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Aufmerksamkeit schenken und helfen

Ehrenamtliches Engagement war bisher in der Ukraine kaum bekannt und wenig geachtet. Das soll sich nun ändern. Die Organisation "Für die Belange älterer Menschen in der Ukraine" hilft Senioren bei der Bewältigung des Alltags und bei Behördengängen.

Von Annette Bräunlein |
    "Da gehst Du in einem Monat hin, damit sie Dir einen Ausdruck aus dem Computer machen, dass wir das alles anschauen, was sie da berechnet haben."

    Ljubov Histovaja erklärt dem Rentner Grigorij Holub, welche Unterlagen er von der Rentenversicherung benötigt. Sie ist eine von vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der Nichtregierungsorganisation "Turbota pro litnich v Ukraini", zu deutsch "Für die Belange älterer Menschen in der Ukraine". Ljubov Histovaja schaut regelmäßig bei dem 60-jährigen Mann nach dem Rechten. Denn der psychisch Kranke kommt im Alltag alleine nicht zurecht.

    Dass sie das alles unbezahlt macht, stört die 68-Jährige, die selbst Rentnerin ist, nicht. Viele ihrer Kollegen waren jedoch zunächst sehr skeptisch, denn ehrenamtliche Arbeit ist in der Ukraine bislang kaum bekannt und zudem teilweise diskreditiert, wie Nico Lange, Leiter des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, erklärt:

    "Das Ganze ist verdorben durch Selbstdarstellungsprojekte irgendwelcher Politiker, in denen Leute für Simulation von freiwilligem Engagement bezahlt worden sind."

    Etwa für die Teilnahme an politischen Demonstrationen. - Als die Organisation "Turbota pro litnich v Ukraini" vor rund zehn Jahren gegründet wurde, war es zunächst sehr schwer Mitarbeiter zu gewinnen. Heute engagieren sich laut Turbota landesweit rund 2000 Senioren, vor allem Frauen. Sie unterstützen andere ältere Menschen im Alltag, helfen ihnen, ihre Rechte einzufordern und machen Lobbyarbeit. Letztlich überzeugte sie die Erfahrung, gebraucht zu werden, sagt die Gründerin und Vorsitzende der Organisation, Galina Poljakowa. Dabei müssen die Ehrenamtlichen oft vertraute Pfade verlassen:

    "Oft müssen die Ehrenamtlichen unsere Beamten von etwas überzeugen, vielleicht sogar gegen die gewachsenen Traditionen und Strukturen handeln. Aber wenn wir nicht unsere eigenen Interessen vertreten müssen, sondern die eines anderen, schwächeren Menschen, das gibt unseren Ehrenamtlichen neue Kräfte und sie setzen sich durch."

    In der Ukraine leben die meisten älteren Menschen in einer prekären Situation: Die Renten sind niedrig, soziale Organisationen funktionieren schlecht und auf die Bedürfnisse Älterer wird kaum Rücksicht genommen. So ist Galina Poljakowa stolz, dass auf die Initiative von Turbota hin beispielsweise in einer Stadt eine Bushaltestelle näher an eine Poliklinik verlegt und in einer anderen eine Buslinie nicht abgeschafft wurde. Außerdem hat die Organisation mit Staatsvertretern einen Entwurf für ein Konzept zum Umgang mit dem demographischen Wandel erarbeitet.

    Ihre Tätigkeit bei "Turbota" verändert auch die Ehrenamtlichen selbst, erklärt Poljakowa:

    "Oft beschränkt sich der Bewegungsradius einer älteren Frau auf den Markt und die Küche. Doch durch Turbota kommt sie unter Leute. So fängt sie an, Kleidungsstücke aus dem Schrank zu holen, die sie schon lange nicht mehr anhatte, sich zu frisieren, Lippenstift zu benutzen."

    Galina Poljakova meint, ehrenamtliche Arbeit könne in der Ukraine viele Bereiche verbessern. Doch die heutige Gesellschaft sei leider noch nicht reif dafür, weil sie nicht gelernt habe eigenverantwortlich zu handeln.
    Die Ehrenamtliche Ljubov Histovaja hat das Potenzial dieser Art von Engagement indes erkannt:

    "Man kann hundertprozentig etwas verändern! Aber man muss sich selbst verändern, dann verändert sich auch die Gesellschaft. Wenn wir den anderen Leuten keine Aufmerksamkeit schenken und ihnen nicht helfen, ist auch die Gesellschaft so."