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Aufarbeitung der Vergangenheit

Die Eröffnung der Gedenkstätte findet an einem historischen Datum statt: Vor genau siebzig Jahren verließ der letzte Deportationszug das Lager in dem südfranzösischen Ort "Les Milles". In der ehemaligen Ziegelei wurden mehr als 10.000 Menschen eingesperrt, unter ihnen auch bekannte Künstler wie Lion Feuchtwanger und Max Ernst.

Von Ursula Duplantier |
    Es ist dunkel, überall roter Ziegelstaub. Enge, verwinkelte Gänge führen durch ein Labyrinth aus rotem Backstein. Es gibt weder Wasserhähne noch Toiletten.

    Hier, in dieser stillgelegten Ziegelei, wurden kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Tausende Deutsche und Österreicher festgehalten. Sie fanden die Fabrik so vor, wie sie an ihrem letzten Produktionstag stehen geblieben war.

    Ein Internierter schrieb an seine Freundin:

    "Wir sind etwa 1500 Gefangene in einem riesigen Gebäude, über zig Kubikmeter Staub liegen wir auf einer dünnen Schicht Stroh, einer neben dem anderen. Es gibt weder Tische noch Stühle. Um fünf Uhr wird es dunkel und dann werden wir im Gebäude eingeschlossen, zum Nichtstun verdammt."

    Sie waren vor dem Faschismus geflohen, hatten in Südfrankreich Zuflucht gesucht und finden sich auf einmal hinter Stacheldraht wieder. Von den Nazis verfolgte Schriftsteller, Journalisten und Künstler aus dem Deutschen Reich. Unter ihnen bekannte Größen wie Lion Feuchtwanger, Franz Werfel und Max Ernst.

    Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erklärt Frankreich sie zu Staatsfeinden und interniert sie in einer ehemaligen Ziegelei.

    1940, nach dem Waffenstillstand, kommen weitere bei den Franzosen unerwünschte Ausländer hinzu. Menschen aus 39 Nationen versuchen von hier aus, nach Amerika und Asien auszureisen. Im August und September 1942 beginnt das schwärzeste Kapitel der ehemaligen Ziegelei: Mehr als 2000 Juden, Männer, Frauen und Kinder, werden von hier nach Auschwitz deportiert.

    Drei Jahrzehntelang hat sich der Forscher Alain Chouraqui mit ehemaligen Internierten und Widerstandskämpfern dafür eingesetzt, dass aus dieser Fabrik eine Gedenkstätte wird. Bis vor wenigen Jahren wurden dort noch Ziegel gelagert.

    "Es war für Frankreich schwierig, sich mit einer Geschichte zu konfrontieren, die vor allem eine französische war. Auch wenn der Druck von den Deutschen zu der Zeit stark war, befand sich das Lager in der sogenannten freien Zone, die unter einer französischen Verwaltung stand. Die hat mit den Deutschen zusammengearbeitet und ihnen Männer, Frauen und Kinder ausgeliefert. Les Milles war sogar schon ein Lager, bevor die Deutschen Frankreich besetzt haben."

    Dieser Geschichte ist der erste Teil der Gedenkstätte gewidmet. Mit Schautafeln, Filmen und Karten wird das Sammellager in seinen internationalen Kontext eingeordnet, Einzelschicksale und Widerstandskämpfer vorgestellt.

    Dann treten die Besucher in verwinkelte, staubige Gänge mit Betonbalken und Wänden aus rotem Backstein. Hier sieht es so aus, wie vor siebzig Jahren, als die ersten Internierten in die schummerigen Räume einzogen.

    An den Balken und Wänden finden sich viele Spuren ihrer Existenz. Ein eingeritzter Davidstern neben einem Hakenkreuz, bunte Wandmalereien, die Blumen zeigen oder eine Versammlung und immer wieder Theatermasken. Sie zeugen von einem aktiven kulturellen
    Leben.

    Bernard Mossé von der Gedenkstätte Les Milles zeigt auf eine Inschrift "Die Katakombe" und tritt in eine höhlenförmige, lang gestreckte Halle. Ein ehemaliger Ziegelofen.

    "Wir wissen, dass sich hier Max Ernst und Hans Belmer ausgetauscht und mit anderen Künstlern Aktionen vorbereitet haben, wie Konzerte, Theaterstücke und Konferenzen. Sie tauften diesen Ort 'die Katakombe', nach dem Namen des Berliner Kabaretts."

    Im Originalzustand erhalten sind auch die weiten Hallen unter dem Dach der Ziegelei, in denen die Internierten auf staubigen Strohsäcken schlafen mussten. Dort wurden ab 1942 auch jüdische Familien untergebracht.

    "Gegenüber ist das Fenster, von dem aus man den Bahnhof sehen konnte, und die Deportationen, insgesamt fünf gab es. Aus Berichten wissen wir, dass von diesem Fenster aus an die zehn Selbstmorde verübt wurden, auch eine Frau mit Kind, die den Tod der Fahrt zu den Todeslagern vorzog."

    Im letzten Teil der Gedenkstätte geht der Blick weit über die Schoah hinaus - bis hin zu den Völkermorden in Armenien und Ruanda. Mit Filmen, Hörstücken und interaktiven Stationen werden außerdem Wege aufgezeigt, wie jeder selbst etwas tun kann.

    "Uns ist besonders wichtig, dass die Besucher und gerade die Jüngeren beim Verlassen der Gedenkstätte nicht von der Last des menschlichen Übels erdrückt werden, sondern ihnen bewusst wird, dass sie etwas machen können. Dass sie von der Vergangenheit lernen, dass das Undenkbare möglich ist, und daraus für die Zukunft lernen."