Archiv


Aufgewärmt

Mitte der 90er-Jahre trafen sich in Bonn junge Abgeordnete der Grünen und der Union regelmäßig unverbindlich zu Pizza, Pasta und Salat. Das war damals fast undenkbar, zumindest auf Bundesebene. So entstand die legendäre "Pizza-Connection".

Von Jens Rosbach |
    Pochierte Wachteleier, Kaviar und 250-Euro-Weinflaschen. Edel geht es zu im "Hartmanns", edel und diskret. Denn das Berliner Gourmetrestaurant hat nicht nur Gaumenfreuden im Angebot, sondern auch ein Hinterzimmer mit Schummerlicht. Der perfekte Ort für brisante Treffen. Inhaber Stefan Hartmann hatte ein Aha-Erlebnis, als sich hier - vor vier Jahren - eine der letzten schwarz-grünen Geheimrunden traf.

    "Da hab’ ich überhaupt das erste Mal dieses Wort "Pizza-Connection" gehört. Und – ganz ehrlich – seitdem auch nie wieder."

    Die Pizza-Connection ist mittlerweile eingeschlafen. Was auch an Peter Altmaier liegt. Altmaier ist Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Der korpulente 53-Jährige fläzt sich, die Beine weit von sich gestreckt, in einen Bürostuhl.

    Dann streift er sich in aller Ruhe seine Schuhe ab, um seine schwarzen Socken zu lüften - als säße er zu Hause auf dem Sofa. Altmaier ist schon immer recht locker mit Konventionen umgegangen. Auch als er 1995 in Bonn die Pizza-Connection mitgründete.

    "Das war damals schon ein kleiner Tabubruch. Weil es zwischen CDU und grünen Politikern jahrelang keine Gesprächskontakte gab."

    Die Grünen galten zu jener Zeit noch als Steinewerfer, die Unionisten als Kinder-Küche-Kirche-Biedermänner.

    "Die Provokation wirkte in beide Parteien. Und zwar so, dass sich sowohl die Grünen-Kollegen wie auch die CDU-Kollegen in der jeweils eigenen Truppe dafür rechtfertigen mussten, dass sie mit dem politischen Gegner sich getroffen hatten. Und das war ein Wagnis mit unbekanntem Ausgang. Das war zu Anfang alles andere als klar."

    Unklar war vor allem, wie sich der Tabubruch auf die jeweilige Parteikarriere auswirken wird. Doch das Pizza-Palaver ging munter weiter. Dabei wurden zahlreiche Helmut-Kohl- und Joschka-Fischer-Witze gerissen. Aber es ging auch um richtig heiße Eisen: Plötzlich waren die Reform-Grünen bereit, über Bundeswehreinsätze zu reden - und die Jungen Wilden der CDU über Ausländerintegration und Homo-Rechte. Peter Altmaier:

    "Ich glaube, dass wir in der Euphorie der Begegnung damals wahrscheinlich nicht vermutet hätten, dass es noch Jahrzehnte dauern würde, bevor eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene zustande kommt – wenn sie überhaupt zustande kommt. Aber das schließt ja nicht aus, dass man sich trotzdem menschlich versteht, und manchmal entscheidet der Wähler ja auch über die konkreten Koalitionskonstellationen.

    Wenn Sie mich fragen: Was war der Mehrwert von der Pizza-Connection, dann würde ich sagen, in erster Linie: leckeres Essen."

    Ortswechsel, zu Besuch beim grünen Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour. Dem 36-Jährigen ist – just beim scharfen Pizza-Thema – irgendetwas im Halse stecken geblieben.

    "Erstickung!"

    Nouripour atmet tief durch – und lästert weiter: Die schwarz-grünen Treffen seien nichts Besonderes gewesen.

    "Ich gehe mit denen allen essen, von der Linkspartei bis zu CDU/CSU. Deshalb habe ich auch ein Übergewichtsproblem."

    Omid Nouripour, ein gebürtiger Iraner, war bei der alten Bonner Runde noch nicht dabei. Der Bündnisgrüne hat auch nur aus der Ferne mit verfolgt, wie die Pizza-Connection zwischen 1998 und 2005 unter der rot-grünen Bundesregierung erlahmte – auch weil bei der Alternativpartei nunmehr Koalitionsdisziplin angesagt war. 2007 gab es dann wieder einige schwarz-grüne Speisetermine, diesmal mit Nouripour. Das endgültige Aus kam, als die Regierungskoalition im vergangenen Herbst den Atomausstieg verlängerte.

    "Es war kulturell ein so unglaublich großer Bruch für alle Grünen, dass das natürlich nicht nur die Koalitionsoptionen zerschmettert hat, sondern auch die Frage, ob solche netten Treffen überhaupt noch gebraucht werden."

    Was ist heute die Bilanz der Pizza-Connection? Oppositions-Politiker Nouripour räumt ein, dass zumindest die ersten Treffen ideologische Gräben überwunden haben. Regierungs-Politiker Altmaier spricht von einer wichtigen Annäherung und verweist auf die mittlerweile zahlreichen schwarz-grünen Bündnisse auf kommunaler Ebene sowie bei der Jamaika-Koalition im Saarland.

    "Die Pizza-Connection war so eine Art Katalysator, der dazu beigetragen hat, dass der Prozess vielleicht etwas schneller abgelaufen ist, als es sonst der Fall gewesen wäre."

    Und auf Bundesebene? Gibt es durch den Atomschwenk der Union eine neue "Pizza-Grundlage"? Der Bündnisgrüne Omid Nouripour stänkert, man müsse wieder vollkommen bei null anfangen. Auch Konkurrent Peter Altmaier zeigt sich appetitlos. Der parlamentarische Unions-Geschäftsführer erklärt pflichtschuldig – ganz seiner Funktion entsprechend -, dass der Wunsch-Koalitionspartner nach wie vor die FDP sei. Andere CDU-Politiker tuscheln hingegen, man könne sich nicht deutlicher zur Pizza-Option äußern, um die Liberalen nicht zu verprellen.

    Ist Schwarz-Grün also lediglich im Stand-by-Modus? Klar ist eins: Neben Altmaier finden sich auch viele andere Pizza-Connection-Gründer heute an politischen Schaltpositionen wieder. So ist zum Beispiel Hermann Gröhe CDU-Generalsekretär. Und bei den Grünen ist Volker Beck Fraktions-Geschäftsführer und Cem Özdemir Co-Parteichef. Abgeordneter Omid Nouripour macht sich aber keine Illusionen. Er sieht die schwarz-grünen "Dates" rein pragmatisch.

    "Also, wenn morgen ein CDU-Kollege mich zur Pizza einlädt, gehe ich hin und lasse ihn bezahlen."