"Im Curiohaus in Hamburg begann der Prozess gegen die Verantwortlichen für das berüchtigte Frauenkonzentrationslager in Ravensbrück in Mecklenburg. Nach der Anklageschrift sind über 150.000 Frauen durch dieses größte Frauengefängnis der Geschichte gegangen. Mehr als 5.000 Insassinnen wurden in der Gaskammer des Lagers ermordet."
Ende 1946 erfuhr die deutsche Öffentlichkeit aus der Wochenschau, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen Teil der NS-Mordmaschinerie gewesen waren, wenn auch in deutlich geringer Zahl. In dem von einem britischen Gericht in Hamburg geführten Prozess wurden mehrere KZ-Aufseherinnen wegen besonderer Grausamkeit zum Tode verurteilt. Eine andere, die sich von Ravensbrück nach Auschwitz hatte versetzen lassen und dort an Selektionen teilnahm, wurde 1948 in Krakau gehenkt. Doch in den 50er-Jahren geriet das Thema weitgehend in Vergessenheit. Den meisten Frauen, die als Aufseherinnen in Konzentrationslagern gearbeitet hatten, gelang es, einfach unterzutauchen und ein bürgerliches Leben zu führen.
"Es sind nach dem Krieg nur ganz wenige Aufseherinnen angeklagt worden oder verurteilt worden, insgesamt nur 77."
Dabei, berichtet die Historikerin und Kuratorin Simone Erpel, haben über 3000 Aufseherinnen allein in Ravensbrück Dienst getan, dem größten Frauenkonzentrationslager in Deutschland. Die Gedenkstätte Ravensbrück erinnert auch deshalb an dieses selten besprochene Kapitel der Holocaust-Geschichte, weil die SS in diesem KZ eine zentrale Ausbildungsstelle für Aufseherinnen eingerichtet hatte. In die Eliteorganisation der Nationalsozialisten aufgenommen wurden die Frauen zwar nicht, das blieb Männern vorbehalten. Aber sie agierten, so auch der Titel der Ausstellung, "im Gefolge der SS".
"Eine ehemalige Aufseherin, Margarete T. hat gesagt: Naja, das sei hier die schönste Zeit ihres Lebens gewesen."
Emanzipation für deutsche Frauen
Für Margarete T. wie für viele andere KZ-Aufseherinnen war Ravensbrück die Gelegenheit, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Die meisten kamen aus einfachen Verhältnissen. Sie waren jung, meist Anfang 20, und lebten oft noch in ihren sehr beengten Elternhäusern. In Ravensbrück bekamen sie ein eigenes Zimmer oder gar eine eigene Wohnung in modernen Unterkünften, idyllisch gelegen am Schwedtsee.
Die Arbeit im Konzentrationslager war für diese Frauen eine Chance zum sozialen Aufstieg, sagt Simone Erpel:
"Es war schon auch eine kleine Emanzipationsgeschichte. Unabhängig zu sein, hier in diesen Häusern wohnen zu können, eigenes Geld zu verdienen, das sind bestimmt Faktoren gewesen, die es attraktiv gemacht haben. Es ist ein Kinderheim eingerichtet worden, es gab einen Kindergarten, das heißt, man war hier eingestellt auf berufstätige Mütter."
Solche Arbeitgeber gab es selten, und so meldeten sich viele Freiwillige auf die Zeitungsannoncen, die die Lagerverwaltung seit den 30er-Jahren in deutschen und später auch österreichischen Zeitungen geschaltet hatte. Simone Erpel:
"Es wurde nicht wirklich offen für den KZ-Dienst geworben. Es war davon die Rede, dass sogenannte Feinde der Volksgemeinschaft dort inhaftiert sind. Da war die Rede davon, man müsste schwer erziehbare Frauen oder Prostituierte bewachen. Es wurde ein bisschen der Eindruck erweckt, es seien Umerziehungslager. Aber spätestens, wenn man im Konzentrationslager angekommen war als Bewerberin, hat man ja gesehen, welche Bedingungen herrschten."
Das KZ als zuvorkommender Arbeitgeber
Wer eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt, wurde meist von einem SS-Offizier übers Gelände geführt und bekam die Baracken und Arbeitshäuser gezeigt. Auch das 1943 errichtete Krematorium war kaum zu übersehen. Doch die Bewerberinnen behielten andere Eindrücke in Erinnerung, von denen sie Jahrzehnte später in Interviews der Gedenkstätte erzählten. Eine ehemalige Aufseherin:
"Und dann ist er ja abends mit uns in die Kantine gegangen, und dann standen die alle auf dem Hof, die Häftlinge, und wir saßen direkt am Fenster. Den Tisch haben wir behalten, da haben wir nachher immer gesessen. Wir konnten die Ankünfte sehen und dann, wenn sie wieder rauskamen, mit dem Glatzkopf."
Wer nicht wollte, konnte Nein sagen
Ab 1942 wurden im Rahmen der Kriegswirtschaft immer mehr Aufseherinnen dienstverpflichtet. Aber wer nicht wollte, konnte Nein sagen, ohne dass das Konsequenzen gehabt hätte. Doch solche Fälle blieben seltene Ausnahmen. Für die meisten war dieses Arbeitsangebot viel zu attraktiv, wie die Interviews zeigen. Eine andere ehemalige Aufseherin:
"Es war eine finanzielle Sache. Ich weiß nicht mehr, wieviel Geld ich verdient habe bei der Post und ich kann auch nicht mehr sagen, wie viel ich da bekommen habe, aber es war doch mindestens 100 Mark mehr. Also habe ich gar nicht lange überlegt und gesagt, gut, wenn ich da mehr verdienen kann, gehe ich da hin."
Eine andere fand die Arbeit als Aufseherin einfach abwechslungsreicher als die Plackerei am Fließband einer Rüstungsfabrik. In Ravensbrück beaufsichtigte sie Schneiderinnen, die Uniformen für die SS nähten. Oder sie trieb Gefangene in Kolonnen zur Trümmerbeseitigung, zur Arbeit in Waffenfabriken oder auf umliegenden Bauernhöfen. Viele Aufseherinnen misshandelten dabei die Häftlinge.
Berichte der überlebenden inhaftierten Frauen
Das erzählen in einem Video der Ausstellung Frauen, die Ravensbrück überlebt haben.
Edith Sparmann: "In unserer Baracke, da geht die Sirene zum Zählappell. Da kommt eine Aufseherin reingestürzt, wir waren nicht schnell genug draußen, ich habe noch etwas in meinen Schrank gestellt und den Schrank zugemacht, in dem Moment ohrfeigt die mich."
Annette Pauporé-Eekman: "Und nachher ließ sie Bibelforscherinnen kommen und die mussten da in der Kälte stehen bleiben, zwei, drei Tage. Das konnte sie gleichfalls tun, und schlagen!"
Irma Trksak: "Sie ließ das Brot hart werden. Dann machte sie sich den Spaß, wenn die Frauen gestanden sind, hat sie das harte Brot unter die Menge geworfen und die Frauen haben sich wie die Tiere, begreiflich, draufgestürzt, um ein Stück zu erhaschen. Und das hat ihr Spaß gemacht."
Ganz normale Frauen mit Spaß an der Macht
Anfangs hatten manche Aufseherinnen noch Hemmungen. Aber die ehemaligen Gefangenen beschreiben, dass die meisten nur wenige Tage brauchten, um ähnlich brutal zu werden wie diejenigen, die schon länger im Dienst waren und deshalb als Vorbilder angesehen wurden, erzählt Simone Erpel.
"Es gibt Aussagen überlebender Haftlinge, die berichten, wie die Aufseherinnen durch das Lager stolziert sind und wo auch ein Teil einer Faszinationskraft deutlich wird: dieses Käppi, schneidig, jung, gutaussehend, Stiefel - das ist von den Häftlingen auch so wahrgenommen worden."
In der Nachkriegsliteratur, im Film oder in popkulturellen Darstellungen erscheinen diese Frauen oft als schöne unergründliche Bestien oder als Opfer der Umstände beziehungsweise von nationalsozialistischer Verführungskunst. So wie etwa Kate Winslet in der Verfilmung von Bernhard Schlinks Bestseller "Der Vorleser". Die Ausstellung zeigt sie als ganz normale Frauen, die Spaß daran fanden, Macht über Schwächere auszuüben.