Anja Reinhardt: Wenn es um das Thema Raubkunst geht, dann ist allerdings der Name Cornelius Gurlitt noch viel mehr zum Synonym für den schwierigen Umgang mit der Vergangenheit und deren Aufarbeitung geworden. Schon direkt nach der Durchsuchung und der Beschlagnahmung der Bilder in Gurlitts Wohnung vor sechseinhalb Jahren gab es Kritik an der Staatsanwaltschaft und an der sogenannten Task Force: der Raubkunst Verdacht sei vage und die Beschlagnahmung kaum gerechtfertigt - auch der Umgang mit Cornelius Gurlitt selbst schien fragwürdig. Zwei Jahre später starb er.
Nun schien der Fall aber mit der Schenkung der Sammlung an das Kunstmuseum Bern und der Bonner Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt - Der NS-Kunstraub und die Folgen" erst mal, im wahrsten Sinne des Wortes abgewickelt worden zu sein. Nun regt sich aber sowohl in Bayerischen Landtag als auch auf Bundesebene Widerstand gegen die ad acta-Legung. Sogar von einem Untersuchungsausschuss ist die Rede.
Darüber habe ich vor der Sendung mit Catrin Lorch, Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, gesprochen und sie gefragt, warum das Thema, kurz vor der Eröffnung der Gurlitt-Ausstellung in Berlin, wieder auf dem Tisch liegt?
Catrin Lorch: Das ist natürlich Zufall, dass das jetzt fast punktgenau zusammenfällt mit der Eröffnung der Berliner Ausstellung. Die Anfragen wurden ja jeweils von den Parlamentariern unabhängig von diesem Ausstellungsvorhaben formuliert. Ich glaube, die hängen vielmehr zusammen mit der Veröffentlichung eines Buches des Autors Maurice Philip Remy, der den Fall Gurlitt noch mal von innen aufgerollt hat. Das Buch ist in diesem Frühjahr erschienen und da stand doch einiges drin, was wahrscheinlich auch Parlamentarier überzeugt hat, zumal es aber immer schon auch von den Abgeordneten her Kritik am Vorgehen gab, sowohl der bayerischen Landesregierung, des Justizministeriums, aber auch auf Bundesebene an dem Agieren dieser Taskforce, die damals eingesetzt wurde.
"Wie viel Druck wurde von der Politik auf Gurlitt ausgeübt?"
Reinhardt: Aber was konkret ist denn jetzt neu daran?
Lorch: Man wusste, dass Privatsammler ja ohnehin nicht zum Beispiel von den Washingtoner Erklärungen betroffen sind, sondern nur öffentliche Sammlungen wie Museen in die Pflicht genommen werden können. Noch grotesker sind immer die Beteuerungen der Staatsanwaltschaft gewesen, dass die entartete Kunst in der Sammlung alle Alarmglocken habe klingeln lassen, denn entartete Kunst muss überhaupt nicht restituiert werden. Es war also von Anfang an sehr stark eine politische Aufarbeitung, die in Deutschland gelaufen ist.
Und am meisten richtet sich jetzt die Neugierde der Parlamentarier auf das juristische Vorgehen: Wie ist damals Recht gebeugt worden. In der bayerischen Anfrage hat man am stärksten fokussiert auf die Frage, wie hat die Staatsanwaltschaft agiert, gab es eine Grundlage für die Beschlagnahmung, wie ist mit Gurlitt umgegangen worden und diesem Verdacht der Steuerhinterziehung, war das überhaupt ausreichend. Da ist, wie eben der eine Parlamentarier Peter Bauer mir gesagt hat, nur ausweichend geantwortet worden, und deswegen kann er sich vorstellen, sich um einen Untersuchungsausschuss zu bemühen nach der Landtagswahl.
Spannend werden aber auch vor allem die Antworten sein, die wir für Ende der Woche erwarten. Da soll nämlich die Antwort kommen auf eine Anfrage der FDP auf Bundesebene, und da müsste man tatsächlich damit rechnen, dass es jetzt Auskunft gibt zum Agieren der Task Force. Am fragwürdigsten ist da ein Bereich, der noch überhaupt nicht in der Öffentlichkeit wirklich diskutiert wurde, nämlich das Agieren von Frau Berggreen-Merkel, die der Task Force vorstand, die eingesetzt wurde - gelernte Juristin.
Zum Beispiel wird in dem Buch, das ich zitiert habe, die Existenz eines Briefes zitiert, den Frau Berggreen-Merkel dem sehr kranken Cornelius Gurlitt geschrieben hat, als der unter dem öffentlichen Druck zusammengebrochen ist und im Krankenhaus lag. Da hat sie zum Beispiel wohl, so heißt es, den Satz geschrieben: "Ich möchte Sie nicht unter Vormundschaft stellen" in der Einleitung. "Das Gegenteil ist der Fall. Ich weiß, dass vor Gericht ein Betreuungsverfahren gegen Sie läuft, das ich bisher weitgehend angehalten habe."
Das ist natürlich von einer Juristin gegenüber einem todkranken Mann, der sich gerade fürchtet, dass seine Sammlung weggeht und der verwirrt ist, eine erstaunliche Aussage, denn natürlich kann die Bundesregierung, kann auch keine Vertreterin der Bundesregierung ein Betreuungsverfahren anhalten. - Das sind natürlich Fragen, die sich jetzt stellen: Wie viel Druck wurde von der Politik über bestimmte Figuren auf Cornelius Gurlitt ausgeübt? Dieser Brief ist ein Skandal. Wenn der tatsächlich geschrieben wurde, wenn der existierte, dann muss man sagen, das darf niemandem in diesem Land passieren, dass plötzlich Abgeordnete der Bundesregierung vor ihm stehen und sagen, Sie haben eigentlich gar keine andere Wahl, Sie müssen jetzt eine Stiftung machen, ansonsten rennen Ihnen einerseits Menschen Ihre Wohnung ein, Sie werden ausgeraubt, und außerdem gibt es hier internationale Anfragen aus Israel, aus den USA, das kriegen Sie allein alles gar nicht in den Griff.
"Mit der vollen Wucht des Staates gegen privaten Bürger"
Reinhardt: Inwiefern können Sie abschätzen, wenn ein Untersuchungsausschuss tatsächlich gebildet wird, welche Konsequenzen sich daraus ergeben können?
Lorch: Ein Untersuchungsausschuss ist ja etwas ganz anderes als diese begleitende Medienoffensive, mit der die Öffentlichkeit damals konfrontiert war und die ja jetzt praktisch auch in dieser Ausstellung gipfelt, die in Bonn und Berlin gezeigt wurde. Vor einem Untersuchungsausschuss wird man noch einmal zunächst die Fakten klären können, und so sehr man Cornelius Gurlitt jetzt - wie wurde er immer stilisiert - zum Raubkunst-Messie stilisiert hat, das war ein privater Bürger mit seiner privaten Sammlung, gegen den dann offensichtlich mit der vollen Wucht des Staates vorgegangen wurde. Und da muss man natürlich sagen, da muss man die Bürger auch vor schützen. Jeder sollte daran interessiert sein, was dabei rauskommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.