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Aufstand im Warschauer Ghetto
Symbol des jüdischen Widerstands

Der Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 war der größte bewaffnete Widerstandsakt von Juden in Europa gegen die Nationalsozialisten. Doch mit dieser Rebellion verband sich nicht die Hoffnung auf Sieg und Überleben. Der Aufstand jährt sich nun zum 75. Mal.

Von Johanna Herzing |
    SS-Truppen deportieren am 16.05.1943 Bewohner des Warschauer Ghettos.
    SS-Truppen deportieren am 16.05.1943 Bewohner des Warschauer Ghettos. (imago / United Archives)
    Es wird kein stilles Gedenken am 19. April in Warschau. Sirenen werden die Stadt und ihre Bewohner für einen Moment zur Aufmerksamkeit zwingen. Manch einer wird an diesem Tag auch zurückdenken.
    "Ich habe mir schon vorgestellt, dass ich kämpfe, aber so wie in diesen Rittermärchen, also dass ich auf einem Pferd reite, dass ich schieße und kämpfe – das waren so meine Phantasien."
    Krystyna Budnicka - früher, vor 75 Jahren, noch Hena Kuczer. Im April 1943 ist sie 11 Jahre alt. Sitzt in einem unterirdischen improvisierten Bunker, im sogenannten "Jüdischen Wohnbezirk" von Warschau. Gemeinsam mit ihren Eltern, einigen Geschwistern und anderen jüdischen Familien, die sich vor den deutschen Besatzern verstecken. Hena weiß, dass oben gekämpft wird.
    Bewacht von einem deutschen Soldaten stehen Bewohner des Warschauer Ghettos mit erhobenen Armen in einem Innenhof.
    Bewacht von einem deutschen Soldaten stehen Bewohner des Warschauer Ghettos mit erhobenen Armen in einem Innenhof. (dpa)
    "Aber wir waren einfach sehr geschwächt, hauptsächlich haben wir geschlafen. Wahrscheinlich war das eine Überlebensstrategie des Körpers, einfach um nicht unnötig Energie zu verschwenden. Ich kann mich also nicht als Teilnehmerin bezeichnen, denn den Aufstand im Ghetto habe ich unter der Erde überlebt."
    Radikal ungleiches Kräfteverhältnis
    Der Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 – ein Ereignis von enormer Strahlkraft. Der größte bewaffnete jüdische Widerstandsakt während der Nazi-Besatzung Europas. Ein Symbol, war doch das Kräfteverhältnis der beiden Gegner so radikal ungleich.
    Es sind vergleichsweise wenige Jüdinnen und Juden, die den Ausbruch des Aufstands überhaupt erleben. 1940 hatten die deutschen Besatzer das Ghetto errichtet, es durch eine Mauer abgeriegelt und dort zeitweise rund 450.000 Menschen zusammengepfercht. Als der Aufstand 1943 ausbricht, leben Schätzungen zufolge hingegen nur noch etwa 50-60.000 Menschen im Ghetto, viele davon in den Augen der Besatzer illegal. Der Grund: Die sogenannte "Grossaktion Warschau" im Sommer 1942:
    "Bekanntmachung:
    Auf Befehl der Deutschen Behörde werden alle jüdischen Personen, gleichgültig welchen Alters und Geschlechts, die in Warschau wohnen, nach dem Osten umgesiedelt. (…) Es können sämtliche Wertsachen Geld, Schmuck, Gold usw. mitgenommen werden. Verpflegung ist für drei Tage mitzunehmen. Beginn der Umsiedlung am 22.7.42 um 11 Uhr. (…)"
    300.000 Ghettobewohner werden Opfer
    Was als "Aussiedlung" getarnt ist, ist Teil der "Aktion Reinhardt" und damit des systematischen Judenmords durch die Nationalsozialisten in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka. Rund 300.000 Warschauer Ghettobewohner werden Opfer dieser großen Deportationswelle, die bis in den September andauert. Die meisten werden in Treblinka ermordet, viele sterben aber auch bereits auf dem Weg dorthin. Dass Treblinka den sicheren Tod bedeutet, ist in Warschau schnell ein offenes Geheimnis. Im Tagebuch von Lejzor Czarnobroda ist zu lesen:
    "Warum weinen wir nicht? (…) Jeden Augenblick erwartet uns dasselbe grausame Schicksal, das bereits unsere Familien ereilt hat; unsere Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, vergast und gequält in den Folterkammern. Wir können nicht weinen (…), wir haben aufgehört Menschen zu sein! Wir sind Schmerz, Qual, der blutige Schatten der Ermordeten, unserer Nächsten und Freunde!"
    Zwei Juden, die sich in einem Haus versteckt hatten, werden von SS-Soldaten gefangen genommen. Die Aufnahme entstand während des Warschauer Ghetto-Aufstands, der vom 19. April 1943 bis zu seiner blutigen Niederschlagung am 16. Mai 1943 dauerte. Die Nationalsozialisten hatten ein Jahr nach der Besetzung Polens im November 1940 in Warschau ein Ghetto errichtet und dorthin annähernd eine halbe Million Juden verschleppt. Zwischen Juli und September 1942 wurden 300 000 Opfer in den Todeslagern, die meisten in Treblinka, ermordet. Als am 19. April 1943 die SS mit der Verschleppung der restlichen 60 000 Ghetto-Einwohner begann, leisteten mehrere hundert militärisch organisierte Juden bewaffneten Widerstand. Bei den Kämpfen wurden etwa 14 000 jüdische Aufständische getötet.
    Zwei Juden werden während des Aufstands im Warschauer Ghetto von SS-Soldaten gefangen genommen (1943). (picture alliance / dpa)
    Lediglich etwa 26.000 Zwangsarbeiter sollen vorerst zurückbleiben. Die Familie von Hena Kuczer schafft es unterzutauchen.
    "Wir hatten erfahren, dass Treblinka kein Arbeitslager ist – denn es war jemand von dort geflohen, der sagte: 'Hört mal, das stimmt nicht. Wer in dieses Treblinka kommt – der geht in die Gaskammer und in den Tod!' Und ab da war klar, dass man sich nicht schnappen lassen durfte. Da kam dann die Idee auf, einen Bunker zu bauen, und der wurde sehr bedacht angelegt."
    Im Januar 1943 ziehen die Kuczers ein, in einen Kellerbunker mit Strom, Wasser und Zugang zum städtischen Kanalsystem, also einem Fluchtweg. Die Soziologin und Holocaustforscherin Barbara Engelking:
    "Das alles geschah nach der Schlacht um Stalingrad, als allen klar wurde, dass die Deutschen den Krieg verlieren. Und die Leute glaubten eben, wenn sie Verpflegung für etwa ein halbes Jahr beschaffen können, dann halten sie in diesen unterirdischen Bunkern durch, bis der Krieg zu Ende ist."
    Stark veränderte demografische Struktur
    Viele junge Menschen aber bauen keine Bunker, glauben nicht an ihr eigenes Überleben.
    "Die demografische Struktur im Ghetto war stark verändert. Nach der sogenannten "Aussiedlungsaktion" blieben vor allem junge, einsame Menschen im Ghetto zurück. Ihre Familien waren in Treblinka gestorben, die Älteren hatte man abtransportiert, die Kinder auch, jedenfalls die Mehrheit. Das sind also junge Leute, sehr entschlossen, voller Wut. Die Hoffnung und Aussicht auf Rache, egal auf welche Art und Weise, war für sie sehr wichtig."
    Es gibt viele Gründe, an den Deutschen Rache nehmen zu wollen: Entwürdigung, Raub, Verelendung, Folter, Mord. Manches spielt sich im Ghetto täglich und vor aller Augen ab: Der Hunger etwa, der so massiv ist, dass jüdische Ärztinnen und Ärzte im Ghetto eine medizinische Studie über den qualvollen Tod anlegen. Etwa 100.000 der Warschauer Ghettobewohner sterben an Unterernährung und Krankheiten.
    "Ich glaube, der Hass auf die Deutschen war einfach so groß, dass die Menschen kämpfen wollten. Der Wunsch, endlich einen toten Deutschen zu sehen, sich zu widersetzen – der war außergewöhnlich stark."
    Nur ein Bruchteil der Verbliebenen fähig zum Kampf
    Nach der Massen-Deportation in den Sommermonaten 1942 setzt sich bei den jungen Menschen die Überzeugung durch, dass sie dem Tod ohnehin nicht entrinnen können. Es sei jedoch leichter, mit der Waffe in der Hand und in Würde zu sterben, so die nach dem Krieg vielfach kolportierte Überzeugung der Widerständler. Im eigentlichen Sinne kämpfen kann jedoch nur ein Bruchteil der verbliebenen Ghettobewohner. Historikern zufolge sind 1.000, vielleicht 1.500 Menschen, bewaffnet und aktiv beteiligt. Die meisten von ihnen sind zwischen 19 und 25 Jahre alt. Dazu kommt, dass es unter den vielen verschiedenen politischen Gruppierungen starke gegenseitige Vorbehalte gibt. Ein Zusammenschluss der sozialistischen und linken Organisationen mit dem rechten revisionistischen "Jüdischen Militärverband" etwa kommt nicht zustande. Allerdings verbinden sich im Juli 1942 mehrere Jugendverbände zur ZOB, zur "Jüdischen Kampforganisation". Im Herbst schließen sich die Mitglieder des linken "Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbunds" an. Marek Edelman, einer der wenigen überlebenden Anführer des Ghettoaufstands, sagte kurz vor seinem Tod 2009:
    "Wir wollten kämpfen, aber um zu töten, braucht man ein Werkzeug. Aus zwei Fingern kann man nicht schießen. (…) Während der ganzen Okkupation war das Hauptproblem, wie man an Waffen kommt. (…) Ständig redeten wir nur über Waffen."
    Marek Edelmann im Jahr 2006 bei Feierlichkeiten in Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto
    Marek Edelmann, der 2009 verstorbene Anführer des Aufstandes im Warschauer Ghetto (dpa / Pawel Kula)
    Die Vorbereitungen für den bewaffneten Widerstand nehmen nun Fahrt auf. Die Widerständler stellen Kontakt zur polnischen Untergrundbewegung her, versuchen Geld aufzutreiben, um Waffen kaufen zu können. Im Januar 1943 kommt es zur Probe aufs Exempel. Die deutschen Besatzer wollen rund 8.000 Menschen aus dem Ghetto deportieren und so SS-Führer Himmler besänftigen, der sich über den – in Anführungszeichen - "illegalen" Aufenthalt von Juden im Ghetto empört hat. Doch die Aktion misslingt. Die Ghetto-Bewohner halten sich versteckt, und die Soldaten werden angegriffen. Nach wenigen Tagen ziehen sich diese zurück.
    "Allein der Umstand, dass sie ihren ursprünglichen Plan aufgaben, hinterließ den Eindruck, dass sich die Deutschen im Falle des Kampfes zurückziehen. Das hat sich enorm positiv ausgewirkt auf Ausmaß und Akzeptanz des Widerstands im Ghetto, auch auf die Versorgung mit Waffen. Und für den polnischen Untergrund war das ein Signal, dass die Juden wirklich kämpfen wollen. Das erleichterte dann weitere Kontakte und die militärische Zusammenarbeit zwischen jüdischem und polnischem Untergrund."
    Spreng- und Brandsätze mit einfachsten Mitteln
    Im Ghetto herrscht indes Gewissheit, dass es sich nur um eine Atempause handelt, die Deportation auch der letzten Bewohner unmittelbar bevorsteht. So setzt eine immense Bautätigkeit ein, Bunker und Verstecke werden angelegt, die Wände in Kellern und Dachböden eingerissen. Die Holocaust-Überlebende Krystyna Budnicka:
    "Das waren damals so Häuserreihen, dass man über die Keller unterirdisch quasi die ganze Straße entlanggehen konnte. Man hatte da Öffnungen geschaffen, so dass die Keller verbunden waren. Ein sehr guter Fluchtweg war das!"
    Auch die drei älteren Brüder von Krystyna Budnicka schließen sich der ZOB an. Die bereitet sich nun intensiv auf den bewaffneten Widerstand vor. Mehrere Kampfeinheiten unter der Führung von Mordechaj Anielewicz werden gebildet. Tunnel zur sogenannten "arischen Seite" werden gegraben. Spreng- und Brandsätze mit einfachsten Mitteln gebastelt: mit Flaschen, Glühbirnen, Rohren. Mithilfe der polnischen Heimat-Armee werden Waffen-Schulungen organisiert, wobei vieles nur theoretisch geübt werden kann. Barbara Engelking:
    "Die Hilfe war unzureichend. Der Bedarf überschritt die Möglichkeiten der polnischen Untergrundbewegung. Anfang 1943 sah es noch ganz anders aus als ein Jahr später beim Warschauer Aufstand. Man hatte selbst nicht ausreichend Waffen und war deshalb nicht imstande, das Ghetto so zu unterstützen, wie man es sich dort gewünscht hätte. Das war ein Problem, na und dann gab es sicher auch antisemitische Stereotype, zum Beispiel dass Juden Feiglinge sind, nicht wirklich kämpfen wollen usw."
    Entschlossen zur totalen Vernichtung
    Die Deutschen lassen sich nach den Ereignissen vom Januar zunächst nicht mehr im Ghetto blicken. Am 19. April jedoch, kurz vor Beginn des jüdischen Pessachfests, wird das Gelände umstellt, und Polizei-, SS- und Wehrmachtseinheiten dringen gegen 4 Uhr früh in das Ghetto ein: ausgestattet mit Panzerwagen, Panzern, Maschinenpistolen, Flammenwerfern. Sofort treffen sie auf Widerstand: Sie werden beschossen, mit Brandsätzen und Granaten bekämpft und ziehen sich zurück. Ein immenser Erfolg für die Ghettokämpfer. Noch am Nachmittag des 19. April übernimmt der SS- und Polizeiführer Jürgen Stroop das Kommando. Doch auch unter seiner Führung sind die Einheiten zunächst zum Rückzug gezwungen. In den Folgetagen werden die Besatzer immer unerbittlicher. In dem Bericht des SS-Mannes Stroop ist zu lesen:
    "Ich entschloß mich deshalb, nunmehr die totale Vernichtung des jüdischen Wohnbezirks durch Abbrennen sämtlicher Wohnblocks (…) vorzunehmen. (…) Fast immer kamen dann die Juden aus ihren Verstecken und Bunkern heraus."
    Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos, berühmt geworden vor allem durch den Kniefall von Willy Brandt
    Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos, berühmt geworden vor allem durch den Kniefall von Willy Brandt (picture-alliance / ZB / Wolfgang Frotscher)
    Krystyna Budnicka, damals Hena Kuczer, erzählt:
    "Ich selbst habe das Ganze sozusagen über die Haut wahrgenommen: Rings herum wurden die Häuser in Brand gesteckt, systematisch, ein Haus nach dem anderen. Unser Bunker war umgeben von so einer Erdschicht. Diese Erde hat sich dann stark erhitzt, es war wie in einem Ofen."
    Verharren in der Kanalisation
    Die Familie Kuczer flüchtet deshalb in die Kanalisation, harrt dort aus, bis es im Bunker wieder erträglich ist. Im Stroop-Bericht heißt es weiter:
    "Es war nicht selten, daß die Juden in den brennenden Häusern sich so lange aufhielten, bis sie es wegen der Hitze und aus Angst vor dem Verbrennungstod vorzogen, aus den Stockwerken herauszuspringen (…). Mit gebrochenen Knochen versuchten sie dann noch über die Straße in Häuserblocks zu kriechen, die noch nicht oder nur teilweise in flammen (sic!) standen. Zahlreiche Juden (…) wurden in Kanälen und Bunkern durch Sprengungen erledigt."
    Die Nachricht vom Aufstand im Ghetto erreicht schnell das Ausland. Erste Informationen erhält etwa die polnische Exilregierung in London bereits am 20. April. In einer Radioansprache schildert Premierminister Wladyslaw Sikorski am 4. Mai 1943 seinen Landsleuten das Vorgehen der deutschen Einheiten.
    "Alle Ausgänge versperrend, fielen sie mit Panzerwägen und leichten Panzern ein, um mit Maschinengewehren die restlichen Männer, Frauen und Kinder herauszutreiben. Die jüdische Bevölkerung leistete im Zustand der Verzweiflung heldenhaften bewaffneten Widerstand. Seither dauert der Kampf an."
    Verrat und Gleichgültigkeit als Ergebnis der Besatzungspolitik
    Sikorski bittet die Polen darum, die Juden tatkräftig zu unterstützen. Die deutschen Besatzer wiederum fürchten, dass sich der Aufstand auf die gesamte Stadt ausweiten könnte und drohen polnischen Unterstützern öffentlich mit dem Tod. Viele Polen leisten trotzdem Hilfe. Zugleich gibt es jedoch auch Verrat und Gleichgültigkeit. Zum Teil ein Ergebnis der deutschen Besatzungspolitik, die darauf abzielte, die ethnischen Gruppen gegeneinander auszuspielen, so der Historiker Stephan Stach:
    "Während den Juden das Recht auf Leben komplett abgesprochen wurde, war es so, dass die Polen ganz klar unter den Deutschen oder sogenannten Volksdeutschen standen, aber letztlich immer noch besser dran waren als die jüdische Bevölkerung. Das heißt diese Ungleichbehandlung hat letztlich auch zu einer Entsolidarisierung beigetragen."
    Das Verhalten der polnischen nicht-jüdischen Bevölkerung während NS-Besatzung und Holocaust: Ein Thema, das im heutigen Polen für heftige Kontroversen sorgt. Der Grund ist das umstrittene "IPN-Gesetz", in Deutschland auch "Holocaustgesetz" genannt. Die Regierung, geführt von der rechtskonservativen Partei PiS, gibt vor, damit den "guten Namen Polens" schützen zu wollen. Das Gesetz belegt mit Strafe, wer der polnischen Nation Mitverantwortung am Holocaust zuschreibt. Kritiker fürchten hingegen, dass das Gesetz die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einschränkt. Stephan Stach moniert zudem:
    "Dieser nationalistische Diskurs über die polnischen Judenretter – da hat man oft den Eindruck, da geht es nicht darum, die eigentlichen Personen, die Juden gerettet haben unter Einsatz ihres Lebens, zu ehren. Sondern es ist ein Argument, um pauschal die polnische Nation reinzuwaschen von allen möglichen Anschuldigungen."
    Groß angelegte Hilfsaktion für die Ghettokämpfer bleibt aus
    Festzuhalten ist, dass eine groß angelegte Hilfsaktion für die Ghettokämpfer 1943 ausbleibt: Ein militärischer Schlag der Alliierten etwa. Der Vertreter des jüdischen Arbeiterbunds im polnischen Nationalrat in London, Szmul Zygielbojm, ist über die Untätigkeit der Alliierten verzweifelt. Im Dokumentarfilm "Shoah" von Claude Lanzmann erinnert sich der Zeitzeuge Jan Karski an ein letztes Treffen mit Zygielbojm, der die Welt für verrückt erklärt:
    "Madness, madness, they are mad, the whole world is mad. (…) They are crazy! They don’t understand anything! (…) Everybody’s mad! So I have to do something! But I don’t know what!"
    So wird der Aufstand im Warschauer Ghetto von den deutschen Besatzern schließlich niedergeschlagen, am 8. Mai stirbt ein Großteil des Führungsstabs der ZOB in einem Bunker an der Mila-Straße. Kurz darauf nimmt sich Szmul Zygielbojm in London das Leben. In seinem Abschiedsbrief schreibt er:
    "Hinter den Mauern des Ghettos spielt sich jetzt der letzte Akt der Tragödie ab, die keinen Vorgänger in der Geschichte hat. Die Verantwortung für das Verbrechen der Ermordung der jüdischen Nationalisten in Polen liegt zuvörderst bei den Verbrechern selbst, aber mittelbar liegt sie auch bei der ganzen Menschheit, bei den Völkern der Alliierten und ihren Regierungen, die bis zum heutigen Tage nichts Handfestes unternommen haben, um dieses Verbrechen aufzuhalten."
    Und weiter: "Ich möchte mit meinem Tod meine allertiefste Empörung über die Untätigkeit zum Ausdruck bringen, in der die Welt zusieht und zulässt, dass das jüdische Volk ausgerottet wird."
    Sprengung der Großen Synagoge als Schlusspunkt
    Jürgen Stroop wiederum setzt mit der Sprengung der Großen Synagoge an der Tlomackie-Straße am 16. Mai aus seiner Sicht den Schlusspunkt unter den Ghettoaufstand. Die Überschrift seines kurz darauf angefertigten Berichts trägt den Titel "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr". Doch in den Folgemonaten kommt es immer wieder zu kleineren Kämpfen auf dem Terrain des Ghettos. Hena Kuczer kann sich bis Mitte September mit ihrer Familie versteckt halten, schafft es schließlich, durch die Kanalisation auf die sogenannte "arische Seite" zu fliehen. Sie überlebt den Holocaust als einziges Mitglied ihrer Familie. Bis heute lebt sie in Warschau. Stroops Abschlussbericht kennt sie:
    "Ich sage immer, er hat sich getäuscht, denn in den Ruinen und unter der Erde haben sich ja doch einige wenige Juden noch aneinander gekauert. Ich bin der lebende Beweis dafür, dass er nicht Recht hatte, dass er nicht gesiegt hat, und dass so ein großer Mann nicht mit einem kleinen Kind, einem Mädchen, fertig geworden ist."
    Die Holocaust-Forscherin Barbara Engelking erklärt: "Der Aufstand im Warschauer Ghetto hat eine enorme symbolische Bedeutung. Er hat gezeigt, dass die Deutschen nicht unbesiegbar sind, dass es die Möglichkeit zum Aufstand überhaupt gibt. In diesem Sinne hatte er auch eine große Bedeutung für die polnische Untergrund-Bewegung."
    Im August 1944, ein gutes Jahr nach dem Ghetto-Aufstand, wird die polnische Hauptstadt zum zweiten Mal Schauplatz des Widerstands gegen die deutschen Besatzer. In den Reihen der Kämpfer des "Warschauer Aufstands" finden sich auch einige der wenigen Überlebenden aus dem Ghetto.