Im Rahmen des Denkfabrik-Themas 2020 "Dekolonisiert euch" widmen wir uns in der Sommerreihe der Sendung "Kulturfragen" dezidiert nicht-weißen Positionen.
Übersicht: Postkoloniale Denkerinnen im Gespräch
27.06. Westliche "Ignoranz gegenüber der eigenen Ignoranz"
05.07. "Völkerkundliche Museen und rassistische Gedanken"
19.07. Die Geschichte der Philosophie muss neu gedacht werden
26.07. Was hat die Kolonialideologie bedeutet?
02.08. Sind Objekte aus kolonialen Kontexten Raubgut?
22.08. Wie dekolonisiert man Sprache?
Übersicht: Postkoloniale Denkerinnen im Gespräch
27.06. Westliche "Ignoranz gegenüber der eigenen Ignoranz"
05.07. "Völkerkundliche Museen und rassistische Gedanken"
19.07. Die Geschichte der Philosophie muss neu gedacht werden
26.07. Was hat die Kolonialideologie bedeutet?
02.08. Sind Objekte aus kolonialen Kontexten Raubgut?
22.08. Wie dekolonisiert man Sprache?
In ihrem neuen Roman "Le pays des autres" schildert Leïla Slimani die Konflikte zwischen Frankreich und dem Protektorat Marokko, das am 2. März 1956 seine Unabhängigkeit erhielt. Es geht also auch um Machtverhältnisse zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren. Das Buch ist der erste Teil einer Trilogie, die eine Familiensaga in Marokko erzählt, angelehnt an die Geschichte von Slimanis eigenen Großeltern. Sie erscheint im kommenden Frühjahr auf Deutsch unter dem Titel "Das Land der Anderen" im Luchterhand Verlag. Der Roman setzt Ende der 1940er-Jahren ein.
Nicht die Opferrolle annehmen
Leïla Slimani erinnert sich an die Erzählungen ihrer Mutter und wie sie "als kleines Mädchen Opfer von Rassismus war, vor allem seitens der Franzosen, mit denen sie auf der Schule war". Allerdings lehnt Slimani es ab, wenn sich Menschen aus dem Maghreb auch heute noch als "Kolonisierungs-Opfer" oder "Immigrations-Opfer" betrachten:
"Ich finde, man sollte auch das Heldenhafte im Leben dieser Menschen hervorheben: Die Maghrebiner in Frankreich und Europa sind auch sehr erfolgreich und integrieren sich: Sie werden Schriftsteller, Schauspieler, Minister, Firmenchefs. Sie leisten Außerordentliches. Und sie sind in erster Linie Franzosen."
Slimani sieht die derzeitigen Identitäts-Debatten kritisch: "Wir werden überdeterminiert durch die Identität. Wir sollen uns ständig mit etwas identifizieren: als Marokkaner, als Muslim, als Frau, als Mann, als Homosexueller, als Schwarzer und so weiter", sagt sie. "Man wird überidentifiziert damit, so dass man sich gezwungen sieht, bestimmte Verhaltensweisen oder Argumentationsmuster anzunehmen. Ich halte davon überhaupt nichts."
Was hat die Kolonialideologie bedeutet?
Die Beschäftigung mit der Kolonialzeit sei sehr wichtig. So zu tun, als sei in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt nichts passiert, sei aber "sehr ungerecht gegenüber all den Forschern und Intellektuellen, die sich seit Jahren damit beschäftigen. Aber es gibt viele Jugendliche, die einem sagen, dass sie viel mehr im Kino oder beim Diskutieren mit anderen Leuten über die Kolonialzeit gelernt haben, als in der Schule. Wir müssen unbedingt tiefer graben, um ans Tageslicht zu bringen, was diese Kolonialideologie wirklich bedeutet hat und was davon heute noch übrig ist. Das ist ganz gewiss eine pädagogische Aufgabe."
Vom Entfernen von Denkmälern und dem Tilgen von Spuren der Kolonialgeschichte hält Slimani nichts. Wir müssten die Spuren bewahren, sonst könnten wir das später unseren Kindern nicht mehr verständlich machen, sagte die Schriftstellerin. Man könne Tafeln zur Erläuterung anbringen, aber es sei wichtig, dass es Orte der Erinnerung gebe, dass man begreife, warum etwas furchtbar war.
Ein sehr starkes Symbol
Über die Restitution von Kunstwerken aus ehemaligen Kolonien sagte Slimani hingegen, dass diese sehr wichtig sei und "ein sehr starkes Symbol". Die Eroberung der Welt durch westliche Kolonialherren sei begleitet gewesen vom Diebstahl am kulturellen Erbe der kolonisierten Völker - und in Museen des Westens gebracht worden. "Diese Völker konnten ihr eigenes kulturelles Erbe nicht entdecken."