Im Zentrum der albanischen Hauptstadt Tirana steht ein Bunker. Eine Halbkugel aus hässlichem grauem Zement, genau wie die zehntausend anderen überall im Land, die der kommunistische Diktator Enver Hoxha errichten ließ.
Protest gegen Kommunismus-Museum
Aber dieser ist neu, größer als die alten und hat ein Loch, das wütende ehemalige politische Gefangene mit großen Hämmern geschlagen haben. Sie protestierten damit gegen das Kommunismus-Museum, weil es mit ihrem Leid nichts zu tun hat. Ex-Lagerhäftling Simon Mirakaj ist zwar gegen "Bunk Art 1" wie die Ausstellung heißt, die Zerstörungswut lehnt er aber ab.
"Bei den Protesten, als sie versucht haben, den neugebauten Bunker am Eingang zu zerstören, war ich nicht dabei, denn ich bin gegen jeglichen Vandalismus", sagt Mirakaj.
300.000 Opfer des Regimes
Albanien tut sich schwer mit seiner Vergangenheit. Gedenkstätten müssten in den Lagern von Tepelena, Luschnje oder dem Kupferbergwerk in Spac eingerichtet werden, nicht im unterirdischen Regierungsbunker mit der demolierten Hoxha-Kugel am Eingang, sagt Simon Mirakaj. Er ist einer der 300.000 Opfern des Regimes.
Die "Antikommunistische Assoziation der politisch Verfolgten" kämpft um Entschädigungszahlungen. Vor der Parlamentswahl im Juni wurde den politisch Verfolgten die dritte Tranche versprochen, die Empfänger warten noch immer darauf. Die Regierung scheint die Verfolgten nicht sonderlich wichtig zu nehmen.
Für viele Politiker das wandelnde schlechte Gewissen
Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall. Die Ex-Häftlinge sind für viele Spitzenpolitiker gleichsam ihr wandelndes schlechtes Gewissen. Albanien hat nur drei Millionen Einwohner, man weiß, wer zu den Opfern gehört, wer zu den Tätern von damals, wer von ihnen immer noch an der Macht ist. Der Fraktionschef der Partei der Sozialisten im Parlament, Gramoz Ruci zum Beispiel, erklärt Nebil Cika vom Opferverband.
"Gramoz Ruci soll Parlamentspräsident werden. In das zweithöchste Amt des Staates würde damit der Mann gelangen, der während der kommunistischen Diktatur der letzte Innenminister war. Bislang ist er Parlamentsabgeordneter."
Geheimpolizisten im Verfassungsgericht
Nebil Cika hat die Rollos vor den Fenstern heruntergezogen und erzählt, dass selbst Angehörige der Geheimpolizei Sigurimi im Verfassungsgericht sitzen und dass der jetzige Premier Edi Rama Verbindungen zum alten System hat.
"Deswegen ist sein Sohn nicht eben erpicht darauf, über die Vergangenheit zu sprechen. Als Mitglied des Präsidiums der Volksversammlung hat der Vater das Todesurteil über den Poeten Avzi Nela mit unterschrieben. Kristaq Rama, der Vater unseres heutigen Ministerpräsidenten Edi Rama, war einer der sieben Unterzeichner. Er lebt nicht mehr. Der Dichter Nela wurde im Stadtzentrum von Kukës gehängt, ein Jahr nach dem Ende des Kommunismus."
Die junge Generation ist frustriert
Der Boulevard der Helden wandelt sich allabendlich in eine Flaniermeile. Die junge Leute auf den Treppenstufen vor der Universität wirken entspannt. Was nicht recht zusammenpasst mit der Beobachtung von Jonila Godole. Die Publizistik-Dozentin sagt, dass ihre Studenten frustriert seien. Zu Recht, denn die alte Nomenklatura aus der Hoxha-Zeit lässt nicht von der Macht.
"Natürlich ist das für die junge Generation sehr schwierig, wenn du nicht zu den alten Eliten gehörst. Wenn deine Familie nicht dazu gehörte, kannst du noch so begabt sein, du kommst nicht rein in diese Kreise, die sind geschlossen. Und da sieht man, dass die alten Eliten durch die neuen Familienmitglieder wieder an der Macht sind."
"Rache ist primitiv"
Dass Gramoz Ruci vom alten kommunistischen Regime noch heute die Politik mitbestimmt, findet Gezim Peshkepia unfassbar. Als Lehrer durfte er nicht unterrichten, weil er angeblich verbotene Bücher besaß, musste er für acht Jahre ins Gefängnis, wo er misshandelt wurde. Als er jetzt seinen Folterer auf offener Straße traf, stockte ihm der Atem.
"Der hat mich gefoltert, er hat mir die Zähne gebrochen mit den Fäusten und den Füßen. Und heute ist der Mann Pädagoge. Das ist eine Enttäuschung. Was kann man machen? Rache? Wir könnten ihn schlagen, aber was bringt das? Das ist primitiv. Rache ist primitiv, natürlich."
Stasi-Unterlagenbehörde à la Tirana
Seit wenigen Monaten gibt es eine Staatssicherheits-Unterlagen-Behörde, in der die Bürger Auskunft bekommen, was der Sigurimi-Geheimdienst über sie zusammengetragen hat. Die Direktorin, Gentiane Sula, ermutigt Bürger und Journalisten davon Gebrauch zu machen.
"Während der Debatten im Parlament wurde gewarnt, dass der Zugang zu den Archiven zu Racheakten führen könnte. Aber in all den 27 Jahren seit dem Ende der Diktatur wissen die Menschen ohnehin, wer wer war und es ist kein einziger Fall von Rache bekannt geworden, weil die Betroffenen viel mehr das System hassen als einander."
Als wäre Erich Mielke im Parlament
Dass die Täter von damals vor Gericht stehen, wird Gezim Peshkepia vielleicht nicht mehr erleben. Der 1990 nach Deutschland geflohene Lehrer hat seinerzeit die Mauerschützen-Prozesse verfolgt, er zieht einen Vergleich zum Chef der DDR-Staatssicherheit Erich Mielke.
"Kann man sich vorstellen, dass Mielke im Parlament Vorsitzender einer parlamentarischen Gruppe werden würde? Bei uns passiert das."
Geburtshilfe aus Deutschland
Die Bundesstiftung für Aufarbeitung der SED-Diktatur stand Pate bei der Gründung der Sigurimi-Unterlagen-Behörde. Dass die Albaner erst 26 Jahre nach dem Ende der Diktatur beginnen, die damaligen Verbrechen zu untersuchen, ist zwar spät, andererseits könne man sich nicht an Deutschland messen, sagt Dozentin Jonila Godole, die mit ihrer Stiftung Demokratie und Medien vor allem junge Leute über den albanischen Kommunismus aufklären will.
"Was wäre, wenn die DDR ohne den Rechtsstaat und das andere demokratische Deutschland gewesen wäre? Ich bin skeptisch, ob sie tatsächlich die Aufklärung so zack, zack, zack gemacht hätte, wenn da nicht das andere demokratische Deutschland gewesen wäre. Das haben wir nicht. Sollen sich die Täter, die an der Macht sind, selber ins Gefängnis stecken?"
Wahl zum Parlamentspräsidenten im September
Sollte im September tatsächlich Gramoz Ruci zum Parlamentspräsidenten gewählt werden, dann wäre ein Vertreter des alten Regimes Repräsentant des angeblich neuen demokratischen Albaniens. Die ehemaligen politischen Verfolgten werden dagegen protestieren, auch wenn viele zum Teil hoch betagt sind.