Archiv


Aufschwung im Armenhaus

Das einstigen Armenhaus Europas, Rumänien, überrascht inzwischen mit seiner geringen Arbeitslosenquote. Mehr noch, das neue EU-Mitglied sucht inzwischen Händeringend nach Arbeitskräften - vor allem in den größeren Städten wie Bukarest, Hermannstadt oder Temesvar, wo es ausländische Investoren hinzieht. Jetzt fordern die Politiker, den rumänischen Arbeitsmarkt für Gastarbeiter weit zu öffnen. Thomas Wagner berichtet.

    Am Rande der Kleinstadt Jimbolia stoßen das alte und das neue Rumänien für jeden sichtbar aneinander: Auf der einen Seite ein modernes Fabrikgebäude, gleich nebenan renovierungsbedürftige, eingeschossige Wohnhäuser mit blassen Fassaden. "CRH" steht in großen Buchstaben auf der Halle. Innen montieren die Arbeiter Metallträger an Autositze. Monat für Monat arbeiten hier mehr.

    "Wir haben hier mit 60 Mitarbeitern angefangen. Und jetzt haben wir schon 220. Jeden Monat kommen neue dazu. Und im Jahre 2009 werden wir 400 Mitarbeiter sein."

    Janina Moldovan ist die Personalmanagerin des Automobilzulieferers CRH, der mit deutschem Kapital in Jimbolia angesiedelt wurde. Und CRH ist hier nicht das einzige ausländische Unternehmen:

    "Im Moment haben wir hier 15 Investoren aus dem Ausland. Und das Problem ist: Alle erweitern ständig ihre Produktion. Sie brauchen mehr Arbeitskräfte, als sie eigentlich hier in Jimbolia bekommen können. Ja, es ist schwer, Arbeiter zu finden, selbst in den Dörfern um Jimbolia herum."

    Wenn Bürgermeister Gabor Koba mit seinen Besuchern durch das Zentrum von Jimbolia spaziert, zeigt er immer wieder gerne auf das Schild in der Ortsmitte. "Varma 5 Kilometri." Das bedeutet: Die Grenze zu Serbien liegt gerade mal fünf Kilometer entfernt.

    "In den ersten Gemeinden, gleich drüben, hinter der serbischen Grenze, gibt es 2000 Arbeitslose. Und die haben ein starkes Interesse, zu uns zum Arbeiten zu kommen. Denn die Löhne in Serbien liegen deutlich unter denen in Rumänien."

    Der Bürgermeister würde nichts lieber sehen als serbische Arbeiter, die nach Jimbolia zum Arbeiten kämen. Der sich abzeichnende Arbeitskräftemangel ließe sich so ein wenig abmildern. Der zeigt sich allerdings in der nächst größeren Stadt noch viel deutlicher.

    Christian Muntean ist Wirtschaftsberater in der westrumänischen Großstadt Temesvar. Anrufe wie diese bekommt er jeden Tag. Unternehmer erkundigen sich nach den Investitionsbedingungen im Kreis Timis, einer der führenden rumänischen Wirtschaftsregionen. Wer allerdings nur wegen angeblicher Billig-Löhne hierher kommen möchte, erhält von Christian Muntean eine Abfuhr:

    "Wenn das Unternehmen eine große Anzahl an Low-Cost-Mitarbeitern benötigt, so 100 oder 200 Mitarbeiter, dann ist natürlich Temesvar weniger geeignet für so eine Investition."

    Den Grund erfahren Besucher einige Straßenzüge weiter, im Arbeitsamt des Kreises Temis: Die Gänge sind erstaunlich leer. Mitarbeiterin Felia Decescu weiss auch, warum das so ist:

    "Wir haben hier, im Kreis Timis, eine Arbeitslosenrate von 1,5 Prozent. Praktisch heißt das: Egal ob er nun gut oder schlecht bezahlt wird - jeder hat hier einen Job."

    Siemens, Continental, Dräxelmeier, Linde - die Aufschriften auf den Fabrikgebäuden in Temesvar lesen sich wie das "Who is Who" der deutschen Wirtschaft. Hinzu kommen viele Firmen aus Frankreich und Italien, die sich seit Anfang der 90er Jahre hier angesiedelt haben. Das alles hat dazu geführt, dass der Arbeitsmarkt wie leergefegt ist. Hinzu kommt nach dem Beitritt Rumäniens zur EU noch ein weiterer Grund, so Wirtschaftsberater Christian Muntean:

    "Es sind auch, die den Weg ins Ausland suchen. Spanien, Italien, weniger nach Deutschland, Portugal, England auch. Dort bekommen sie ein viel besseres Gehalt, auch wenn die Arbeit nicht so qualifiziert ist. Solange die Gehälter in Rumänien immer noch niedriger sind im Vergleich zu nichtqualifizierter Arbeit in Italien oder Spanien, wird diese Gefahr immer bestehen."

    Da wird vor allem bei rumänischen Lokalpolitikern, die wegen fehlender Arbeitskräfte um die die Entwicklung ihrer Gemeinden fürchten, der Ruf nach Gastarbeitern immer lauter. Der Bürgermeister von Jimbolia möchte die serbischen Nachbarn ins Land holen; der Präfekt des Kreises Temesvar denkt laut übe die Ansiedlung einer Chinesen-Kolonie nach. Personal aus Fernost ist übrigens längst schon im Land: So berichteten die rumänischen Zeitungen über einen Streik chinesischer Näherinnen in einem Textilwerk in Bacau, weil sie mit einem Hungerlohn abgespeist wurden. Nach Zeitungsberichten sollen zudem ukrainische und moldawische Arbeiter im Straßenbau eingesetzt worden sein, häufig illegal. Denn um Lohndumping durch ausländische Gastarbeiter zu verhindern, hat die rumänische Regierung ein Gesetz auf den Weg gebracht. Das erhöht allerdings die Not der Gemeinden, die unter dem Arbeitskräftemangel leiden. Gabor Kobar, Bürgermeister von Jimbolia:

    "Das größte Problem, das wir beispielsweise mit der Anwerbung serbischer Gastarbeiter haben, ist ein rumänisches Gesetz. Demnach dürfen ausländische Gastarbeiter zwar grundsätzlich beschäftigt werden. Aber der Mindestlohn, der ihnen gezahlt werden muss, entspricht nicht dem Mindestlohn, sondern dem weit darüber liegenden Durchschnittslohn aller rumänischer Arbeitnehmer. Und das wären im Moment 1317 rumänische Lei, macht etwa 410 Euro."

    Mindestens 410 Euro Monatslohn für eine chinesische Näherin, für einen Schichtarbeiter aus Serbien oder einen Straßenbauer aus der Ukraine lassen es aber wenig attraktiv erscheinen, auf legalem Weg Personal aus dem Ausland anzuwerben. Weil das Problem des Arbeitskräftemangels in den Boom-Regionen Rumäniens damit aber nicht aus der Welt ist, hofft Jimbolias Bürgermeister Gabor Kobar, dass dieses Gesetz bald fällt. Dann nämlich würde Jimbolia an der serbischen Grenze noch viel interessanter für Investoren werden.

    "Die Serben bräuchten hier nicht einmal Wohnungen. Sie könnten täglich über die Grenze kommen, um in den Fabriken zu Jimbolia zu arbeiten."