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Aufs wesentliche konzentriert

Technik. - Es genügt ein genauer Blick und in vielen italienischen Kirchen fallen Schäden an Gemälden und Wandfresken auf. Viele dieser Schäden sind nicht durch moderne Vandalen verursacht worden, sondern durch falsches Heizen, das viel Wärme an den Kirchenraum abgibt. Ein europäisches Projekt entwickelt jetzt Heizsysteme, die nur die Gläubigen und nicht den Kirchenraum heizen.

Von Thomas Migge |
    Mit der Ankunft des Herbstes beginnt für Italiens Gläubige und Geistliche eine schlimme Jahreszeit. Ihre Gotteshäuser sind nur schwer zu beheizen. Die meisten der alten Kirchen Italiens, zehntausende an der Zahl, werden im Winter mit gasbetriebenen oder elektrischen Heizstrahlern kurzzeitig erwärmt. Bei den modernen Anlagen wie einer Fußbodenheizung, ist die Heizung in der Woche aus Kostengründen ausgeschaltet. Das macht Probleme, erklärt Dario Camuffo, Mikroklimaforscher an der Universität Padua:

    "Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass wir es hier mit einem Ambiente zu tun haben, das ganz anders ist als bei Ihnen daheim. Es sei denn, sie leben in einer Wohnung voll mit alter Kunst; dann müssen auch Sie aufpassen, dass richtig geheizt wird. Oder aber Ihnen geht es wie zahllosen italienischen Geistlichen, die immer öfter darüber klagen, dass ihre religiösen Kunstwerke Schaden nehmen. Das ist ein Problem, das sicherlich auch Geistliche in anderen Ländern haben dürften."

    Dario Camuffo spricht von Heizungen in Kirchen. Die nämlich werden fast immer unsachgemäß beheizt - mit Gas- und Fußbodenheizungen, mit Gas- und elektrischen Heizlampen. Mit dem europäischen Forschungsprojekt "Friendly Heating", das von Camuffo koordiniert wird, versucht der Wissenschaftler, die Problematik von Kirchenheizungen ein für alle Mal zu lösen. Dazu haben Camuffo und sein Team hauchdünne Heizkissen entwickelt, die zum Beispiel auf den Sitzen der Kirchenbänke, aber auch auf den Fußboden verlegt werden. Sie wärmen nur wenig, ihre Wärme wird kaum an den Raum abgeben. Auf diese Weise soll ein großes Problem gelöst werden. Beim herkömmlichen Heizen der Kirchen wird größtenteils zuviel warme Luft in den Kircheninnenraum abgegeben. Die Folgen: hölzerne Skulpturen und Dekorationen brechen wegen der warmen trockenen Luft. Die Oberflächen von Ölgemälden, Wand- und Deckenfresken reißen. Historische Orgelpfeifen bersten. Vor allem der obere Bereich der hohen Räume betroffen: die warme Luft steigt ja nach oben, zur Decke hin, und da gibt es gerade in barocken Kirchen sehr viel empfindliche Kunst. Das Heizsystem von Dario Camuffo und seinen Kollegen minimiert die unnatürlichen Temperaturschwankungen in den Kirchenschiffen. Camuffo:

    "In einem Raum, der an den Wänden, an den Decken aber auch auf Augenhöhe mit Kunstwerken versehen ist, darf es nur Heizkörper geben, die ihre Wärme direkt in die nächste Umgebung abgeben. Die Effektivität solcher Heizkörper muss also räumlich beschränkt sein. Das Verpuffen der Wärme im übrigen Raum muss so minimal sein, das kein Kunstwerk zu Schaden kommt."

    Das sei möglich, ergänzt der Forscher aus Padua, wenn die Strahlungswärme der jeweiligen Heizquellen auf Temperaturen zwischen 40 und 70 Grad beschränkt bleibt. Das neue Heizsystem erwärmt die Gläubigen nur dann, wenn sie sich bei den Kirchenbänken aufhalten, auf ihnen sitzen oder knien. Mit an die Sitzflächen der Stühle in Form und Größe angepassten Heizkörpern. Diese Heizer sind nichts anderes als flache Kissen, maximal fünf Millimeter dick. Im Innern der Kissen befinden sich kleinste Graphitkörner, die auf einer leitenden Schicht aus Glasfaser angebracht sind. Umgeben ist dieser Kern von einem Schutzmantel aus wärmeleitendem Material. Werden die Kissen mit elektrischem Strom versorgt, erhitzen sich die Graphitkörner. Die erzeugte Wärme wird an die Kontaktfläche weitergeleitet. Das Kissen ist auf die Körpertemperatur eingestellt.

    Computermodelle zeigen anhand verschiedener Farben - rot für besonders warm und blau für kalt - wie bei diesem System die intensivste Wärme nur auf die direkte Umgebung beschränkt bleibt. Die so erzeugte Wärme beeinträchtigt nur zu zwei Prozent die Temperaturschwankungen innerhalb des Kirchenraums. Bei herkömmlichen Heizsystemen liegt der Wert bei mehr als 30 Prozent. Dario Camuffo:

    "Bei diesen Computersimulationen entdeckten wir, dass mit einer solchen direkten Wärmequelle nur minimal, etwa fünf Prozent der erzeugten Wärme in den Kircheninnenraum abgegeben wird. Die Wärmequelle strahlt eine Hitze aus, die sich nur auf die direkte Nähe beschränkt und sich nicht im ganzen Raum verbreitet."

    Wärmende Kissen können aber auch im Altarraum, teppichgroß auf dem Fußboden und direkt am Altar, als Altarauflage, eingesetzt werden - dort, wo der Geistliche die Messe zelebriert. Kalte Füße und Hände und mögliche Schäden an den Kunstwerken können auf diese Weise vermieden werden, ist sich der Mikroklima-Forscher Camuffo sicher. So kann der Pfarrer sämtliche Heizkissen individuell von einer Schaltzentrale in seiner Sakristei aus steuern. Die Heizkörper sind über ein Kabelsystem mit der Zentrale verbunden. Nur dort, wo sich wärmebedürftige Gottesdienstbesucher aufhalten, schaltet der Pfarrer die Heizkissen ein. Der Nachteil dieses Systems: es müssen Kabel verlegt werden, die gerade in alten Kirchen nicht gerade schön anzusehen sind und in verschiedenen EU-Ländern ein Fall für den Denkmalschutz werden könnten.