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Aufarbeitung des Kaukasuskonflikts

Abchasien und Südossetien gehören völkerrechtlich zu Georgien. Einst bildeten alle gemeinsam die Sowjetrepublik Georgien. Als Georgien sich Anfang der 90er Jahre für unabhängig erklärte, wollten die Abchasen und Südosseten nicht mitmachen und riefen jeweils einen eigenen Staat aus. Das war die Geburtsstunde des Kaukasuskonflikts.

Von Gesine Dornblüth |
    Im Vorzimmer des Abchasischen Präsidenten läuft der Fernseher. Alchaz Tscholokua, ein Mitarbeiter der Pressestelle, sitzt hinter seinem Laptop. Das hat er gleich zweimal mit demselben Aufkleber versehen: Der Fahne Abchasiens mit einer erhobenen weißen Hand vor grün-weißem Hintergrund. Darüber stehen die Ziffer 15 und zwei Abchasische Wörter.

    "Aiaaira. Mit zwei a. Aiaaira. Das heißt Sieg. Im letzten Jahr war es 15 Jahre her, dass das abchasische Volk die Georgier besiegt hat. Apsny ist der Name Abchasiens auf Abchasisch. Die weiße erhobene Hand auf der Fahne begrüßt diejenigen, die in guter Absicht zu uns kommen."
    Zurzeit sind das vor allem Russen. Denn Russland ist Abchasiens Verbündeter in dessen Unabhängigkeitskampf gegen die Georgier. Im vergangenen August hat Russland Abchasien als unabhängigen Staat anerkannt, kurz darauf folgte Nicaragua. Den Rest der Weltgemeinschaft hat Abchasien zur Zeit gegen sich. Der Präsident des Pseudo-Staates, Sergej Bagapsch, nimmt es gelassen.

    "Im Prinzip reicht uns in dieser Phase - die Anerkennung durch Russland und Nicaragua. Ich hoffe, Weißrussland, Kuba, und einige afrikanische Staaten kommen demnächst dazu. Was die Anerkennung durch Europa betrifft, werden wir das nicht forcieren. Wir müssen Europa und der Welt jetzt beweisen - und das können wir -, dass wir einen zivilisierten Staat aufbauen können. Wir müssen uns das Vertrauen der Europäer erarbeiten."
    Auslöser für die Anerkennung Abchasiens durch Russland war der Krieg um die gleichfalls von Georgien abtrünnige Region Südossetien im vergangenen August. Auch Südossetien wurde von Russland als unabhängiger Staat anerkannt.
    Beide Gebiete gehören völkerrechtlich zu Georgien. Einst bildeten alle gemeinsam die Sowjetrepublik Georgien. Als Georgien sich Anfang der 90er Jahre für unabhängig erklärte, wollten die Abchasen und Südosseten nicht mitmachen und riefen jeweils einen eigenen Staat aus. Die georgische Regierung schickte Militärflugzeuge und Truppen. Russische Verbände kamen den Separatisten gegen die Georgier zu Hilfe. Tausende Menschen starben.
    Aus Abchasien wurden damals rund 250.000 Georgier vertrieben. Nur ein Fünftel von ihnen konnte bisher zurückkehren. Die Abchasen stellen seit den Vertreibungen die Bevölkerungsmehrheit, und die wollen sie nicht wieder an die Georgier verlieren.
    In Abchasien sorgte 1994 ein Waffenstillstandsabkommen für weitgehende Ruhe und für ein friedliches Nebeneinander. Den Konflikt löste es jedoch nicht. Eine GUS-Friedenstruppe, mehrheitlich russische Soldaten, sicherte fortan den Waffenstillstand; sie wurde ihrerseits von unbewaffneten UN-Blauhelmen beobachtet.
    In Südossetien gab es eine ähnliche Konstruktion. Nur waren dort nicht die Vereinten Nationen, sondern die Beobachter der OSZE vor Ort.
    Lange Zeit waren die Konflikte "eingefroren". 2004 wurde in Georgien Mikheil Saakaschwili Präsident. Er wollte die abtrünnigen Gebiete zurückholen - notfalls mit Gewalt. Der ehrgeizige Präsident mit engen Verbindungen nach Washington festigte den Staat, bekämpfte die Korruption im Land und - rüstete auf. Seit seinem Amtsantritt betont er immer wieder zwei Ziele: Georgien zu einen und es so schnell wie möglich in die Nato zu führen.
    Saakaschwilis radikal westlicher Kurs provozierte den Kreml. Russlands Präsident Vladimir Putin reagierte auf seine Art und verstärkte die Unterstützung für die Separatisten in Georgien. Abchasen und Südosseten erhielten russische Pässe. Parallel dazu kam es vermehrt zu Schießereien und Provokationen in den Grenzgebieten.
    Im August schließlich eskalierte die Situation. Die Georgier griffen Südossetien an. So die russische Darstellung, die von vielen internationalen Beobachtern bestätigt wird.
    Die Georgier verbreiten eine andere Version. Sie sagen, die Russen hätten den Einmarsch nach Georgien geplant, und sie hätten sich verteidigen müssen. Diese Version jedoch halten viele Experten für wenig überzeugend.
    Russisches Militär bombardierte Teile Georgiens und besetzte sogenannte Pufferzonen um Südossetien und Abchasien herum. Das war in den Augen vieler westlicher Politiker weit überzogen. Auch der russische Militärexperte Aleksandr Scharawin vom Institut für Politische und Militärische Analysen in Moskau kritisiert dies:

    "Wir hätten unsere Truppen an den Grenzen Südossetiens und Abchasiens stoppen müssen. So aber hat Russland sich den Vorwurf eingehandelt, überreagiert zu haben."
    Russland begründete sein Eingreifen mit humanitären Gründen. Georgien habe einen Genozid an den Südosseten verübt, und Russland habe die Südosseten schützen müssen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezweifelt das. Sie hat mehrere hundert Interviews mit Georgiern und Südosseten geführt. In einem Ende Januar vorgestellten Bericht kommen die Menschenrechtler zu dem Ergebnis, dass sich besondere Gräueltaten der georgischen Seite nicht beweisen ließen.
    Fest steht jedoch, dass der Krieg Russland genützt hat. Russland hat die GUS-Friedenstruppen in Südossetien und Abchasien aufgelöst und an ihrer Stelle drei- bis siebentausend reguläre Soldaten in die Gebiete geschickt. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Der russische Militärexperte Aleksandr Scharawin:

    "Russland hat jetzt in Südossetien einen Brückenkopf südlich des Gebirgskamms des Kaukasus. Es kontrolliert den Roki-Tunnel, also die Verbindungswege zwischen Süd- und Nordossetien, es kann also nach Belieben Nachschub nach Südossetien bringen, und das heißt, Russland hat jetzt ganz andere Möglichkeiten, auf Georgien militärisch Druck auszuüben."
    In Abchasien planen die Russen einen Luftwaffenstützpunkt, und auch für die Marine eröffnen sich neue Möglichkeiten. Die russische Schwarzmeerflotte liegt zur Zeit noch im ukrainischen Sevastopol auf der Krim. Der Standort, ein Relikt aus Sowjetzeiten, belastet die russisch-ukrainischen Beziehungen erheblich. Der Pachtvertrag auf der Krim läuft 2017 aus. In Abchasien soll nun der ehemalige sowjetische Militärhafen Otschamschira ausgebaut werden. Er könnte künftig die russische Schwarzmeerflotte beherbergen.
    Vor allem aber haben die Abchasen vom Krieg im August profitiert. Während das georgische Militär in Südossetien gebunden war, eroberten sie kurzerhand die Kodori-Schlucht an der Grenze zu Georgien zurück. Die war bis dahin von Georgiern kontrolliert worden. Und kurz danach erfüllte sich das, worauf Abchasen und Südosseten lange gewartet hatten: Russland erkannte beide Gebilde als unabhängige Staaten an.
    Die Perspektiven für die beiden Quasi-Staaten sind freilich unterschiedlich. Südossetien, kaum größer als das Saarland, liegt eingezwängt zwischen hohen Bergen. Es hat keine bedeutenden Rohstoffvorkommen, dafür aber eine korrupte Elite, wie der Russe Aleksandr Scharawin vom Institut für Politische und Militärische Analysen betont.

    "Vor allem die politische Führung mit Eduard Kokoity an der Spitze weckt keinerlei Sympathien, nicht mal bei der Regierung Russlands. Das ist ein Mann mit einer finsteren Vergangenheit und einer finsteren Gegenwart. Während des Krieges ist er aus Zchinvali geflohen. Das sagt vieles. Dieser Mann hat Südossetien nicht weniger geschadet als die georgische Armee. Sogar die Finanzhilfen aus Russland für den Wiederaufbau von Wohnungen und für Lebensmittel und Medizin werden gestohlen. Selbständig existieren kann dieses Land nicht. Ohne Hilfe aus Russland werden die Leute nichts zu essen haben, keinen Strom, kein Gas, nichts. Denn dort gibt es keine Staatlichkeit."
    Die Südosseten sagen selbst mehr oder weniger offen, dass sie eine Vereinigung mit Nordossetien anstreben. Nordossetien gehört zu Russland, Südossetien würde damit Teil der Russischen Föderation. Mira Zchovrebova unterrichtet Englisch an der Universität der südossetischen Hauptstadt Zchinvali.

    "Wir möchten unabhängig sein, zumindest eine Zeitlang. Wir wissen nicht, wie lange. Das wird sich zeigen."
    In Abchasien ist die Situation anders. Hier fanden vor vier Jahren Präsidentenwahlen statt, bei denen die Bevölkerung ihren Wunschkandidaten, Sergej Bagapsch, gegen einen von Moskau unterstützten Konkurrenten durchsetzen konnte. Gewählt wurde er mit Stimmen der georgischen Minderheit in Abchasien.
    Die Wahl hat den Menschen Vertrauen in die Demokratie gegeben und die Zivilbevölkerung gestärkt, erzählt Liana Kvartschelia vom Zentrum für humanitäre Programme in der abchasischen Hauptstadt Suchumi. Die Organisation wird unter anderem von der Europäischen Kommission finanziert und setzt sich für die Demokratisierung Abchasiens ein. Liana Kvartschelia:

    "Natürlich haben wir viele Probleme. Vor allem beim Gerichtssystem. Die Justiz ist nicht unabhängig. Aber wir haben unter sehr schwierigen Bedingungen staatliche und demokratische Institutionen geschaffen, die einigermaßen funktionieren. Wir haben in Abchasien eine recht aktive Zivilgesellschaft, die in wichtigen Fragen mitbestimmt. Und wir haben unabhängige und oppositionelle Zeitungen, die die Regierung scharf kritisieren."
    Und anders als Südossetien hat Abchasien auch wirtschaftliches Potenzial. Da ist vor allem der Tourismus. Zu Sowjet-Zeiten kamen hunderttausende Urlauber an die abchasischen Schwarzmeerstrände. Daran will Abchasien anknüpfen.
    Dazu kommen die Olympischen Winterspiele 2014 im südrussischen Sotschi. Sotschi liegt nur zehn Autominuten von Abchasien entfernt, die Abchasen hoffen auf Aufträge.
    Außerdem erwarten sie umgerechnet rund 50 Millionen Euro Finanzhilfen aus Moskau. Und damit wollen sie die zerstörte Republik wieder aufbauen, berichtet der Präsident, Sergej Bagapsch.

    "Wir werden eine Zementfabrik bauen und Schotter und anderes Baumaterial fördern. Im Agrarbereich planen wir Gewächshäuser auf einer Fläche von 20 Hektar, in Otschamschira werden wir eine Fabrik für Fischmehl errichten und vieles mehr."
    Georgien kommt bei all diesen Planungen nicht vor. Es werde keine Gespräche mit der Regierung Saakaschwili geben, heißt es einstimmig bei der abchasischen Führung. Und auch die Menschenrechtlerin Liana Kvartschelia sagt:

    "Georgien muss nachdenken und erklären, unter welchen Bedingungen es bereit wäre, Abchasien anzuerkennen. Wir haben sogar, als wir vollkommen isoliert waren und Russland sogar Wirtschaftssanktionen gegen uns verhängt hatte, gesagt, dass wir nicht zurück nach Georgien wollen. Nachdem Russland uns nun anerkannt hat, braucht niemand mehr zu hoffen, dass die abchasische Gesellschaft ihre Meinung ändert."
    Georgien aber betrachtet Abchasien auch jetzt noch als sein Staatsgebiet - ebenso wie Südossetien. Das Parlament in Tiflis hat im Oktober ein Gesetz beschlossen, das Abchasien und Südossetien zu von Russland besetzten Gebieten erklärt. Wirtschaftliche Tätigkeiten dort stehen demnach unter Strafe, und Ausländer dürfen Abchasien oder Südossetien nicht von Russland aus betreten. Die stellvertretende Außenministerin Georgiens, Nino Kalandadze.

    "Solange wir von russischen Truppen in Georgien okkupiert sind, da können wir nicht mit russischen Vertretern in den sogenannten separatistischen Regionen reden. Es gibt nur einen Gegner, und das ist Russland."
    Die Außenminister Georgiens und der USA haben Anfang Januar, noch unter der Präsidentschaft von George Bush, ein Abkommen über strategische Partnerschaft unterzeichnet. Die USA verpflichten sich darin, die georgische Armee zu modernisieren und die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu erhöhen.
    Die internationale Gemeinschaft steht zurzeit mehrheitlich hinter Georgien. Staats- und Regierungschefs der EU beteuern, sie würden Südossetien und Abchasien niemals anerkennen. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer zum Beispiel hat Russland dazu aufgerufen, die Anerkennung der beiden georgischen Gebiete rückgängig zu machen. Das kommt nicht in Frage, entgegnet Andrej Klimov, der stellvertretende Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses in der russischen Staatsduma. Er spricht von "neuen Realitäten" im Südkaukasus.

    "Russland hat mehrfach erklärt, dass unsere Entscheidung endgültig ist. Aus der Perspektive kurzsichtiger Brüsseler Bürokraten, die gerade mal drei Broschüren gelesen haben und sonst nichts weiter wissen wollen, mag die Sache anders aussehen. Aber wir haben eine längere diplomatische Erfahrung als die EU und als Amerika, und wenn man die berücksichtigt, dann erweist sich unsere Position als richtig."
    Die EU hat nach dem Krieg Beobachter nach Georgien geschickt. Seit Oktober patrouillieren mehr als 200 EU-Beamte an den Grenzen um Abchasien und Südossetien. Eigentlich ist die European Monitoring Mission, EUMM, für ganz Georgien zuständig, also - nach Auffassung der EU - auch für Südossetien und Abchasien. Dort erhalten sie aber keinen Zutritt. Die Begründung der Separatisten: Abchasien und Südossetien gehörten nicht mehr zu Georgien, deshalb hätten die EU-Beobachter dort nichts zu suchen.
    Dahinter steht ein tiefes Misstrauen gegenüber den Europäern. Maxim Gundschia ist der stellvertretende Außenminister von Abchasien.

    "Wir sind auf der Hut, denn wir glauben, dass die EU-Mission hier vor allem politisch aktiv werden will, anstatt für Sicherheit zu sorgen. Außerdem hätten wir keinen Zugang zu den Berichten der EU-Mission."
    Mehr als der EU vertrauen die Abchasen den Vereinten Nationen. Deren Beobachtermission in Abchasien, die UNOMIG, hat sich in den vergangenen 15 Jahren weitgehend neutral verhalten und sowohl Verstöße der Abchasen und GUS-Truppen, als auch Verstöße der Georgier gegen das Waffenstillstandsabkommen veröffentlicht.
    Zur Zeit hängt die UNOMIG in der Luft. Ihre eigentliche Aufgabe, die GUS-Friedenstruppen zu beobachten, kann sie nicht wahrnehmen, denn es gibt keine GUS-Friedenstruppen mehr.
    In diesem Monat entscheidet sich, wie es mit der UN-Mission in Georgien weitergeht. Dann muss der UN-Sicherheitsrat das Mandat der Mission verlängern. Bei allem Wohlwollen für die UNOMIG bestehen die Abchasen darauf, den Namen der Mission zu ändern. Denn die Buchstaben "i" und "g" in "UNOMIG" stehen für "in Georgien". Es sei aber eine Mission "in Abchasien". Die Separatisten bekommen Schützenhilfe aus Moskau. Andrej Klimov vom Auswärtigen Ausschuss in der russischen Staatsduma:

    "Ich glaube nicht, dass die russische Regierung gegen die Tätigkeit von UN-Friedenstruppen oder Beobachtern in Abchasien und Südossetien stimmen wird. Aber wenn die Mission "Mission in Georgien" heißen wird, dann muss sie in Georgien sein. Und das georgische Gebiet endet aus russischer Sicht dort, wo Abchasien und Südossetien anfangen."
    Für die Europäer ist das unannehmbar. Wie die Verhandlungen um das UN-Mandat ausgehen, ist völlig unklar. Ende des vergangenen Jahres war bereits das Mandat der OSZE-Mission in Georgien nicht verlängert worden. Russland hatte darauf bestanden, zwei Missionen zu gründen: Eine in Georgien und eine in Südossetien.
    Dabei werden internationale Beobachter dringend benötigt. Beinahe täglich kommt es im Grenzgebiet zu den Separationsgebieten zu Zwischenfällen - mit Toten und Verletzten. Auch die EU-Beobachter gerieten unter Beschuss. Naturgemäß schieben die Konfliktparteien dem jeweils anderen die Schuld dafür in die Schuhe.
    Immerhin haben sich die verfeindeten Parteien, Georgier, Russen, Südosseten und Abchasen, mittlerweile zu Verhandlungen bereit erklärt - wenn auch halbherzig. Unter Vermittlung der EU, der Vereinten Nationen und der OSZE treffen sie sich alle paar Wochen in Genf, um über Fragen der Sicherheit und der Flüchtlingshilfe zu sprechen. Von Lösungen sind sie allerdings weit entfernt. Es gilt schon als Erfolg, wenn alle an einem Tisch sitzen.