Timurs Tod im Jahr 1405 war ein Wendepunkt der Weltgeschichte. Er war der letzte jener "Welteroberer" in der Tradition Attilas oder Dschingis Khans, die ganz Eurasien in einem riesigen Reich unter ihrer Herrschaft vereinigen wollten.
Timur oder Tamerlan der Große – das Scheitern dieses mongolischen Welteroberers ist für John Darwin der Punkt in der Geschichte, an dem die Vision eines alles beherrschenden Solotänzers auf der Weltbühne unterging zugunsten eines Ensembles von Tänzern, die je nach Fitness oder Tageskondition große oder weniger große Räume bespielten.
Fünfzig Jahre nach seinem Tod erkundeten die Seefahrernationen des aus eurasischer Sicht Fernen Westens, allen voran Portugal, die Seewege, die zu den Nervensträngen und Schlagadern großer seegestützter Reiche wurden.
"In diesem Buch wird die Geschichte der folgenden Ereignisse dargestellt" – verspricht John Darwin. Darwin ist lecturer in Oxford, was immerhin eine gute Adresse ist, und hat bereits zwei Bücher über den Untergang des britischen Weltreiches geschrieben. Der Mann mit dem in den Wissenschaften so klangvollen Namen ist also mit der Entstehung und natürlichen Selektion von Großreichen gut vertraut.
Nach dem Britischen Empire nun also die ganze Welt. Das heißt, vielleicht doch nicht die ganze Welt, denn schon in diesen kurzen Zitaten ist gleich zweimal der Begriff "Eurasien" aufgetaucht. Die Landmasse, die sich von der Westgrenze Europas in östlicher Richtung bis nach Japan erstreckt, ist Darwins Bezugspunkt für die Geschichte der großen Reiche. Das Buch vermittelt empirisches Grundlagenwissen für unsere heutige Welt, in der die Spieler und Gegenspieler sich immer enger umeinander bewegen. Und diese energetischen Kräfte von Anziehung und Abstoßung begannen schon zu wirken beim Aufbruch der europäischen Mächte nach Übersee. Die eurozentrische Weltsicht hat dies bislang häufig nicht ausreichend berücksichtigt. Darwin schreibt:
Doch genau zum Zeitpunkt der Siege Vasco da Gamas oder Albuquerques im Indischen Ozean und der Triumphe von Cortès und Pizarro auf dem amerikanischen Kontinent festigt sich der Absolutismus der Ming in China; mit dem Osmanischen Reich betrat eine neue Weltmacht die Bühne; der Iran wurde unter den Safawiden geeint; der Islam drang rasch nach Südostasien vor; und in Nordindien entstand nach 1519 ein riesiges neues, islamisches Imperium.
Noch fehlt Japan im Ballett der Imperien, auch Russland ist noch weit entfernt, Afrika wird kaum je eine Rolle spielen, es sei denn eine passive, und die USA, einst selbst eine Kolonie, treten in Darwins Darstellung erst auf den Plan, als die europäischen Kolonialmächte vor den Trümmern ihrer Weltreiche stehen.
Darwin erläutert die Bedingungen, die beispielsweise den unterlegenen spanischen Konquistadoren den Sieg über die Inka und Azteken ermöglichte, zeigt die Herrschaftstechniken auf, mit denen sich ein Regime wie das Osmanische Reich in Gebieten halten konnte, die weit entfernt vom Zentrum der Macht lagen und warum wirtschaftliche und technologische Umstände einen imperialen Ansatz ermöglichten - oder eben nicht. Nur selten verliert er sich in Spekulationen wie beispielsweise im Kapitel über den Ersten Weltkrieg, wo er versucht, geostrategisch und geoökonomisch die mutmaßlichen Schritte der deutschen Regierung zu ermitteln - hätte diese den Krieg gewonnen.
Dennoch ist der Leser am Ende nicht ganz glücklich – da ist ordentlich und unter Verarbeitung einer großen Menge historischer Monografien die Geschichte der eurasischen Imperien nacherzählt worden. Man hat auch verstanden, dass im Großen und Ganzen ein funktionierender Staat die Voraussetzung für einen imperialen Impetus ist. Man hat den Handel und die Handelswege als Leitmotive imperialen Operierens verstanden, aber abgesehen davon, dass es dies alles gibt, hat man – gerade mit Blick auf die Gegenwart – wenige Möglichkeiten gefunden, sich zu orientieren.
Man hätte gern tiefer gehende Analysen der Triebkräfte der handelnden Akteure gehabt, um zu verstehen, warum etwas so gekommen ist, wie es kam. Und man hat am Ende auch den Eindruck, dass etwas fehlt, weil nicht allein wirtschaftliche oder strategische Gründe für die Expansionen einzelner Länder ausschlaggebend waren, sondern auch weltanschauliche und ideologische.
Am Ende lautet Darwins Resümee, dass, seit die Portugiesen begannen, die Welt zu entdecken, die lange Geschichte der Kontakte und Einflussnahme, sozusagen die frühe Globalisierung, nicht zu einer Vereinheitlichung der kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse geführt hat, sondern im Gegenteil zu einer Zersplitterung und Fragmentierung. Schauen wir auf die Zukunft, dann sagt uns Darwin:
Gemeinhin wird angenommen, dass diese lange Ära zu Ende geht: Einheimische Kulturen und der Nationalstaat werden den invasiven Wirkungen nicht standhalten können, die von der Welt der freien Bewegung von Informationen, Menschen und Waren ausgehen. Doch der Prozess der Globalisierung dauert noch nicht lange genug an, um ein abschließendes Urteil zu erlauben.
Aber was folgt daraus? Wenn Nationalstaaten und Nationalkulturen beispielsweise dem invasiven Druck von Informationen nicht standhalten können, wird dann der Iran eine freiheitliche Demokratie entwickeln oder wird er sich noch mehr abschotten und eher versuchen, sich durch imperiale Muskelspiele Sicherheit zu verschaffen? Nach sechshundert Jahren Imperialismusforschung hätte man da gern am Ende einen Hinweis gefunden.
Am besten, man nimmt das Buch wie ein Nachschlagewerk: Wenn die Abendnachrichten wieder einmal unverständlich sind, weil einem gerade nicht präsent ist, aus welcher Situation heraus nach dem Ersten Weltkrieg die Landkarte von Syrien bis Ägypten gezeichnet wurde, oder warum nach der Invasion der USA in den Irak dort nicht Friede und Wiederaufbau herrschen, sondern die alten Kämpfe aus den vergangenen Jahrhunderten fortgeführt werden, dann ist John Darwins "Der imperiale Traum" ein Buch, zu dem man greifen kann.
John Darwin, Der imperiale Traum
Die Globalgeschichte Grosser Reiche 1400 – 2000
Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz
Campus Verlag Frankfurt / New York 2010,
49,90 € , 544 Seiten
Timur oder Tamerlan der Große – das Scheitern dieses mongolischen Welteroberers ist für John Darwin der Punkt in der Geschichte, an dem die Vision eines alles beherrschenden Solotänzers auf der Weltbühne unterging zugunsten eines Ensembles von Tänzern, die je nach Fitness oder Tageskondition große oder weniger große Räume bespielten.
Fünfzig Jahre nach seinem Tod erkundeten die Seefahrernationen des aus eurasischer Sicht Fernen Westens, allen voran Portugal, die Seewege, die zu den Nervensträngen und Schlagadern großer seegestützter Reiche wurden.
"In diesem Buch wird die Geschichte der folgenden Ereignisse dargestellt" – verspricht John Darwin. Darwin ist lecturer in Oxford, was immerhin eine gute Adresse ist, und hat bereits zwei Bücher über den Untergang des britischen Weltreiches geschrieben. Der Mann mit dem in den Wissenschaften so klangvollen Namen ist also mit der Entstehung und natürlichen Selektion von Großreichen gut vertraut.
Nach dem Britischen Empire nun also die ganze Welt. Das heißt, vielleicht doch nicht die ganze Welt, denn schon in diesen kurzen Zitaten ist gleich zweimal der Begriff "Eurasien" aufgetaucht. Die Landmasse, die sich von der Westgrenze Europas in östlicher Richtung bis nach Japan erstreckt, ist Darwins Bezugspunkt für die Geschichte der großen Reiche. Das Buch vermittelt empirisches Grundlagenwissen für unsere heutige Welt, in der die Spieler und Gegenspieler sich immer enger umeinander bewegen. Und diese energetischen Kräfte von Anziehung und Abstoßung begannen schon zu wirken beim Aufbruch der europäischen Mächte nach Übersee. Die eurozentrische Weltsicht hat dies bislang häufig nicht ausreichend berücksichtigt. Darwin schreibt:
Doch genau zum Zeitpunkt der Siege Vasco da Gamas oder Albuquerques im Indischen Ozean und der Triumphe von Cortès und Pizarro auf dem amerikanischen Kontinent festigt sich der Absolutismus der Ming in China; mit dem Osmanischen Reich betrat eine neue Weltmacht die Bühne; der Iran wurde unter den Safawiden geeint; der Islam drang rasch nach Südostasien vor; und in Nordindien entstand nach 1519 ein riesiges neues, islamisches Imperium.
Noch fehlt Japan im Ballett der Imperien, auch Russland ist noch weit entfernt, Afrika wird kaum je eine Rolle spielen, es sei denn eine passive, und die USA, einst selbst eine Kolonie, treten in Darwins Darstellung erst auf den Plan, als die europäischen Kolonialmächte vor den Trümmern ihrer Weltreiche stehen.
Darwin erläutert die Bedingungen, die beispielsweise den unterlegenen spanischen Konquistadoren den Sieg über die Inka und Azteken ermöglichte, zeigt die Herrschaftstechniken auf, mit denen sich ein Regime wie das Osmanische Reich in Gebieten halten konnte, die weit entfernt vom Zentrum der Macht lagen und warum wirtschaftliche und technologische Umstände einen imperialen Ansatz ermöglichten - oder eben nicht. Nur selten verliert er sich in Spekulationen wie beispielsweise im Kapitel über den Ersten Weltkrieg, wo er versucht, geostrategisch und geoökonomisch die mutmaßlichen Schritte der deutschen Regierung zu ermitteln - hätte diese den Krieg gewonnen.
Dennoch ist der Leser am Ende nicht ganz glücklich – da ist ordentlich und unter Verarbeitung einer großen Menge historischer Monografien die Geschichte der eurasischen Imperien nacherzählt worden. Man hat auch verstanden, dass im Großen und Ganzen ein funktionierender Staat die Voraussetzung für einen imperialen Impetus ist. Man hat den Handel und die Handelswege als Leitmotive imperialen Operierens verstanden, aber abgesehen davon, dass es dies alles gibt, hat man – gerade mit Blick auf die Gegenwart – wenige Möglichkeiten gefunden, sich zu orientieren.
Man hätte gern tiefer gehende Analysen der Triebkräfte der handelnden Akteure gehabt, um zu verstehen, warum etwas so gekommen ist, wie es kam. Und man hat am Ende auch den Eindruck, dass etwas fehlt, weil nicht allein wirtschaftliche oder strategische Gründe für die Expansionen einzelner Länder ausschlaggebend waren, sondern auch weltanschauliche und ideologische.
Am Ende lautet Darwins Resümee, dass, seit die Portugiesen begannen, die Welt zu entdecken, die lange Geschichte der Kontakte und Einflussnahme, sozusagen die frühe Globalisierung, nicht zu einer Vereinheitlichung der kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse geführt hat, sondern im Gegenteil zu einer Zersplitterung und Fragmentierung. Schauen wir auf die Zukunft, dann sagt uns Darwin:
Gemeinhin wird angenommen, dass diese lange Ära zu Ende geht: Einheimische Kulturen und der Nationalstaat werden den invasiven Wirkungen nicht standhalten können, die von der Welt der freien Bewegung von Informationen, Menschen und Waren ausgehen. Doch der Prozess der Globalisierung dauert noch nicht lange genug an, um ein abschließendes Urteil zu erlauben.
Aber was folgt daraus? Wenn Nationalstaaten und Nationalkulturen beispielsweise dem invasiven Druck von Informationen nicht standhalten können, wird dann der Iran eine freiheitliche Demokratie entwickeln oder wird er sich noch mehr abschotten und eher versuchen, sich durch imperiale Muskelspiele Sicherheit zu verschaffen? Nach sechshundert Jahren Imperialismusforschung hätte man da gern am Ende einen Hinweis gefunden.
Am besten, man nimmt das Buch wie ein Nachschlagewerk: Wenn die Abendnachrichten wieder einmal unverständlich sind, weil einem gerade nicht präsent ist, aus welcher Situation heraus nach dem Ersten Weltkrieg die Landkarte von Syrien bis Ägypten gezeichnet wurde, oder warum nach der Invasion der USA in den Irak dort nicht Friede und Wiederaufbau herrschen, sondern die alten Kämpfe aus den vergangenen Jahrhunderten fortgeführt werden, dann ist John Darwins "Der imperiale Traum" ein Buch, zu dem man greifen kann.
John Darwin, Der imperiale Traum
Die Globalgeschichte Grosser Reiche 1400 – 2000
Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz
Campus Verlag Frankfurt / New York 2010,
49,90 € , 544 Seiten