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Aufbau eines jüdischen Kompetenzzentrums

Vor zehn Jahren schloss die Bundesregierung mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland einen Staatsvertrag. Pünktlich zum Jubiläum legt der Zentralrat den Grundstein für ein neues Projekt: eine Jüdische Akademie in Berlin.

Von Carsten Dippel |
    Der Staatsvertrag besitzt hohe Symbolkraft. Er sendet das Signal aus: Die jüdische Gemeinschaft hat in Deutschland einen festen Platz. Innerjüdische Debatten, Haltungen und Traditionen soll die Akademie künftig in die Gesellschaft einbringen
    Bei der Jüdischen Akademie handelt es sich um einen von jüdischer Seite lang gehegten Wunsch.

    "Die Dringlichkeit der Problemlagen nach der großen Zuwanderung bestand darin, sich hier in Deutschland zurechtzufinden. Und das ist ein Prozess, der seine Zeit dauert. Heute wollen wir vor allem auch die zweite Generation ansprechen, das heißt die Kinder der Zuwanderer. Und diese sind heute auch bereit und motiviert, an so einem Projekt mitzuwirken. "

    Doron Kiesel, Professor für Pädagogik an der Fachhochschule Erfurt, wird der Akademie als wissenschaftlicher Direktor vorstehen. Einen den christlichen Akademien vergleichbaren Ort der Diskussion hat es auf jüdischer Seite bislang nicht gegeben. Wenn nun der Startschuss für das Vorhaben fällt, wird damit auch an die Tradition jüdischer Lehrhäuser vor dem Krieg angeknüpft. Der Aufbau einer Jüdischen Akademie ist aber auch Ausdruck einer neuen Schwerpunktsetzung des Zentralrats unter seinem Vorsitzenden Dieter Graumann. Graumann ist der erste Verbandspräsident, der aus der Generation der Nachkriegsgeborenen stammt. Er will den Zentralrat zu einem "jüdischen Kompetenzzentrum" ausbauen. Auch dazu soll die Akademie beitragen.

    "Es geht ja nicht nur um den Wissenstransfer, sondern es geht auch um die Positionierung einer jüdischen Stimme in vielerlei Organisationen und Institutionen. Es ist einfach das im Inneren und von außen erkennbare jüdische Profil, das hier im Sinne eines Kompetenzzentrums, das heißt auch wirklich mit professionellen Kompetenzen ausgestattet, dann in die Öffentlichkeit treten will."

    Gut 90 Prozent der heute 110.000 jüdischen Gemeindemitglieder sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Herausforderungen, die sich dadurch an die Gemeinden stellen, sind nach wie vor immens. Für eine bessere Integration setzt der Zentralrat verstärkt auf eine institutionalisierte Verankerung für seine breitgefächerte Bildungsarbeit. Finanziell getragen durch die Mittel des Staatsvertrags, die sich seit dem Jahr 2012 auf zehn Millionen Euro jährlich belaufen. Gemessen am Budget der einzelnen jüdischen Gemeinden, die jeweils eigene Staatsverträge mit den Bundesländern geschlossen haben, ist das immer noch eine eher symbolische Summe, die an den Dachverband geht.

    Der Aufbau der Jüdischen Akademie mit ständigem Sitz in Berlin wird in zwei Stufen erfolgen. Vorerst richten sich die Bildungs- und Seminarangebote nur an die Mitglieder der jüdischen Gemeinden. Erst in einem zweiten Schritt soll ein vollwertiges Akademieprogramm etabliert werden. Für Doron Kiesel ist dies eine notwendige Reihenfolge:

    "Die Idee, eine Akademie zu gründen, verlangt zunächst einmal auch eine Akzeptanz bei der jüdischen Gemeinschaft selbst. Insofern ist es notwendig, die Mitglieder der Gemeinschaft für diese Idee zu gewinnen."

    Der Blick richtet sich vor allem auf den Nachwuchs in den Gemeinden, für den ein eigenes Leadership-Progamm aufgelegt werden soll. Es geht zudem um Fragen der jüdischen Identität, das Verhältnis zu Israel, den Umgang mit der Shoah. Sabena Donath, Kommunikations- und Konflikttrainerin in Frankfurt am Main, wird die Bildungsabteilung leiten.

    "Unser Auftrag ist zum einen, die Angebote, die es in den Gemeinden schon gab, zu bündeln und weiterzuführen. Das sind vor allem Ausbildung für Vorstand und Personal der jüdischen Gemeinden. Zum anderen ist es unsere Aufgabe, neue innovative Stränge zu entwickeln. Zum Beispiel: unter einem jüdischen Dach, Räume für innerjüdische Kontroversen anzubieten. Die können theologischer Art sein und sicherlich auch soziologischer und ethisch-philosophischer Art."

    In einem Jahr, so der Plan des Zentralrats, sollen sich die Türen der Jüdischen Akademie nach außen öffnen. Ihre Pendants auf evangelischer und katholischer Seite gehören seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil der bundesrepublikanischen Diskurskultur. Wichtige Debatten anzustoßen, in die Gesellschaft hineinzuwirken, das Gespräch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren zu suchen, diesem Leitbild will auch die Jüdische Akademie folgen. Und doch verbindet der Zentralrat mit ihr ein besonderes Anliegen. Denn ihr Aufbau fällt in eine Zeit tiefer Verunsicherung in den jüdischen Gemeinden. Für Doron Kiesel geht es auch darum, ein Zeichen zu setzen:

    "Wir versuchen, durch diese thematische Vielfalt, die auch unterschiedliche Generationen anspricht, Menschen auf ihre Wurzeln zu verweisen. Ihnen die Möglichkeit zu geben, mit dieser Spurensuche in die eigene Biographie hinein etwas anfangen zu können, um ihre Identitätsbildung in dem neuen Land, das die Bundesrepublik für sie darstellt, doch souverän und dementsprechend auch mit einem gewissen Stolz umgehen zu können. Nicht zuletzt die Beschneidungsdebatte hat deutlich gemacht, wie bestimmte jüdische Traditionen in einer deutschen Öffentlichkeit doch sehr umstritten sind. Aber für uns sind bestimmte Haltungen, Traditionen oder Überlieferungen selbstverständlich. Und dieses Moment in die Gesellschaft hineinzutragen und die eigene Position auch gestärkt formulieren zu können, ist unsere Intention."