabei in den 76-jährigen Witwer Karl verguckt. Als sie ihm die umgenähte Hose nach Hause bringt, geht mit ihnen die Lust durch.

    Andreas Dresen zeigt alles, die stöhnenden Münder, die welke Haut, die Fettwülste, das graue Schamhaar. Die Lust, die Freude und den Spaß nimmt man den beiden ab, wunderbar authentisch gespielt von Ursula Werner und Horst Westphal. Andreas Dresen:

    "Die alten Körper haben ja auch eine unheimliche Schönheit. Ich habe immer so gerne in dieser Gesichter gesehen, diese Lebenslandschaften. Dort zeigt sich dieses Gepäck des Lebens, das die so mit sich rumschleppen."

    In den Augen und Worten der alten Liebesnarren funkelt das Leben ungebrochen. Sehr subtil erzählt Dresen die Konflikte, die Inges Erlebnis mit sich bringen. Den Preis, den sie für die Trennung von ihrem Mann wird zahlen müssen, ist hoch.

    "Das Eigentliche war für mich immer, dass einer Frau in diesem Alter plötzlich noch einmal der Blitzschlag trifft. Das ihr noch einmal die Naturkatastrophe der Liebe widerfährt."