Archiv

Aufnahme ins Fußballregelwerk
K.O.-Entscheidung durchs Elfmeterschießen

Gibt es nach regulärer Spielzeit und Verlängerung beim Fußball keinen Sieger, muss der Gewinner vom Elfmeterpunkt ermittelt werden. Eingeführt wurde das am 30. Mai 1970, vor 50 Jahren – weil der oberbayerische Schiedsrichter Karl Wald dafür mobilisierte.

Von Eduard Hoffmann |
    Torhüter Bodo Illgner (vorn) pariert den vom englischen Abwehrspieler Stuart Pearce getretenen Elfmeter. Damit ist die deutsche Fußballnationalmannschaft beim Stand von 3:3 im Elfmeterschießen mit England im Vorteil. Sie gewinnt am 04.07.1990 im Turiner Stadion delle Alpi das Halbfinalspiel der Fußball-WM am Ende mit 4:3. Nach der Verlängerung hatte es 1:1 gestanden.
    Stuart Pearce beim Elfmeterschießen gegen Deutschland im WM-Halbfinale 1990 (picture alliance / dpa / Frank Leonhardt)
    "Pearce hat sich den Ball zurechtgelegt, der Linksfüßler geht bis zum Strafraum zurück, sechs, sieben Meter, läuft an, schießt, Ilgner hält, Ilgner hält, das ist die Chance."
    WM-Halbfinale 1990 Deutschland gegen England. Nach der Verlängerung stand es 1:1. Ein Elfmeterschießen musste die Entscheidung bringen.
    "Chris Waddel geht zum Elfmeterpunkt, Waddle – verschießt er, dann ist Deutschland im Endspiel, er läuft an, mit dem linken Fuß, übers Tor, alles entschieden, Deutschland ist im Finale."
    Und wurde Weltmeister. Zahlreiche wichtige Fußballspiele, bei Europa- und Weltmeisterschaften, aber auch bei nationalen und internationalen Pokalwettbewerben sind in den letzten Jahrzehnten durch Elfmeterschießen entschieden worden. Das war nicht immer so. Bis 1970 wurden Lose gezogen und Münzen geworfen, besonders dramatisch etwa 1965 im Europapokal-Viertelfinale der Landesmeister – heute die Champions League. Der 1. FC Köln spielte gegen den FC Liverpool. Hin- und Rückspiel endeten unentschieden, und auch in der dritten Begegnung fand sich nach Verlängerung kein Sieger.
    "Da fliegt der Groschen oder der Cent hoch, ich habe ihn gesehen, was ist? Spannung, Pause, noch einmal fliegt die Münze hoch - und Liverpool jubelt."
    Früher entschied der Münzwurf
    Nach dem ersten Wurf war die Münze senkrecht im Rasen stecken geblieben. Der Schiedsrichter wirbelt das Geldstück erneut in die Luft. Glück für Liverpool. Und der 1. FC Köln ist raus aus dem Europa-Pokal.
    Eine unsportliche Entscheidung, für alle Beteiligten, Spieler wie Fans. Auch dem oberbayerischen Schiedsrichter Karl Wald war diese Lotterie ein Dorn im Auge.
    "Wo ist der Sport, das ist doch Wahnsinn. Und dann wird einer noch beglückwünscht. Ja, für was wird der denn beglückwünscht, für was, das ist doch kein Sieg."
    Der gelernte Frisör, der seit 1936[*] als Schiedsrichter aktiv war, überlegte hin und her und fand eine faire sportliche Lösung.
    "Wir machen Elfmeterschießen, jede Mannschaft bekommt fünf Schützen. Und im Wechsel schießt mal der und dann der, und wer die meisten hat, ist dann sportlicher Sieger."
    Jedes Team bestimmt fünf Schützen, die nacheinander gegen den Torhüter der gegnerischen Mannschaft antreten. Sollte es danach immer noch unentschieden stehen, wird das Elfmeterschießen mit einzelnen Schützen fortgeführt, bis eine Entscheidung fällt.
    Fußballverband war zunächst dagegen
    Der pfiffige Schiedsrichter aus Penzberg testete seine Idee bei verschiedenen Amateurspielen und erhielt viel Beifall und Zuspruch. Im bayerischen Fußballverband mit dem mächtigen Präsidenten Hans Huber jedoch gab es große Widerstände.
    "Des ganze Präsidium, die alten Herren, die waren dagegen. Und doch habe ich im Hintergrund langsam die anderen mobilisiert, beim nächsten Verbandstag neu vorbereitet, zum Elfmeterschießen zu sprechen."
    Beim Verbandstag der Schiedsrichter am 30. Mai 1970 trug Karl Wald seinen akribisch ausgearbeiteten Vorschlag erneut vor.
    "Bin vor und sagte: Die sportliche Regelung, so wie sie jetzt läuft, des ist etwas, des kann man nicht weiter praktizieren. Ja, und da war Beifall im Saal, und da hat der Huber gemerkt: Moment, da bin ich ja fast allein."
    Die Funktionäre berieten sich und nach 20 Minuten erfuhren Karl Wald und alle Anwesenden:
    "Wir haben soeben beschlossen, dass ab der neuen Saison Elfmeterschießen eingeführt wird."
    Ab der Spielzeit 1970/71 wurden in Bayern alle sogenannten K.O.-Spiele, also alle Partien, bei denen ein Sieger ermittelt werden musste, durch Elfmeterschießen entschieden. Der Deutsche Fußball-Bund übernahm die Regel und auch der Europäische- und Weltfußballverband.
    Deutsche Nationalelf gilt im Elfmeterschießen als besonders nervenstark
    Bis heute gilt die deutsche Nationalelf im Elfmeterschießen als besonders nervenstark, insbesondere immer dann, wenn sie gegen England spielt. Im Viertelfinale der WM 2006, dem sogenannten deutschen Sommermärchen, gewann sie auch gegen Argentienien[*].
    "Cambiasso, mit links, Lehmann hält, wir sind im Halbfinale."
    "Die Zuschauer wollen doch ein Tor sehen, die wollen Torwart-Leistung sehen. Oder, die wollen doch die unverschämten scharfen Schüsse am Pfosten – unhaltbar, das mögen doch die Leute sehen, da gehört das dazu."
    Karl Wald hatte nicht als erster und einziger die Idee. In Jugoslawien gab es schon in den 50er-Jahren bei Pokalspielen Elfmeterschießen. Auch in der Schweiz wurde Anfang der 60er-Jahre ein Penalty-Shoot-Out praktiziert. Und die Aufnahme ins offizielle Regelwerk der FIFA ging zunächst auf einen Antrag aus Israel zurück. Letztlich aber war die detaillierte Ausarbeitung Walds entscheidend. Bis zu seinem Tod 2011 blieb der Oberbayer stolz auf seine Erfindung.
    [*] Anm. der Redaktion: An den gekennzeichneten Stellen wurden Fehler korrigiert bzw. die Inhalte präzisiert.