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Aufruf zu zivilem Ungehorsam
Wer steckt hinter "Extinction Rebellion"?

Bisher hat die Aktivistengruppe Extinction Rebellion vor allem im Ausland von sich reden gemacht. Ab Montag will sie auch Berlin "in Unruhe versetzen" und so den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, für mehr Klimaschutz zu sorgen. Wir erklären, was geplant ist und was die Gruppe von Fridays for Future unterscheidet.

    Mehrere junge Menschen liegen auf dem Boden des Augustinerplatzes und haben ein Blatt Papier mit einer aufgedruckten Tierart auf sich liegen.
    Aktivisten und Aktivistinnen haben bei einem "Die-in" in Freiburg auf das Aussterben von Tierarten aufmerksam gemacht. (imago)
    Was hat Extinction Rebellion vor?
    "Wir sehen kein anderes Mittel mehr, um die Katastrophe aufzuhalten", sagte die Sprecherin von Extinction Rebellion am Freitag in Berlin. Die Gruppe will kommende Woche unter anderem Berliner Verkehrsknotenpunkte vorübergehend blockieren, wie sie es zuvor bereits in London und anderen Städten getan hat. Die Aktionen sollen friedlich und gewaltfrei ablaufen. Die Aktivisten haben angekündigt, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.
    Bereits am heutigen Samstag startet Extinction Rebellion in der Nähe des Bundeskanzleramtes ein mehrtägiges Klimacamp mit Workshops und Arbeitsgruppen. Insgesamt erwartet die Bewegung in den nächsten Tagen mehrere tausend Anhänger in Berlin. Auch in etwa 60 anderen Großstädten wie London, Kapstadt, Neu-Delhi und Sydney sind Aktionen geplant.
    Kommt der Protest wirklich ohne Konfrontation mit der Polizei aus?
    Zumindest beim Klimastreik am 20. September war das der Fall. Mitglieder von Extinction Rebellion hatten sich zunächst an einer Straßenblockade in Hamburg beteiligt. Wie tagesschau-Reporterin Silvia Stöber berichtet, verließen sie die Aktion jedoch, als andere Aktivisten aggressive Sprechchöre anstimmten. Zur Begründung hieß es: Beleidigungen und Aggressionen gegen die Polizei trage man nicht mit.
    Aktivisten stehen an einem Galgen hängend auf schmelzenden Eisblöcken vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
    Drastische Aktionen - so will Extinction Rebellion auf zu lasche Klimaschutz-Maßnahmen aufmerksam machen. (imago images / Emmanuele Contini)
    Worum geht es der Gruppe?
    Extinction Rebellion will in Deutschland deutlich strengere Klimaschutz-Maßnahmen durchsetzen als die Bundesregierung. Unter anderem wird gefordert, den Klimanotstand auszurufen, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2025 "auf Netto-Null" zu bringen sowie eine nationale, repräsentative "Bürger:innenversammlung" aus etwa 160 Vertretern einzuberufen, die "notwendige Maßnahmen" verabschieden sollen. Die Gruppe warnt unter Berufung auf wissenschaftliche Berechnungen, dass bis zum Ende des Jahrhunderts nur noch etwa eine Milliarde Menschen ernährt werden könnten, sollte sich die Erde um vier Grad erwärmen.
    Woher kommt die Bewegung?
    Extinction Rebellion ("Aufstand gegen das Aussterben") stammt ursprünglich aus Großbritannien. Vordenker und Mitgründer ist der britische Umweltaktivist Roger Hallam. In einem ausführlichen Papier beschreibt er, wie eine gewaltfreie Rebellion den "Zusammenbruch des Klimas und den sozialen Kollaps" aufhalten kann. Nach eigenen Angaben gibt es die Gruppe seit November vorigen Jahres auch in Deutschland.
    Wie will Extinction Rebellion ihre Ziele durchsetzen?
    Die Gruppe ruft zu "massenhaftem und friedlichem zivilen Ungehorsam" auf. Gewaltfreie Störungen der öffentlichen Ordnung gelten als legitim, wenn sich viele Bürger ungerecht behandelt fühlen. Als Beispiele für zivilen Ungehorsam in der Geschichte werden oft Mahatma Gandhi in Indien, die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg in den USA oder die Bürgerrechtsbewegung in der DDR angeführt.
    Extinction Rebellion legt sich ideologisch nicht fest und setzt auf Gewaltfreiheit. Umweltaktivist Hallam hält auch massive Blockaden und den Bruch von Gesetzen für gerechtfertigt.
    Polizeibeamte und Umweltschützer der Bewegung "Extinction Rebellion" in Paris
    Aktion von "Extinction Rebellion" vor dem Eiffelturm in Paris. (AFP /Francois Guillot)
    Wie groß ist die Gruppe?
    In Deutschland wird derzeit eine Zahl von etwa 5.500 Mitgliedern genannt. Aus Sicht des Protestforschers Dieter Rucht ist Extinction Rebellion deutlich kleiner, als die Gruppe den Anschein zu erwecken versucht. Das zeige sich auch an "vollmundigen Ankündigungen" zur Mitgliederzahl und Anzahl der nationalen Verbände, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
    Rucht vergleicht den Aufbau der Bewegung mit einem Franchise-System: Mit wenigen Klicks könne man auf der Internetseite als Ortsgruppe in Gründung aufgeführt werden. Die Präsenz sei weitgehend eine Webpräsenz und keine physische Präsenz.
    Wer unterstützt Extinction Rebellion?
    Mehrere Prominente haben sich in einem Offenen Brief ans Kanzleramt den Forderungen der Gruppe angeschlossen. Zu den etwa 90 Unterzeichnern zählen der Regisseur Fatih Akin, die Schauspieler Christian Ulmen, Anna Loos und Bjarne Mädel sowie die Musiker Bela B und Selig. Sie verlangen von der Politik, sofort spürbare Maßnahmen gegen die ökologische Krise zu ergreifen.
    Was sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Fridays for Future?
    Genauso wie Fridays for Future organisiert sich Extinction Rebellion dezentral und will keine Führungsfiguren. Extinction Rebellion setzt sich für ähnliche Ziele wie die große Schwester-Bewegung ein, kämpft aber mit härteren Bandagen. So haben Aktivisten in der Vergangenheit nicht nur Verkehrsknoten blockiert, sondern sich auch in der Öffentlichkeit totgestellt oder Kunstblut auf ein Ministerium in London gesprüht. Zurzeit ist Extinction Rebellion noch deutlich weniger bekannt als Fridays for Future.