In voller Tauchermontur lässt sich der Kameramann ins Wasser fallen. Am Meeresgrund angekommen fängt er Bilder ein aus einer fremden, faszinierenden Welt.
Ein schier endloses Korallenriff, Fische in schillernden Farben, in der Strömung wogende Meerespflanzen. Bilder, die das Auge erfreuen und die Nerven beruhigen. Doch Meeresforscher sehen ein Manko.
"Die heutigen Kameras bieten keine Vergrößerung wie ein Mikroskop."
Sagt Tali Treibitz von der Universität Haifa in Israel. Gemeinsam mit Kollegen aus Kalifornien wollte sie Abhilfe schaffen – und stieß auf ein Problem. Denn einfach nur eine stärkere Linse zu nehmen, funktioniert unter Wasser nicht.
Bild unter Wasser rasch und präzise scharf stellen
"Will man ein Bild mit starker Vergrößerung aufnehmen, wird das Scharf stellen schwierig. Und außerdem drohen die Aufnahmen durch die Bewegungen zu verwischen."
Ein Effekt, den auch jeder Hobbyfotograf kennt: Hat man das Bild so nah wie möglich herangezoomt, braucht es eine ruhige Hand, sonst ist die Aufnahme verwackelt. Hilfreich dabei sind kurze Belichtungszeiten, auch unter Wasser.
"Wir haben einen Mechanismus entwickelt, mit dem sich das Bild möglichst schnell scharf stellen und aufnehmen lässt. Dafür verwenden wir eine spezielle Linse: Statt aus Glas besteht sie aus einem weichen, mit Flüssigkeit gefüllten Kunststoff. Dessen Form lässt sich elektrisch verändern, und damit ändert sich auch die Brennweite, und zwar ziemlich schnell. Damit können wir das Bild unter Wasser rasch und präzise scharf stellen."
Für komplette Tiefenschärfe mehrere Bilder kombinieren
Außerdem konstruierte das Team ein spezielles Blitzlicht: Sechs zu einem Ring angeordnete LEDs, die ihr Licht auf das zu fotografierende Objekt bündeln. Damit lassen sich die Belichtungszeiten kurzhalten, Bewegungen werden eingefroren, das Bild verwackelt nicht. Die Tiefenschärfe aber ist gering, weshalb sich in einem Bild entweder der vordere oder der hintere Bereich scharf stellen lässt.
Für eine komplett scharfe Aufnahme greifen die Forscher zu einem Trick: Sie nehmen mehrere Bilder mit jeweils unterschiedlicher Brennweite auf. Anschließend werden diese Bilder per Software kombiniert und zu einem scharfen Gesamtbild verschmolzen. Und wie sieht es aus, das neue Unterwasser-Mikroskop?
"Das System verteilt sich auf zwei wasserdichte Gehäuse: Eine Röhre mit Mikroskop, Kamera und LED, sowie ein Gehäuse mit Rechner, Batterie, Festplatte und einem Display, auf dem der Taucher das Bild sehen kann. Beide Gehäuse sind über ein Stativ verbunden. An Land ist das Ganze ein bisschen sperrig und schwer. Doch beim Tauchen lässt es sich gut handhaben."
Kampf der Enzyme oder Kuss der Polypen
Die Bildauflösung ist respektabel: Auf den Aufnahmen lassen sich mikrometerfeine Details erkennen. Getestet haben Treibitz und ihre Kollegen das Mikroskop in einem Korallenriff im Roten Meer. Unter anderem setzten sie millimeterkleine Korallenpolypen nebeneinander und beobachteten über Stunden, was passiert. Das Resultat: ein eindrucksvolles Zeitraffer-Video.
"Was man auf unseren Aufnahmen sehen kann: Die Korallen haben miteinander gekämpft, ein regelrechter Revierkampf. Mit unserem Mikroskop konnten wir genau beobachten, wie sich dieser Kampf entwickelt hat: Am Anfang tasteten sich die Polypen gegenseitig ab, um sich dann immer aggressiver zu bekämpfen."
Und zwar attackierten sich die Winzlinge mit ihren Verdauungssäften – ein gnadenloser Kampf der Enzyme. In einem anderen Fall stülpten die Polypen ihre Verdauungsorgane nach außen, um sie mit ihren Nachbarn zu verschränken – ein bislang unbeobachtetes Verhalten, von den Forschern als "Kuss der Polypen" tituliert. Solches Treiben im marinen Mikrokosmos ließ sich bislang nur im Labor verfolgen. Mit dem neuen Unterwasser-Mikroskop sei das nun auch im Meer möglich, der natürlichen Umgebung der Lebewesen, sagt Tali Treibitz. Und neben Korallen will sie künftig auch andere Winzlinge unter die Lupe nehmen, Muscheln etwa oder auch Algen.