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Aufstand gegen die Erneuerung

Kolonnen von Militärfahrzeugen rücken in Moskau ein, Staatspräsident Gorbatschow wird unter Hausarrest gestellt. Eine Gruppe aus Politikern und Militärs will seinen pro-westlichen Kurs beenden. Doch die Putschisten scheitern - vor allem wegen des Widerstands eines anderen Politikers.

Von Klaus Kuntze |
    Am Montag, den 19. August 1991, wiederholt ab 6.00 Uhr morgens Radio Moskau in kurzen Abständen ein und dieselbe Meldung.

    ""Aufgrund einer Erkrankung des Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, die es ihm unmöglich macht, sein Amt auszuüben, übernimmt Vizepräsident Janajew dessen Funktionen. Ein staatliches Komitee für den Ausnahmezustand der UdSSR sei gebildet worden, das einschneidende Regelungen für Moskau, Leningrad und bestimmte Sowjetrepubliken angeordnet habe."

    Gorbatschow, der gerade Sommerurlaub auf der Krim macht, erinnert sich an den vorangegangenen Tag.

    "Gegen 17 Uhr wurde ich davon unterrichtet, dass eine Gruppe von Personen eingetroffen sei. Ich wunderte mich und sagte dem Chef der Leibwache , dass ich niemanden eingeladen hätte. Ich wollte mich mit Moskau in Verbindung setzen, stellte aber plötzlich fest, dass alle Telefone, auch das 'strategische', abgeschaltet waren."

    Die "Gruppe von Personen", von der Gorbatschow spricht, sind Abgesandte eines selbsternannten Notstandskomitees. Es will die Politik Gorbatschows stoppen: seine Abrüstungsbemühungen gegenüber dem Westen, vor allem aber die Einschränkung der Moskauer Zentralmacht durch Zugeständnisse an die Sowjetrepubliken. Das Komitee fordert Gorbatschow auf, seinen Rücktritt zu unterzeichnen. Er lehnt ab.
    Völlig isoliert, muss er nach Abreise der Gruppe einräumen:

    "Bei dieser Aktion handelte es sich de facto um die Verhaftung des Präsidenten und um die Usurpierung der Macht."

    Etwa zwölf Stunden später, am frühen Montagmorgen des 19. August 1991, wird selbst Jelzin von dem Geschehen überrascht. Seine Tochter habe ihn in aller Frühe geweckt, sie sei ins Zimmer gestürzt gekommen: "Umsturz, Janajew, Krjutschkow, Ausnahmezustand!" Ob sie ihn auf den Arm nehmen wolle, habe er nur völlig konsterniert gefragt.

    Wenig später passiert Jelzins Limousine auf dem Weg ins Zentrum endlose Kolonnen von Militärfahrzeugen, die in Moskau einrücken. Gegen wen richtet sich der bedrohliche Aufmarsch, den das Notstandskomitee befohlen hat? Nicht einmal die Soldaten kennen den Grund des Einsatzes.

    Die sowjetische Bevölkerung ist ebenso unvorbereitet wie das Ausland. In der allgemeinen Irritation erhebt Boris Jelzin seine Stimme. Er verfügt über Glaubwürdigkeit und Vertrauen, seit ihn einige Wochen zuvor die Russen mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt hatten. Faktisch ist er mit diesem Amt seither der mächtigste Politiker nach dem sowjetischen Staats- und Parteichef, Michail Gorbatschow.

    "In der Nacht vom 18. auf den 19. August wurde der gesetzlich gewählte Präsident des Landes gestürzt. Dieser Umsturz ist durch nichts zu rechtfertigen. Wir haben es mit einem rechten, reaktionären, verfassungsfeindlichen Umsturz zu tun."

    Vom Montagmittag an, als Jelzin von einem Panzer aus diese Worte an seine Anhänger richtet, klärt sich die Lage. Dort: das Notstandskomitee mit Truppen und Spezialeinheiten von KGB, Innen- und Verteidigungsministerium mit einem gefolgsamen Partei- und Verwaltungsapparat und den staatlich gelenkten Medien. Hier: Jelzin und die fünfzigtausend Menschen, die ihn - als lebender Wall - zu verteidigen bereit sind. Sowjetbürger, die in einem halben Jahrzehnt unter Gorbatschow mündiger geworden sind, außerdem ein unkonventionelles Radio, Auslandssender, Flugblätter, das Telefon.

    Jelzin auszuschalten ist das Ziel der Putschisten. Das sogenannte Weiße Haus in Moskau, in dem sich sein Stab befindet, soll gewaltsam genommen werden. Alle Versuche misslingen. Als drei Zivilisten in der Nacht zum 21. August zwischen manövrierenden Panzern ums Leben kommen, sehen sich die Putschisten vor dem Risiko eines blutigen Bürgerkrieges. Sie geben auf.

    Gorbatschow kann zurückkehren. In einer im Fernsehen übertragenen Parlamentssitzung hält ihm Jelzin eine Liste mit Namen hin. Es sind die Namen höchster Partei- und Regierungsfunktionäre, die die Putschisten unterstützt hatten. Gorbatschow legt am folgenden Tag sein Amt als Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion nieder. Er hat keine Machtbasis mehr. Gute vier Monate später tritt er als Staatschef der Sowjetunion zurück. Jelzin quittiert kurz.

    "Ich glaube, das 20.Jahrhundert ging in den Tagen vom 19. bis zum 21. August 1991 zu Ende."