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Aufruf zum "heiligen Krieg"

Seit fast zwei Jahrzehnten herrscht in Somalia ein blutiger Bürgerkrieg. Die sogenannte Übergangsregierung ist zu schwach, um das Land zu befrieden. Bedroht wird sie durch die islamistische Al-Shabab-Milizen. Sie versuchen, die Macht vollständig an sich zu reißen.

Von Marc Engelhardt |
    Maschinengewehre rattern, Menschen laufen in Panik davon, Granaten schlagen ein: ein ganz normaler Nachmittag in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. In Somalias brutalem Bürgerkrieg wird schon lange keine Rücksicht auf Verluste mehr genommen. Derzeit, sagen Bewohner, ist es so schlimm wie noch nie. Islamisten, die fast das ganze Land beherrschen, haben angekündigt, die letzten Truppen der somalischen Übergangsregierung militärisch in die Knie zu zwingen – mit allen Mitteln.

    Der Sprecher der Shabaab-Miliz, Sheikh Ali Mohammed Hussein, ruft jetzt sogar Frauen auf, im "heiligen Krieg" gegen die Regierung mitzukämpfen. Islamistische Radiosender haben seine Rede im ganzen Land verbreitet:

    "Frauen müssen ihre Rolle im heiligen Krieg spielen. Und den Frauen, die zu alt sind und nichts haben, sage ich: Schickt Eure Kinder in den heiligen Krieg, wenn Ihr nicht selbst teilnehmen könnt. Kauft Gewehre und Munition für Eure Kinder, denn der Koran sagt: Jemanden für den heiligen Krieg auszurüsten, ist so gut, wie selbst an ihm teilzunehmen."

    Hunderte Frauen und Kinder sollen in den vergangenen Wochen bereits in Trainingscamps zu Selbstmordattentätern ausgebildet worden sein. Überprüfen lassen sich diese Behauptungen nicht. Doch es ist gut denkbar, dass die Shabaab zu solchen Mitteln greift, um endlich zu siegen.

    Derzeit herrscht in Mogadischu ein militärisches Patt. Mit Hilfe afrikanischer Friedenstruppen war die Regierung zuletzt zwar in der Lage, den Islamisten einige Niederlagen beizubringen. Mehr als wenige Straßenzüge in der Hauptstadt Mogadischu kontrolliert sie dennoch nicht. Würde sich die Übergangsregierung zu weit hinauswagen, sie würde Opfer von Heckenschützen und Bombenlegern.

    Angesichts dieses Patts setzen die Islamisten auf psychologische Kriegsführung. Sie beschwören einen Endkrieg herauf, in dem sie die Gewinner sind. Der Anführer der zweiten großen Islamisten-Miliz, Hisbul Islam, Hassan Dahir Aweys, rief die Regierung schon vor mehr als einem Monat auf, zu kapitulieren.

    "Wir wissen, dass unser Land keine richtige Regierung hat, die das Volk vertritt. Deshalb rufen wir die sogenannte Regierung auf: legt Eure Waffen nieder, denn ihr seid zur Niederlage verdammt."

    Die Parolen der Islamisten lassen die öffentliche Moral weiter sinken. Schließlich warten viele der Bewohner Mogadischus schon seit fast zwanzig Jahren auf den immer wieder angekündigten Untergang. So lange hat Somalia schon keine funktionierende Regierung mehr, ist das Land am Horn von Afrika eine Hülle ohne Staat.

    Hoffnung ist ein Luxus, den viele schon lange aufgegeben haben. Und das, obwohl die Mehrheit der Somalis und ihrer traditionellen Clan-Führer eigentlich gegen die Islamisten-Herrschaft ist, sagt Ernst Jan Hogendoorn von der International Crisis Group.

    "Wenn es eine richtige Strategie gäbe, dann würden die meisten Clans wohl die Übergangsregierung unterstützen. Aber weil die Regierung eben nicht willens oder nicht in der Lage ist, die verschiedenen Clanmilizen zu koordinieren, stecken die Clanführer in einem Sicherheitsdilemma: Wenn sie der Regierung Unterstützung zusichern würden, dann würde die Shabaab einfach in ihr Gebiet einmarschieren und sie umbringen. Die Regierung könnte sie nicht davor schützen, dafür ist sie zu schwach."

    Trotz der allgemeinen Hoffnungslosigkeit machen Bewohner Mogadischus ihrem Ärger bei einem Protestmarsch Luft und fordern, es solle endlich Frieden geben. Die Demonstration ist von der Regierung organisiert, doch die Wut ist echt. Jeder hat mindestens einen Verwandten oder Freund, der in den Kämpfen umgekommen ist.

    "Wir wollen mit unserem Protest Mogadischu zum Leben erwecken, sagt der von der Regierung eingesetzte Bürgermeister Mohammed Nuur Tarsan. Mogadischu darf nicht im Koma liegen bleiben, wir müssen uns aufraffen und nach vorne schauen."

    Das klingt gut. Dennoch ist ein Ende der Gewalt nicht in Sicht. Auch deshalb nicht, weil die Regierung in sich zerstritten ist. Wochenlang schacherten die belagerten Politiker um Posten. Ein Armutszeugnis, muss selbst der vom Westen unterstützte Präsident Sheikh Sharif Achmed zugeben.

    "Die Skepsis vieler Somalis der Regierung gegenüber hat ihre Wurzel in Korruption und politischem Missmanagement. Deshalb geht es im Land nicht voran. Ich habe den neuen Premier angewiesen, damit aufzuräumen."

    Doch die Zeit wird knapp. Während die Übergangsregierung mit ihren internen Probleme beschäftigt ist, schüren die Islamisten den Hass.

    "In der Vergangenheit hat die Shabaab immer wieder Mörsergranaten aus dicht bevölkerten Vierteln abgeschossen, erklärt der Somalia-Analyst Hogendoorn. Damit wollen sie die afrikanischen Friedenstruppen provozieren, zurück zu schießen. Und immer wenn sie das getan haben, mussten Zivilisten ihr Leben lassen. Das ist ein Teil der Shabaab-Strategie: einen Keil zwischen die Bevölkerung und die Friedenstruppen zu treiben."

    Auch Berichte über das Engagement ausländischer Gotteskrieger mehren sich. In den Nachbarländern wächst nach den Selbstmordanschlägen in Uganda zum Ende der Fußball-WM zudem die Angst vor den erstarkten somalischen Islamisten.

    Leidtragende sind die Zivilisten, weiß Emmanuel Nyabera vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Gerade erst habe Kenias Regierung Tausende Flüchtlinge zurück nach Somalia geschickt aus Angst, sich in dem Konflikt zu positionieren.

    "Ursprünglich waren es 7500 Flüchtlinge, um die wir uns direkt an der Grenze zu Somalia gekümmert haben. Fast alle waren Frauen und Kinder. Wir waren besorgt, dass sie an der Grenze Opfer neuer Kämpfe werden könnten. Erst hat uns die Regierung zugesagt, wir könnten die Flüchtlinge gut zehn Kilometer von der Grenze entfernt unterbringen. Aber dann hieß es auf einmal: Schickt die Somalis zurück dahin, wo sie herkommen, es ist sicher genug dort."

    Während auf dem Bakara-Markt in Mogadischu bis zum nächsten Granateneinschlag die Musik aus den Radios dröhnt und eine trügerische Normalität herrscht, weiß doch jeder, dass Sicherheit für Somalia ein Wunschtraum ist.

    Ist der so lange angekündigte Untergang Somalias also unausweichlich? Analyst Hogendoorn glaubt: nein. Es gäbe Hoffnung, wenn sich die Übergangsregierung nicht länger weigerte, ihre auf dem Papier stehende Macht mit den Clans zu teilen.
    "Das könnte einen Dominoeffekt zur Folge haben. Wenn genug Clans bereit wären, ihre Unterstützung für die Übergangsregierung zu erklären, würden mehr Clans folgen und so weiter. Das hat es bereits gegeben, als etwa die Islamischen Gerichtshöfe vor fünf Jahren die Macht übernommen haben. Innerhalb von nur sechs Monaten haben sie ganz Somalia kontrolliert. Es gab Frieden und Stabilität, die Menschen konnten ihr Leben leben."
    Denn das ist es, was die meisten Somalis sich wirklich wünschen: ihr Leben zu leben, ohne die ständige Angst vor dem Tod.