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Aufstieg der Zwerge

Zehn Tonnen wiegt der europäische Satellit ENVISAT, rund zwei Milliarden Euro hat er gekostet. Zwar liefert ENVISAT wertvolle Daten über den Zustand unseres Globus. Doch inzwischen geht der Trend in Richtung Miniaturisierung. Moderne Kleinsatelliten sind oft nicht größer als Ziegelsteine, ihre Elektronik stammt aus dem Baumarkt um die Ecke. Die Winzlinge kosten nicht viel, sie lassen sich schnell entwickeln und sollen große Satelliten vom Schlage eines ENVISAT zunehmend ergänzen.

Von Volker Mrasek | 22.05.2005
    Das Deutsche Raumfahrt-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen südlich von München. Auf dem Gelände des DLR, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

    Herbert Wüsten, der M-O-D, der Missionskontroll-Direktor - Herbert Wüsten und sein Team bereiten sich auf den nächsten Satelliten-Kontakt vor. Derweil wirft Nicolaus Hanowski einen Blick auf die riesige animierte Darstellung an der Wand. Sie zeigt die Erde wie im Schulatlas, umgeben von feinen, spiralförmigen Linien. Hanowski ist für die Geschäftsfeld-Entwicklung im Raumfahrt-Kontrollzentrum zuständig:

    " Das ist ein Live-Bild, wenn Sie so wollen. Das sind alles hier polarumfliegende Satelliten, die in ungefähr 90 Minuten einmal die Erde umkreisen. Und man kann die Bewegung der Satelliten hier tatsächlich mit dem bloßen Auge mitverfolgen. Die Geschwindigkeit ist ja so groß auf dieser Weltkarte, dass man also die Bahnen hier sehr schön um die Polregionen herumlaufen sieht."

    Man darf sich einen Kontrollraum vorstellen, wie man ihn noch von den Apollo-Missionen in Erinnerung hat. Oder aus dem jüngsten Kinofilm darüber: die typischen langen Tischreihen mit Computermonitoren darauf; die meterbreiten Displays und Digitalanzeigen an der Vorderwand; die sekundengenaue Weltzeituhr. Der Raum hat gut und gerne die Fläche eines Tennisplatzes.

    Und doch ist hier alles ein paar Nummern kleiner.

    Hier steuert niemand Raumfahrzeuge zum Mond oder zum Mars oder zu irgendeinem anderen Himmelskörper. Hier kümmert man sich nicht um die großen, Publicity-trächtigen Missionen. Hier geht es um die, die nicht im Rampenlicht stehen, in Zukunft aber von immer größerer Bedeutung sein werden: die Missionen von Kleinsatelliten in niedrigen Erdumlaufbahnen. Zur Fernerkundung unseres Planeten aus dem Weltall

    " Wir stehen vor großen Herausforderungen. Der globale Wandel wird sich in den nächsten Jahrzehnten verschärfen. Nur Instrumente im Weltraum werden uns dann ein umfassendes Bild liefern können. Sicher, die großen, teuren Umweltsatelliten mit ihren vielen Messsensoren werden immer noch ihre Berechtigung haben und weiter tolle wissenschaftliche Daten liefern. Aber das wird nicht mehr genügen. Wir brauchen eine viel intensivere Umweltüberwachung und mehr Satelliten. Mehr Klein-Satelliten. Die sind zwar nicht so sexy für die Wissenschaft. Aber sie sind unerlässlich für ein umfassendes Monitoring. Ich denke, dass die Zahl von Kleinsatelliten deshalb stark zunehmen wird. Und ich hoffe, dass Europa seine führende Rolle auf diesem Gebiet weiter ausbaut und der Welt zeigt, was Kleinsatelliten alles leisten können."

    Der Brite Craig Underwood gehört zu den Leuten mit der größten Erfahrung im Bau von Kleinsatelliten. Der Physiker und Informatiker forscht an der Universität von Surrey im englischen Guildford. Die Hochschule unterhält schon seit langem ein "Weltraumzentrum", wie sie es nennt: das Surrey Space Center.

    Dort fing alles an, mit der ersten Mini-Plattform für die Fernerkundung. Das war 1981.

    " Heute gibt es bereits ein breites Spektrum von Kleinsatelliten. Typischerweise sind sie hundert oder hundertfünfzig Kilogramm schwer, manche auch 400 oder 500. Selbst Studenten bauen jetzt schon eigene Satelliten. Da gibt es welche, die wiegen nur noch ein Kilogramm und sind dennoch imstande, nützliche Daten zur Erde zu funken. Also, die Zahl von bereits geflogenen und noch geplanten kleinen Satelliten geht inzwischen sicher in die Hunderte."

    Fällt das Stichwort "Erdbeobachtung", kommt vielen ENVISAT in den Sinn, der weltgrößte Umweltsatellit. Seit drei Jahren kurvt er um die Erde, misst Spurengase, Meeresspiegel-Höhen und Eisbedeckung. Der Riese trägt zehn verschiedene Instrumente, wiegt um die zehn Tonnen und kostete die europäische Raumfahrtagentur ESA einen Batzen Geld: rund zwei Milliarden Euro. Über zehn Jahre dauerte es, den Superspäher zu entwickeln, zu bauen und ins All zu befördern.

    Doch wie viele wertvolle Daten er auch liefert - im Prinzip gilt ENVISAT schon jetzt als Dinosaurier. Boliden von seinem Schlag wird es sicher nicht noch einmal geben. Nicht nur wegen der geschmolzenen Raumfahrt-Etats. Sondern auch wegen der langen Entwicklungszeiten.

    Stattdessen dürften in Zukunft immer mehr Klein- und Kleinstsatelliten in das Feld der großen Vettern vorstoßen und ihnen Aufgaben abnehmen. Oder ihnen zumindest auf ihren Wachrunden im All assistieren.

    Die Winzlinge haben entscheidende Trümpfe auf ihrer Seite: Sie kosten längst nicht so viel, lassen sich zügig in die Tat umsetzen und mit Instrumenten bestücken, die beim Start nicht schon veraltet sind. Und dann kann man sogar noch daran denken, sie in Schwärmen fliegen zu lassen. Eine Option, die auch René Laufer begeistert, Ingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart:

    " Man sagt ja landläufig immer: Nach 90 Minuten ist ein Satellit wieder einmal um die Erde herum. Aber er ist dann ja nicht mehr über dem gleichen Punkt der Erde. Die Erde hat sich weitergedreht. Im Zweifallsfall ist er vielleicht erst einen halben Tag später wieder über dem gleichen Punkt. Mit einer Konstellation von mehreren Kleinsatelliten haben Sie teilweise nur wenige Stunden oder sogar noch kürzere Wiederholzeiten, so dass Sie über einem Gebiet, beispielsweise wo eine Naturkatastrophe stattgefunden hat, sehr, sehr schnell Bilder direkt an die Katastrophen-Leitstände weiterleiten können."

    Bei dem verheerenden Tsunami in Südostasien Ende 2004 hat das bereits funktioniert. Da lieferte ein Schwarm von vier Mikrosatelliten die schnellsten Schadensaufnahmen aus dem All, nach nur zwei Stunden. Das Quartett fliegt in einer so genannten "Desaster-Überwachungs-Konstellation" - einer nach dem anderen in der gleichen polnahen Umlaufbahn, 750 Kilometer über der Erde. Keiner der Vierlinge wiegt dabei mehr als 100 Kilo.

    Es ist das erste operationelle Netzwerk von Mikrosatelliten im All und ein multinationales Projekt.

    Beteiligt sind Länder wie Großbritannien, Algerien, Nigeria und die Türkei - also nicht gerade klassische Raumfahrtnationen. Es war auch keine der großen Raumfahrtagenturen, die die Desaster-Satelliten entwickelte und zusammenbaute. Sondern die Universität Surrey: Craig Underwood und seine Kollegen

    " Ich bin sehr glücklich, dass wir bereits dazu beitragen konnten, Leben zu retten. Durch ein Satelliten-Projekt, das nur einige zehn Millionen Euro verschlungen hat. Also, die Kosten-Nutzen-Effizienz ist schon enorm."

    Erstaunlich ist auch die Ausstattung der Weltraum-Patrouille. Trotz des schmalen Budgets: Die Instrumente an Bord sind laut Underwood einzigartig. Alle vier Mikrosatelliten tragen besondere Multispektral-Kameras:

    " Es ist schon kurios! Kleinsatelliten-Konstrukteure verwenden ja typischerweise Technologie aus dem Einkaufsregal, wie wir sagen. Also die Art Bauteile, wie man sie auch im Elektronik-Markt um die Ecke bekommt. Dennoch gibt es bisher keine Kamera wie die unsere im All. Kein anderes Instrument macht solche Weitwinkel-Aufnahmen. Ihr Blickfeld ist mit 600 Kilometern extrem groß. Mit jedem Einzelbild erfassen wir also eine Fläche von 600 Quadratkilometern. Das reicht, um ein komplettes Land bei einem Überflug abzulichten. Wie gesagt: Das alles klappt mit handelsüblicher Technik. Allerdings entwickeln wir sie weiter, mit unserem ganzen Know-how als Raumfahrt-Ingenieure. So dass sie unsere Zwecke im All erfüllt."

    Auch deutsche Raumfahrt-Ingenieure haben es schon geschafft, mit Kleinsatelliten neue Standards in der Erdbeobachtung zu setzen. Bestes Beispiel ist BIRD, einer der vier Satelliten, die in Oberpfaffenhofen gesteuert werden, im Deutschen Raumfahrt-Kontrollzentrum, bei Nikolaus Hanowski und seinen Kollegen

    " Ein für uns ganz besonders herausragender Satellit, weil es ein Satellit ist, der im DLR gebaut wurde. Die ursprüngliche Lebensdauer war irgendwie zwischen einem und eineinhalb Jahren angesetzt. Und jetzt sind wir also schon im vierten Jahr des Betriebes, was auch für die Betriebsmannschaft hier natürlich einen großen Erfolg darstellt."

    BIRD ist die Abkürzung für bi-spektrale Infrarotdetektion. Der Satellit misst also Wärmestrahlung, und das in zwei verschiedenen Kanälen. Kräftige Infrarot-Sender am Erdboden sind zum Beispiel Waldbrände und vulkanische Aktivitäten. Die Wärmekamera an Bord von BIRD nimmt sie gleich doppelt ins Visier. Der Optoelektroniker Dieter Oertel, zuständiger Projektmanager beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt:

    " Der BIRD ist darauf spezialisiert, dass er, wenn so was sehr Heißes oder Warmes auftaucht - dann macht er eine zweite Belichtung. Also, ich mach 'nen ersten Schuss mit normaler Belichtungszeit, mit so 'nem Fotoapparat, was weiß ich: 'n Fünfzigstel? Und mach' den zweiten Schuss, aber an der gleichen Stelle de facto - nur ein ganz kleines bisschen hat sich der Satellit weiterbewegt - mit 'ner Tausendstel Belichtungszeit, fotoapparatbezogen."

    Das eine ist die grobe Rasterfahndung, das andere die genaue Täterbeschreibung, wenn man so will:

    " Meine eigentliche bildhafte Auflösung ist relativ grob. Ich löse aber dort diese Brände viel feiner auf und kann abschätzen: Was haben sie für eine Temperatur und für 'ne Fläche zum Beispiel? Und das alles aus dieser bispektralen Methode herausgeholt. Und das kann nur der BIRD. Das ist das einzige System, was wir im Zivilen kennen, was das leistet."

    Es gibt eine ganze Reihe von Infrarot-Sensoren im All. Auf Wettersatelliten zum Beispiel. Oder auch auf großen Umweltsatelliten wie TERRA oder AQUA aus den USA. Doch diese Instrumente sind entweder nur für schwache Wärmequellen ausgelegt, zum Beispiel für die Messung der Meeres-Oberflächentemperatur. Oder sie müssen die Erde täglich komplett scannen, was nicht funktioniert, ohne Abstriche bei der Auflösung zu machen.

    Ein spezieller Feuerwächter wie BIRD hat also zwangsläufig Startvorteile. Dennoch bleibt imponierend, was seine Wärmekamera leistet; ein Gerät, das laut Oertel gerade mal 15 Kilo wiegt, inklusive Kühlung. Die Infrarot-Sensoren an Bord von TERRA und AQUA seien mehr als 10mal so schwer.

    Auch BIRD hat seine Qualitäten im Notfall schon mehrfach unter Beweis stellen können:

    " Einmal war er so richtig von Nutzen. Da hatten wir Glück, als die Portugiesen ausgesprochenes Pech hatten mit dem großen Feuer in Zentralportugal am 4. August 2003. Da war der BIRD haargenau über diesen Feuern eingeschaltet. Und wir haben diese Daten sofort prozessiert, haben sie auf die Webseite vom Global Fire Monitoring Center in Freiburg gelegt. Die betreibt dort Professor Goldammer. Und 'ne halbe Stunde später bekommt der Professor Goldammer einen Anruf vom Katastrophenstab aus Portugal: ,Das haben wir genau gebraucht! So'n Bild, mit der Übersicht."

    Inzwischen hat sich BIRDs Wärmebild-Kamera für höhere Aufgaben empfohlen. Die europäische Raumfahrtagentur ESA entschied jüngst, künftige Erdbeobachtungssatelliten auf jeden Fall mit Infrarot-Detektoren auszurüsten - nach dem Vorbild des erfolgreichen deutschen Feuervogels

    Wenn Satelliten immer kleiner werden; wenn ihre Komponenten aus dem Elektronikmarkt nebenan stammen dürfen; wenn sie dadurch immer erschwinglicher werden - dann braucht es keine großen Raumfahrtkonzerne oder -agenturen, um sie zu bauen. Dann erhalten sogar Hochschul-Institute die Chance, komplette Fernerkundungs-Missionen auf die Beine zu stellen: von der Planung eines Mini-Satelliten bis hin zu seiner Steuerung im All. So wie an der Universität Stuttgart
    " Das ist die Warnung, dass die Raumstation demnächst in Funkkontakt kommt. Wir sehen jetzt den Überflug, der dauert hier jetzt maximal acht Minuten etwa. Dann ist das Signal wieder weg. Dann ist die Raumstation bereits über Russland."

    Irrtum ausgeschlossen! Felix Huber spricht tatsächlich von der ISS, der Internationalen Raumstation. Der Ingenieur leitet das Steinbeis-Transferzentrum Raumfahrt an der Universität Stuttgart. Es vermittelt Projekte zwischen mittelständischen Firmen und Hochschulforschern. Dabei kooperiert es eng mit dem Institut für Raumfahrtsysteme der Uni.
    Huber betreut ein Experiment auf der Raumstation. Und hat deswegen den heißen Draht zum wohl bekanntesten Satelliten im Erdorbit

    " Die Raumstation ist im wesentlichen auch ein großer Satellit. Also rein technisch gesehen ist es nichts anderes als ein sehr großer Satellit."

    Noch ist es nur die ISS, die im Datenaustausch mit dem kleinen Kontrollraum an der Uni steht. Doch das soll sich ändern.

    Bald wird es hier betriebsamer zugehen; bald wird aufgerüstet. Das Institut für Raumfahrtsysteme plant ein eigenständiges Stuttgarter Kleinsatelliten-Programm. Mit mehreren selbst entwickelten Instrumenten-Plattformen. Peu à peu sollen sie in den nächsten Jahren ins All starten. Zum Kreis der Projektmanager zählt auch René Laufer:

    " Die Idee ist dabei, Kleinsatelliten zu bauen, zu starten und zu betreiben. Und Programm deshalb, weil wir gesagt haben. Wir wollen es nicht bei einem Satelliten belassen, sondern wir wollen von Anfang vernünftigerweise Infrastruktur, die wir aufbauen, mehrfach nutzen. Und so sind mittlerweile vier Satellitenprojekte entstanden, die Satellit für Satellit sozusagen dann so 'ne kleine Stuttgarter Flotte bilden sollen."

    So weit wie an der Universität Surrey ist man in Stuttgart nicht. Hier gibt es kein angeschlossenes "Weltraumzentrum"; hier werden keine Satelliten für kommerzielle Anwendungen gebaut. Die Stuttgarter Ingenieure verstehen ihr Programm als Grundlagenforschung. Es dient dazu, neue Technologien zu testen oder weiterzuentwickeln, die noch nicht Standard im All sind

    " Im Prinzip ist die Raumfahrtindustrie sehr konservativ. Es gilt immer noch der Spruch: ,Sind Sie schon geflogen? Nein? Dann fliegen Sie auch nicht!' Keiner will was Neues bauen, weil er das Risiko nicht eingehen will. Da ist natürlich eine Universität viel besser dran. Wir fliegen das einfach. Wenn's funktioniert, ist die Technologie erprobt. Dann will's jeder haben. Wenn's nicht funktioniert, war's eben ein universitäres Projekt, und man wird sehen, wo die Fehler lagen. Es ist ja kein kommerzieller Gewinn dahinter, den man erzielen müsste."

    Felix Huber ist für den ersten der vier Stuttgarter Minisatelliten verantwortlich. Ende 2006 soll er starten - "huckepack" auf einer Rakete, wie die meisten Kleinsatelliten. Das heißt: Wenn sich eine günstige Mitfluggelegenheit ergibt. Wenn etwa ein teurer Wetter-Satellit in den Erdorbit geschossen wird. Trägerraketen wie Ariane-4 haben da immer noch ein paar freie Plätze für leichtes Gepäck.

    Der Stuttgarter Erstling soll weniger als zwei Zentner wiegen. Damit fällt er in die Gewichtsklasse der Mikrosatelliten. Was ihn als einzigartig auszeichnet, ist vor allem sein Bordcomputer. Daher auch der Name des Projektes: Flying Laptop, "fliegender Laptop":

    " Was neu sein wird, ist, dass der Bordrechner vom Boden aus komplett neu programmierbar ist."

    So wie man sagt, dass jemand nach Belieben seine Hemden wechselt, so wechselt der fliegende Laptop nach Belieben seine Programme, wenn er das Kommando dazu erhält. Nur darf man sich keinen gewöhnlichen Rechner vorstellen, mit Mikroprozessor und Betriebssystem. Und mit Software, die aufgespielt werden muss. Flying Laptop funktioniert anders, mit einer Technologie namens F-P-G-A. Sie braucht keine Software-Programme. Es ist die Hardware, die sich auf Knopfdruck verwandelt: Der Satelliten-Chip ändert seine komplette Schaltkreis-Architektur

    " FPGA, ich übersetze das immer mit frei programmierbarer Gatterlogik. Also, in der Logikschaltung nennt man diese Funktionen, die Sachen verknüpfen, Gatter. Und-Gatter, Oder-Gatter. Und aus diesen Gattern kann ich mir im Prinzip beliebig komplexe Funktionen zusammenbauen. Das hat man früher mit dem Lötkolben gemacht. Heutzutage kann ich das durch eine Programmierung in dem Chip in Echtzeit erledigen. Wenn ich den Schaltungsbereich nicht mehr brauche, konfiguriere ich den Chip einfach neu, und er tut 'was total anderes. Das kann ein Prozessor nicht. Der ist fest verdrahtet für immer. Der kennt nur seine Maschinensprache - 'was anderes kann ich nicht tun. Und so 'ne [FPGA-]Hardware fällt eben nicht aus. Wenn's einen Fehler gibt, erzeugt die Hardware sich selber einen Reset und startet neu. Innerhalb von Millisekunden ist das System wieder da. Man stelle sich das mit einem großen Betriebssystem vor. Das geht einfach gar nicht."

    Neu sind F-P-G-A zwar nicht in der Raumfahrt. Einzelne Instrumente auf Satelliten würden schon mit ihnen gesteuert, sagt Huber. Allerdings:

    " Einen richtigen Bordrechner nur mit FPGA zu bauen, hat sich noch keiner getraut."

    Die Stuttgarter Forscher probieren es jetzt. Und wenn alles klappt, dann bietet ihr Flying Laptop ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten.

    Man könnte den Bordrechner im Dreiviertelstunden-Takt umprogrammieren. Durchfliegt der Satellit die Tagseite der Erde, dann läuft das Fernerkundungsprogramm der Mission, und seine Kameras schießen Bilder von der Erdoberfläche. Wechselt der Satellit auf die Nachtseite, dann konfiguriert sich der Rechner blitzschnell neu, und nun laufen Programme, die auch im Dunkeln möglich sind oder gerade dann Sinn machen - bestimmte Atmosphärenmessungen zum Beispiel.

    Ein so sprunghafter Geselle eignet sich auch bestens als Test-Plattform für Computerprogramme, die in der Raumfahrt eingesetzt werden sollen. Auch sie müssen zunächst einmal im Weltall qualifiziert werden, wie René Laufer sagt:

    " So ein Satellit mit so einem komplett konfigurierbaren Bordcomputer kann relativ einfach 'ner Firma zur Verfügung gestellt werden. Deswegen nennen wir das auch "Rent a satellite", so wie ein Mietwagen eben. Ein Firmenkunde kriegt sozusagen den Satelliten für eine Woche oder ein paar Tage oder zwei Wochen. Und schon kann diese Firma ihre Software ausprobieren. Die braucht ja den Satelliten nur für kurze Zeit. Und für die würde es sich nicht lohnen, einen eigenen Satelliten hoch zu schicken."

    Herdrich
    " Wir sind jetzt vor den Hallen, vor den Laborhallen, des Instituts. Sollen wir gleich reingehen? Und wir werden natürlich jetzt gleich die Anlage von der Frau Bock hören. Und das ist die Anlage zur Qualifikation und zum Test des Triebwerks für die Mondsonde."

    Eine breite Werkstatt-Tür, darauf gelbe Hinweisschilder, die vor Laserstrahlen und Hochspannung warnen - Georg Herdrich betritt eine Halle, die der Luft- und Raumfahrttechniker schlicht als "Labor" bezeichnet. Tatsächlich ist sie geräumig wie ein Konzertsaal. Darin verteilt fünf kreisrunde Stahl-Tanks, im Liegen aufgebockt, fast alle groß wie Wohnwagen: Zum Teil sind es Windkanäle, zum Teil Testkammern für Raumfahrt-Triebwerke.

    Herdrich ist zuständig für die Versuche hier. Zielstrebig marschiert er auf den Tank mit der Nummer 5 zu. Dort wartet wie angekündigt Dagmar Bock, Doktorandin am Institut für Raumfahrtsysteme. Und - auch das stimmt: Es gibt 'was zu hören

    " Diesem Tank werden wir jetzt erstmal die Luft rauslassen. Und dazu schalte ich jetzt die Pumpen an."

    Nummer 5 lebt! Die Kammer beginnt sanft zu vibrieren. In ihrem Innern steckt ein thermisches Lichtbogen-Triebwerk - ein Mini-Motor für kleine Raumfahrzeuge

    " Um die Umgebungsbedingungen während des Fluges nachzubilden, braucht man eben ein Vakuum im Tank. Weil eben im Weltall Vakuum herrscht."

    Die Versuche in der Testkammer dienen der Vorbereitung einer weiteren Stuttgarter Kleinsatelliten-Mission, der zweiten nach dem fliegenden Laptop. Doch darf man sie wohl als noch kühner bezeichnen

    " Wir wollen 2008, 2009, 2010, in diesem Zeitraum, einen Kleinsatelliten zum Mond schicken. Und dieses wäre ein innovatives Ziel, wo wir demonstrieren könnten - wenn es gelänge -, dass Missionen zu anderen Himmelskörpern nicht mehr ausschließlich, wie es bislang der Fall war, von ESA, von NASA oder anderen Raumfahrtbehörden gemacht [werden]."

    Wenn man in Stuttgart von einer künftigen Satelliten-Flotte spricht, dann darf man Hans-Peter Röser als Chef des Flottenstützpunktes bezeichnen. Der Physiker ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Raumfahrtsysteme. Seiner Leidenschaft ging Röser zunächst an der TU Berlin nach. Dort bauten Wissenschaftler Deutschlands erste akademische Satelliten-Schmiede auf. Und dort entstand auch die erste deutsche Kleinsatelliten-Mission mit dem Namen TUB-SAT. Das war 1991. Es handelte sich zunächst nur um eine Experimental-Plattform, klein wie ein Sitzwürfel und gerade mal 35 Kilo schwer. Inzwischen haben die TU-Forscher sechs Satelliten aus der TUBSAT-Reihe gestartet, der siebte ist in Vorbereitung.

    Vor drei Jahren wechselte Hans-Peter Röser nach Stuttgart, wo nun Studenten, Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter gemeinsam an der ersten deutschen Mond-Mission arbeiten. Mit René Laufer als Projektmanager:

    " Das ist eine besondere Herausforderung. Keine Universität hat das bisher gemacht. Im Kleinsatelliten-Bereich ist das auch noch nicht gemacht worden. Und das wollen wir tun mit der Lunar Mission BW-1."

    Das Kind hat also auch schon einen Namen: Mond-Mission Baden-Württemberg 1:

    " Die Lunar Mission BW-1 ist ein Mini-Satellit, also so um die 200 Kilo Startmasse, so ein bisschen kleiner als ein Zweisitzer-Smart. Das Ganze hat Antriebssysteme. Man wird also im Erdorbit ausgesetzt von einer Rakete. Und dann geht's langsam, aber sicher - mehrmonatige Reise - in Richtung Mond."

    Am Ziel angelangt, wird der fliegende Smart dann ein halbes Jahr lang um den Mond kreisen. Seine Kameras sollen Bilder von der Oberfläche schießen

    " Und am Ende der Mission geben wir den Satelliten nicht auf, sondern wir machen noch einen kontrollierten Einschlag auf die Oberfläche. Das ist ja auch für die Geologen immer ein spannendes Experiment, diese Impakt-Experimente zur Kraterbildung."

    Ein Fall für die universitäre Grundlagenforschung ist vor allem die Antriebstechnologie von BW-1. Deswegen testet Dagmar Bock so eifrig das thermische Lichtbogentriebwerk. Es ist kaum größer und genauso schmal wie eine Fahrradpumpe

    " Ein Zylinder. Hat vorne 'ne Düse dran. Und, ja, im Inneren befindet sich dann die Kathode. Und die Düse ist dann die Anode. Zwischen dieser Kathode und der Anode wird dann eben ein Lichtbogen aufgebaut. Und dieser Lichtbogen heizt dann das Betriebsgas auf. Und dadurch wird es dann beschleunigt. Und dadurch wird der Schub erzielt."

    Der Vorteil dieses Triebwerks: Es ist winzig und leicht, und es kommt mit wenig Sprit aus. Ein paar Dutzend Liter Ammoniak-Gas genügen für die Tour zum Mond - hofft Projektleiter Laufer jedenfalls. Mini-Motoren wie die Lichtbogen-Triebwerke seien zwar gelegentlich schon getestet worden. Doch noch nicht außerhalb des Erdorbits, und auch noch nicht auf einer Marathon-Mondreise, wie sie die Stuttgarter vorhaben.

    Flying Laptop, BW-1 und BIRD würde man alle zur Kategorie der Mikrosatelliten zählen. Doch die Miniaturisierung in der Erdbeobachtung geht noch viel weiter. Inzwischen ist die Entwicklung schon bei Nano- und Picosatelliten angelangt. So auch am Institut für Luft- und Raumfahrt der TU Berlin, in der Arbeitsgruppe von Hakan Kayal:

    " Wenn wir von Picosatelliten sprechen, dann meinen wir Satelliten, die eine maximale Masse von 1 Kilogramm haben und eine maximale Kantenlänge von zehn Zentimetern."

    Eine Kaffeetasse sei kaum kleiner, sagt der Ingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik. Daher auch der Name des Projektes. Es heißt CubeSat: "Satellitenwürfel"

    " Das sind vollständige, richtige Satelliten. Sie haben alle Subsysteme, die ein richtiger Satellit auch haben muss. Sie haben also ein Energieversorgungssystem, ein Kommunikationssystem, einen Bordcomputer, eine Nutzlast. Also, die Größe sagt eigentlich nichts über die Funktion aus."

    Die Satellitenwürfel werden nicht nur an der TU Berlin entwickelt, sondern an insgesamt 40 Forschungsstätten weltweit. Alle halten sich an das Standard-Chassis für künftige Pico-Plattformen im All: Das ist das kleine, würfelförmige Gehäuse. Da muss laut Kayal alles rein- oder draufpassen. Unter Umständen sogar ein Motor, viel winziger noch als die Luftpumpe der Stuttgarter Mondsonde:

    " Einen Anbieter aus USA gibt es, der solche Antriebe anbietet bereits für Picosatelliten. Das hat dann die Größe - etwa die Hälfte einer Zigarettenschachtel. Das ist ein Kaltgas-Antrieb. Funktioniert wie ein Luftballon. Da ist kaltes Gas drin. Das ist verdichtet, in einem Tank. Da ist ein Ventil, elektrisch gesteuert. Da wird dann immer, wenn der Antrieb losgehen soll, [wird] das Ventil aufgemacht, und der Satellit bewegt sich."

    Sender, Empfänger und Computerbausteine dagegen sind heute noch nicht so klein, dass sie in den fliegenden Kaffeetassen Platz fänden:

    " Wir stehen am Anfang dieser Entwicklung noch. Da fehlen noch einige Komponenten. Und wir wollen als TU Berlin eben einige der Schlüsselkomponenten entwickeln."

    In wenigen Jahren will Kayals Team die ersten Pico-Satelliten-Missionen fliegen. Ein eigenes Kontrollzentrum an der TU ist bereits eingerichtet. Die CubeSat-Würfel würden huckepack auf einer Rakete starten und in Höhen zwischen 400 und 900 Kilometern über der Erde ausgeklinkt. Mit einem Motor an Bord wären sogar Bahnkorrekturen möglich.

    Erste Test-Exemplare sind sogar schon im All. Sie wurden Mitte 2003 ausgesetzt. Zwei japanische CubeSats seien noch immer funktionstüchtig, sagt Kayal.

    Auch bei den Super-Zwergen wird an Einsätze im Dienst der Erdbeobachtung gedacht. Daneben kann man sie sich als mobile Wetterstationen vorstellen: Bestückt mit Strahlungsmesssensoren, registrieren die Pico-Satelliten permanent Schwankungen der Sonneneinstrahlung und überwachen so das Weltraum-Wetter

    Die US-Raumfahrtbehörde NASA setzt vermehrt auf Kleinsatelliten; ihr Anteil bei Erdbeobachtungsmissionen wird bald 40 Prozent betragen
    Die französische Raumfahrtagentur CNES hat ein eigenständiges Kleinsatelliten-Programm aufgelegt Ingenieure in Surrey bauen im Auftrag einer deutschen Firma die erste rein kommerzielle Kleinsatelliten-Flotte; sie soll vor allem den Gesundheitszustand von Agrarpflanzen aus dem All überwachen Entwicklungsländer haben inzwischen Zugang zum Erdorbit, dank bezahlbarer Kleinsatelliten. Nicht zuletzt sind heute sogar Hochschulen imstande, eigene Weltraum-Missionen durchzuführen, gestützt auf Kleinsatelliten.

    Man kann nicht unbedingt von einem Paradigmenwechsel sprechen. Aber in der Raumfahrt ist eine Entwicklung im Gange, die stärker von der Sorge um unseren Globus geprägt ist. Und von dem Bewusstsein, wie wichtig es ist, die Überwachung zu intensivieren und das Beobachtungsnetz auszudehnen. Um bei Katastrophen besser gewappnet zu sein; um kritische Klimaveränderungen frühzeitig erkennen zu können.

    Kleinsatelliten könnten hier einen immer größeren Part übernehmen Als winzige, aber wertvolle Wächter im Weltraum