Archiv

Aufarbeitung der DDR-Geschichte
Nach den Skandalen um die Gedenkstätte Hohenschönhausen

Die Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin ist mit rund einer halben Millionen Besuchern pro Jahr einer der bekanntesten Orte für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Deren Leitung wurde vor kurzem beurlaubt, nachdem jahrelange sexuelle Übergriffe gegenüber Mitarbeiterinnen öffentlich wurden.

Von Andreas Beckmann |
    Zellentrakt in der Gedenkstätte Stasigefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, Zellentrakt.
    Der Skandal um die Leitung der Gedenkstätte Hohenschönhausen offenbart die Krise in der die Aufarbeitung der DDR-Geschichte steckt (dpa / Rolf Kremming)
    Auch die stark emotionalisierende und strikt anti-kommunistische Pädagogik der Einrichtung wird immer lauter in Frage gestellt. Der Skandal von Hohenschönhausen ist zu einem Symbol geworden für die Krise der Aufarbeitung kommunistischer Hinterlassenschaften.

    Führung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen:
    "Man muss sich das mal vorstellen, was Leute hier gefühlt haben müssen. Was wir dort über uns ergehen lassen mussten. Die völlige Zerstörung der Schamgrenze. Du musst dich vor zwei, drei fremden Leuten komplett ausziehen. Du musst dich entblößen. Dass diese Leute nach der Haft nicht mehr die waren, die sie vorher waren, das ist völlig klar."
    Politische Bildungsarbeit im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Höhenschönhausen, das heute Gedenkstätte ist. Die Aufnahme ist alt, aber immer noch authentisch, denn nach wie vor stehen Führungen durch die Zellentrakte, angeboten von ehemaligen Häftlingen, im Mittelpunkt der Arbeit der Gedenkstätte.
    Hubertus Knabe:
    "Das wirkt wirklich nachhaltig, und das merken wir nach jedem Klassenbesuch, wie tief sich das einprägt."
    Klima der Angst
    Hubertus Knabe war 18 Jahre Direktor der Gedenkstätte, bis er im September freigestellt wurde. Grund waren Schilderungen von Mitarbeiterinnen, die sich über Jahre sexuellen Übergriffen ausgesetzt sahen, ohne dass Knabe sie wirksam geschützt hätte. Weil die Frauen zu ihrem Schutz anonym bleiben wollen, lassen sich die Vorwürfe nicht im Einzelnen überprüfen. Aber sie sind glaubwürdig, weil zumindest einer der Täter, Knabes ebenfalls freigestellter ehemaliger Stellvertreter, sie wenigstens teilweise eingeräumt hat. Diese Belästigungen sind zudem Indiz für ein Betriebsklima, das von Angst geprägt war und in dem Kritik an der Leitung keinen Platz hatte. Auch Zweifel an der inhaltlichen Ausrichtung der Gedenkstätte wurden immer wieder beiseitegeschoben, erzählt Jens Gieseke, Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und Mitglied im Beirat von Hohenschönhausen.
    "Weil es im Zweifel eher eine Wagenburg gab, die jeden Fachwissenschaftler, der dort Einspruch erhob gegen bestimmte Statements, die da gemacht worden sind, als Gegner der Gedenkstätte und der Zeitzeugenarbeit darstellte, was so nicht stimmt."
    Hubertus Knabe, der aus dem Westen stammt, hatte zu Zeiten der deutschen Teilung die DDR-Opposition unterstützt, etwa indem er Bücher über die Grenze schmuggelte, bis er von einem Spitzel verraten wurde und nicht mehr einreisen durfte. Der Kampf gegen den Kommunismus erscheint wie sein Lebensthema, das er auch nach dem Ende des SED-Regimes weiterverfolgte. Auch wenn er derzeit öffentlich schweigt, hat er das in zahllosen Statements klar gemacht.
    "Wenn man zurückdenkt an die frühe Bundesrepublik, da gab es nie einen Zweifel, dass das Nazi-Regime ein Verbrecher-Regime war, bei der DDR ist das leider anders. Hier gibt es auch viele ranghoher Politiker, die versuchen, die DDR als halbwegs normales Staatsgebilde darzustellen, kein Unrechtsstaat und ähnliches."
    Strategie der emotionalen Überwältigung
    Umstrittener als Knabes politische Grundüberzeugungen war aber das pädagogische Konzept, das er in der Gedenkstätte durchsetzte. Knabe habe sich außerhalb des sogenannten Beutelsbacher Konsenses gestellt, kritisiert Jens Gieseke. In dem hatten sich alle Gedenkstätten in Deutschland verpflichtet, Pluralität walten zu lassen, um den Besuchern ein eigenes Urteil zu ermöglichen. Um demokratisches Bewusstsein zu stärken, sollte auf emotionale Überwältigung verzichtet werden. In Hohenschönhausen, so Jens Gieseke, seien aber stets vorrangig die Gefühle angesprochen worden.
    "Weil in Hohenschönhausen mit sehr viel Nachdruck dieses Konzept der Führung durch politische Häftlinge praktiziert wurde und damit gleichzeitig zum Teil explizit, zum Teil implizit der Beutelsbacher Konsens in Frage gestellt wurde. Es gab dort immer wieder Äußerungen, dass das nicht zeitgemäß sei, dass das Standpunktlosigkeit bedeuten würde, wenn man sich auf diese Prinzipien einlässt."
    Kurioserweise erinnerte die Aufarbeitung in Hohenschönhausen methodisch oftmals an den Antifaschismus in den Gedenkstätten der DDR. Dort hatten vor 1989 einstige kommunistische Häftlinge durch die Ausstellungen geführt und ihre ideologisch geprägten Ausführungen mit der Schilderung ihrer Gefühle untermalt. In Hohenschönhausen geschah nach der Wende Vergleichbares, nur unter umgekehrten weltanschaulichen Vorzeichen. Der Erfolg schien das Vorgehen zu bestätigen, fast eine halbe Million Besucher kamen jedes Jahr. Doch mit der anstehenden Neubesetzung steht das Konzept nun in Frage.
    Aufklärer in eigener Sache
    Darüber hinaus könnte die Krise in Höhenschonhausen Anlass sein für eine Neuorientierung in der Aufarbeitungslandschaft insgesamt, meint der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Er hat für die Stiftung Aufarbeitung und die Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagenbehörde gearbeitet, derzeit schreibt er an einer Biografie über Walter Ulbricht. Kowalczuk gehörte selbst zur ostdeutschen Bürgerbewegung und sieht in der Nähe vieler Aufarbeiter zur ehemaligen Opposition Stärke und Schwäche zugleich.
    "Wir sind in den 90er Jahren angetreten mit dem Impetus, es geht darum, nun den Opfern des kommunistischen Regimes eine Stimme zu verschaffen, ihre Biografien zu erzählen, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich glaube auch, dass es keine Alternative gab, weil es darum ging, den Geschichtsmythen der Kommunisten selbst neue Erzählungen entgegenzusetzen. Darüber ist aber im Laufe der Jahrzehnte das Gleichgewicht verloren gegangen. Es dominierten, und ich rede hier nur über die öffentliche Aufarbeitung und nicht über die Wissenschaft, Schwarz-Weiß-Bilder, es kamen zu wenig Grautöne vor, es ging immer nur um das politische System. Und ich glaube, darüber verlor die Aufarbeitung einen Großteil der Gesellschaft, weil viele sich gefragt haben: Was hat das mit mir zu tun?"
    Schwacher demokratischer Konsens
    Auch deshalb hat die Aufarbeitung der DDR-Diktatur ein Ziel offenbar nicht erreicht: einen stabilen demokratischen Konsens in Ostdeutschland zu etablieren, der keinen Platz ließe für Pegida-Aufmärsche oder hohe AfD-Ergebnisse. Möglicherweise, ergänzt Ilko-Sascha Kowalczuk, hat es diesen demokratischen Konsens aber auch in der Opposition in der DDR nie gegeben. Anti-Kommunisten müssen ja nicht unbedingt Demokraten sein.
    "Opposition in der Diktatur hat es deshalb immer relativ leicht, weil sich alle immer sehr gut darauf einigen können, wogegen sie sind. Und solange man nicht die Macht hat, muss man sich nicht verständigen, wofür man eigentlich ist. Es war eine sehr auch politisch inhomogene Gruppe, deren innere Differenzen erst nach 1990 wirklich aufbrechen konnten. Vieles von dem, was wir heute beobachten, war auch schon Anfang der 90er Jahre sichtbar, wir haben auch damals schon Leute beobachten können, die von links außen wanderten durch das gesamte politische Spektrum und heute rechtsaußen stehen, davon gab es viele."
    So ist die Gedenkstätte Hohenschönhausen auch deshalb in die Schlagzeilen geraten, weil sowohl Mitarbeiter als auch prominente Mitglieder des Fördervereins sich offen zur AfD und zu rechtem Gedankengut bekannten. Das hat in anderen Aufarbeitungsinstitutionen, gelinde gesagt, für Befremden gesorgt, etwa in der Robert-Havemann-Gesellschaft. Die sitzt in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg und verwaltet heute Nachlässe früherer Oppositioneller, erzählt Tina Krone, die in der DDR bei "Frauen für den Frieden" aktiv war und heute im Havemann-Archiv arbeitet.
    "Wir wollten, dass die Opposition, die bis dahin immer verschwiegen wurde, die unsichtbar bleiben musste und immer nur mal mit Einzelaktionen in den Westmedien auftauchte, dass die wenigstens im Nachhinein sichtbar werden und bleiben würde. Und deshalb haben wir angefangen, bei den Leuten die Sachen, die sie in ihren Truhen und Kisten und Kasten hatten, einzusammeln."
    Das Erbe der Bürgerrechtler
    Zu diesem Zweck wurde die Robert-Havemann-Gesellschaft 1990 von Bürgerrechtlern wie Bärbel Bohley und Jens Reich gegründet. Heute findet man in ihrem Archiv illegale Schriften aus der Zeit der DDR, kann Tagebucheinträge von Widerständlern lesen und Fotos und Filme von subversiven Aktionen aus den 80er Jahren ansehen, berichtet Geschäftsführer Olaf Weißbach.
    "Da verstehen wir uns als Dienstleister für Wissenschaftler, aber auch für Medien und insofern ist es für uns wichtig, nicht dass wir unsere eigene Geschichte aufarbeiten, sondern dass unsere Nutzer mit dem, was wir machen, zufrieden sind. Dass natürlich, zum Beispiel bei Tina Krone, auch viel eigene Geschichte dabei ist, das gehört dazu."
    Tina Krone:
    "Wenn man aus der Opposition kommt, dann hat man den Vorteil, dass man Kontexte besser einordnen kann. Es war ja so, dass die Leute damals Texte oft nicht unterschrieben hatten, aus konspirativen Gründen. Ich weiß aber, wer in welcher Gruppe aktiv, und weiß, an wen ich mich wenden kann, um Dinge noch mal zu erfragen, damit man beim Archivieren die Zusammenhänge korrekt festhalten kann."
    In Publikationen und Ausstellungen hat die Havemann-Gesellschaft, ähnlich wie die Gedenkstätte Hohenschönhausen, dafür gestritten, dass die friedliche Revolution als demokratischer Aufstand in Erinnerung bleibt. Und dass sie nicht, wie bei vielen offiziellen Anlässen, dargestellt wird wie das naturwüchsige Resultat eines Prozesses, in dem der Westen den Osten niedergerungen und am Ende die Einheit und damit das Glück der Deutschen herbeigeführt hat. Diese scheinbare Erfolgsgeschichte, beobachtet Olaf Weißbach, glaubt ohnehin kaum jemand mehr.
    (K)eine demokratische Erfolgsgeschichte in Ostdeutschland
    "Wenn die Lebensumstände der Menschen, ihre aktuellen Probleme sie zu dem Gefühl treiben, dass man Bürger zweiter Klasse ist oder sich in diesem politischen System momentan unwohl fühlt, dann reicht es nicht, ihnen zu sagen, na denk mal, wie es früher war in der SED-Diktatur, da war es vielleicht noch schlimmer, kannste froh sein, dass du jetzt hier so lebst."
    Je länger aber das Ende der DDR zurückliegt, desto mehr überlässt es das Havemann-Archiv anderen, die Geschichte des Umsturzes wissenschaftlich darzustellen. Auch Ilko-Sascha Kowalczuk hält das für den richtigen Weg.
    "Ich bin fest davon überzeugt, dass die Aufarbeitung als gesellschaftlicher Prozess historisiert werden muss. Und dass die Aufarbeitung auch in einer gewissen Hinsicht entideologisiert werden muss. Und das alles ist einfacher möglich, wenn an den Schalthebeln der Aufarbeitung in den wichtigen Institutionen all jene, die dort sehr verdienstvoll in den letzten drei Jahrzehnten ihren Job machen, wenn die nun allmählich auch Platz machen für jüngere Leute. Also Leute, die nicht verwickelt sind in die Debatten der letzten Jahrzehnte, wie ich selbst zum Beispiel. Das ist keine Absage an die Generation, die das bis jetzt gemacht hat, aber die Revolution entlässt eben ihre Kinder und die Aufarbeitung sollte ihre Protagonisten in die Pension schicken."
    So würden neue Darstellungen möglich, die nicht nur das politische System und seine Umwälzung im Revolutionsjahr in den Blick nähmen, sondern auch Entwicklungen der 90er Jahre wie die Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Allerdings nicht, indem man nun einfach der Treuhand alle Schuld am ökonomischen Niedergänge gäbe. Sondern sichtbar mache, dass 1989, wie jede historische Zäsur, nicht nur einen Bruch darstellte, sondern gleichzeitig auch Kontinuität bedeutete. In diesem Fall den kontinuierlichen ökonomischen Abstieg. Denn der Grund, warum es überhaupt eine Treuhand gab, war der, dass die SED die ostdeutsche Wirtschaft in den 70er und 80er Jahren systematisch ruiniert hatte.
    Die widersprüchliche Rolle der Treuhand
    "Es fand keine Modernisierung der Industrie statt, bzw. da, wo man es versuchte, kam man einfach nicht hinterher. Das führte dazu, dass die DDR-Wirtschaft ab Anfang der 70er in einem rasanten Tempo immer weiter zurückfiel. Der Abstand zu den führenden Industriestaaten wurde immer größer, anders als es erzählt wurde. Mit jedem Jahr wurde jedes Stück, was man produzierte, immer teurer, obwohl es gleichzeitig auf dem Weltmarkt immer billiger wurde."
    Selbstverständlich hat dennoch auch die Treuhand verheerende Fehler gemacht, die historisch dokumentiert werden müssen. In vielen Fällen wurden ostdeutsche Belegschaften regelrecht betrogen. Millionen Lebensläufe wurden demonstrativ entwertet und Menschen massenhaft durch Arbeitslosigkeit sozial gedemütigt. Die Zusammenhänge deutlich zu machen zwischen den Widersprüchen der Demokratisierung und den Folgen des Kommunismus, das hält Jens Gieseke für die entscheidende geschichtswissenschaftliche Aufgabe im kommenden Jubiläumsjahr 2019.
    "Zu den 20jährigen und 25jährigen Jubiläen spielt immer eine Erfolgsgeschichte, die von selbst sich einstellte, eine Rolle. Das kann man, glaube ich, angesichts der Gefährdungen von Demokratie, mit denen wir es heute zu tun haben, in den post-kommunistischen Gesellschaften, kann man eine ungebrochene Erfolgsgeschichte der Demokratisierung so nicht mehr erzählen. Das ist die Herausforderung: Die Erinnerung an die Niederlage des Kommunismus und den Aufstieg von demokratischen Gesellschaften dort nüchtern und in Auseinandersetzung mit den realen Problemen, vor denen wir heute stehen, anzugehen. Sonst ist es eine reine Jubiläumsveranstaltung, in der ein paar Helden der Revolution noch mal große Auftritte haben, die aber auf die aktuell anstehenden politischen Fragen keine Antworten formulieren können."
    Geschichte der DDR wirkt bis heute nach
    Erst wenn Historiker wenigstens Erklärungen anbieten können für die fortbestehende, teilweise sogar wieder wachsende Ungleichheit zwischen Ost und West, erst dann wird die friedliche Revolution von der Masse der Ostdeutschen wirklich als Erfolgsgeschichte wahrgenommen werden. Das glauben auch Olaf Weißbach und Tina Krone von der Robert-Havemann-Gesellschaft.
    "Auf alle Fälle wünsche ich mir, dass das als ein Feiertag empfunden wird. Dass das im Bewusstsein der Deutschen ein gelungenes Stück Demokratiegeschichte bleibt. Also dass man auf dieses Ereignis stolz ist, bei allen Schwierigkeiten das nicht relativiert oder nicht in Frage stellt."
    "Es war tatsächlich die Kraft von unten. Die Politik hatte sich eingerichtet, im Westen mit denen im Osten. Das war alles austariert. Die hätten nicht die Mauer eingerissen. Das war die Kraft von unten."
    Sie hat der DDR den Garaus gemacht und den Menschen Demokratie und Teilhabe in Aussicht gestellt. Doch dieses Versprechen ist bis heute nur teilweise eingelöst. Auch diese Erkenntnis gehört zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte.