Archiv

Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
"Journalisten waren im Sinne der Unternehmen tätig"

Bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit deutscher Konzerne schreibt der Historiker Sebastian Brünger Medien eine zentrale Rolle zu - allerdings erst seit den 1980er Jahren. In der Nachkriegszeit hätten viele Journalisten noch Entlastungsnarrative der Unternehmen mit verbreitet, sagte Brünger im Dlf.

Sebastian Brünger im Gespräch mit Henning Hübert |
    Das Bild zeigt zwei Männer, die die "Aachener Nachrichten" lesen, die als erste deutsche Zeitung nach dem Zweiten Weltkrieg erschien
    Viele Zeitungen haben laut dem Historiker Sebastian Brünger in der Nachkriegszeit die Entlastungsnarrative hinsichtlich der NS-Vergangenheit deutscher Unternehmen mitgetragen (dpa / picture alliance)
    Erst seit den 1980er Jahren durchleuchten deutsche Konzerne ihre Firmengeschichten im Hinblick auf ihre Verstrickungen in der NS-Zeit, sagte der Historiker Sebastian Brünger im Dlf. Er ist Autor des Buches "Geschichte und Gewinn - Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergangenheit".
    Zuvor sei die Geschichte der deutschen Unternehmen im Umgang mit ihrer NS-Vergangenheit stark durch Entlastungsnarrative geprägt gewesen, die in den Nürnberger Wirtschaftsprozessen formuliert worden waren.
    Opfererzählung und fehlende Selbstkritik in der Nachkriegszeit
    "Im Kern war das eine Opfererzählung der deutschen Unternehmer und Manager, die sich als Patrioten stilisierten, als anständige Kaufleute, Ingenieure und unpolitische Forscher, deren friedensliebende Kräfte im Rahmen einer NS-Zwangswirtschaft missbraucht worden seien."
    In Versatzstücken finde man diese Rollenmuster auch noch heute in einigen Firmenchroniken, so Brünger.
    Sebastian Brünger (l); von 2006 bis 2015 Dramaturg im Theaterkollektiv "Rimini Protokoll" und Autor des Buches "Geschichte und Gewinn - Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergangenheit". Im Hintergrund ist Helgard Haug vom Rimini Protokoll zu sehen. Foto von 2013.
    Sebastian Brünger, Autor des Buches "Geschichte und Gewinn - Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergangenheit" (dpa-Zentralbild Arno Burgi)
    Journalisten hätten nicht von Anfang an Aufklärungsarbeit geleistet. Zunächst seien sie "wie eben andere Funktionseliten des dritten Reiches auch" Teil einer Nachkriegsgesellschaft gewesen, so Brünger: Sie seien zum großen Teil nicht kritischer und selbstkritischer gegenüber den Entlastungsnarrativen gewesen als die Unternehmen.
    "Hier waren Journalistinnen zum Teil bewusster, zum Teil unbewusster im Sinne der Unternehmen tätig und haben bestimmte Entlastungsnarrative der Konzerne verbreitet."
    Medien als wichtiger Resonanzraum
    In den 1980er Jahren sei die sich wandelnde und ausdifferenzierende Medienlandschaft dann zu einem zentralen Faktor für den Wandel "vom Beharren auf der blütenreinen Weste hin zu dem Bekenntnis zu den braunen Flecken" geworden, sagte Brünger. Medien seien zu einem wichtigen Resonanzraum für erste kritische Stimmen geworden, die "so etwas wie eine Gegenerzählung" formulieren konnten.
    Die Medienlandschaft sei aber zweigeteilt gewesen. Auf der einen Seite wären die konservative Blätter wie die FAZ und das Handelsblatt gewesen, die den Unternehmen eher eine aufrichtige Bewältigung aus freien Stücken bescheinigten - während auf der anderen Seite eher linksliberale Blätter wie der Spiegel oder die Zeit vehement dagegen gestritten hätten und "den Konzernen eine nach wie vor vereinfachende, verschönende Weißwäscherei unterstellten beziehungsweise auch zeigen konnten, wo die blinden Flecken auch weiterhin waren."
    Sebastian Brünger: "Geschichte und Gewinn - Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergangenheit". Wallstein Verlag, 452 Seiten, 39,90 Euro