
Produkte, mit denen man töten, überwachen oder ausspähen kann, sind gefragter denn je. Denn Europa will sich unabhängiger von den USA gegen Russland verteidigen. In Deutschland hat deshalb eine Verfassungsänderung den Weg für nahezu unbegrenzte Rüstungsausgaben geebnet.
Auch auf europäischer Ebene wird über milliardenschwere Programme debattiert. Doch wer profitiert in Deutschland von der Aufrüstung - und könnte die Rüstungsindustrie tatsächlich der schwächelnden Wirtschaft helfen?
Woher kommt der Boom in der Rüstungsindustrie?
Der russische Überfall auf die Ukraine hat der westlichen Rüstungsindustrie einen Auftragsschub gebracht. Hinzu kommt, dass US-Präsident Donald Trump höhere Ausgaben der NATO-Staaten fordert und zugleich sicherheitspolitisch von Europa abrückt.
Das alles spiegelt sich in einer Verfassungsänderung wider, die am 18. März 2025 vom Deutschen Bundestag und am 21. März vom Bundesrat verabschiedet wurde. Damit wird auch die sogenannte Schuldenbremse in Deutschland für die Aufrüstung ausgesetzt, sofern die Militärausgaben größer sind als ein Prozent des Brutoinlandsprodukts. Nun kann Deutschland hohe Summen in Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit investieren.
Auch in Europa gibt es viel Bewegung: Die EU-Kommission fordert in den kommenden Jahren 800 Milliarden für die Aufrüstung Europas auszugeben und hat das erste Weißbuch für die europäische Verteidigung vorgelegt. Darin heißt es, dass europaweit - ähnlich wie in Deutschland - die Schuldengrenzen gelockert werden sollen.
Zusätzlichen Auftrieb erhalten Europas Rüstungsambitionen durch Warnungen des BND und der Bundeswehr vor der Gefahr eines russischen Angriffs auf NATO-Territorium.
Ökonomen sprechen sich bei der Waffenproduktion für ein europäisches Vorgehen aus, um größere Stückzahlen zu produzieren und damit die Preise zu senken. Bisher ist der Rüstungssektor in Europa stark fragmentiert: Jedes Land bestellt vorrangig bei eigenen Unternehmen – das führt zu kleinen Stückzahlen und hohen Preisen.
Wie stark soll die Rüstungsbranche wachsen?
Der Ökonom Moritz Schularick vom Kieler Institut für Weltwirtschaft spricht sich dafür aus, Europa schnell in eine "Position der Stärke" zu bringen. Deshalb müsse man den Aufbau von Produktionskapazitäten "mit Nachdruck angehen" ähnlich, wie es bei der Impfstoffproduktion geschehen sei.
Sein Institut hat berechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt in der EU 0,9 bis 1,5 Prozent jährlich steigen könnte, wenn die EU-Staaten ihre Militärausgaben vom NATO-Ziel von zwei Prozent auf 3,5 Prozent des BIP anhöben und von überwiegend US- auf heimische Hightech-Waffen umstiegen.
Der Konzern Rheinmetall hat in einer Simulation berechnet, was eine Erhöhung des NATO-Ziels auf 2,5 bis 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung bedeuten würde. Demnach sieht Rheinmetall ein Potenzial von Auftragseingängen bis zum Jahr 2030 von "300 bis 400 Milliarden", sagte Unternehmens-Chef Armin Papperger. "Um dieses Potenzial heben zu können, müssen wir weiter investieren. Das heißt wir müssen unsere Kapazitäten noch mal verdoppeln."
In einer Studie haben die Dekabank und die Unternehmensberatung EY berechnet, dass die europäischen NATO-Länder momentan jährlich 72 Milliarden Euro in Rüstung investieren und damit 680.000 Arbeitsplätze sichern. Eine Steigerung der Militärausgaben auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung könnte demnach in Europa 660.000 Arbeitsplätze neu schaffen.
Könnte die Rüstungsindustrie schwächelnden Branchen helfen?
An ersten Beispielen zeigt sich bereits, dass einzelne Betriebe von der boomenden Rüstungsindustrie profitieren können. In Görlitz wollte der Industriekonzern Alstom sein Werk für den Bau von Waggons eigentlich schließen. Im Februar 2025 übernahm der Konzern KNDS das Traditionswerk. Statt Aluminiumrohlingen für Eisenbahnwaggons, werden nun Teile für Panzer geschweißt.
KNDS will einen zweistelligen Millionenbetrag in Produktionsanlagen und die Weiterbildung der Belegschaft investieren. 400 der insgesamt 700 Beschäftigten werden übernommen - 180 weitere Mitarbeiter sollen an andere KNDS-Standorten vermittelt werden.
Auch bei Rheinmetall gibt es Überlegungen, die Werke in Neuss und Berlin zukünftig auch für die Produktion von Rüstungsgütern zu nutzen. Beide Standorte produzieren derzeit für die Automobilindustrie.
Denkbar ist zudem, dass Rheinmetall ganze Werke von Autokonzernen übernimmt, die unter Druck stehen und sparen müssen. Mit Blick auf Osnabrück, wo Volkswagen ein Werk mit ungewisser Zukunft hat, äußerte sich Firmenchef Papperger jedoch bisher zurückhaltend. Die vorhandenen Anlagen seien für eine Rüstungsfirma nur bedingt zu gebrauchen, und ein möglicher Umbau teuer. Bevor man jedoch ein neues Werk baue, wolle man dies prüfen.
Rheinmetall hat auch 100 Beschäftigten des defizitären Bremsenwerks von Continental in Gifhorn den Wechsel in eine Munitionsfabrik angeboten. Laut dem Chef der Düsseldorfer Waffenschmiede werde Rheinmetall zum "Jobmotor". Die Belegschaft will Papperger innerhalb von zwei Jahren von 32.000 auf 40.000 aufstocken.

Auch Hensoldt will von Continental und Bosch Mitarbeiter aus der schwächelnden Automobilbranche übernehmen. "Wir profitieren von den Schwierigkeiten der Autoindustrie", so Hensoldt-Chef Oliver Dörre.
Dennoch ist unklar, ob die Rüstungsindustrie wirklich die rückläufigen Zahlen, beispielsweise der Automobilbranche, kompensieren kann. So lag der Umsatz in der Automobilindustrie 2024 bei etwas über 540 Milliarden Euro. Vergleichbare Zahlen für die Rüstungsindustrie gibt es nicht, aber sie dürften sehr weit darunter liegen. So kamen die fünf größten deutschen Rüstungsunternehmen 2023 auf einen Umsatz von knapp 30 Milliarden Euro.
Welche Rüstungsunternehmen gibt es in Deutschland?
Weltweit spielt Deutschland in der Rüstungsindustrie nur eine untergeordnete Rolle. Laut einem Ranking des Stockholmer Instituts für Internationale Friedensforschung (SIPRI) dominieren gemessen am Umsatz mit Waffen vor allem Unternehmen aus den USA, China und Russland den Markt. Das umsatzstärkste Unternehmen ist demnach Lockheed Martin mit einem Umsatz von etwas über 60 Milliarden Dollar im Jahr 2023.

Rheinmetall, das größte rein deutsche Rüstungsunternehmen, belegt im SIPRI-Ranking Platz 26 mit einem Umsatz von 5,5 Milliarden Dollar im Jahr 2023. Laut Unternehmensangaben stieg der Umsatz 2024 jedoch bereits auf 9,7 Milliarden Euro. Der jüngste Geschäftsbericht aus dem Jahr 2024 weist zudem Aufträge im Wert von 55 Milliarden Euro aus.
Der Konzern produziert Panzer, Munition, Drohnen, Raketen, Luftverteidigungssysteme und digitale Waffentechnik. Aufgrund der Bestellungen aus vielen Ländern baut Rheinmetall Werke in ganz Europa. In Deutschland produziert die Waffenschmiede in Kassel, Kiel, Bremen, München und im niedersächsischen Unterlüß.
Deutlich kleiner hingegen ist Hensoldt. Der bayerische Konzern aus Taufkirchen ist Marktführer für Radarsysteme, die in Flugzeugen, Panzern und U-Booten zum Einsatz kommen. Hensoldt hat rund 8000 Beschäftigte. 2024 steigerte der Konzern sowohl Umsatz als auch Gewinn. Der Auftragseingang erreichte mit 2,9 Milliarden Euro einen Unternehmensrekord. Im SIPRI-Ranking liegt der Konzern auf Platz 73 - knapp hinter Thyssenkrupp Marine Systems (Platz 66), die vor allem U-Boote bauen und ihren Hauptsitz in Kiel haben.
Weitere rein deutsche Rüstungsunternehmen sind Diehl Defence aus Überlingen am Bodensee (Platz 83). Hinzu kommen zahlreiche Beteiligungen deutscher Firmen an europäischen Zusammenschlüssen. Die größte ist Airbus Defence and Space, an der Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien beteiligt sind. Das Unternehmen ist Teil der Airbus-Gruppe und liegt im Ranking der Stockholmer Forscher noch vor Rheinmetall auf Platz 12.
Die Firma MBDA ist aus französischen, britischen, spanischen und deutschen Unternehmen hervorgegangen und belegt Rang 30. Dahinter liegt das Unternehmen KNDS auf Platz 45. KNDS ist ein Zusammenschluss des französischen Konzerns Nexter und der deutschen Firma Krauss-Maffei Wegmann. Hinzu kommen zahlreiche kleine Firmen und Zulieferer der Industrie, die nicht im Ranking auftauchen.
rtr, dpa, nm