Holocaust-Gedenktag
Aufruf zu Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus

Bundesweit ist mit Veranstaltungen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert worden. Bundesinnenministerin Faeser nahm an einer Lesung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück teil. Anschließend legte sie einen Kranz an der Bronzeskulptur "Tragende" nieder, die als Wahrzeichen der Gedenkstätte Ravensbrück gilt.

    Bundesinnenministerin Nancy Fauser (SPD) kniet bei der Kranzniederlegung am Denkmal "Tragende" bei der Gedenkveranstaltung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
    Bundesinnenministerin Nancy Fauser (SPD) kniet bei der Kranzniederlegung am Denkmal "Tragende" bei der Gedenkveranstaltung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. (Monika Skolimowska / dpa / Monika Skolimowska)
    Faeser sicherte ein entschiedenes Handeln des Staates gegen Pläne von Rechtsextremisten zu. "Keine 80 Jahre nach dem Ende des Hitler-Regimes werden wieder Pläne geschmiedet, Menschen systematisch zu diskriminieren und zu drangsalieren, zu entrechten und zu vertreiben aufgrund ihrer Abstammung, ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer politischen Haltung", sagte Faeser in der Mahn- und Gedenkstätte. Man stehe stehe in der Verantwortung, das nicht zuzulassen. Die Ministerin betonte, es werde mit allen Mitteln des Rechtsstaats gehandelt: mit Mitteln des Strafrechts, mit Aufklärung und mit Prävention.

    Appelle an Bürger, für Demokratie einzustehen

    Bundeskanzler Scholz und mehrere Minister nutzten den Jahrestag, um an die Bürger zu appellieren, sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einzusetzen. Scholz rief zum entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus auf. "Nie wieder" sei jeden Tag, sagte der SPD-Politiker in seinem wöchentlichen Video-Podcast. Das sei nicht nur eine Aufgabe für den Staat, sondern fordere die Wachsamkeit aller Menschen in Deutschland.
    Außenministerin Baerbock rief dazu auf, Lehren aus den Gräueltaten der Nationalsozialisten zu ziehen. "Es ist an uns Lebenden, aus der Verantwortung für unsere Vergangenheit heraus unsere Gegenwart zu gestalten", erklärte Baerbock im Onlinedienst X. "Nie wieder ist jetzt."

    Israels Ex-Präsident Rivlin kritisiert Weltgemeinschaft, nimmt Deutschland aber explizit aus

    Der frühere israelische Präsident Rivlin warf der Weltgemeinschaft vor, sein Land im Stich zu lassen. In Israel habe man aktuell das Gefühl, dass das"Nie Wieder"eine leere Worthülse geworden sei, sagte er dem Tagesspiegel. Deutschland nahm Rivlin ausdrücklich von seiner Kritik aus. Er sehe Deutschland tatsächlich als das für "hilfreichste Land" an, wenn es um Israels Sicherheit gehe. In den USA hänge die Qualität der politischen Unterstützung sehr davon ab, ob gerade Republikaner oder Demokraten regierten.
    Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger forderte eine entschlossene Haltung gegen Antisemitismus. Mit Verweis auf den Überfall von Hamas-Terroristen auf Israel im Oktober sagte die FDP-Politikerin, das Leid von Jüdinnen und Juden sei nicht Geschichte. Sie ergänzte, seit dem seien in Schulen, Hochschulen und ganz Deutschland zahlreiche antisemitische Vorfälle bekannt geworden. Es sei beschämend, was ausgerechnet in Deutschland aufgebrochen sei und wie massiv und ungeniert sich der Antisemitismus zeige, so Stark-Watzinger. "Dem müssen wir uns als Gesellschaft entgegenstellen."

    Augenmerk auf junge Menschen

    Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Düll, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", Lehrer müssten in der Lage sein, den Diskurs zum Thema Antisemitismus und Nahostkonflikt in ihren Klassen zu führen. Allerdings gehe die Tendenz in den Bundesländern derzeit in eine andere Richtung. Die Lehrerausbildung werde bundesweit inhaltlich und zeitlich eher verkürzt. Das sei angesichts des Lehrermangels politisch gewollt.
    Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Klein, mahnte neue Formen für das Holocaust-Gedenken an. Er sagte der Funke-Mediengruppe, das sei nötig, um die breite Bevölkerung und insbesondere die junge Generation emotional anzusprechen. Es gebe nur noch wenige Überlebende des Holocausts, die persönlich Zeugnis ablegten und von den Verbrechen der Schoah berichten könnten. Gedenkstätten müssten etwa digitaler und auch mobiler werden, um junge Menschen zu erreichen - und zwar nicht nur in den Sozialen Medien, sondern auch im Sportverein oder in der Musikschule, so Klein.

    Auf die Gedenkstätten kommt es an

    Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland wies erneut auf die wachsende Bedeutung der Gedenkstättenarbeit hin. Mit der schwindenden Zahl von Zeitzeugen rückten sie in den Fokus, erklärte Zentralratspräsident Schuster. Der Zentralrat veröffentlichte dazu ein Positionspapier. Der Staat habe für die finanzielle Absicherung von Sanierung und Instandhaltung der Stätten zu sorgen, heißt es darin. Regionale Gedenkorte sollten entwickelt, gewürdigt und unterstützt werden.
    Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Wagner, warb dafür, mit jungen Menschen die Verbindungen zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und heutigen Entwicklungen zu diskutieren. So entstünde bei junge Menschen Interesse für den Nationalsozialismus. Das gelte auch für Besucher, die erst einmal mit einer "Null Bock"- oder "Interessiert mich nicht"-Haltung in die Gedenkstätten kämen. Mit ritualisierten, pathoshaften Beschwörungsformeln und der klassischen Kranzniederlegung "wird man junge Menschen nicht hinter ihrem Smartphone hervorholen".

    Forderung nach härteres Vorgehen gegen Rechtsextreme Strukturen

    Das Internationale Auschwitz-Komitee forderte ein härteres Vorgehen gegen rechtsextreme Strukturen. Viel zu lange habe man die Netzwerke von Verschwörungslügnern und Hetzern gewähren lassen, sagte Vizepräsident Heubner. Deren Ideen hätten in die Katastrophe von Auschwitz geführt.
    Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer äußerte sich ebenfalls besorgt. "Ich hätte es nie gedacht, dass es wieder so kommen würde, denn so hat es ja damals auch angefangen", sagte die 102-Jährige gestern Abend im ARD-Fernsehen. Sie wünschte sich, dass noch mehr Menschen gegen Menschenhass auf die Straße gehen: "Ich finde, dass mehr laut sein sollten, dass zu wenige ihre Meinung sagen."

    Fußball setzt Zeichen gegen Antisemitismus

    Auch der deutsche Profifußball erinnerte an die Verbrechen des Nationalsozialismus. Bei den Spielen in den Stadien, auf dem Trainingsplatz und anlässlich von Veranstaltungen gedachten Clubs und Fans der Befreiung des früheren deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Angesichts des Angriffs der Terrororganisation Hamas auf Israel und den zunehmenden Protesten gegen rechts in Deutschland finden die Aktionen diesmal unter dem Motto "Nie wieder ist jetzt!" statt.

    In Mainz erinnerte der rheinland-pfälzische Landtag an die Opfer. Landtagspräsident Hering rief zum Einstehen für Demokratie auf. In Worten und Haltungen sehe man heute mit erschreckender Klarheit die Parallelen zwischen den Nationalsozialisten von damals und Rechtsextremisten von heute. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung des Landes Rheinland-Pfalz standen diesmal Menschen im Mittelpunkt, die von Nationalsozialisten als "asozial" oder als "Berufsverbrecher" bezeichnet und verfolgt worden waren - dazu zählten Arbeits- und Wohnungslose, Bettler, Fürsorgeempfänger, Prostituierte, aber auch Sinti und Roma.

    Lichteraktion am Brandenburger Tor

    In den vergangenen Wochen haben in Deutschland Hunderttausende gegen Rechtsextremismus und für Demokratie demonstriert. Auch heute finden in zahlreichen Städten wieder Kundgebungen statt. Auslöser waren Berichte über ein Geheimtreffen von AfD-Politikern, Rechtsextremisten und Unternehmern zur massenhaften Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund.
    Mit dem Motto "Nie wieder ist jetzt" nahm auch eine Lichteraktion am Brandenburger Tor für die Opfer der NS-Verbrechen Bezug zur heutigen Zeit. Ziel sei es, zum internationalen Holocaust-Gedenktag ein Zeichen zu setzen, erklärten die Mitorganisatoren von Fridays For Future: "Die Geschichte darf sich nie wieder wiederholen."

    AfD will andere Erinnerungskultur

    Die AfD und deren Bundestagsfraktion äußerten sich bis zum Nachmittag nicht offiziell zum Holocaust-Gedenktag. Die Partei strebt eine Änderung der Erinnerungskultur an. Im Partei-Grundsatzprogramm heißt es: "Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst." Der ehemalige AfD-Bundestagsfraktionschef Gauland hatte mit einer Äußerung zur Nazi-Zeit für Empörung, als er geäußert hatte: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte." Gauland hatte seine Äußerung allerdings später als "missdeutbar und damit politisch unklug" bezeichnet.
    Der 27. Januar ist der Tag, an dem im Jahr 1945 Auschwitz-Birkenau befreit worden ist. In Deutschland ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus seit 1996 ein gesetzlich verankerter Gedenktag.

    Hör-Tipps:

    Die Deutschlandradio-Programme haben im Laufe der Zeit mehrere Gespräche mit Zeitzeugen geführt. Hier einige Beispiele:
    Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer mahnt auch in diesem Gespräch, vorsichtig zu sein. "So hat es damals angefangen".
    Der Dokumentarfilmer Georg Stefan Troller erzählt, dass er sich durch Antisemitismus und NS-Verfolgung als Jude hässlich und nicht liebenswert gefühlt habe.
    Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, schildert, wie sie die Liebe zu ihrem Heimatland zurückgewonnen hat.
    Mehr Gespräche finden Sie auf den Internetseiten von Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur.
    Diese Nachricht wurde am 27.01.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.