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Aufruhr im Osten des Landes

Hartz muss weg – Arbeit her. Hartz muss weg – Arbeit her.

Von Ilka Münchenberg |
    Zehntausende Menschen vor allem im Osten des Landes machen derzeit ihrem Frust und ihrer Enttäuschung Luft. Sie sehen sich als Verlierer der rot-grünen Sozialreformen. Bei den sogenannten Montagsdemonstrationen in dieser Woche zogen allein in Magdeburg rund 12.000 Bürger durch die Innenstadt und riefen "Wir sind das Volk" - in den Händen Plakate mit der Aufschrift wie zum Beispiel: "Keiner nimmt uns die Würde!"

    Wenn wir alle zusammenhalten, werden wir etwas bewegen. Wir sind nicht sieben Millionen Faule.

    Arbeitsplätze müssen geschaffen werden. Nicht die Leute bestraft werden, die keine Arbeit haben. Das ist ja das Schlimme. Wir können uns selbst keine schaffen.


    Dass Reformen in Angriff genommen werden müssen, sehe ich ein. Aber Nachbesserungen müssen sein.

    Bundeskanzler Schröder reagierte prompt: Frisch aus dem Urlaub zurückgekehrt, versammelte er seine wichtigsten Minister und die Spitzen der Regierungsfraktionen am Mittwochabend im Kanzleramt. Das Ergebnis - Nachbesserungen: Das Arbeitslosengeld II wird nun doch bereits im Januar ausbezahlt statt im Februar, wie ursprünglich vorgesehen. Den Bund wird das rund 800 Millionen Euro kosten. Damit der Haushaltsetat 2005 verfassungskonform bleiben kann, soll der Betrag nun in den Ministerien eingespart werden.

    Auch ein zweiter umstrittener Punkt ist vom Tisch: Künftig soll der Kinderspar-Freibetrag von 4100 Euro für jedes Kind ab der Geburt gelten. Bislang wurden für Kinder unter 15 Jahren 750 Euro zugrundegelegt. Damit löste Wirtschaftsminister Wolfgang Clement auch die Frage der Ausbildungsversicherungen und erklärte kurzerhand jede weitere Diskussion um Hartz IV für beendet:

    Weitere Änderungen sind nicht vorgesehen von nicht und niemandem. Auch weitergehende Forderungen werden auf diese Antwort stoßen.

    Eine klare Botschaft auch in Richtung Demonstranten. Denn es waren nicht zuletzt die Straßenproteste, die sowohl bei rot-grün als auch bei der Union für erhebliche Nervosität gesorgt hatten. Während aber bei der Koalition nur über einzelne Nachbesserungen diskutiert wurde, regierte bei der Union die Vielstimmigkeit. Und das, obwohl auch die Opposition dem Reformpaket im Vermittlungsausschuss zugestimmt hatte. Vor allem Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt, derzeit im Wahlkampf, musste sich den Vorwurf des Populisten gefallen lassen, als er ankündigte, sich den Demonstranten anschließen zu wollen. Inzwischen erklärte er, darauf zu verzichten.

    Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Volker Kauder, CDU, brachte seine Parteikollegen vorerst wieder auf Linie: Die Union werde die beiden vorgesehenen Änderungen bei Hartz IV mittragen - mit einer Einschränkung:

    Wenn Ministerpräsident Clement ein Gesetz vorlegt, werden wir dieses uns ganz genau anschauen, bei dieser Bundesregierung, wie man jetzt wieder sieht, ist immer höchste Vorsicht geboten.

    Ob die jetzt beschlossenen Nachbesserungen jedoch ausreichen werden, die demonstrierenden Menschen zu besänftigen, wird sich zeigen müssen. Denn es geht um mehr. Es ist die Angst vor dem sozialen Absturz, die die Menschen auf die Straße treibt, glaubt der für den Aufbau Ost zuständige Minister Manfred Stolpe:

    Weil es meiner Überzeugung nach nicht nur um Hartz IV geht. Sondern um einen aufgestauten Unmut, der im Osten da ist und der sich dann gleich zehntausendfach artikuliert. Ein Unmut, der verbunden ist mit der Sorge, der Osten wird jetzt vollständig abgehängt (...) Das einzige, was mich bekümmert, dass mit dem Begriff Montagsdemonstration gearbeitet wird. Denn der Begriff Montagsdemonstration ist Ausdruck der friedlichen Revolution – der Menschen, die mit Kerzen gegenüber Panzern standen. Und das ist kein passender Vergleich.

    Dieser Tatsache sind sich die meisten Protestierenden wohl bewusst. 1989 ging es um Freiheit und Demokratie, aber auch um die Angleichung der Lebensverhältnisse mit Blick auf den Westen. Letzteres ist auch heute so. Dass die Ostdeutschen auf Hartz IV so empfindlich reagieren, hat mehrere Gründe:

    Im Osten leben wesentlich mehr Menschen von der Arbeitslosenhilfe als im Bundesdurchschnitt, im Westen dagegen vergleichsweise eher von Sozialhilfe. Während Hartz IV jedoch für Sozialhilfeempfänger meist Verbesserungen vorsieht, müssen die Empfänger von Arbeitslosenhilfe mit Einbußen rechnen. Und auch die Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz sind im Osten sehr viel schlechter, meint Herbert Buscher. Der Arbeitsmarktexperte vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, ist überzeugt:

    Zum einen sind zwei Drittel der Arbeitslosen langzeitarbeitslos, wesentlich mehr als im Westen. Und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Stellen ist wesentlich geringer. Also hier kommen auf eine freie Stelle 25 Arbeitslose. Im Westen sind es sechs bis sieben Personen.

    Bundesweit rund 3 Millionen Langzeitarbeitslose haben mittlerweile ein Schreiben der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Es handelt sich um den so genannten "Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts", das Arbeitslosengeld II. Ein Großteil der Briefe ging nach Ostdeutschland. Das 16-seitige Formular stellt detailliert Fragen nach Lebens- und Wohnverhältnissen. Die Arbeitslosen müssen auch das eigene Vermögen, das der Angehörigen und das Einkommen des Lebenspartners offenbaren.

    Vertreter von Sozialverbänden prangern allerdings die ihrer Ansicht nach unzureichende Vorbereitung der Reform an. So meint Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes:

    Uns liegen heute noch nicht einmal die Verordnungen vor, die Antworten geben könnten auf die Frage, was ist ein angemessenes Auto, was ist eine angemessene Wohnung. Und so weiter, und das halte ich schon für einen kommunikationstechnischen Gau, der da passiert ist.

    Völlig unverständlich sind auch für den Experten Buscher die mangelhafte Informationkampagne und Aufklärung der Bundesregierung über Hartz IV:

    Alternativen zur Arbeitsmarktreform gibt es nicht. Die anderen Länder Europäer machen es auch. Da kommen wir gar nicht dran vorbei. Nur die Problematik: Man hätte es auch besser vermitteln müssen. Es klarer machen müssen. Und so unnötige Pannen, wie die Auszahlung im Januar, die hätte man vermeiden sollen.

    Für besondere Empörung sorgte nicht zuletzt eine so genannte "Busch-Zulage" für Berater aus dem Westen. Sie sollen eigens nach Ostdeutschland geschickt werden und dafür sorgen, dass die Anträge ordentlich ausgefüllt werden. Dazu die Schlagzeilen über Zwangsumzüge in billige Plattenbauten, den Zwangsverkauf der selbst ausgebauten Datscha oder die Plünderung von Kinder-Sparbüchern. Das brachte für viele das Fass zum Überlaufen.

    Auch wenn es sich um offenkundig überzogene Darstellungen handelte – eines steht fest: viele Menschen werden ab dem nächsten Jahr weitaus weniger Geld im Portemonnaie haben als bisher. Zwar gibt es noch keine verlässlichen Daten. Doch Arbeitsmarktexperte Buscher schätzt, dass bei rund 800.000 Ostdeutschen die finanziellen staatlichen Hilfen deutlich gekürzt werden:

    Die Menschen werden im Schnitt mit 200 Euro weniger im Monat auskommen müssen, ohne dass man garantieren kann, dass sie eine Stellung auch im ersten Arbeitsmarkt finden können. Man wird die Menschen umsetzen müssen, in gemeinnützige Tätigkeiten, für die ein oder zwei Euro gezahlt werden, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder auch wieder herzustellen. Und die Chancen, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen, dürften damit schlechter sein als beispielsweise im Westen.

    Ein Langzeitarbeitsloser in den neuen Bundesländern muss ab dem 1. Januar 2005 mit einer Grundsicherung von monatlich 331 Euro seinen Lebensunterhalt bestreiten. Im Westen werden 14 Euro mehr ausbezahlt. Angesichts dieser Zahlen schlagen Sozialverbände Alarm.

    Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband etwa schätzt, dass die Zahl derer, die auf Sozialhilfeniveau leben werden, bundesweit durch Hartz IV von heute 2,8 auf 4,5 Millionen Menschen ansteigen werde. Jedes zehnte Kind müsse dann in Armut aufwachsen. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, seien deshalb weitaus mehr Korrekturen als bislang notwendig. Schneider fordert:

    Die Verbesserung der Leistungshöhe um 15 Prozent. Insbesondere ein Kinderzuschlag für Arbeitslose mit Kindern, die vom Arbeitslosengeld II leben müssen. Eine zeitliche Parallelisierung von ‚Fördern und Fordern’, das heißt erst in dem Moment, wo auch tatsächlich Förderstrukturen da sind, darf die Reform greifen. Und das Dritte ist: Wir müssen auch hier im Leistungsbereich größere Freibeträge und Schonvermögens-Freibeträge haben, wo es um die Zukunft von Menschen geht.

    Auch die Gewerkschaften beklagen den Sozialabbau. Nahezu ausschließlich würden die "kleinen Leute" belastet, so die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer:

    Wir müssen viel mehr tun, hier die Langzeitarbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen, das unterstützen wir. Aber wir akzeptieren nicht, dass das verbunden ist mit so großen finanziellen Verschlechterungen für die Betroffenen.

    Detlev Kiel, Geschäftsführer der IG Metall in Magdeburg, hat immer wieder versucht, Menschen in Arbeit zu bringen. Ein mühsames Geschäft. Auch er hat sich den Protestmärschen angeschlossen:

    Das Schlimmste, das wir in diesem Land haben, ist die Tatsache, dass wir uns den Luxus erlauben, Millionen Menschen zu Hause zu lassen. Die wollen ja alle arbeiten. Aber alle große Bekundungen, die da sind, dass man für ältere Arbeitnehmer neue Jobs schaffen will. Und dass man für die besondere Programme auflegt, das hält doch immer nur ein Jahr an oder zwei Jahre und dann sind die Fördermittel ausgelaufen und dann werden diese Menschen wieder rausgeschmissen. Weil einfach keine Arbeit da ist. Das ist nur ein Wechsel, der stattfindet.

    Für den größten Unmut bei den Gewerkschaften sorgen die neuen Zumutbarkeitsregeln. Danach dürfen die Löhne bis zu 30 Prozent unter dem vereinbarten Tarif liegen. Es gilt: Ab 2005 ist jede Arbeit zumutbar, auch ein Minijob. Wer eine zugewiesene Arbeit ablehnt, muss umgehend mit der Kürzung von Leistungen rechnen.

    Trotz drohender Härten für einzelne Betroffene will die Bundesregierung aber an ihrem Reformvorhaben wie beschlossen festhalten. Das hat Bundeskanzler Schröder nochmals klargestellt. Schließlich geht es um die zentrale arbeitsmarktpolitische Reform der Agenda 2010. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, verteidigt Hartz IV:

    Wolfgang Clement hat ein Gesetz vorgelegt, wo es tatsächlich sehr stark darum geht, dass Menschen wieder in Beschäftigung kommen. Gerade auch in Ostdeutschland. Auch wenn es da eben nicht die Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt in Größenordnungen sein werden, sondern auch viele Arbeitsplätze am zweiten Arbeitsmarkt. Und dass wir diese Reformen brauchen, das haben die letzten Jahre gezeigt. Wir haben alimentiert und dann haben wir uns nicht mehr weiter darum gekümmert, was wird eigentlich aus den Menschen. Darum geht es jetzt.

    Doch der Druck auf rot-grün ist enorm. Wenn sich nicht schon bald auf dem Arbeitsmarkt erste Erfolge einstellen, wird es immer schwerer, den Menschen Hartz IV zu vermitteln. "Fördern und Fordern", so lautet die ehrgeizige Devise. Bislang fühlen sich die Menschen im Osten jedoch nur gefordert. Kaum einer glaubt daran, tatsächlich Arbeit zu finden – auch wenn er alle Zumutbarkeitsregeln erfüllen sollte. Schließlich sind laut Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg rund 18 Prozent der Menschen im Osten ohne Job. Zwar sind die neuen Jobcenter im Aufbau, doch die Menschen warten ab. Geht es nach Katrin Göring-Eckardt, wird die intensive Betreuung der Arbeitslosen schon bald Wirkung zeigen:

    Die Chancen, die in Angeboten in zweiten Arbeitslagen liegen, wo man nicht für zwei Euro arbeiten muss, sondern für zwei Euro zusätzlich. Das sind ja welche, die für die Biographie ganz wichtig sind. Weil das nämlich heißt: Derjenige ist in einer Beschäftigung gewesen. Und dazu kommt, auch eine große Errungenschaft von Hartz IV ist, dass es immer um eine Qualifizierung, um eine Weiterbildung geht. Und dass das immer parallel läuft. Und das wird natürlich die Chancen, wenn denn Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, auch erhöhen.

    Fördern: Das soll auch heißen, dass den Menschen mehr von ihrem Einkommen bleiben soll, wenn sie sich etwas hinzuverdienen. Bei der bislang bestehenden Arbeitslosen- und Sozialhilfe lohnte sich das meist nicht.

    Laut Hartz IV-Gesetz können Langzeitarbeitslose nun Geld hinzuverdienen, ohne dass dadurch die staatlichen Hilfen gekürzt werden. Bis 400 Euro etwa bleiben 15 Prozent, bis 900 Euro 30 Prozent anrechnungsfrei. Erst ab einem Zubrot von 1500 Euro wird jeder Euro in voller Höhe auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Längst drängen Grüne, aber auch Unionspolitiker auf Verbesserung. Auch für Katrin Göring-Eckhard ist hier eine Änderung durchaus vorstellbar:

    Das ist ein Vorschlag, den wir von Anfang an gemacht haben. Weil wir glauben, dass Hinzuverdienstmöglichkeiten sehr wichtig sind, wenn man wieder in Arbeit kommen will. Wir wollen nicht die Hartz-Gesetze dafür ändern. Ich glaube, alles das, was jetzt darauf hinausläuft, die Hartz-Gesetze zu ändern, führt nur zu großem Chaos und noch mehr Durcheinander. Das müsste noch einmal in den Bundesrat und wäre insofern eine leere Versprechung. Deswegen: Zuverdienstmöglichkeiten kann man auch ändern mit einem normalen Bundesgesetz – dazu braucht man kein Hartz-Gesetz zu ändern.

    Doch wo sollen all diese, wenn auch nur vorübergehenden, Arbeitsplätze plötzlich im Osten zu finden sein? Arbeitsmarktexperte Buscher sieht Möglichkeiten:

    Es können Arbeiten sein, wie im Schulhof kontrollieren, dass keine Gewalttätigkeiten passieren oder keine Drogen gehandelt werden (...) Man kann sich das denken im Dienstleistungsbereich, man kann sich das denken, wenn man massiv Schwarzarbeit abbaut, dass da eine Menge Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden können. Aber auch, dass man im Pflegebereich reguläre Arbeitsplätze schafft, da hat man nicht unbedingt das Problem. Nur sie müssen bezahlbar sein.

    Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, CDU, bleibt eher skeptisch. Er glaubt nicht, dass die Probleme mit Niedriglöhnen zu regeln sind – gerade in Ostdeutschland, wo manch Arbeiter schon jetzt nur minimalen Stundenlohn erhält. Dass sich durch Hartz IV die Schere zum Westen weiter öffnen könnte, hat bei den ostdeutschen Länderchefs zuletzt zum Schulterschluss über jede Parteigrenze hinweg geführt.

    Denn die ostdeutschen Landesregierungen befürchten, dass ihre Kommunen bei der Arbeitsmarktreform im Vergleich zum Westen eher schlecht wegkommen. Zwar entlastet die Bundesregierung die Länder bei der Sozialhilfe um 2,5 Milliarden Euro. Doch der Osten hat davon wegen der hohen Zahl der Langzeitarbeitslosen nur wenig. Während der Bund für Nordrhein-Westfalen also etwa 450 Millionen Euro ausschüttet, wird Brandenburg gerade noch um 30 Millionen entlastet. Sachsen-Anhalt erhält 80, Sachsen 100 Millionen Euro. Eine Ungerechtigkeit, empfindet Ministerpräsident Böhmer:

    Wer in den Arbeitsgremien des Vermittlungsausschusses die ganzen Diskussionen miterlebt hat, und wer auch miterleben musste, wie wir langsam mit unseren ganzen Bedenklichkeiten und Einwändungen aus den neuen Bundesländern fast nur noch als lästig empfunden wurden, der muss schon zugeben, dass das auch ein mangelndes Einfühlen in die besondere Problematik der Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ist.

    Ein Eindruck, der auch den Bundeskanzler offenbar überzeugte. Gemeinsam mit den ostdeutschen Länderchefs verständigte er sich im Juli dieses Jahres auf besondere arbeitsmarktpolitische Hilfen. Keine Causa Ost, wie alle betonen. Aber es geht um Geld, das vor allem dem Osten zugute kommen wird. Denn in Gebieten mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 15 Prozent sollen Lohnkostenzuschüsse bei Neueinstellungen gezahlt werden. Und: Mit den neuen Bundesländern will man auch künftig eng zusammenarbeiten, so Minister Manfred Stolpe:

    Deshalb ist es gut, dass noch im August die so genannte Monitoring-Gruppe - wo die Ostländer alle mit dabei sind und die Bundesregierung - anfängt, nachzudenken, was für Nachjustierungen, was für Präzisierungen wir vornehmen müssen, dass wir das Ziel erreichen. Wir wollen eine Strukturveränderung. Aber wir wollen nicht, dass die Menschen dabei scharenweise unter die Räder kommen.

    Allzu große Hoffnungen macht aber auch er den Arbeitslosen nicht. Im Gegenteil: Es wird ein langer mühsamer Weg, bis die Reformen im Osten greifen:

    Es gibt durchaus Chancen. Nur eines muss man durchaus, glaube ich, als Illusion beiseite legen: dass man ganz schnell den Verlust von drei Millionen Arbeitsplätzen in der Industrie nach 1990/1991, dass wir diese Arbeitsplätze ganz schnell wieder hinbekommen. Wenn es gelingt, im Laufe der nächsten Jahre, vielleicht ein paar 100.000 dazu zu gewinnen, dann haben wir viel bewegt.

    Viele Menschen im Osten haben die Geduld, aber auch das Vertrauen in die Regierung oder Opposition längst verloren. Das zeigt sich in den neuesten Umfrageergebnissen. Die PDS hat allen Anlass, zu frohlocken. Denn sie profitiert besonders stark von dem wachsenden Misstrauen gegenüber den bürgerlichen Parteien und den Zukunftsängsten der Menschen, beobachtet auch Ministerpräsident Böhmer:

    Das führt dann nicht zur Ablehnung einer bestimmten Parteipolitik. Das führt dann zur Ablehnung und zu einer Verweigerungshaltung allen politischen Aktivitäten gegenüber, zu einer allgemeinen Frustration und Politikverdrossenheit. Und erfahrungsgemäß profitieren dann diejenigen davon, die Heilsversprechen zu ihrem politischen Programm machen. Egal, ob das links oder rechts des politischen Spektrums geschieht. Das sollten wir gemeinsam vermeiden.

    Nur vereinzelt haben bislang auf den Demonstrationen Mitglieder der PDS Plakate geschwenkt. Nicht überall sind sie gerne gesehen. Die Protestler wollen sich nicht instrumentalisieren lassen, sagt etwa Andreas Erholdt, Initiator der Montagsdemonstration in Magdeburg:

    Ich habe von vorneherein gesagt: Gewerkschaftsfahnen und Parteifahnen bleiben bitte zu Hause. Das brauchen wir nicht. Hier geht es um die Sache.

    Die brandenburgische PDS-Spitzenkandidatin Dagmar Enkelmann ist auf Wahlkampf-Tour. Sie weiß um den Balanceakt ihrer Partei:

    Es gibt beides. Das eine, dass man sagt, wir wollen von Euch nicht vereinnahmt werden, was wir auch nicht wollen. Deshalb gibt es schon eine große Zurückhaltung der PDS bei diesen Demonstrationen. Aber wir wollen natürlich auch sagen: Wir haben ein Angebot. Wir möchten, dass wir gemeinsam auch darüber reden.

    Der Frust im Osten nutzt der PDS – im Wahlkampf ist das eine gute Steilvorlage. PDS-Strategen sehen bereits einen, so wörtlich, "echten Kampagnen-Gegenstand, auch mit Blick auf 2006" heranwachsen. "Weg mit Hartz IV" lautet deshalb die Parole, hin zu einer neuen Umverteilungspolitik:

    Die Frage ist, wie weit geht man beispielsweise an das Vermögen der Reichen und Besserverdienenden dieser Gesellschaft heran. Das hat die SPD im Wahlkampf 2002 versprochen, die Vermögenssteuer wieder einzuführen, dann wären ganz andere Möglichkeiten, auch wieder in den öffentlichen Haushalten um z.B., und das wäre das Wichtige, tatsächlich wieder Beschaffungsprogramme zu kommen, vor allem dem Mittelstand, der im Osten hauptsächlich Beschäftigung bietet, zu stärken und zu stabilisieren. Da passiert zu wenig.

    Ob die PDS mit ihrem Programm die Menschen tatsächlich überzeugen kann, wird sie bald unter Beweis stellen müssen. Am 19. September sind Wahlen in Sachsen und Brandenburg. Die CDU in Sachsen muss dann ihre Mehrheit verteidigen. In Brandenburg fürchtet man gar einen Koalitionswechsel.

    Das alles kümmert Peter Schöneck wenig. Der 29jährige glaubt ohnehin nicht, dass sich durch einen Regierungswechsel sehr viel ändern könnte. 50 Kilometer weit ist er angereist, um in Magdeburg an den Protesten teilzunehmen. Der gelernte Mechaniker fand bislang immer nur kurzzeitig Jobs. Nichts hat er unversucht gelassen - Weiterbildung, Umschulung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - um doch noch einen regulären Arbeitsplatz zu ergattern. Erfolglos. Jetzt soll der Umzug in den Westen helfen - Peter Schöneck sieht darin seine letzte Chance:

    Irgendwie muss man wohl weggehen. Weil bei uns gibt es zur Zeit nichts. Ich habe auch schon anderes gemacht. Trockenbau, alles. Aber es ist ja auch egal, was man macht. Hauptsache, man hat irgendwann mal wieder Arbeit. Weil, es kann ja nicht so weitergehen.

    Die Regierung will jetzt versuchen, durch eine breiter angelegte Informations- und Aufklärungskampagne die Menschen von Hartz IV zu überzeugen. Ob es gelingt, bleibt ungewiss. Die Demonstrationen sollen vorerst weiter gehen.

    Hartz muss weg, Arbeit her! Hartz muss weg, Arbeit her!