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Geschichte der Großreiche
Aufstieg und Fall von Imperien

Äußerst kurzweilig erzählt der Althistoriker Holger Sonnabend von 50 großen Reichen und Imperien: wie sie ihre Macht ausbauten, schließlich ihren Zenit überschritten und ihren Niedergang erlebten. Eine üppig illustrierte Lektüre, mit der man schnell sein Wissen aufbessern kann.

Von Michael Kuhlmann |
Ein Portrait des Autors Holger Sonnabend und das Cover von "Aufstieg und Fall großer Reiche. Von Atlantis bis zum Sowjet-Imperium"
Schön gestaltetes Geschichtslesebuch über frühere Imperien (Cover Theiss-Verlag / Autorenportrait (c) Holger Sonnabend)
Manche mögen solch ein Buch in Zeiten des Internet für überflüssig halten. Aber Holger Sonnabends Buch hat dem Netz zwei Dinge voraus: Man braucht sich keine Sorgen zu machen, inwieweit das, was man da gerade liest, tatsächlich stimmt. Und: Das Buch ist besser geschrieben als die meisten Internet-Artikel. Eine Kostprobe zu den Habsburgern des 16. Jahrhunderts.
„Kann ein Kaiser und König einfach in Rente gehen? Karl V. tat es. Am 25. Oktober 1555 feierte er offiziell Abschied und zog sich mit Gültigkeitsdatum Januar 1556 ins Privatleben zurück. Die Herrschaft über das globale Imperium der Spanier reichte er an seinen Sohn Philipp weiter. Weil er zugleich auch noch erster Mann im Heiligen Römischen Reich gewesen war, beerbte ihn hier sein Bruder Ferdinand.“
In konzentrierten, aber süffig formulierten Einzeltexten portraitiert Sonnabend fünfzig Reiche, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Weltgeschichte zumindest mitgeschrieben haben. Da ist natürlich das Standardprogramm: das antike Rom, das mittelalterliche Frankenreich, das britische Empire, die Sowjetunion.

Wie man Macht ausbaut

Da geht es aber auch um außereuropäische Reiche wie jene der Maya, Inka und Azteken, der antiken Assyrer, Perser und Karthager und auch um das alttestamentliche Israel. Holger Sonnabend interessiert zunächst, wie diese Reiche mächtig wurden. Im Falle der Hohenzollern bringt er es so auf den Punkt:
„Die Familie kannte das Rezept, wie man sich nach oben arbeitete – die Staufer und Habsburger hatten es vorgemacht: Man stelle sich gut mit den Mächtigen, lasse Geld spielen, heirate nach Plan, halte Ausschau nach Erbschaften und greife, wenn nötig, zu den Waffen.“
Andere Reiche sahen sich von der Natur begünstigt – ein Paradebeispiel war das antike Ägypten.
„Garant für Fruchtbarkeit und Wohlstand des Landes war der Nil. Einmal im Jahr trat der Strom über seine Ufer […] Statt über Überschwemmungen zu jammern und zu klagen, krempelten die Ägypter die Ärmel hoch und schufen ein raffiniertes System von Kanälen für die kontrollierte Bewässerung der Felder längs des Nils. Getreide und Papyri aus dem Land am Nil wurden Exportschlager und füllten die königlichen Kassen bis zum Rand.“
Ganz nebenbei werden auch Wendepunkte der Weltgeschichte mit abgehandelt. Zum Beispiel der Aufstieg Roms: Dass seine Legionen Hannibal und die Großmacht Karthago besiegten, war keineswegs ausgemacht. Allerdings:
„Nach dem Triumph über Karthago war Rom die Nummer eins im westlichen Mittelmeerraum. Das weckte weitere Begehrlichkeiten. Rom war auf den Geschmack gekommen. Ab 200 v. Chr. unterwarfen die Römer die Königreiche im Osten – die ihnen den Gefallen taten, sich einzeln besiegen zu lassen, statt eine Einheitsfront gegen die – wie man damals sagte – ‚dunkle Wolke aus dem Westen‘ zu bilden. Gegen die geballte Macht des Ostens hätte Rom sonst keine Chance gehabt – einer der zahlreichen Glücksfälle in der römischen Geschichte. Da der Senat seiner angeblichen Doktrin treu bleiben wollte, nie selbst Kriege vom Zaun zu brechen, wurde die Eroberung des Ostens als Hilfe für bedrohte Freunde deklariert.“

Nach dem Aufstieg kommt der Fall

Auf diese bewährte Methode setzte über zweitausend Jahre später noch die Sowjetunion – gegenüber der CSSR 1968 oder gegenüber Afghanistan 1979. Diese Daten stehen im Falle der Sowjetunion allerdings schon für den Niedergang eines Imperiums – und auch um Niedergang dreht sich dieses Buch: Keines dieser 50 Reiche nämlich existiert heute noch. Für Byzanz etwa konstatiert Sonnabend einen zunächst schleichenden Abstieg, ab dem siebten Jahrhundert.
„Die Gründe waren vielfältig. In der kaiserlichen Familie herrschte selten Harmonie; Intrigen und Komplotte waren an der Tagesordnung. Zusätzlich herrschte in den Staatskassen chronische Ebbe, weil die Kosten für Verwaltung, Militär und eine alle Maße sprengende Baupolitik Unsummen verschlangen. Die größten Schwierigkeiten aber bereiteten außenpolitische Ereignisse. Im 7. Jahrhundert begann der Eroberungszug der Araber.“
Auffallenderweise behandelt das Buch zwar Wirtschaftsmächte wie Venedig oder sogar die Augsburger Fugger, nicht aber die USA, die der heutigen Welt mit ihrem ökonomischen Denken einen Stempel aufgedrückt haben. Und nähme man die Totalitarismustheorie beim Wort, dann könnte man sich fragen, warum hier zwar die Sowjetunion behandelt wird, nicht aber ein anderes Reich, das gleichfalls über ein großes Territorium und über viele Millionen Menschen herrschte: das Schreckensreich des nationalsozialistischen Deutschland. Das aber würde nicht recht in dieses Buch passen.

Vorbildliches historisches Lesebuch

Denn es geht hier nicht darum, tief in historische Abgründe zu tauchen. So wird der stalinistische Terror der 1930er-Jahre nur gestreift; und das Kapitel über Preußen verliert kein Wort über den eiskalten Staatsstreich, mit dem der damalige Reichskanzler Franz von Papen die preußische Demokratie 1932 zur Strecke brachte – immerhin ein Sargnagel der Weimarer Republik.
Offenkundig beansprucht das Buch aber auch gar nicht, dass man es mit dem Gefühl zuklappt, jetzt umfassend über die betreffenden Reiche Bescheid zu wissen. Holger Sonnabend hat vielmehr ein kurzweiliges und reich illustriertes Lese-Buch für die schnelle, unterhaltsame Orientierung vorgelegt – dank seiner Gliederung kann man nach Lust und Laune Kapitel herausgreifen oder überspringen. Bestens geeignet ist das Buch übrigens auch für junge Menschen, die sich gerade auf der Schule lustlos durch einen Geschichts-Grundkurs quälen und die nun darauf erpicht sind, sich zügig und doch nicht oberflächlich über eines dieser Reiche zu orientieren. Sie könnten dabei eine Überraschung erleben: Sie könnten sich im Nu festlesen.
Holger Sonnabend: „Aufstieg und Fall großer Reiche. Von Atlantis bis zum Sowjet-Imperium“, WBG-Theiss, 304 Seiten, 38 Euro.