Die überfüllten Erstaufnahmestellen in vielen Bundesländern stellen auch die Kommunen vor wachsende Probleme. Nach Einschätzung des Städtetages fehlen bundesweit mehr als 40.000 Plätze in den Länder-Unterkünften. Die Länder verteilten die Asylbewerber daher vorschnell auf die Städte und Gemeinden, sagte die Präsidentin des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, Eva Lohse: "Wir stoßen an unsere Kapazitätsgrenzen. Wir kommen in den Städten kaum mehr nach, vernünftige Unterkünfte einzurichten."
Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Hessen oder Brandenburg müssen bereits auf Notlösungen wie Zelte, Container oder Sporthallen zurückgreifen. Auch andere Länder wie Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt oder das Saarland berichten, in ihren Aufnahmestellen sei die Kapazitätsgrenze erreicht. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es ebenfalls große Probleme. Mehrere Länder wollen angesichts des Andrangs zusätzliche Erstaufnahmestellen schaffen.
Immer mehr Flüchtlinge in Deutschland
Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland geht seit vielen Monaten rasant nach oben. Im laufenden Jahr werden insgesamt rund 450.000 Asylanträge erwartet - mehr als doppelt so viele wie im vergangenen Jahr. Viele Konflikte in der Welt - allen voran die im Irak und in Syrien - zwingen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat. Nach ihrer Registrierung in Deutschland kommen Flüchtlinge zunächst in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer unter. Von dort aus werden sie später auf die Kommunen verteilt.
"Kommunen brauchen eine Entlastung"
Vorgesehen ist eigentlich, dass Asylbewerber bis zu drei Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung eines Landes bleiben können. Diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt werden, sollen direkt von der Erstaufnahmeeinrichtung aus in ihre Heimat zurückgeführt und gar nicht erst an eine Kommune übermittelt werden. Städtetag-Präsidentin Lohse erklärte jedoch, dass in Rheinland-Pfalz Flüchtlinge im Schnitt schon nach fünf bis sechs Wochen in die Kommunen kämen. "Das ist eine sehr kurze Zeit. Die Asylverfahren sind da in den meisten Fällen noch nicht abgeschlossen."
40 Prozent der Flüchtlinge, die etwa in Ludwigshafen ankämen, stammten aus Westbalkan-Staaten und hätten bis auf wenige Ausnahmen keine Aussicht auf ein Bleiberecht. Die Stadt müsse sie bis zum Ende des Verfahrens aber unterbringen und vernünftig versorgen. Lohse appellierte an die Länder, ihre Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen auszubauen, Asylbewerber für volle drei Monate dort unterzubringen und Menschen, deren Asylbegehren mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt werde, gar nicht erst auf die Gemeinden zu verteilen. "Die Kommunen brauchen eine Entlastung." Der Bund hat sich zum Ziel gesetzt, die Asylverfahren künftig während dieser Zeit komplett abzuwickeln.
Im Deutschlandfunk forderte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Donnerstag schnellere Entscheidungen über Asylanträge. Am Mittwoch hatte das Bundeskabinett gegen den Protest von Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz eine Schlüsselverteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beschlossen.
Merkel steht weinendem Flüchtlingskind gegenüber
Derweil gibt es neue Meldungen über Gewalt und Proteste gegen Flüchtlinge oder ihre Unterkünfte. Im bayerischen Reichertshofen haben Unbekannte einen Brandanschlag auf eine noch leerstehende künftige Asylbewerberunterkunft verübt. "Ein fremdenfeindlicher Hintergrund ist nicht auszuschließen", sagte Polizeisprecher Hans-Peter Kammerer. Es habe in der Vergangenheit Proteste in dem Ort gegen die Unterbringung von Asylbewerbern gegeben. Erst am Mittwoch war bekanntgeworden, dass am Wochenende auf ein Flüchtlingsheim in Böhlen bei Leipzig geschossen worden ist - gleich in zwei Nächten hintereinander. Auch im sächsichen Freital gab es im Juni einen Brandanschlag auf ein Privathaus, in dem Asylbewerber untergebracht werden sollten.
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel gab es am Mittwoch einen unangenehmen Moment. Bei ihrem Bürgerdialog "Gut leben in Deutschland" in Rostock wurde sie von einem palästinensischen Mädchen angesprochen, dem die Abschiebung bevorsteht. In fließendem Deutsch berichtete sie Merkel von ihren Zukunftsträumen. "Einige werden gehen müssen", erwiderte Merkel. Das Mädchen begann zu weinen.
(nch/nin)